Personenkontrolle während der Corona-Pandemie

Personenkontrollen waren während der Corona-Pandemie vielerorts üblich. © Mircea Moira / Depositphotos

«Das Schlagwort ‹Souveränität› ist Augenwischerei»

Martina Frei /  Das Epidemiengesetz ist in wichtigen Punkten nur vage definiert. Es könnte zu einer lückenlosen Überwachung missbraucht werden.

Der Bundesrat will das Epidemiengesetz revidieren. Im ersten Teil dieses Interviews ging es um die Machtkonzentration, die das neue Gesetz für den Bundesrat vorsieht. Das «Aktionsbündnis freie Schweiz» (ABF Schweiz) hegt auch in anderen Punkten starke Bedenken.

_____________________

Der Entwurf für das revidierte Epidemiengesetz unterscheidet die «normale», die «besondere» und die «ausserordentliche Lage». Eine besondere Lage besteht etwa, wenn «der Ausbruch oder die Verbreitung einer übertragbaren Krankheit durch die ordentlichen Vollzugsorgane nicht genügend verhütet und bekämpft werden kann und eine besondere Gefährdung der öffentlichen Gesundheit besteht oder schwerwiegende Auswirkungen auf die Wirtschaft oder auf andere Lebensbereiche bestehen». Wer definiert, was «ungenügend» ist oder was «schwerwiegende Auswirkungen» sind?

Das ist ein weiterer Kritikpunkt an diesem Gesetzesentwurf, dass viele Begriffe vage und dehnbar sind. Sogenannte unbestimmte Rechtsbegriffe sind für Juristen zwar nicht neu. Aber sie müssen sorgfältig und achtsam formuliert und angewendet werden, um nicht einem willkürlichen und unverhältnismässigen Handeln Tür und Tor zu öffnen. Mit diesen Bestimmungen hätte der Bundesrat in der besonderen Lage das Zepter in der Hand. Er und das hinter ihm stehende BAG orientieren sich jeweils stark an den «Empfehlungen» der WHO. 

Weshalb setzen Sie das Wort «Empfehlungen» der WHO in Anführungszeichen?

Was als «Empfehlung» bezeichnet wird, sind in Wahrheit faktisch bindende Verpflichtungen. Massnahmen, die der Generaldirektor «empfiehlt», müssen von den Mitgliedstaaten gestützt auf die Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) «unverzüglich» umgesetzt werden. Daraus resultiert ein Druck im Sinne einer «best practice». Der Generaldirektor spricht vom «Jahrhundert der Pandemien» – nach der Pandemie ist in seinen Augen vor der nächsten Pandemie. Und hier kommt das Konzept «Disease X» ins Spiel. Es wird bereits an neuen, noch unbekannten Krankheitserregern geforscht. Wir wissen, die WHO pflegt enge Kontakte zu Pharmafirmen und erhält enorm hohe Geldbeiträge von Stiftungen … – mir fehlt der Glaube, dass es bei diesen Gesetzen und Vorschriften allein ums Gemeinwohl und die Gesundheit geht.

Infektionen machen nicht an der Landesgrenze halt. Eine gute Vernetzung innerhalb Europas und international ist doch sinnvoll, um gemeinsam rasch reagieren zu können?

Niemand bestreitet, dass Krankheitserreger nicht an den Grenzen halt machen. Hier braucht es ein länderübergreifendes Zusammenarbeiten. Was wir allerdings feststellen ist eine Verlagerung von Aufgaben, Kompetenzen und auch Verantwortung an internationale und supranationale Organisationen. Die WHO baut mit den geänderten Internationalen Gesundheitsvorschriften und dem Pandemievertrag ihre Macht auf dem Rücken der Mitgliedstaaten aus. In der EU sehen wir dasselbe Muster mit der EU-Kommission. Wenn Souveränität nicht nur ein Schlagwort wäre, gäbe es für die Staaten – und damit auch für die Schweiz – andere Formen der Zusammenarbeit.

Zur Person

Andrea Staubli

Andrea Staubli (59 J.) ist Rechtsanwältin, Mediatorin und Coach. Sie war über 20 Jahre lang Gerichtspräsidentin am Bezirksgericht Baden. Ihre Spezialgebiete sind Zivilrecht, Familienrecht sowie Kindes- und Erwachsenenschutzrecht. Ehrenamtlich leitet sie die juristische Abteilung des «Aktionsbündnis freie Schweiz». Es hat eine Online-Petition gestartet und ein Referendum angekündigt.

