VinayPrasad

Vinay Prasad: «Ein grosser wissenschaftlicher Geist» mit einer Frisur wie Albert Einstein, der dem Land dienen wolle – so beschrieb ihn der FDA-Leiter vor zwei Monaten in einem Podcast. © FDA / Youtube

Kritischer Wissenschaftler bei der FDA gefeuert

Martina Frei /  Der Medizinprofessor Vinay Prasad setzte sich dafür ein, bei neuen Medikamenten genauer hinzuschauen. Er scheiterte krachend.

Er kam am 6. Mai und ging Ende Juli. Die Karriere des US-Medizinprofessors Vinay Prasad bei der Arzneimittelbehörde FDA dauerte keine drei Monate. Prasad hatte die Leitung des Bereichs für Biologika übernommen, zu denen Impfstoffe, Zell- und Gentherapien gehören.

Aktienkurse von Biotechfirmen gesunken

Als bekannt wurde, dass Prasad von der University of California in San Francisco zur FDA wechseln würde, sanken die Aktienkurse von über einem Dutzend Biotechfirmen, die Zell- oder Gentherapien auf den Markt bringen wollen. Der «Nasdaq Biotechnologie Index» verlor sieben Prozent

Letzten Monat wurde Prasad zudem als Leiter für Medizin und für Wissenschaft in der FDA ernannt (chief medical and science officer). Er gewann damit an Einfluss in der mächtigsten Arzneimittelbehörde der Welt. Sein Abgang zeigt, welche Kämpfe um die FDA toben.

Marty Makary, Sanjula Jain-Nagpal, Vinay Prasad
Mit Videos versuchten der FDA-Leiter (links) und Vinay Prasad (rechts), die Öffentlichkeit für ihre Anliegen zu gewinnen.

Der Nutzen für die Patienten soll erwiesen sein

Die Zulassungspolitik der Arzneimittelbehörde wurde in den letzten Jahren immer wieder als zu lax kritisiert. Prasads Entscheide aber haben die bisherige Praxis verschärft:

Kaum im Amt, verlangte Prasad im Mai von den Covid-Impfstoffherstellern, sie sollten Beweise vorlegen, dass ihre Impfungen auch jetzt noch nützen, nachdem praktisch alle schon Covid hatten. Prasad legte die Latte tief und verlangte bei gesunden Personen unter 65 Jahren bloss einen relativen Impfschutz von mindestens 30 Prozent (Infosperber berichtete). Dieser Entscheid war auch ein Signal an die Hersteller anderer Impfstoffe, was sie erwarten könnte.

Ungenügende Pharmastudien

Am 11. Juli brachte Prasad die Firma Capricor Therapeutics gegen sich auf. Sie hatte mit der Zulassung für eine neue Zelltherapie gegen die Duchenne-Muskeldystrophie gerechnet – doch die FDA lehnte das Gesuch vorläufig ab. Ihre Begründung: Die vorgelegte Studie erfülle die Wirksamkeitsanforderungen nicht. Die Aktien von Capricor Therapeutics fielen um 33 Prozent.

Elf Tage später, am 22. Juli, legte sich Prasad mit der Biotechfirma Replimune an. An jenem Tag gab die FDA bekannt, dass sie eine neuartige Gentherapie gegen fortgeschrittenen Schwarzen Hautkrebs nicht zulassen werde. Das Gesuch von Replimune wurde abgelehnt. Die Begründung: Die von Replimune vorgelegte Studie sei unzulänglich und erbringe keinen Wirksamkeitsbeweis. Das war die Handschrift Prasads. Der Krebsspezialist setzt sich seit Jahren unermüdlich und mit Verve für mehr aussagekräftige Studien in der Medizin ein.
Die Replimune-Aktie stürzte daraufhin um rund 77 Prozent ab. Investoren kündigten an, die Firma zu verklagen, weil diese bezüglich der von ihr erwarteten FDA-Zulassung Zuversicht verbreitet hatte, anstatt eine Warnung herauszugeben. Das berichtete «Trading View». Replimune seinerseits kündigte an, gegen den Bescheid der FDA zu rekurrieren.

Am 18. Juli traf Prasad den Entscheid, der wohl sein Karriereende bei der FDA besiegelte: Die FDA verlangte von der Biotechfirma Sarepta Therapeutics, laufende Studien zu stoppen, nachdem drei Studienteilnehmer – zwei Teenager und ein 51-jähriger Patient – an der Gentherapie gestorben waren. Sarepta hat sich auf Gentherapien für Menschen mit erblichen, unheilbaren Formen von Muskelschwäche spezialisiert.

