Decentraland Pro Senectute

Infosperber hat im Decentraland die Pro Senectute gesucht und diese beiden schwarzen Parzellen gefunden. © Screenshot Decentraland

Pro Senectute treibt Alte in die Langweile im Nirgendwo

Esther Diener-Morscher /  Es ist einsam in der virtuellen Welt des Metaverse. Ausgerechnet die Pro Senectute will alte Menschen in diese Leere locken.

Die Pro Senectute beider Basel hat Land gekauft, damit sie dort eine Beratungsstelle bauen kann. Nur: Das Areal existiert in Wirklichkeit gar nicht. Es hat aber trotzdem 15’000 Franken gekostet. Denn es liegt in zwei virtuellen Computerwelten, im Decentraland und in The Sandbox.

Es ist trostlos dort. Alles ist auf Englisch, und es gibt vor allem Werbung und Gewinnspiele. Diese ziemlich grossspurig als «Welt» bezeichneten Computeradressen werden auch als Metaverse – also als fiktives Universum – bezeichnet. Glaubt man Marc Zuckerberg, dann ist das Metaverse das nächste grosse Ding im Internet, in dem sich eines Tages eine Milliarde Menschen aufhalten und viel Geld ausgeben werden.

Es sei eine «langfristige Vision», dort dereinst «ein virtuelles Kurszentrum oder eine virtuelle Beratungsstelle mit Begegnungsstätte» aufzubauen. So jedenfalls stellt es sich der Geschäftsleiter der Pro Senecute beider Basel, Michael Harr, vor. Die Pro Senectute muss allerdings erst noch Computer-Spezialisten finden, die Programme installieren, damit Besucher überhaupt etwas antreffen.

Nicht einmal IT-Profis fanden die Parzelle

Marcel Waldvogel, ein Informatiker des Schweizer Tech-Journalismus-Magazins DNIP («Das Netz Ist Politisch»), versuchte, die noch leere Parzelle der Pro Senectute in «The Sandbox» aufzusuchen.


Es gelang weder ihm noch seinem Kollegen und er fragte sich: «Wenn zwei Informatiker schon an ihre Grenzen stossen, wie sieht es dann erst bei Senioren aus?» Leicht sarkastisch bemerkt er: «Vermutlich müssen diese sich zuerst ins physische Kurszentrum in der Basler Innenstadt bemühen, wo ihnen dann erklärt wird, wie sie ins virtuelle Kurszentrum kommen.»

Im Decentraland konnte Waldvogel die von der Pro Senectute erworbenen Parzellen finden. Auch Infosperber hat sie besucht – und konnte sich überzeugen: Da ist nichts, ausser einer schwarzen Wand. Das bedeutet, dass dieser Raum, den es eigentlich gar nicht gibt, reserviert ist.

«Wie ein Innenstadt-Standort»

Es seien zentrale Orte im Metaverse, vergleichbar mit Innenstadt-Standorten in der realen Welt, verteidigte Michael Harr den doch recht hohen Preis für ein Nichts in einem Niemandsland an einer Medienkonferenz. Er betonte auch, dass es um die «ferne Zukunft» gehe.

Trotzdem muss man sich schon in der «nahen Gegenwart» fragen: Was bringt diese Investition in die Zukunft den alten Menschen? Der IT-Spezialist Waldvogel, der virtuellen Welten keineswegs feindlich gesinnt ist, fragt sich, ob «diese eher trostlosen, nur englischsprachigen Welten» wirklich die ideale Umgebung seien, in die man Seniorinnen und Senioren locken wolle.

Er sorgt sich, dass ältere Menschen diese neue Scheinwelt zu wenig kritisch hinterfragen könnten und dass ihnen dort mit Glücksspielen und intransparenten Investitionen Geld abgenommen werden könnte. Er weist dabei auf die so genannten Enkeltricks hin.

Lieber die Sonne geniessen

Für Waldvogel stellt sich «ganz grundsätzlich die Frage, ob eine Welt des Hyperkapitalismus, der mehr oder weniger subtilen allgegenwärtigen Monetarisierung fast jeden Schrittes und seinen Aspekten von Glücksspiel sowie der Reizüberflutung insbesondere durch omnipräsente Werbung die richtige Umgebung für Seniorinnen und Senioren ist.»

Er fände eine reduzierte, nachvollziehbarere, intuitive und bedienerfreundliche Umgebung angesichts der sich im Alter reduzierenden Aufnahme- und Kritikfähigkeit deutlich sinnvoller für die ältere Generation.

Waldvogel schreibt über seine Erfahrungen: «Von mir befragte Seniorinnen und Senioren würden lieber die Sonne geniessen, als so viel Zeit in ein verwirrendes System zu investieren. Wenn eine digitale Kommunikation nötig sei, würden sie das Telefon oder einen Videoanruf bevorzugen. So ein Anruf eigne sich übrigens auch hervorragend als Basis zum gemeinsamen Online-Jass.»
Und er kommt zum Schluss: «Wenn meine Befragten wählen dürften, würden sie jederzeit die intuitivere, natürlichere Umgebung von Second Life gegenüber Decentraland bevorzugen.»

