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Plötzlich trat Fifa-Funktionär Franz Beckenbauer als Vermittler in der Schifffahrtsbranche auf © Ralf Roletschek, CC-BY-SA 3.0

Katar-Affäre: Deutschlands Millliardengeschäfte

Red. /  Der polit-ökonomische Blick auf die Katar-Affäre macht die Brisanz erst deutlich: Für Deutschland geht es um Milliardengeschäfte.

In der Affäre um die Vergabe der Fussball-WM 2022 an das Emirat Katar werden neue Vorwürfe laut. Medienberichte untersuchen – auf Grundlage interner E-Mails – die Rolle, die der langjährige deutsche Fussball-Funktionär Franz Beckenbauer in der Angelegenheit spielte. Beckenbauer verweigert jede Auskunft darüber, für welches Land er in der abschliessenden Abstimmung votierte. Wie jetzt bekannt wird, ist er ein gutes halbes Jahr nach der Entscheidung, im Juni 2011, als Vermittler für Geschäfte im siegreichen Katar aufgetreten – in der Schifffahrtsbranche, in der er nie zuvor tätig gewesen ist.

Demnach hat er den Hamburger Reeder Erck Rickmers nach Doha begleitet und ihm dort Kontakte hergestellt. Wie es heisst, habe Rickmers zuvor eine namhafte Summe an die Franz-Beckenbauer-Stiftung gespendet: eine Viertelmillion US-Dollar. Während Medien weitere Enthüllungen in Aussicht stellen, bleibt der polit-ökonomische Hintergrund weithin unbeleuchtet. Er macht die eigentliche Bedeutung der Affäre erst deutlich.

Wirtschaftliche Basis jenseits von Gas und Öl

Das Emirat Katar steckt, seit der bis 2013 amtierende Emir Hamad bin Khalifa al Thani im Jahr 1995 seinen Vater aus dem Amt putschte, in einer langfristig konzipierten Modernisierungsphase. Ziel ist es, die immensen Einkommen aus der Flüssiggasproduktion – Katar besitzt die drittgrössten Erdgasvorräte der Welt – zu nutzen, um dem Land eine dauerhafte wirtschaftliche Basis jenseits von Gas und Öl zu sichern.

Zu diesem Zweck hat das Emirat eine Reihe von Massnahmen ergriffen. So sind in den letzten 15 Jahren systematisch die Wirtschaftsbeziehungen ins Ausland intensiviert worden, nicht zuletzt in die Bundesrepublik; Ende 2002 wurde der privatwirtschaftliche German Business Council Katar gegründet, 2007 folgte die Einrichtung einer Deutsch-Katarischen Gemischten Wirtschaftskommission unter Beteiligung des deutschen Wirtschaftsministeriums.

Hilfreiche Milliardengeschäfte für Deutschland

Während Katar mitten im Ausbau seiner boomenden ökonomischen Aktivitäten steckte, geriet die Bundesrepublik ab 2008 zunächst in die globale Finanz-, dann ab 2010 in die Euro-Krise. Berlin war entsprechend intensiv um zahlungskräftige Käufer deutscher Waren und um finanzstarke Investoren bemüht. Unter anderem boten sich die Diktaturen der Arabischen Halbinsel an, die bereits in der rot-grünen Ära Schröder/Fischer verstärkt ins Visier deutscher Politiker und Manager gerückt waren. Zu ihnen zählte auch Katar. Zu dessen wirtschaftlichen Plänen passte es bestens, westliche Konzerne, auch deutsche, ins Land zu holen, um seine Modernisierung voranzutreiben.

Während in Deutschland die Krise zu schweren Einbrüchen führte, vergab Doha erste hilfreiche Milliardengeschäfte an Unternehmen aus der Bundesrepublik. Schlagzeilen machten 2009 etwa Aufträge an Hochtief (1,3 Milliarden Euro für den Bau einer acht Kilometer langen Einkaufsstrasse) sowie an die Deutsche Bahn (Bau eines Schienennetzes in Katar gemeinsam mit der Investmentgesellschaft Katari Diar – Volumen: 17 Milliarden Euro). Gleichzeitig stieg das Emirat mit Milliardensummen bei deutschen Konzernen ein; an Volkswagen etwa hält es mittlerweile 15,6 Prozent, an Hochtief 11,1.