Da die Firma die gleiche Technologie auch bei einer Gentherapie namens Elevidys anwendet (Infosperber berichtete), verlangte die FDA, dass die Auslieferung von Elevidys sofort zu stoppen sei. «Die Sicherheit der Patienten hat für uns höchste Priorität», sagte Prasad. Sareptas Aktienwert fiel von rund 22 auf 14 Dollar.
Elevidys ist in den USA als Medikament gegen eine unheilbare Muskelerkrankung zugelassen. FDA-Gutachter standen der Zulassung kritisch gegenüber, doch der Vorgänger Prasads bei der FDA drückte sie durch. Prasad kritisierte ihn dafür. Er argumentierte, dass es kaum Anhaltspunkte dafür gebe, dass Elevidys die Symptome dieser tödlichen Muskelerkrankung aufhalte oder rückgängig mache. Im März – vor seiner Ernennung bei der FDA – hatte Prasad auf Social Media geschrieben, dass Elevidys «Kinder [mit Duchenne] zu töten scheint» und «ihre Leber zerstört«. Prasad war längst nicht der einzige, der die Zulassung von Elevidys in Frage stellte.

Kampagne auf Social Media

Am 20. Juli forderte die zum Trump-Lager der Republikaner zählende Influencerin Laura Loomer «Prasad muss gehen». Die Ernennung dieses «linken Saboteurs» sei ein «eklatanter Fehler» gewesen. Laut der «NYT» startete die Influencerin eine mehrtägige Kampagne auf Social Media gegen Prasad.

Loomer führte diverse Argumente an, zum Beispiel: Prasad hatte in früheren Tweets erklärt, er stehe politisch links. Den «orangen Mann» – damit meinte er Donald Trump – nannte er den «vielleicht schlechtesten Präsidenten in der Geschichte der Republik». Die FDA habe unter Prasads Führung für die Pharmafirmen wichtige Fristen beim Begutachten von Zulassungsgesuchen versäumt, kritisierte Loomer weiter. Zudem habe Prasad den FDA-Mitarbeitenden erlaubt, zwei Tage pro Woche daheim zu arbeiten und damit Trumps Weisung unterlaufen, der gegen «home office» sei. Und anstatt für De-Regulierung und schnellere Medikamenten-Zulassung zu sorgen, forderte Prasad eine strengere Begutachtung der eingereichten Bewilligungsgesuche.

Europas Zulassungsbehörde folgte dem Entlassenen

Am 24. Juli verweigerte die Europäische Arzneimittelkommission (EMA) Elevidys die Zulassung in der EU. Der Aktienkurs von Sarepta fiel an diesem Tag auf den tiefsten Stand seit einem Jahr. Der Hersteller hat 15 Tage Zeit, um eine erneute Prüfung zu beantragen. Die Begründung der EMA deckt sich mit den Argumenten, die Prasad vor Jahren anführte: Die eingereichten Studien zeigten nicht, dass sich Muskelfunktionen bei den Patienten durch Elevidys klar erkennbar verbesserten.

Am 25. Juli vermeldete die FDA, sie untersuche den Tod eines Achtjährigen, der mit Elevidys behandelt worden war.

Irgendwann in der letzten Juliwoche gelang es dem früheren Senator Rick Santorum, den US-Präsidenten persönlich zu erreichen. Er lobbyierte bei Trump. Santorum habe «Verbindungen zu Sarepta», berichtete die «New York Times» (NYT).

Am 27. Juli behauptete das pharmafreundliche «Wall Street Journal», Prasad mache «potenziell lebensrettende Behandlungen zunichte». Er unterlaufe das Ziel der US-Regierung, lebensrettende Therapien rasch zuzulassen, und er spiele Nebenwirkungen der Gentherapie von Sarepta hoch, kritisierte die Redaktorin. Indem Prasad auf strengere Regulierung setze, bevormunde er die Patienten. Offenbar traue er ihnen nicht zu, für sich zu entscheiden, ob der Nutzen einer Behandlung die Risiken überwiege. Prasads Vorgehen widerspreche dem Gesetz.

In der ersten Amtszeit von Donald Trump hatte die US-Regierung das «Recht auf Versuch»-Gesetz erlassen, das es Patienten im Endstadium einer Krankheit unter bestimmten Umständen erlaubt, auch experimentelle Therapien zu versuchen.

