Kommentar

Dreimal schlappes Hirngemüse

Beat Gerber © bg

Beat Gerber /  Hochsommer ist die Saison für Saure-Gurken-Wissenschaft. Einige akademische Händler verkaufen aber bereits matsches Grünzeug.

1. Stolzer Preis für totalen Hirninfarkt

Kein intelligentes Hirn stemmt sich gegen seine Erforschung. Von diesem Befund profitiert das Human Brain Project (HBP), das 2013 zum EU-Flaggschiff erkoren wurde und das menschliche Gehirn als Ganzes simulieren will. Die EU finanziert das prestigeträchtige HBP mit einer halben Milliarde Euro, die gleiche Summe sollen die beteiligten Staaten einschiessen. Seit Anbeginn stand das Monsterprojekt unter Beschuss. Dem überaus ehrgeizigen Projektleiter Henry Markram von der EPF Lausanne wurde Inkompetenz beim Management und der angepeilten Wissenschaft vorgeworfen, 800 Neuroforscher wollten das Vorhaben sogar boykottieren.

Jetzt droht dem HBP wiederholt Ungemach. Markram wurde entmachtet, die Organisation des HBP neu strukturiert, wie kürzlich zu erfahren war. Ein Stakeholder Board trifft finale Beschlüsse und versammelt Vertreter aus den 19 Teilnehmerländern. Die Schweiz wird repräsentiert durch (man staune) Patrick Aebischer, bis Ende Jahr noch Präsident der EPF Lausanne. Daneben wurden ein Forschungsbeirat sowie ein Direktorat zur Verwaltung des Kernprojekts eingerichtet, die beide ebenfalls die Interessen der insgesamt 135 beteiligten Forschungsinstitutionen berücksichtigen sollen.

Ein solcher Organisations-Wasserkopf riskiert jedoch zum administrativen Trauma mit unzähligen Sitzungen, endlosen Diskussionen und fruchtlosen Zänkereien zu werden. Statt das humane Denkorgan ganzheitlich zu studieren, wird das HBP die überforderten Hirne der beteiligten Wissenschaftler unweigerlich zum Kollaps führen. Schlussendlich kostet der neurologische Total-Infarkt eine Milliarde Euro. Hirnverbrannte Big Science hat eben ihren Preis.

2. Eliten für die wachsende Ungleichheit
Kein weltoffenes Hirn verneint, dass unsere Hochschulen in die Zukunft weisen sollen. ETH-Präsident Lino Guzzella setzt dabei auf die Elite. Verständlich, liegt doch seine Hochschule in den globalen Rankings unter den Top Ten. Im grossen Interview des Nachrichten-Portals Watson (31.07.) steht der mächtigste CEO der Schweizer Wissenschaft voll dazu: «Die ETH ist eine Schule, die für die Eliteausbildung zuständig ist.» Die Absolventen sässen denn auch in führenden Positionen in der Wissenschaft, Wirtschaft und Politik, wie etwa der amtierende Bundespräsident Johann Schneider-Ammann, ein ETH-Elektroingenieur.

Weitere eindrückliche Beispiele lassen wir besser sein, aber man staune errneut: Die Forschung an der eidgenössischen Vorzeige-Universität soll mithelfen, die Probleme der Welt zu lösen, bekundet Hochschulchef Guzzella. Und der hochqualifizierte Verdienstadel mit ETH-Abschluss, also die Elite, trage dabei ihr erworbenes Wissen (aus der Forschung) in die Welt hinaus. Angesichts dieser Verblendung reicht die Weitsicht von der Zürcher Rämistrasse (ETH-Hauptsitz) nur knapp bis an den Üetliberg. Die Zeiten ausserhalb der akademischen Hallen haben sich nämlich geändert, die Eliten sind zum eigentlichen Weltproblem geworden: Praktisch alle lukrativen Technologien (aus Stätten wie der ETH) werden vom reichen Norden in den armen Süden gepumpt und (zu) teuer verkauft, obwohl sie dort nicht zur Kultur passen bzw. nicht angemessen funktionieren. In die genau umgekehrte Richtung fliesst hingegen der mächtige Strom der ausgebeuteten Rohstoffe und des damit eingesackten Geldes.