«Zunächst als völlig aussichtslos abgetan»

Treffen die Berichte zu, dann hat der damalige Bundespräsidenten Christian Wulff sich energisch für die Vergabe der Fussball-WM 2022 an Katar eingesetzt. Dohas erstaunliches Ansinnen, das sommerliche Sport-Grossereignis in einem Wüstenstaat mit Temperaturen von bis zu 50 Grad abzuhalten, wurde zunächst als völlig aussichtslos abgetan. Der damalige Präsident des Deutschen Fussball-Bundes (DFB), Theo Zwanziger, wurde 2013 mit der rückblickenden Einschätzung zitiert: «Ich habe damals keine Chance für Katar gesehen». Wie er berichtet, habe er diese Aussage gegenüber Bundespräsident Wulff getätigt, als dieser sich «nach der bevorstehenden WM-Vergabe erkundigt» und «nach den Chancen für Katar gefragt» habe.

Wie es danach weiterging, ist Gegenstand der aktuellen Korruptionsuntersuchungen, die mittlerweile auch den langjährigen Fussball-Funktionär Franz Beckenbauer erreicht haben. Zwanziger erklärt gegenüber der Zeitung «Die Welt», er habe kurz vor der Abstimmung über den WM-Austragungsort mit Beckenbauer gesprochen: «Da hat er mir gesagt, man müsse wohl auch die Option Katar ins Blickfeld nehmen».

Blatter: «Druck aus Deutschland und Frankreich»

Als am 2. Dezember 2010 dann die Entscheidung für Katar verkündet wurde, hatte offenbar ein Meinungsumschwung auf breiter Basis eingesetzt: In der letzten Wahlrunde gab es 14 Stimmen für das Emirat und nur acht für die USA. FIFA-Chef Sepp Blatter hat sich im vergangenen November in der «Süddeutschen Zeitung» über das überraschende Ergebnis geäussert: «Es gab politischen Druck aus europäischen Ländern, die WM nach Katar zu bringen. Zwei der Länder, die Druck auf die Wahlmänner in der Fifa machten, waren Frankreich und Deutschland.»

Äusserungen des Schweizer Nationalrats Andreas Gross lassen vermuten, dass Blatter auch den deutschen Bundespräsidenten meinte. Gross wird in der Zeitung «Die Welt» mit der Aussage zitiert, Blatter habe ihm «berichtet, dass vor der Vergabe der WM 2022 im Dezember 2010 Bundespräsident Wulff Kontakt zu ihm gesucht habe. Herr Wulff habe ihn mit dem Hinweis auf enorme Aufträge für deutsche Unternehmen im Emirat gebeten, für Katar zu stimmen».

Merkel und Wulff waren voll des Lobes für Katar

Berlin war in dem Zeitraum, den Blatters Aussagen betreffen, in überaus engem Kontakt mit dem Herrscherclan aus Doha. Im März 2010 hatte der damalige Ministerpräsident des Bundeslandes Niedersachsen, Christian Wulff, gemeinsam mit der Führungsspitze von Volkswagen und Porsche Katar bereist und mit dem Stellvertreter des Emirs künftige Kooperationen besprochen. Im Mai 2010 hielt sich Kanzlerin Angela Merkel gemeinsam mit einer hochrangigen Wirtschaftsdelegation in Doha auf, lobte «beeindruckende Projekte», die in dem Emirat geplant würden, und erklärte: «Die deutsche Wirtschaft möchte an diesen Projekten natürlich Anteil haben.»

Am 29. September empfing Wulff, inzwischen zum Bundespräsidenten aufgestiegen, den Emir und eine seiner drei Ehefrauen persönlich im Schloss Bellevue. «Viele» der anwesenden «hochrangigen Gäste hier im Saal aus bedeutenden Unternehmen, den grössten Unternehmen Deutschlands», seien «in Katar bereits präsent», sagte Wulff in seiner Tischrede: Sie seien «bereit», die «vielfältigen Investitions- und Geschäftsmöglichkeiten in Katar» deutlich «stärker als bisher zu nutzen».

Ansprüche auf Aufträge mit erstaunlichem Erfolg

Knapp zwei Monate später trug Doha in der Abstimmung über die Vergabe der Fussball-WM 2022 einen überraschenden Sieg davon. Danach dauerte es nicht lange, bis deutsche Unternehmen sowie Vertreter der Bundesregierung Ansprüche auf Aufträge im Zusammenhang mit dem kommenden Sportereignis anmeldeten – mit erstaunlichem Erfolg.

