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Ob eine kosmetische Substanz die Augen reizt, wird noch immer im Tierversuch geprüft. © Ärzte gegen Tierversuche e.V.

Noch immer Tierversuche für Kosmetika

Daniela Gschweng /  Dutzende Kosmetik-Rohstoffe in der EU werden noch immer an Tieren getestet. Das ist sogar vorgeschrieben.

Noch immer werden kosmetische Rohstoffe in der EU an Tieren getestet, obwohl Tierversuche für Kosmetika in der Europäischen Union seit vielen Jahren verboten sind. Seit 2013 gilt ein komplettes Vermarktungsverbot.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des «Centers for Alternatives to Animal Testing» (CAAT) der Johns-Hopkins-Universität fanden trotzdem Dutzende Chemikalien, mit denen Versuche am lebenden Tier durchgeführt wurden. Ein Vorwurf, den die Tierrechtsorganisation PETA schon länger erhebt. Die Forschenden vermuten, dass die Anzahl der Tierversuche mit Kosmetika in der EU sogar zunehmen könnte.

Studie bestätigt Vorwürfe von Tierrechtsorganisationen

Für eine im Oktober 2021 publizierte Studie untersuchte das Team die Datenbank der europäischen Chemikalienagentur ECHA nach Substanzen, die in Kosmetika Verwendung finden. Die Forschenden fanden 419 Stoffe, die ausschliesslich in Kosmetika eingesetzt werden. Mit 63 Inhaltsstoffen wurden auch nach 2013 Tierversuche durchgeführt. Der grösste Teil der Versuche (95 Prozent) prüfte mindestens einen der Punkte Augenreizung, Hautreizung, Hautsensibilisierung, akute orale Toxizität und genetische Toxizität.

Dass das möglich ist, ist ein seit Jahren ungelöster Konflikt zwischen der EU-Kosmetikverordnung und den Sicherheitsanforderungen der Chemikalienverordnung REACH (Registration, Evaluation, Authorization and Restriction of Chemicals). Letztere schreibt eine Prüfung aller chemischen Stoffe vor, die in der EU verwendet werden.

Häufige Gründe für Tierversuche mit kosmetischen Inhaltsstoffen sind:

  • Dual Use: ein Begriff, der aus der Nutzung militärischen Geräts bekannt ist. Eine Substanz wird nicht nur in Kosmetika eingesetzt, was zum Beispiel auf Farbstoffe zutreffen kann.
  • Arbeitsschutz: Ob jemand ein Deodorant benutzt oder an dessen Produktion beteiligt ist, ist regulatorisch ein Unterschied. Grundsätzlich kann das sinnvoll sein, da jemand in der Fertigung häufiger grösseren Mengen eines Stoffes ausgesetzt ist.
  • Toxizität (Giftigkeit) und Einfluss auf die Umwelt: Substanzen müssen auf ihre Umweltverträglichkeit geprüft werden. Beispielsweise müssen Daten über die Fischgiftigkeit eines Stoffes vorliegen.

Alternativen noch nicht voll ausgeschöpft

Vor allem letztere sind schwer oder gar nicht durch andere Methoden zu ersetzen. Als Beispiel nennt die Universität Konstanz, die im Rahmen von CAAT an tierversuchsfreien Alternativen forscht, Untersuchungen zum Langzeiteinfluss von Pestiziden auf Herzkreislauf- und Nervensystem.

Prüfbehörden können, statt Tierversuche durchzuführen, historische Daten zu Rate ziehen, Daten ähnlicher Chemikalien auswerten (read-across), mathematische Modelle zur Wirkung einer Chemikalie nutzen (quantitative structure-activity relationship, QSAR) oder verschiedene Studien zusammenfassen (weight of evidence, WoE). Nicht immer werden diese Alternativen voll ausgeschöpft.

Mit Tierversuch verkaufen sich Kosmetika nicht mehr gut

Für die Kosmetikindustrie ist die Situation laut der Organisation Cosmetics Europe unbefriedigend. Testet ein Hersteller bestimmte Inhaltsstoffe nicht an lebenden Tieren, kommt er unter Umständen seinen Verpflichtungen unter der REACH-Verordnung nicht nach. Testet er sie, kann er den Ansprüchen der Konsumentinnen und Konsumenten nicht mehr gerecht werden.

Als «tierversuchsfrei» kann er seine Kosmetika auch nicht mehr vermarkten. Einige Hersteller verzichten in der Folge freiwillig auf Inhaltsstoffe, mit denen Tierversuche durchgeführt werden – zweifellos auch aus Marketinggründen.

Unter dem Strich ist nur ein weltweites Verbot sinnvoll

Es lohne sich, schreiben die Autorinnen und Autoren der CAAT-Stude, auch ein Blick darauf, wie es die beiden grössten Märkte für Kosmetika halten: In den USA sind Tierversuche für Kosmetika erlaubt, aber nicht vorgeschrieben. China verlangt Tierversuche für neue Inhaltsstoffe und fertige Produkte.

Tierversuche für andere Länder sind für die Sicherheitsbeurteilung von Stoffen in der EU aber nicht zugelassen. Deshalb könne nur ein globales Tierversuchsverbot die Situation grundsätzlich ändern, sagen auch Tierrechts- und Umweltorganisationen wie PETA. Insgesamt ist das EU-Tierversuchsverbot zwar ein Erfolg. Die Zahl der Tierversuche an kosmetischen Inhaltsstoffen hat seit 2013 merklich abgenommen. Die steigende Zahl der Umweltregulierungen in REACH wird ihre Zahl aber voraussichtlich wieder steigen lassen. Für eine Schätzung sei es aber noch zu früh, resümiert die CAAT-Studie.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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