René Pfister und Chenoa North-Harder

René Pfister und Chenoa North-Harder © MVFP/dbps

Diskussion über das Gendern und die «Mohrenstrasse»

Tim Guldimann /  Die deutsche Afro-Amerikanerin Chenoa North-Harder und «Spiegel»-Korrespondent René Pfister sind unterschiedlicher Meinung.

Red. Tim Guldimann fasst sein neustes Podcast-Gespräch zusammen.

Ihre eigene Diskriminierung erlebte North-Harder als Identitätskrise: «Für mich war es vor allem in jungen Jahren sehr schwer in Deutschland, weil ich als Kind nie dazugehört habe. […] Viele, die mit mir reden, nehmen an, dass ich keine Deutsche bin. Das ist einfach verletzend.» 

Soll die Gleichberechtigung verordnet werden, beispielsweise durch das Gendern in öffentlich-rechtlichen Radio- und TV-Anstalten, in Zeitungen oder für staatliche Dokumente?  «Wieso denn nicht?», findet North-Harder. «Ist es denn so anstrengend zu gendern und Menschen mit einzuschliessen, die sich sonst ausgeschlossen und verletzt fühlen?»

René Pfister befürwortet zwar die Nennung beider Geschlechter wie «Lehrer und Lehrerinnen». Aber er ist gegen den Genderstern.

Was macht man mit der historisch belasteten Erbschaft, wie geht man in Berlin mit der Mohrenstrasse um? Der «Spiegel»-Korrespondent meint, dass man im öffentlichen Raum keine Namen mit klarer rassistischer Konnotation beibehalten solle, wenn unter den Betroffenen dazu Konsens bestehe.  

Anderer Meinung ist North-Harder: «Strassennamen sollten auf gar keinen Fall geändert werden, das ist Teil der Geschichte Deutschlands […] Es wäre schade, diese Geschichte einfach verschwinden zu lassen. Sie sagt doch so viel darüber aus, was passiert ist. Ich fände es viel interessanter, ein aufklärendes Schild hinzuhängen und zu sagen ‹Kuck mal, diese Strasse wurde so benannt› oder ‹diese Statue wurde für einen Sklaventreiber aufgestellt›.» 

Wie weit ist es legitim, Dinge zu tun, die als kulturelle Aneignung kritisiert werden? Darf ein Weisser den Othello spielen oder eine afrikanische Frisur tragen? «Warum nicht?», sagt North-Harder, aber: «Wenn sich das beispielsweise in die Modebranche reinträgt und ich beispielsweise eine ‹Vogue› sehe, wo jemand mit einer traditionellen Haartracht oder Kleidung aus Ghana abgebildet ist, doch diese Person ist weiss, dann finde ich es problematisch.»

Soll für die Gleichberechtigung diskriminierter Gruppen noch mehr getan werden? Oder besteht die Gefahr, dass liberale Grundsätze in Frage gestellt oder Anti-woke-Positionen zum rechtspopulistischen Wahlkampfthema gemacht werden? Pfister weist darauf hin, dass «nicht nur in den USA sondern auch in Europa ungefähr die Hälfte der Menschen sagen, sie könnten nicht mehr offen darüber reden, was sie denken, nicht mehr offen ihre Meinung sagen. […] Das halte ich für eine gefährliche Entwicklung.»

North-Harder sieht es gelassener: «Es gab schon immer Menschen, die Angst davor hatten, ihre Meinung zu äussern. Das Problem entsteht jetzt, weil Menschen, die ihre Meinung immer äusserten, ohne dafür belangt zu werden, jetzt die Erfahrung machen, dass die Freiheit der Meinungsäusserung bedroht sein könnte.» 

Debatte zu dritt

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5 Meinungen

  • am 10.08.2023 um 10:59 Uhr
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    Gender-, Woke- und X-Akribien, betrachte ich als Scheinheiligkeit und Ablenkungsmanöver, wie die Störsender gegen Kuba oder das Impeachment gegen Bill Clinton wegen Lewinsky statt wegen seiner Kriegstreiberei.

