Corela

Die Klinik Corela SA/MedLex SA manipulierte Gutachten – zum Vorteil der Versicherungen. © RTS

Privatklinik verliert Zulassung wegen Gefälligkeitsgutachten

Tobias Tscherrig /  Der Kanton Genf entzieht der Privatklinik Corela SA für drei Monate die Bewilligung. Sie hatte Gefälligkeitsgutachten ausgestellt.

Seit rund 15 Jahren ist die Privatklinik Corela SA (ehemals Clinique Corela SA) im Herzen des Quartiers «Champel» in Genf tätig. Neben anderen Dienstleistungen im Gesundheitsbereich spezialisierte sie sich vor allem auf die Erstellung von Gutachten.

Etliche Sozialversicherungen liessen hier jedes Jahr gesundheitliche Gutachten ausstellen. 883 Expertisen waren es alleine im Jahr 2015. Kostenpunkt für ein Gutachten: Zwischen 9000 und 30’000 Franken.

Anfang Februar 2018 wechselte Corela SA ihren Namen, nun nennt sie sich «MedLex SA». Für die Namensänderung gibt es wohl nur einen Grund: Der Name «Corela SA» ist befleckt. Dies, weil publik wurde, dass der Kanton Genf der Privatklinik die Zulassung für drei Monate entzogen hatte. Davon betroffen sind die Abteilungen für Psychiatrie und Expertise.

Das Gutachterinstitut, das auf seiner ehemaligen Internetseite von Transparenz und seinen Werten schrieb, hatte Gefälligkeitsgutachten erstellt – zu Ungunsten der Versicherten, zu Gunsten der Versicherungen.

Die dreimonatige Sperre, die Anfang März in Kraft getreten ist, gilt auch für den Namen Medlex SA.

Bundesgericht: «Untragbares Verhalten»
Ein Urteil des Bundesgerichts zeigte die zweifelhaften Praktiken des Unternehmens und die Verantwortung der Klinik detailliert auf. Damit legitimierte es die Massnahme des Genfer Gesundheitsdepartements, das die Klinik für drei Monate gesperrt hatte. Das Bundesgericht wurde aber noch deutlicher und sagte, es sei nicht ausgeschlossen gewesen, eine noch zwingendere Massnahme zu verhängen.

Im Zentrum der Affäre steht B., der verantwortliche Arzt des Unternehmens. Er hatte mehrere Gutachten in nicht unwesentlichen Punkten abgeändert und unterschrieben – ohne die Patienten überhaupt gesehen zu haben und ohne die Einwilligung der beteiligten Experten.

Die Fassade der Corela SA bröckelte bereits im Jahr 2011, als sich ein externer Mitarbeiter von Corela beschwerte, dass seine Gutachten nachträglich und ohne sein Wissen massiv abgeändert worden waren.

Wie die Zeitung Tribune de Genève berichtete, soll Corela SA die Gutachten nach der Erstellung durch die Experten an unbekannte Personen weitergeleitet haben, damit diese sie gegenlesen und verändern konnten. Diese Personen hätten über keine Legitimation verfügt, manche von ihnen sollen sogar in Madagaskar und Weissrussland leben und arbeiten. Die sensiblen Patientendaten seien mithilfe von unsicheren E-Mail-Anbietern wie etwa G-Mail an sie verschickt worden.

B. ist kein unbeschriebenes Blatt
Arzt B. rechtfertigte vor Bundesgericht sein Verhalten. Er sagte, er habe die Patienten nicht ein weiteres Mal stören wollen. Die Richter liessen sich davon nicht beirren und beurteilten seine Praktiken als «untragbar», weiter stellten sie eine Verletzung der Berufspflichten fest.

Immerhin arbeiten Gutachterinstitute vor allem im Auftrag von Sozialversicherungen, sie klären etwa ab, ob ein Invalide eine Rente erhält oder nicht. Damit haben sie viel Macht.

Bereits 2012 erfuhr das Genfer Gesundheitsdepartement, dass insgesamt 28 Experten der Corela SA nicht über die entsprechenden Bewilligungen verfügten und deshalb eigentlich gar nicht im Kanton Genf tätig sein durften. Zwölf dieser Mediziner mussten eine Busse von 500 Franken bezahlen. Arzt B. musste tiefer in den Geldbeutel greifen: Als verantwortlicher Mediziner wurde er mit 5000 Franken zur Kasse gebeten.

B. ist kein unbeschriebenes Blatt. Im Jahr 2006 wurde er aus der Genfer Ärztevereinigung ausgeschlossen. Im Jahr 2008 erhielt er eine Verwarnung vom Genfer Gesundheitsdepartement, weil er in seinen Expertisen zu wenig sorgfältig und genau gearbeitet habe. Ausserdem habe er darin Ausdrücke gebraucht, die die begutachteten Personen unnötig verletzten.

Auch wenn gemäss verschiedenen Medienberichten aktuell gegen B. Verfahren laufen, darf er noch immer praktizieren. Die vom Bundesgericht ausgesprochene Massnahme gilt für die Institution, nicht für die Person.