Eliten hier wie dort werkeln folglich munter weiter an der wachsenden Ungleichheit zwischen Nord und Süd, der primären Ursache von Arbeits- und Perspektivlosigkeit, Armut, Kriegen, Flüchtlingsströmen und Terror. Doch stopp, keine Schwarz-(Weiss-)Malerei! Noch ist die Welt (zumindest von der privilegierten Schweiz aus gesehen) nicht ganz aus den Fugen. Vielleicht gelingt der ETH Zürich ja dereinst sogar der mentale Blick über die Alpen. Bis hinunter nach Venetien, der Herkunftsregion des bekennenden Secondos Guzzella. Und noch viel, viel weiter südwärts. Wunder passieren bekanntlich auch in der Wissenschaft.

3. Fotovoltaik auf Dächern ist weniger sexy
Kein vernünftiges Hirn bestreitet, dass die Sonnenenergie baldmöglichst die Klimakiller Öl, Gas und Kohle ablösen muss. Bertrand Piccard hat aus diesem hehren Ziel mit seinem solarbetriebenen Flugzeug eine pompöse Show gemacht. Die Werbetrommel dafür wirbelte er bis zur letzten Ankunft in Abu Dhabi am 26. Juli, als die ganze Welt ihm nochmals heftig applaudierte. Bravo! Auch dass der erblich belastete Waadtländer Pionier für seine Erdumrundung (samt 100-köpfigem Begleittross) weit mehr Energie verschwendete als ein kommuner Linienjet für die gleiche Strecke, hat das Publikum keineswegs entgeistern können.

Selbst der ökologische Riesenfuss, auf dem der Sunnyboy von Solar Impulse 2 lebt, vermochte den Beifall nicht zu schmälern. Verständlich, entspricht doch der gigantische Fussabdruck gänzlich Piccards Ego. Die Materialschlacht und der Kerosinverbrauch seiner PR- und Technik-Karawane (inklusive verpuffte Treibhausgase) überzeugten jetzt sogar die hartnäckigsten Solarskeptiker von der (zumindest) medialen Wirksamkeit dieser erneuerbaren Energieform. Niemand wird zwar künftig ein Solar-Grossflugzeug besteigen, dazu fehlt der Maschine die nötige konzentrierte Antriebskraft, vielleicht reichts mal für Elektroflieger im Regionalverkehr. Doch man verzeihe, Hirne werden nicht (nur) vom Verstand geleitet. Und weit effizientere Fotovoltaik auf Dächern und andern Flächen ist halt weniger sexy, wenigstens für den einträglichen Personenkult.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der langjährige Wissenschaftsjournalist Beat Gerber publiziert heute auf seiner satirischen Webseite «dot on the i» (Tüpfelchen auf dem i), auf der diese Glosse erschien.

Zum Infosperber-Dossier:

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Beat Gerber: Tüpfelchen auf dem i

Die Welt ist Satire. Deshalb ein paar Pastillen für Geist und Gaumen.

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Beat Gerber

Der langjährige TA-Wissenschaftsjournalist und ehemalige ETH-Öffentlichkeitsreferent publiziert auf www.dot-on-the-i.ch Texte und Karikaturen. Kürzlich erschien sein erster Wissenschaftspolitkrimi «Raclette chinoise» (Gmeiner-Verlag).

Eine Meinung zu

  • am 9.08.2016 um 11:10 Uhr
    Permalink

    "Auch dass der erblich belastete Waadtländer Pionier für seine Erdumrundung (samt 100-köpfigem Begleittross) weit mehr Energie verschwendete als ein kommuner Linienjet für die gleiche Strecke, hat das Publikum keineswegs entgeistern können.» Hoppla, was ist das für eine Bahuptung?!
    Wenn wir schon von schlappem Hirngemüse reden, schlampige Gedanken und welke Hirnprozessen kritisieren, dann ist obiger Satz der Beweis dafür, dass der Artikelschreiber in dieser Sommerlochdisziplin eine Edelmetallmedaille verdient hat. He? Aha! Weil: Ein Linienjet fliegt nicht mit dem Pilot allein, da werkeln im Hintergrund ständig ein paar 100 Menschen auf und neben dem Flulpatz und verbauen zu Beginn beliebig viel graue Energie in die fliegende Blechdose. Insgesamt wird mit all diesen Aktivitäten ebenfalls mehr Energie verpufft, als der Jumbo zum Abheben braucht. Aber das zu reflektieren ist halt auch nicht so sexy, fast so profan wie Solarpanels auf dem Einfamilienhaus.

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