Kommentar

Daheimbleiben auf Französisch

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Toni Koller /  Auch schon vom «confinement» gehört? Es ist das allgegenwärtige französische Wort für das, was wir neudeutsch «Lockdown» nennen.

Red. Die Sprachglosse wurde zuerst im «Frutigländer» publiziert.

Von «Lockdown» spricht in der Westschweiz niemand, «confinement» heisst das dort. Es ist aufschlussreich, den unterschiedlichen Gehalt der beiden Begriffe zu vergleichen. «Nous sommes confinés», sagen die Welschen – oder auch «nous sommes semi-confinés», weil ja die Schweiz nur halbwegs stillgelegt wurde. Das französische confinement meint also den Zustand, der einem beim Zuhausebleiben widerfährt; être confiné ist eine Befindlichkeit. Die deutsche Sprache behandelt uns völlig anders: Confinement hat kein deutsches Pendant, es ist in den Wörterbüchern nur unzulänglich übersetzt mit «Hausarrest», «Ausgangsbeschränkung», «Ausgangssperre». Oder eben «Lockdown». All diese Begriffe beschreiben keine Befindlichkeit, sondern eine behördliche Verfügung. Die Französischsprachigen reden von einem subjektiven Erlebnis, die Deutschsprachigen vom obrigkeitlichen Akt, der dieses Erlebnis herbeiführt. Oder nochmals anders gewendet: Deutschschweizer beschreiben mit dem «Lockdown» die Schliessung von Geschäften, Schulen, Gaststätten – während die Westschweizer mit confinement ausdrücken, was die Schliessung zur Folge hat: Man bleibt zu Hause.

Natürlich schwingt auch im Wort confinement der Umstand mit, dass die Beschränkung von aussen auferlegt und keineswegs freiwillig ist. Und doch ist man als confiné näher bei sich selber, fühlt sich im Zustand des confinement irgendwie aufgehoben. Das Wort klingt auch angenehmer als seine martialischen deutschen Übersetzungen. Nicht umsonst sagte neulich eine Poetin im Westschweizer Radio, confinement erinnere sie an wohligen confort und an süsse confiture.

Viele Linguisten und Hirnforscher sind überzeugt, dass die Sprache in erheblicher Weise unser Denken beeinflusst. Dies führt zur Frage nach der Wirkungskraft des aktuellen Schlüsselworts confinement. Bekanntlich begegnet die Romandie der Lockerung von Corona-Schutzmassnahmen deutlich skeptischer als die Deutschschweiz; der politische Druck für eine beschleunigte Rückkehr zur Normalität stammt fast ausschliesslich aus dem deutschsprachigen Landesteil. Erklärt wird dies manchmal mit der grösseren «Staatsgläubigkeit» der Romands, vor allem aber damit, dass die Westschweiz – namentlich Genf und die Waadt – von der Pandemie überdurchschnittlich betroffen ist.
Könnte es sein, dass auch ein dritter Faktor – die Sprache – zur welschen Regeltreue beiträgt? Kommen die Romands einfach besser mit ihrem wohltönenden confinement zurecht als wir mit dem Aus- und Eingesperrtsein? Se confiner heisst «sich zurückziehen» – in dieser rückbezüglichen Form ist von Zwang schon gar nicht mehr die Rede. Dafür klingt in dem Wort auch die confiance mit, was so viel heisst wie Zuversicht und Vertrauen. Sogar fin steckt noch drin: fein!
Jedenfalls sind die Welschen um ihr confinement zu beneiden. Und jetzt erst recht um das Gegenteil: Was bei uns umständlich als «Lockerung der Beschränkungen» umschrieben wird, heisst ennet der Saane schlicht und präzise: déconfinement.


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4 Meinungen

  • am 14.05.2020 um 12:14 Uhr
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    Dass in der Romandie das Wort «confinement» verwendet wird, hat vielmehr damit zu tun, dass dieses in Frankreich verwendet wird, wo den Menschen tatsächlich verboten wurde, sich frei zu bewegen. Und tatsächlich ist die Westschweiz viel stärker von der Pandemie betroffen als die Deutschschweiz. Interessant ist ja der Umstand, dass die deutsche Sprache kein eigenes Wort hat für den Zustand der sozialen Distanz und Abgeschiedenheit und sich des englischen Wortes Lockdown bedienen muss.

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 14.05.2020 um 14:33 Uhr
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    Ich könnte mir vorstellen, dass die «prestation du CF Berset» zum besseren Verständnis oder doch wenigstens zur besseren «acceptance» der «confinement» Vorschriften, sorry «Empfehlungen» beigetragen hat.

    Der Einfluss der grossen Nachbarn ist evident. Sowohl im Genfer Fernsehen, dem Lausanner Radio oder dem Zürcher «10vor10».

    Ich höre auch regelmässig BBC und amerikanische Sender, finde aber immer noch Aljesiraz «top».

    Die tägliche Beschäftigung mit den BAG und BFS-Statistiken erlauben es mir auch von Zeit zu Zeit wieder auf dem festen Boden der aktuellen (statistisch erfassten) Realität zu landen. So bleibe ich wohl noch ein paar Tage weiter «beschätigt».

    PS: vor Jahren war ich für ein Jahr im Spital «confiné». Damals wusste ich noch nicht, was dieses Wort bedeuet. «Beschäftigungstherapie» war aber im Balgrist ein wichtiges Element der Pflegephilosophie. Da lernte ich auch Kreuzworträtsel so «langsam als möglich» zu lösen. Die nächste Publikation des «Problem» erschien ja auch erst zwei Wochen später….

  • am 18.05.2020 um 21:03 Uhr
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    „Confinement“ für „Lockdown“ und „télétravail“ für „Homeoffice“. Deutsche und Deutschschweizer reden gerne und immer häufiger in Anglizismen. Die Sprache beeinflusst unser Denken.
    Nachdem ich vor einer halben Ewigkeit für ein Jahr in Paris gelebt hatte, fand ich nach der Rückkehr für einige Wendungen die deutsche oder schweizerdeutsche Entsprechung nicht mehr auf Anhieb. Für einige Wendungen gab und gibt es sie in der deutschen Sprache aber gar nicht.

  • am 24.05.2020 um 14:58 Uhr
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    Bonjour Toni,
    Danke für diese schöne Differenzierung in deinem Beitrag. Er ist auch ein indirekter Verweis darauf, wie das Französische immer mehr vom Englischen verdrängt wurde. Englische Wortschnitzel durchsetzen im Alltag auch das deutsche Vokabular zunehmend.
    Die besonders von Amerika her kommerzialisierte Informationstechnologie förderte den Anglizismus resp. Amerikanismus binnen rund 30 Jahren stark.

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