Klinik wehrt sich mit allen Mitteln
Im Bundesgerichtsurteil ist von insgesamt elf manipulierten Gutachten die Rede. Nun bietet das Bundesgerichtsurteil eine Möglichkeit für Patientinnen und Patienten, die Zweifel an ihren Gutachten haben. Laut Gesetz haben sie bis 90 Tage nach Veröffentlichung des Urteils Zeit, eine Revision ihrer Dossiers zu verlangen. Eine Garantie auf Erfolg gibt es nicht.

90 Tage sind nicht viel, die Corela SA wusste diese Frist noch zu verkürzen – mit einer superprovisorischen Massnahme. Als das Westschweizer Fernsehen RTS erstmals über die Affäre berichten wollte, musste es erst den rechtlichen Weg beschreiten. So erging es auch der «Tribune de Genève» und dem Verleger Tamedia.

Die Medien sprachen gegen die superprovisorischen Massnahmen ein und bekamen schliesslich Recht. So konnte etwa RTS die Informationen veröffentlichen, allerdings erst am 24. Februar 2018.

Davon abgesehen wehrte sich Corela SA/MedLex SA auf ihrer Internetseite gegen die Vorwürfe. Es komme vor, dass medizinische Experten ihre erstellten Berichte nicht selber unterschreiben könnten, etwa bei einer Abgabe des Mandats. Genau das sei bei den elf vom Bundesgericht bemängelten Fällen der Fall gewesen.

Gutachten beeinflussen Lebensläufe
RTS hat eine Frau aufgespürt, die von einem derart manipulierten Gutachten betroffen ist. Sophie Verney arbeitete jahrelang als Direktionsassistentin. Sie leidet an Arthritis und muss am Tag bis zu zwölf unterschiedliche Medikamente einnehmen, um ihre Schmerzen auszuhalten. Aus Sicht von Corela SA/MedLex SA war sie trotzdem zu 100 Prozent arbeitsfähig.

Verney musste vier Jahre vor Gericht kämpfen, bevor sie das Recht erhielt, ein zweites Gutachten einzuholen. Das zweite Gutachten hatte es in sich: Im Gegenzug zur 100 prozentigen Arbeitsfähigkeit, die ihr das Corela-Gutachten ausstellte, erhielt sie eine Expertise, die zu völlig anderen Schlüssen kam. «Im neuen Gutachten heisst es, dass ich nicht arbeitsfähig bin. Nicht einmal zu zehn Prozent», so Verney gegenüber RTS.

RTS wollte von der Klinik wissen, wie derartige Unterschiede bei Gutachten zustande kommen können und warum Arzt B. die elf Expertisen abgeändert hat. Weder die Klinik noch ihre Rechtsanwälte waren zu einer Stellungnahme bereit.

Versicherungen kündigen Zusammenarbeit
Der Kanton Genf hat auf die manipulierten Gutachten reagiert. Er will seine Kontrollen verstärken und genau überprüfen, wie die Gutachten von Corela SA/MedLex SA zustande kommen. Dies vor allem dann, wenn die MedLex SA im selben Bereich wie die Corela SA tätig sein wolle.

Das dies geschehen könnte, ist nicht nur Kaffeesatzleserei. Immerhin gibt die MedLex SA im Handelsregister an, alle spezialisierten Dienstleistungen aus dem Bereich eines «multidisziplinären Medizinalzentrums» anzubieten.

Das dürfte schwer werden. Seit die Affäre veröffentlicht wurde, sind verschiedene Partner der Corela SA/MedLex SA auf Distanz gegangen. So wollen etwa die Genfer Sozialversicherungen in Zukunft anderen Gutachterinstituten den Vorzug geben. Die Invalidenversicherungen der Kantone Waadt, Bern und Wallis wollen bei der Corela SA/MedLex SA keine Gutachten mehr in Auftrag geben, die nur von einem oder zwei Ärzten verfasst werden. Bei einigen privaten Partnern von Corela sieht es nicht anders aus. Visana will zum Beispiel die Zusammenarbeit «überprüfen», wie das Unternehmen gegenüber RTS erklärt.

Gutachter werden kaum kontrolliert

Das Geschäft mit Gutachten ist äusserst lukrativ. Ein medizinisches Gutachten von mehreren hundert Seiten kostet zwischen 9000 und 30’000 Franken. Damit können medizinische Gutachter Millionen verdienen. Dazu haben sie viel Macht, sie entscheiden etwa, ob ein Invalide eine Rente erhält oder nicht. Doch kaum jemand kontrolliert sie. Wie der Beobachter schreibt, schreiten Aufsichtsbehörden auch dann kaum ein, «wenn Gutachter unsorgfältig arbeiten oder als Person nicht vertrauenswürdig sind. Nicht mal wenn sie straffällig werden.»

Laut einer repräsentativen Studie der Schweizer Akademie für Versicherungsmedizin ist ein Viertel aller Gutachten qualitativ ungenügend. Die Suva sagt gar, dass rund die Hälfte der Gutachten «mehr oder weniger gravierende Mängel» aufweist.

Der Beobachter-Artikel „Gutachter: Die Gesundschreiber“ liefert einen umfassenden Überblick über die Thematik.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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Eine Meinung zu

  • am 17.04.2018 um 14:31 Uhr
    Permalink

    Warum liegt hier eine Holschuld der Patienten vor statt einer Bringschuld?
    Vielleicht lesen die betroffenen Patienten keine Zeitung oder können sich keine mehr leisten?

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