Sperberauge

EU stoppt 700 Medikamente

Urs P. Gasche © Peter Mosimann

Urs P. Gasche /  Wegen gefälschter Unterlagen einer indischen Firma greift die EU endlich durch. Die Schweiz ist nicht betroffen.

Die europäische Arzneimittelbehörde EMA hat am 22. Mai 2015 angeordnet, 700 Medikamente aus dem Markt zu nehmen. In der Schweiz waren die betroffenen Nachahmerprodukte (Generika) zu keiner Zeit erhältlich, erklärt jetzt die Zulassungsbehörde Swissmedic.
Bereits im Januar hatte die Europäische Arzneimittelagentur EMA einen vorläufigen Verkaufsstopp von insgesamt 300 dieser 700 Medikamente empfohlen. Es handelte sich um Generika, denen die indische Firma «GVK Biosciences» als einzige die Bioäquivalenz mit den Originalpräparaten attestierte. Diese Atteste waren gefälscht. Die «GVK Biosciences» hatte jahrelang geschummelt. «Das systematische Vorgehen über eine sehr lange Zeit und die vielen involvierten Mitarbeitenden (der GVK Biosciences) stellt die Integrität des ganzen Unternehmens in Frage», stellte die EMA jetzt fest.

Noch früher, am 8. Dezember 2014, hatte die deutsche Aufsichtsbehörde BfArM den Verkauf von ein paar Dutzend dieser Medikamente stoppen lassen.

In der Schweiz sind wesentlich weniger Generika auf dem Markt als in der EU, hauptsächlich weil Schweizer Ärzte und Apotheken mit dem Verkauf von Originalpräparaten mehr verdienen können.
Weder von Seiten der Swissmedic noch von der EMA gibt es Hinweise, dass die betroffenen Medikamente für Patienten irgendein erhöhtes Risiko bedeuten. Die in der EU gefundenen erfüllen jedoch die Zulassungsbedingungen nicht.
Prüfung von drei Exportprodukten aus der Schweiz
Swissmedic gab im Dezember 2014 bekannt, dass sie in der Schweiz drei Arzneimittel gefunden habe, die für den Vertrieb im Ausland zugelassen wurden (Exportbewilligungen) und deren Zulassungsdossiers Bioäquivalenzstudien von GVK Biosciences enthalten.

Unterdessen hat Swissmedic nach eigenen Angaben die Zulassungen dieser drei Arzneimittel überprüft. Das Ergebnis: Für das Immunsuppressivum Cyclosporin PBL, hat Swissmedic im Juni 2015 die Zulassung widerrufen. Für die zwei anderen Präparate sei das Verfahren noch nicht abgeschlossen. Die Zulassungsinhaberin für das eine der beiden Präparate wolle auf die Zulassung freiwillig verzichten. Für das dritte fragliche Arzneimittel habe die Zulassungsinhaberin neue klinische Studien eingereicht, von Swissmedic noch begutachtet würde.

Weiterer ähnlicher Fall

Einen ähnlich gelagerten Fall, wie denjenigen von GVK Biosciences, entdeckte die Weltgesundheitsorganisation WHO kürzlich anlässlich einer Inspektion der Firma «Quest Life Sciences» im indischen Chennai bei Bioäquivalenzstudien mit den drei HIV-Medikamenten Lamivudin, Zidovudin und Nevirapin. Auch hier habe die Prüfung von Swissmedic ergeben, dass sich kein einziges der betroffenen Arzneimittel auf dem Schweizer Markt befindet.

Swissmedic bisher «auf Goodwill angewiesen»
Auch wenn die Schweiz von diesen beiden Betrugsfällen nicht betroffen ist, zeige der Fall «GVK Biosciences» die Grenzen von Swissmedic als eigenständige Behörde innerhalb von Europa, schrieb der «Tages-Anzeiger» im Januar 2015. «Wir sind auf den Goodwill der EU-Behörden angewiesen», hatte Swissmedic eingeräumt. Man sei bestrebt, die Zusammenarbeit mit der EMA und den nationalen Behörden in der EU zu verbessern. «Eine Vereinbarung zum Informationsaustausch zwischen EMA und Swissmedic konnte bislang aber aus politischen Gründen nicht abgeschlossen werden», hatte der Mediensprecher erklärt.
Zusammenarbeit ab sofort vereinbart
Wie die Swissmedic jetzt am 22. Juli bekannt gab, haben sie und das EDI mit der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) und der Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (GD SANTE) der EU-Kommission vereinbart, ab sofort nicht-öffentliche Informationen zur Sicherheit, Qualität und Wirksamkeit von Heilmitteln auszutauschen, die in der Schweiz oder in der Europäischen Union (EU) bereits zugelassen oder im Zulassungsverfahren sind.
Das ist ein wichtiger Schritt im Hinblick auf eine bessere Überwachung von zugelassenen Arzneimitteln und auf eine bessere Beurteilung von Medikamenten im Zulassungsverfahren.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Der Autor vertritt PatientInnen und Prämienzahlende in der Eidgenössischen Arzneimittelkommission.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

Eine Meinung zu

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 30.07.2015 um 18:32 Uhr
    Permalink

    Das habe ich spätestens ab 1995 jedes Jahr verlangt. Das CH-politische Establishment sah aber keinen Grund mit den unmittelbaren Nachbarn zu reden. Im EDI zog man es damals vor, mit den US, AUS, NZ und Singapour zu verhandeln. Mit den Europäern sei sowieso nichts zu machen, die hätten ja 1992 das EWR Nein auch entsprechend interpretiert.

    Allerdings hat man bis 2010 offenbar nicht einmal daran gedacht, die Frage an Europa formal zu stellen, obwohl man indirekt eine ganze Reihe von EU-Entscheiden im unilateralen Nachvollzug übernommen hat.

    Es ist eben wie mit den Mücken. Die halten sich auch nicht an eine Landesgrenze.

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...