Während der Corona-Pandemie war das Genesenen-Zertifikat viel kürzer gültig als das Impf-Zertifikat, obwohl dies zu keinem Zeitpunkt gerechtfertigt war. Die Schweiz richtete sich damals nach der EU. Im Gesetzesentwurf steht nun: «Der Bundesrat kann die Anforderungen an den Nachweis einer Impfung, eines Testergebnisses oder einer Genesung sowie die Ausstellungsprozesse festlegen.» Also müssten wir in solchen Dingen künftig nicht mehr nach der Pfeife der EU tanzen?

Das wird nach menschlichem Ermessen nicht der Fall sein. Die Schweiz wird sich weiterhin nach der EU und der WHO richten. Schweizer Bundesräte haben während der letzten Pandemie auch bei anderen Punkten zugegeben, dass die WHO oder die EU Vorgaben machten, nach denen sich die Schweiz richten musste. Zum Beispiel, dass ein Verkehrsopfer mit positivem Coronatest als «Corona-Toter» gezählt werden musste. Das hat Bundesrat Cassis in der SRF Arena vom 7. Januar 2022 offengelegt.

Auf welcher Rechtsgrundlage musste die Schweiz da mitziehen?
Beim Genesenen-Zertifikat hat der Bundesrat dazu im Nationalrat geantwortet: «Die Dauer der Gültigkeit für ein Genesenenzertifikat wird durch die EU-Verordnung über das digitale Zertifikat auf 180 Tage festgelegt.»

Mit dem Massstab der WHO während der Corona-Pandemie – ein positiver Test galt bereits als Krankheitsnachweis – könnte die WHO alljährlich eine Pandemie ausrufen. Das haben selbst Top-Gesundheitsfachleute kritisiert (Infosperber berichtete). Im Gesetzesentwurf steht nun aber, «der Bundesrat stellt den Beginn und das Ende der besonderen Lage fest». Also hätte er doch künftig das letzte Wort – und nicht die WHO oder die EU?

Bundesrat und BAG wiederholen fast gebetsmühlenartig, die Schweiz entscheide souverän. Natürlich würde der Bundesrat einen Entscheid fällen und die «besondere Lage» feststellen – aber der Druck dazu kommt von der WHO oder vom europäischen Zentrum für Krankheitsverhütung und -kontrolle ECDC. In Tat und Wahrheit ist die Schweiz eingebunden in ein System und damit de facto verpflichtet umzusetzen, was zum Beispiel der WHO-Direktor empfiehlt. Der Bundesrat will das so, denn er hat den 2024 geänderten und verschärften Internationalen Gesundheitsvorschriften nicht widersprochen, sondern diese sogar begrüsst. Das Schlagwort «Souveränität» tönt gut, ist aber Augenwischerei. Während der Corona-Pandemie konnten wir zum Beispiel nicht einfach wieder zurück in die «normale Lage» wechseln, weil die WHO das nicht erlaubte. Das hat Bundesrätin Sommaruga an der Pressekonferenz vom 19. Juni 2020 zugegeben.

Das Beispiel der Affenpocken zeigt aber, dass die Schweiz nicht automatisch mitziehen muss: Die WHO rief im August 2024 die «gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite» – also die höchste Alarmstufe – aus. Trotzdem hat die Bevölkerung in der Schweiz davon nicht viel mitbekommen.

Ja, manchmal sieht man noch einen Rest von Vernunft. Ein Zusatz im Epidemiengesetz verlangt, dass die «besondere Gefährdung der öffentlichen Gesundheit» in der Schweiz drohen muss. Das muss man zur Ehrenrettung des Bundesrats sagen.

In der Corona-Zeit hätten «Datensicherheit und Datenschutz gerade zu Beginn teilweise nicht die notwendige Aufmerksamkeit» erhalten, legt das BAG offen. Wichtige IT-Lösungen seien zu Beginn der Pandemie «ungenügend eingeführt, uneinheitlich oder gar nicht vorhanden» gewesen. «Für das Contact-Tracing beispielsweise wurde schweizweit mit 17 verschiedenen, teilweise unzweckmässigen Systemen gearbeitet». Das revidierte Gesetz soll Abhilfe schaffen. Sie stossen sich aber an der Datenerfassung und Digitalisierung, die es vorsieht. Warum?

