Krebs-Screening: Eine schlechte Versorgung ist «sehr häufig»
Was das Krebs-Screening angeht, stellen Wissenschaftler dem Schweizer Gesundheitssystem ein schlechtes Zeugnis aus: «Minderwertige Versorgung kommt sehr häufig vor. […] Ein erheblicher Anteil der Bevölkerung wird unnötigerweise potenziellen Schäden des Screenings ausgesetzt. […] Unsere Resultate sind beunruhigend», schreiben sie in der Fachzeitschrift «BMC Public Health».
Sie stützen sich dabei auf die Schweizerische Gesundheitsbefragung von 2022. Damals wurden 20’515 Personen unter anderem gefragt, ob und wenn ja, wann, sie am Krebs-Screening auf Brust-, Darm-, Gebärmutterhals- bzw. Prostatakrebs teilgenommen hatten.
Vielen Laien ist nicht klar, dass solche Screening-Untersuchungen im Allgemeinen nur in einem bestimmten Lebensalter sinnvoll sind. Nur dann überwiegt insgesamt der Nutzen den möglichen Schaden. Zu den unerwünschten Folgen des Screenings gehören Komplikationen infolge der Untersuchung, falsche Befunde und – dadurch ausgelöst – unnötige Ängste sowie Überdiagnosen und -therapien. Letzteres bedeutet, dass ein Tumor gefunden und behandelt wird, der zeitlebens keine Beschwerden verursacht hätte. Die Betroffenen leiden also völlig unnötig – auch an den Folgen der Behandlung.
Fünfstufige Bewertung
Die Empfehlungen der US-Fachgruppe für Prävention USPSTF (U.S. Preventive Services Task Force) werden auch in der Schweiz stark beachtet. Sie fliessen zum Beispiel in die Empfehlungen des in Bern ansässigen Vereins «EviPrev» ein. Die Expertinnen und Experten der USPSTF stützen sich auf die Ergebnisse von Studien und bewerten danach die Screening-Massnahmen:
- «A»-Empfehlung: Die Expertinnen und Experten halten das Screening für sinnvoll. Der Nutzen überwiegt.
- «B»-Empfehlung: Die Experten sind nicht ganz so sicher; der Nutzen des Screenings ist mittelmässig.
- «C»-Empfehlung: kleiner Nutzen mit mindestens mittlerer Gewissheit. Das Screening sollte nur bestimmten Personengruppen angeboten werden.
- «D»: Vom Screening ist abzuraten, weil es unter dem Strich keinen Nutzen hat oder sogar schadet.
- «I»: Es gibt zu wenig Erkenntnisse für oder gegen eine Empfehlung.
Screening auf Prostatakrebs oft nicht gemäss den Empfehlungen
Die Schweizer Wissenschaftler von der «Swiss School of Public Health» und weiteren Einrichtungen verglichen die Empfehlungen der USPSTF mit den Angaben der Befragten. Von den über 75-Jährigen hatten 40 Prozent eine Screening-Untersuchung hinter sich, die in die Kategorie «D» – also kein Nutzen oder schädlich – fiel oder in die Kategorie «I». Nur etwa 30 Prozent hatten gemäss einer «A»- oder «B»-Empfehlung am Screening teilgenommen.
Dieses «wilde» Screening ausserhalb von Programmen und Empfehlungen zog sich durch alle Altersgruppen. In manchen war es besonders akzentuiert: Bei den befragten 80- bis 84 -jährigen Frauen beispielsweise hatten sich 28 Prozent einer Mammografie unterzogen, ohne, dass es dafür eine «A»-, «B»- oder «C»-Empfehlung gab. Bei den Männern zwischen 75 und 79 Jahren wurden fast 40 Prozent ohne solche Empfehlungen auf Prostatakrebs gescreent.
«Das Krebs-Screening ausserhalb der Empfehlungen war sehr häufig», bilanzieren die Schweizer Wissenschaftler. Dieser Befund passe zu Studien aus den USA, Kanada und Frankreich, die zu ähnlichen Schlüssen gekommen waren.
Sowohl Laien als auch Mediziner würden den Nutzen des Screenings im Allgemeinen als zu hoch einstufen und gleichzeitig die Schäden als zu niedrig, warnen die Schweizer Wissenschaftler in ihrer im Mai veröffentlichten Studie, die bisher aber nicht von den Medien aufgegriffen wurde. Es sei «wahrscheinlich, dass viele Patienten und Ärzte Entscheidungen zum Krebs-Screening treffen, die nicht auf ausreichenden Informationen beruhen».

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Keine
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