Keine zehn Tage nach der Abstimmung äusserte sich der damalige Chef des Essener Baukonzerns Hochtief, Herbert Lütkestratkötter, über die Pläne für die Fussball-WM. Bei Hochtief war Katar gerade mit rund neun Prozent der Firmenanteile eingestiegen. Dabei handle es sich nicht um einen «Verzweiflungsakt, das ist Strategie», erklärte Lütkestratkötter: «Die Geschäfte mit Katar laufen ja nicht erst seit gestern.» Der Hochtief-Chef verwies auf Milliardenaufträge, die sein Unternehmen bereits in Doha eingeworben hatte, und fügte hinzu: «Es gibt eine Absichtserklärung, wonach wir zusätzlich zu den beschriebenen Projekten auch bei der Fussball-WM beteiligt sein sollen.»

Bereits Ende Februar 2011 unternahm Bundespräsident Christian Wulff seine nächste Reise nach Katar. Auf dem Besuchsprogramm hätten nicht zuletzt «Gespräche beim Bewerbungskomitee für die Fussball-WM 2022» gestanden, berichtete seine Pressestelle anschliessend. Um die Fussball-WM sei es ausserdem bei den Verhandlungen der Wirtschaftsdelegation gegangen, die den Bundespräsidenten nach Katar begleitete, berichteten Teilnehmer. Gemeinsam mit Katarischen Wirtschaftsvertretern habe man etwa eine Sitzung abgehalten, bei der es unter der Leitung des Vorsitzenden der deutschen Dorsch-Gruppe, Olaf Hoffmann, um «Bau, Infrastruktur und Transport» gegangen sei. Zugegen gewesen sei neben Hochtief-Chef Lütkestratkötter und dem deutschen Architekten Albert Speer auch der Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium Bernd Pfaffenbach.

Eine Stadt der Superlative mitten in der Wüste

Im April 2012 erhielt Hoffmanns Dorsch-Gruppe den Zuschlag für die Bauaufsicht bei «Lusail». «Lusail» soll eine Stadt heissen, die gegenwärtig nordöstlich von Doha aus dem Wüstenboden gestampft wird – auf gut 38 Quadratkilometern. Dort sollen perspektivisch fast eine halbe Million Menschen leben – 200’000 dauerhaft, 170’000 während ihrer Zeit als Wanderarbeiter in Katar sowie 80’000 Touristen. Lusail ist insofern mit der Fussball-WM verbunden, als die Stadt zum einen das Stadion für das Endspiel beherbergen, andererseits Fussball-Fans Unterkünfte bieten soll.

Die Kosten werden zur Zeit mit gut 45 Milliarden US-Dollar beziffert. «Das Konzept für Lusail geht weit über das einer gewöhnlichen modernen Stadt hinaus», heisst es bei Dorsch: «Es ist vielmehr der futuristische Entwurf herausragender Technologien und fantastischer Ideen»; es sei «ein Projekt der Superlative in der Arabischen Welt».

Deutsche Bank: «Der Wall Street die Stirn bieten»

Die Rettung der Fussball-WM 2022 in Katar ist für Berlin auch wichtig, um die sonstige Kooperation mit dem Emirat zu sichern. Wie nützlich diese zuweilen ist, zeigte nicht nur Dohas Einstieg bei der deutschen Ökofirma Solarworld vor einem Jahr, die damit vermutlich vor dem Bankrott bewahrt wurde. Zuletzt hat Katar mit dem Erwerb von rund sechs Prozent der Anteile der Deutschen Bank 1,75 Milliarden Euro in den deutschen Finanzkonzern investiert – ein für diesen ungemein vorteilhafter Schritt.

Mit dem Geld solle die «vergleichsweise dünne Kapitaldecke» des Frankfurter Kreditinstituts gestärkt werden, um «im Investmentbanking angreifen» zu können, heisst es: Die Deutsche Bank sehe für sich gegenwärtig «die einmalige Chance, in die Weltspitze vorzustossen und den US-Grössen an der Wall Street die Stirn zu bieten». Die Zusammenarbeit mit der Diktatur vom Persischen Golf hilft ihr bei diesem Bemühen und trägt damit zum deutschen Streben nach Weltgeltung bei.

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Dieser Artikel ist die gekürzte Fassung eines Artikels, der auf der Plattform «German-Foreign-Policy.com» in zwei Teilen erschienen ist (Teil 1/Teil 2).


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Die «Informationen zur Deutschen Aussenpolitik» (german-foreign-policy.com) werden von einer Gruppe unabhängiger Publizisten und Wissenschaftler zusammengestellt, die das Wiedererstarken deutscher Grossmachtbestrebungen auf wirtschaftlichem, politischem und militärischem Gebiet kontinuierlich beobachten.

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