    • am 11.08.2023 um 05:25 Uhr
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      Das Gendern ist albern und noch nicht einmal für den Karneval geeignet. Da gibt es welche, die jede Aufführunh von Beethoven ’s 9. Symphonie verbieten wollen, weil Schiller nur die Brüder erwähnt hatte und damit alle Frauen bewusst verletzt hat.
      Man müsste dann auch alle Werke unserer Dichter verbieten und die vorhandenen Bücher einsammeln, weil dort der Urgrund der Frauenmisachtung gelegt wurde. Natürlich müssen zuerst die frauenfeindliche Bibel und der Koran verschwinden, wenn es um die Säuberung geht.
      Was die Genderereiferer nicht verstanden haben, ist, dass allein das Bewusstsein der Gleichstellung Maßstab sein kann. Ich darf darauf hinweisen, dass das Gebot der Gleichstellung den Fakten widerspricht.
      Frauen haben generell eine erhöhte Intuition und sind uns armen Männern dadurch überlegen.
      Noch ein Vorschlag: Die Worte Majestät, Welt, Erde, Sonne, Macht, Kraft, Wissenschaft, Musik, Liebe, Rose, Seerose, Kunst werden zwecks Gleichstellung zur Hälfte männlich.

  • am 10.08.2023 um 16:53 Uhr
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    Beiden Meinungen kann ich nicht zustimmen.
    Die Gleichberechtigung der Geschlechter und Hautfarben kann nicht erreicht werden mit einer Diktatur der Sprache. Sie muss durch echte Gleichbehandlung in allen Bereichen durchgesetzt werden und nicht durch Symbolpolitik und schöne Worte.

    Bei der Sprache ist das generische Maskulinum in der Literatur «gewachsen» und bezeichnet alle Geschlechter. Es schließt Transmenschen ein, die bei «Bürgerinnen und Bürger» ausgeschlossen werden. Das «Sternchen» soll zwar auch sie einschließen, ist aber im gesprochenen Wort unpraktikabel, weil es die Sprache «zerhackt».
    Ich hoffe, dass die Parteien, die das generische Maskulinum konsequent schützen wollen, künftig von der Mehrheit der Bevölkerung, die Gleiches will, auch bei Wahlen eine Mehrheit erzielen.

    Was die Mohrenstraße in Berlin anbelangt, demonstrieren die Akteure der Umbenennung eine unglaubliche Unkenntnis der Historie. Denn die Bezeichnung hatte NICHTS mit Rassismus zu tun! Quelle gern später.

  • am 11.08.2023 um 14:01 Uhr
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    Wie sieht es denn mit «Moritz», resp. «St Moritz» aus?
    Laut WP, Zitat (sic!): «Moritz ist die eingedeutschte Form von lateinisch Mauritius, dem Namen eines der populärsten Heiligen, der gewöhnlich als Schwarzer dargestellt wird. Dieser Name ist eine Erweiterung von lateinisch Maurus, was für Maure oder Mohr steht». https://de.wikipedia.org/wiki/Moritz_(Name)

    Dem populistischen Artikel zufolge wäre auch Moritz, St. Moritz oder auch Mauretannien verboten und müssten zensiert werden.

    Im Gegensatz zum Autor erachte ich «woke-Positionen» als gänzlich illiberal und totalitär.

  • am 12.08.2023 um 10:08 Uhr
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    Das Gendern in Deutschland betrifft eine bestimmte Generation. Sie wollen die Geschichte Deutschlands entsorgen. Für mich ist es peinlich. Als ich das erste Mal in eine schweizer Familie zu Besuch war wurde mir die direkte Frage gestellt: Sind Sie ein Nazi? Das im sehr konservativen Kanton , Glarus. Es wird peinlich wenn in den Nachrichten geändert wird. Kürzlich moderierte eine Fernsehsprecherin folgend: Schwester:innen. Ein Zeichen von gewisser Dummheit oder auch Unkenntnis. Schwester ist weiblich auch wenn ein er anhängt. Mich stört auch, daß das Femina angehängt wird. Das ist sicherlich keine Emanzipation oder Einschließen aller Lebensarten. Mit dem Mohr wird es absolut kompliziert. Sollen die Personen mit dem Namen Moritz auch beseitigt werden?

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