Geringer Nutzen

Wer die Artikel im «Wall Street Journal» vor und nach Prasads Ausscheiden aus der FDA liest, bekommt den Eindruck, es handle sich bei Elevidys um eine hochwirksame Behandlung. Doch das trifft nicht zu. Der Nutzen von Elevidys ist unter dem Strich klein, die Beweislage dünn.

Trotzdem verlangt Sarepta für die Behandlung eines Patienten mit Elevidys 3,2 Millionen Dollar – «ein enormer Preis» für eine Behandlung, die in zwei Studien ihr Hauptziel nicht erreicht habe und eindeutig keine Heilung herbeiführe, kritisierte ein führendes Mitglied des Non-Profit Instituts für Klinische und Ökonomische Begutachtung (ICER) in der US-Ärztezeitung «Jama».

Allein im ersten Quartal 2025 spülte Elevidys rund 612 Millionen Dollar in die Kasse von Sarepta. Das war 70 Prozent mehr als im Vorjahresvergleich. 

Gentherapie als Goldgrube

Gentherapien werden als neue Goldgrube betrachtet. Transhumanisten, zu denen beispielsweise die Multimilliardäre Elon Musk und Peter Thiel gehören, versprechen sich davon wichtige Fortschritte auf dem Weg zum 1000-jährigen Leben. Gesundheitsminister Robert F. Kennedy sprach sich wiederholt dafür aus, Hürden bei der Zulassung neuer Gentherapien abzubauen.

Am 28. Juli beendete die FDA den Auslieferungsstopp von Elevidys. Die Untersuchung habe ergeben, dass der Tod des achtjährigen Knaben nicht Elevidys anzulasten sei. Diese Behandlung dürfe Patienten, die sich noch selbständig fortbewegen können und ein kleineres Risiko für Nebenwirkungen haben, daher wieder verabreicht werden.
«Die Patientengemeinschaft ist eine wichtige Stimme», steht in der Medienmitteilung der FDA. Die FDA werde ihren Anliegen weiterhin Gehör schenken und darauf reagieren.
Obwohl sich Kennedy und auch der FDA-Leiter Marty Makary dem Vernehmen nach für Prasad einsetzten – Makary nannte Prasad öffentlich einen «makellosen Wissenschaftler» –, war die Sache gelaufen.

Am 29. Juli verliess Vinay Prasad die FDA. «Dr. Prasad wollte die grossartige Arbeit der FDA unter der Trump-Regierung nicht behindern und hat beschlossen, nach Kalifornien zurückzukehren, um mehr Zeit mit seiner Familie zu verbringen», teilte die FDA knapp mit.

Der Sarepta-Aktienkurs stieg bereits tags zuvor leicht an, ist mit rund 16 Dollar aber immer noch weit entfernt vom Wert vor einem Jahr (126 Dollar). Auch die Replimune-Aktien machten einen Sprung: Ihr Wert verdoppelte sich etwa. Der Aktienkurs von Capricor Therapeutics kletterte nach Prasads Abgang rund 18 Prozent nach oben.

Das «Wall Street Journal» freute sich: Das Ausscheiden Prasads sei eine «willkommene Nachricht, aber es gibt dennoch Grund, die Behörde weiter mit Vorsicht zu beobachten. Sie könnte die Arzneimittelinnovation in den USA in dieser Ära grosser biotechnologischer Fortschritte fördern oder auch behindern.»

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Eine Meinung zu

  • am 6.08.2025 um 13:17 Uhr
    Permalink

    Mittlerweile habe ich den Eindruck, dass es neben dem MIK (militärisch-industriellen Komplex) einen fast gleichstarken PIK (pharmazeutisch-industriellen Komplex) gibt. Der US-Ökonom James Goldsmith stellte fest: «Der frühere US-Präsident Teddy Roosevelt hat einmal gesagt, daß man Konzernen nicht erlauben darf, ein Land und seine Bürger zu regieren. Die Menschen haben vergessen, was die alleinige Berechtigung der Wirtschaft ist: Dem Menschen zu dienen – nicht umgekehrt.»
    Heute ist genau das Gegenteil eingetreten: Für die Konzerne zählt ausschließlich der Profit, nicht die Bedürfnisse. Gerade bei Arzneimitteln lassen sich horrende Gewinne erzielen, unabhängig von ihrem Nutzen und ihrer Wirksamkeit – Kritiker müssen deshalb gehen, wie es im Beitrag dargestellt wird, um die exorbitanten Profite nicht zu gefährden. Dem nicht willigen Verbraucher werden durch agrressive Werbung Bedürfnisse (Krankheiten) eingeredet, von denen er gar nicht wusste, dass es sie gibt. Kapitalismus pur eben.

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