Die Menschheit bleibt Kunststoff-Giften schutzlos ausgeliefert
Es geht um Kunststoffe mit hochproblematischen Zusatzstoffen, die in den Meeren und in der Natur in unsichtbar kleine Teilchen zerfallen. Die Menschen sind ihnen ausgeliefert. In Gewebeproben fand man diese Plastikteilchen bereits im Gehirn, in Hoden und Plazentas.
Ohne Massnahmen wird sich die weltweite Produktion von Kunststoffen nach Schätzung der Kunststoff-Branche bis 2050 nochmals verdoppeln. Es gibt mindestens 16’000 bekannte chemische Zusatzstoffe, welche die Kunststoffindustrie bereits heute verwendet – darunter sind mindestens 4200 als giftig bekannt.
Die Hoffnung, dass Staaten und Konzerne diese gesundheitsschädigende Umweltbelastung ernsthaft angehen, hat sich in Luft aufgelöst. Vom 5. bis 14. August waren Vertreter aus über 170 Ländern in Genf zur Abschlusskonferenz der Uno zusammenkommen, um Massnahmen gegen die weltweite Plastikverschmutzung zu erörtern.
Die Konferenz endete, ohne eine einzige griffige Massnahme zu beschliessen. Besonders Erdöl- und plastikproduzierende Staaten wie Saudi-Arabien, Iran, Russland und die USA lehnten jede Form von verbindlichen Produktionsbeschränkungen strikt ab. Sie wollten sich inhaltlich auf das Abfallmanagement und Recycling beschränken.
Wie früher die Tabak- und Asbestindustrie argumentierten sie, der endgültige Beweis einer Schädigung der menschlichen Gesundheit sei noch nicht erbracht und die Wissenschaftler seien sich nicht alle einig.
Eine unabhängige Koalition von Wissenschaftlern wollte aus Erdöl hergestellte Kunststoffe und deren chemische Zusatzstoffe verbieten, falls sie bekanntermassen oder vermutlich gesundheitsschädlich sind. Saudi-Arabien, der weltweit grösste Rohölexporteur, hat jedoch argumentiert, dass Erwähnungen von gesundheitlichen Auswirkungen von Kunststoffen vom ursprünglichen Kernziel des Abkommens, der Bekämpfung der Umweltverschmutzung, ablenken würden. Lobbyisten argumentierten, dass das Risiko übertrieben werde und die ersten wissenschaftlichen Erkenntnisse irreführend seien.
Ein vorheriges Treffen im Dezember 2024 in Südkorea war aufgrund von Meinungsverschiedenheiten zwischen Ländern gescheitert, die auf ein griffiges Abkommen drängten, und einer Gruppe von fossilen Brennstoff produzierenden Nationen. Die Gespräche in Südkorea wurden von Lobbyisten der Industrie überschwemmt, die laut einigen teilnehmenden Wissenschaftlern versucht hatten, sie zu schikanieren und einzuschüchtern. Die Industrie hat bezahlte Werbekampagnen gestartet. Sie bezahlt beispielsweise Tiktok-Influencer, die für die Recyclingfähigkeit von Kunststoffen werben.
Einige Hersteller von Kunststoffprodukten haben versucht, Umweltverbände und sogar den Generalstaatsanwalt von Kalifornien zu verklagen, um sie daran zu hindern, ihre Produkte zu «diffamieren».
Diese Taktik erinnert an das Vorgehen der Öl- und Gasindustrie, als diese versuchte, die Klimawissenschaft zu diskreditieren, und an die jahrelangen Bemühungen der Tabak- und Asbestindustrie, die Schäden des Rauchens und des Asbests herunterzuspielen: verteidigen, verzögern und Zweifel säen.
Die Trump-Regierung ihrerseits deutete schon vor der Konferenz an, dass sie nur ein Abkommen unterstützen würde, das den Interessen der US-Wirtschaft nicht schade. Die USA stellten sich an der Genfer Konferenz gegen verbindliche Produktionsobergrenzen für Plastik und gegen neue internationale Umwelt- oder Gesundheitsstandards. Die USA bevorzugten flexible, freiwillige Selbstverpflichtungen und wollten den Fokus ebenfalls auf Abfallentsorgung und Recycling legen.
Der letzte Konventionsvorschlag in Genf
Der letzte Kompromissvorschlag für eine internationale Kunststoff-Konvention, den Konferenz-Präsident Luis Vayas Valdivieso in der Nacht zum Freitag unterbreitete, liess den einzelnen Staaten einen grosszügigen Spielraum. Er sah unter anderem Folgendes vor:
Artikel 4
«Jede Vertragspartei soll geeignete Massnahmen ergreifen, die ihren Umständen und Fähigkeiten entsprechen, um ihre nationale Produktion sowie den Verbrauch von Kunststoffprodukten zu reduzieren oder falls möglich die Produktion und den Konsum auslaufen zu lassen, falls diese Kunststoffe eines oder mehrere der folgenden Kriterien erfüllen:
(a) Kunststoffe, die mit hoher Wahrscheinlichkeit in die Umwelt gelangen und diese verschmutzen…
(b) Kunststoffe, die ein unannehmbares Risiko für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt darstellen;
(c) Kunststoffe, die schwer oder nicht wiederverwendbar, recycelbar, kompostierbar sind oder die nicht so umgestaltet werden können, dass sie wiederverwendbar, langlebig, reparierbar und wiederaufbereitbar sind;
(e) Kunststoffe, die einen oder mehrere Stoffe enthalten, die für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt bedenklich sind.»Beim Reduzieren oder Auslaufenlassen einzelner Kunststoffe kann jede Vertragspartei berücksichtigen:
(a) Die Notwendigkeit des Kunststoffprodukt in seiner beabsichtigten Verwendung;
(b) Die technische Durchführbarkeit, die Kosten, die Verfügbarkeit und die Zugänglichkeit alternativer Produkte oder Verfahren;
(c) Die besten verfügbaren wissenschaftlichen Informationen und Analysen;
(d) Die sozioökonomischen Auswirkungen;
(e) Gegebenenfalls die Einbeziehung des traditionellen Wissens, der Kenntnisse der Wissenschaften und der Praktiken indigener Völker sowie lokaler Wissenssysteme.
Doch selbst dieser letzte Kompromissvorschlag, der den Staaten so viele Unverbindlichkeiten gewährt, fand in Genf keine Gnade.
Der Bevölkerung bleibt nichts anderes übrig, als ihre Lungen, ihre Verdauungstrakte und ihre Haut den unsichtbar kleinen Plastikteilchen auszusetzen. Die individuelle Freiheit, sich dem Mikro- und Nanoplastik zu entziehen, ist gering.
Wirtschaftliche Interessen von einzelnen Staaten und grossen Konzernen verhindern vorsorgliche Massnahmen für ein gesundheitliches Risiko, das Jahr für Jahr zunimmt.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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