Sperberauge

Wo finde ich meinen Hausarzt?

Christian Müller © zvg

Christian Müller /  Spezialärzte im Überfluss, aber keine Hausärzte. Ein konkreter Fall, der zu denken gibt.

»Während 33 Jahren hatte ich das Glück, als Hausarzt tätig zu sein.» Das schreibt Dr. med. Hans Rudolf Stapfer – in einem Inserat in der «Solothurner Zeitung». Der Arzt Hans Rudolf Stapfer durfte anderen Menschen helfen, und er empfand das als Glück.

Junge, auch intelligente Leute sehen das heute offensichtlich anders. Denn niemand will mehr Hausarzt werden. Man stelle sich vor: Wegen eines Notfalls mitten in der Nacht aufstehen? Oder sogar an einem Sonntag ans Bett eines kranken Menschen gerufen werden? Das ist ja furchtbar!

Gibt es sie wirklich nicht mehr, die jungen Leute, denen Helfen ein Bedürfnis ist? Denen Helfen darum auch Glück bedeutet?

Dr. Stapfer wollte seine Arzt-Praxis einem Nachfolger oder einer Nachfolgerin übergeben – sogar mitsamt dem teuren medizinischen Instrumentarium gratis! Und er war bereit, um einem jungen Arzt den Einstieg in eine eigene Praxis zu erleichtern, sogar ein halbes Jahr lang auf die Miete der Räumlichkeiten zu verzichten. Aber es meldete sich niemand. Es gab keine einzige Bewerbung, schreibt der Arzt. So verschwindet auch diese Hausarzt-Praxis, wie so viele andere auch. Ein Jammer!

Die Bekanntmachung einer Praxis-Schliessung, weil junge Ärzte nicht mehr Hausärzte sein wollen (Solothurner Zeitung vom 20. April 2017).

Nichts gegen die medizinischen Spezialisten. Die einen operieren einen komplizierten Knochenbruch, die anderen verschreiben eine Chemotherapie. Es braucht sie.

Nur: Auch den Hausarzt bräuchte es. Den Menschen, der uns, seine Patienten, auch als Menschen versteht, als Menschen mit Körper, Geist und Seele. Den Hausarzt, der zum Beispiel meine Grossmutter, als sie über 80 und mit 32 kg Körpergewicht nur noch ein Häufchen Elend war und wieder einmal eine Lungenentzündung hatte, nicht noch einmal mit Antibiotika behandelte und in eine weitere Lebensverlängerung zwang, sondern sie, im Einverständnis mit Sohn und Tochter, friedlich einschlafen liess. Er kannte sie, seit vielen Jahren, und er spürte sie.

Medizinischer Fortschritt, ja gerne. Ob es auch immer menschlicher Fortschritt ist?

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Eine Meinung zu

  • am 4.05.2017 um 19:34 Uhr
    Permalink

    Auch das Gesundheitswesen kann sich den Megatrends der Gesellschaft nicht entziehen. Immer mehr Ärzte und Ärztinnen wollen Teilzeit arbeiten, und kaum noch jemand tut sich eine 70-Stunden-Woche an. Zumal es heute auch schwieriger wird, Ehepartner zu finden, die so eine Belastung tolerieren würden. Selbst wenn der Idealismus durchaus vorhanden wäre, wird man sich doch fragen, ob Idealismus immer bedeuten muss: «sich ausnutzen lassen». Das Einkommen ist deutlich schlechter, als dauernd suggeriert wird:

    Der Hausarzt, der noch einen Hausbesuch macht, wird dafür mit 39.24 Taxpunkten (AL) entlöhnt, was bei einem Taxpunktwert von CHF 0.83 summa Summarum CHF 32.57 ergibt. Zusätzlich darf er noch CHF 7.94 pro 5 Minuten Fahrtzeit verrechnen. Der Arzttarif Tarmed wurde seit der Einführung vor 17 Jahren nie an die Teuerung angepasst, so dass inzwischen ein erheblicher Reallohnverlust resultierte. Immer sprach man von Kostensparen, ungeachtet der Tatsache, dass in derselben Zeit mehrere Milliarden zum Beispiel in die Umwandlung des Spitaltarifs ins umstrittene und weitgehend kontraproduktive DRG System gebuttert wurden.

    Aber als Kostentreiber werden stets die praktizierenden Ärzte durch die Medien gezerrt.

    Zusammenfassend: Andere Ansprüche an Work/Life-Balance, mehr Stress, mehr Krankenkassen-Bürokratie, weniger Anerkennung und weniger Lohn sind die Gründe, dass Dr. Stapfer keinen Nachfolger findet. In 20 Jahren wird man statt zum Hausarzt ins Spitalambulatorium müssen. Teurer.

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