Die vorgesehene Digitalisierung, die für den Vollzug notwendig wäre, löst erhebliche Datenschutzbedenken aus. Da soll ein Kontrollsystem aufgebaut werden, das eine dauerhafte und lückenlose Datenerfassung und Überwachung aller in der Schweiz wohnhaften Personen ermöglicht. Der Entwurf sieht ein nationales Informationssystem «Meldungen von übertragbaren Krankheiten» vor, eines fürs «Contact-Tracing», eines für «Einreise», eines für «Genom-Analyse» plus das Abwassermonitoring, das bereits heute bei Kläranlagen angewendet wird.

Das scheint doch sinnvoll?

Im Entwurf vom August 2025 werden diese Systeme nun noch durch das «System zur Benachrichtigung von exponierten Personen» ergänzt. Das Sammeln von Daten soll mit der vorliegenden Revision massiv ausgeweitet werden. Es sollen nicht mehr nur Daten über Krankheiten erhoben werden, sondern auch über den einzelnen Menschen: seine Wohnadresse, sein Geburtsdatum, seine AHV-Nummer, etc. Wir werden zum gläsernen Menschen. Überall, wo Daten erhoben werden, besteht auch die Gefahr des Missbrauchs.

Geht es bei der Genom-Analyse um das Erbgut von Erregern?

Ja. Das ist international aktuell ein Streitpunkt im Pandemievertrag der WHO. Der Passus im Schweizer Gesetz ist im Zusammenhang mit dem «Pathogen Access and Benefit-Sharing System» (PABS-System) zu sehen. Dieses regelt, wie Krankheitserreger und deren genetische Informationen weltweit geteilt und wie daraus entstehende Vorteile verteilt werden. Westliche Staaten wollen damit Geld machen und die afrikanischen Staaten fühlen sich ausgenützt. Im Mai 2026 soll bei der WHO über das PABS-System abgestimmt werden.

«Die Krankenversicherer melden dem BAG jährlich ihre Daten zu den Impfungen in anonymisierter Form», steht im Gesetzesentwurf. Würde das nur für den Fall einer Epidemie gelten oder ständig?

Das würde immer gelten, denn es zählt zu den Vorbereitungsmassnahmen bzw. zur Früherkennung. Diese Daten müssten also immer geliefert werden.

Der Bundesrat schreibt ausdrücklich: Es «sollen nur so viele Daten wie nötig erhoben werden», im Einklang mit den geltenden Datenschutzbestimmungen. Er stellt ein «krisentaugliches nationales Informationssystem» in Aussicht. Was beunruhigt Sie daran?

Jede Person, die «krank, krankheitsverdächtig, angesteckt oder ansteckungsverdächtig ist oder Krankheitserreger ausscheidet» muss Daten liefern – auch Daten über Drittpersonen und bis hin zur eigenen und fremden Intimsphäre. Diese Daten können – oder müssen – dann anonymisiert an ausländische Behörden oder Organisationen wie die WHO oder die EU weitergegeben werden. Kann der Datenschutz da wirklich gewährleistet werden? 

Gegenfrage: Die Anonymität ist doch garantiert?

Mit dieser Definition müssen alle Personen Daten liefern, denn wir alle könnten krankheitsverdächtig oder ansteckungsverdächtig sein. Wir haben keine Kontrolle, was mit unseren Daten passiert, wir können nicht darüber entscheiden, ob wir unsere Daten weiterleiten wollen oder nicht, und wir haben keine Garantien, dass dies anonymisiert erfolgt.

Eine Neuerung im Gesetz ist, dass «mehr und bessere, schnell zugängliche Informationen zur Entwicklung der Lage in Bezug auf Erreger wie zum Beispiel das Grippevirus, Coronavirus, RSV» erhältlich sein sollen. Werden künftig alle zirkulierenden Erreger erfasst, gegen die geimpft werden kann?

Das Kapitel «Erkennung und Überwachung» soll jedenfalls massiv ausgebaut werden in diesem Gesetzesentwurf. Neben den erwähnten Meldepflichten enthält es auch einen eigenen Abschnitt zu den Laboratorien. Das Labor Spiez erhält dort eine ganz besondere Rolle: Es hat als «Collaboration Center» einen umfassenden Zusammenarbeitsvertrag mit der WHO. Es erhält von der WHO Aufgaben und Vorgaben und muss der WHO Bericht erstatten.

_____________________

➞ Lesen Sie demnächst Teil 3 dieses Interviews.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
➔ Solche Artikel sind nur dank Ihren SPENDEN möglich. Spenden an unsere Stiftung können Sie bei den Steuern abziehen.

Mit Twint oder Bank-App auch gleich hier:



_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...