So wertvoll wie Kafferahmdeckeli

Finanziert werden die beiden Pro-Senectute-«Niederlassungen» im Metaverse mit dem Verkauf von so genannten «NFT» (Non-Fungible Token), was so viel heisst wie «nicht austauschbare Wertmarke» und ein digitales Kunstwerk darstellen soll.

NFT Werbung Pro Senectute
So wirbt die Pro Senectute für zweifelhafte Wertanlagen: Sie nennt es das «Swiss Crypto Marvel», das Schweizer Krypto-Wunder.

NFT haben keinen eigentlichen Wert, werden aber immer wieder als wertvoll bezeichnet, weil sie gehandelt und wegen der Nachfrage möglicherweise später mit Gewinn verkauft werden können. Möglicherweise. Denn es ist völlig unklar, ob es tatsächlich einmal Käufer geben wird für die 66 Franken teuren NFT der Pro Senectute. Die Geldanlage in solche NFT ist eine ähnlich zweifelhafte Wertanlage wie der Kauf von Kaffeerahmdeckeli.

Trotzdem wirbt die Pro Senectute schamlos dafür: «NFTs sind einzigartige virtuelle Vermögenswerte, die gesammelt, getauscht und gehandelt werden können.» Allfällige kritische Fragen dazu, was passiert, wenn der NFT- oder Kryptomarkt zusammenbricht, wischt die Seniorenorganisation bedenkenlos zur Seite und antwortet: «Auch wenn der Markt zusammenbrechen sollte, haben Sie mit dem Kauf eine gemeinnützige Stiftung unterstützt.»

Metaverse zum Experimentieren mit den «neuen Alten»?

«Warum schickt man ausgerechnet Senioren in die langweilige virtuelle Welt?» Mit dieser Frage hat Infosperber den Soziologen und Altersforscher François Höpflinger konfrontiert.

Der Experte findet den Vorstoss der Pro Senectute ins Metaverse nicht nur schlecht. Er räumt zwar ein: «Momentan sind viele Metaverse-Angebote noch zu wenig spannend.» Doch er sieht das Metaverse als Experimentierfeld für die Altersforschung: «Beispielsweise lässt sich damit gut testen, wie man ältere Frauen und Männer ansprechen soll, die sich nicht zu den Alten zählen.» Er findet, dass gerade im Altersbereich vorausschauende Experimente sinnvoll seien. So liessen sich die Interessen neuer Generationen älterer Frauen und Männer aufnehmen – ohne dass mit viel Aufwand reale Angebote aufgebaut würden, die neue Generationen nicht mehr interessieren.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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4 Meinungen

  • am 11.02.2023 um 12:04 Uhr
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    Mal abgesehen vom Zweck sozialer Netzwerke, also der Meinungsmache und Persönlichkeitsveränderung der Nutzer, womit das Netzwerk sein Geld verdient und der personalisierten Werbung, halte ich das für Menschen jedes Alters für einen gefährlichen Ort. Man kann es doch jetzt schon an den Dingen sehen die passieren und über soziale Netzwerke ins Rollen gebracht werden. Für mich ein Versuch, alte Menschen zu betreuen und daran zu verdienen ohne dafür arbeiten zu müssen.
    Wer sich solcher Netzwerke bedient so, sollte sich jedenfalls darüber im klaren sein das nichts real und das wenigste ehrlich ist, wobei ich nicht ausschliessen kann das es vielleicht etwas für 2-3 Generationen später etwas sein könnte. Aber besser macht es das auch nicht.

  • am 11.02.2023 um 17:51 Uhr
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    Pro Senectute – Quo vadis? Wozu sollte man da noch alt werden?
    Positives Beispiel finde ich das Demenz-Dorf in Wiedlisbach. Das ist real und auf individuelle Bedürfnisse konzipiert. Übrigens, das gilt für jeden Mensch: in der Natur hat jedes Lebewesen (Flora/Fauna) seine individuell benötigte Nische/Substrat; nur beim Wohnen erlebe ich Einheitsbrei (Monokultur), Nicht-Wahlfreiheit, etwa punkto Lärm und Rauch bis 24/7 – insbesondere wenn darunter teils schwer Erkrankte leiden müssen. (Ein Projekt, an dem ich kostenlos arbeite.)

  • am 11.02.2023 um 18:33 Uhr
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    Es gibt ja auch Leute die glauben ernsthaft, dass der Storch die Kinder bringt. Während die Mär vom Storch nur zu reichlich Belustigung führt; fliesst bei dem halbgaren Pro-Senectute Spiel offenbar Geld, und das Spiel ist ja nicht mal fertig programmiert. Dass man den Senioren mit dem Spiel dann auch noch NFTs anzudrehen versucht, das spricht doch sehr für eine Hinterlist.
    Wer von den NFT schon gekauft hätte, soll bitte zur Polizei gehen und den Verdacht auf ein Betrugsdelikt zur Anzeige bringen. Solche Geschichten gibt’s zuhauf auch mit anderem wertlosem Sammelgut, von alten Büchern die aber frisch gedruckt wurden, Gendenkmünzen für erfundene Ereignisse, Aktien von Fantasiefirmen, Grundbucheinträge für Grundstücke auf dem Mond – und immer ein nettes Märchen dabei.

  • am 11.02.2023 um 19:52 Uhr
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    Das Metaverse wie schon Facebook ist der Enkeltrick an und für sich und die Pro Senectute ist darauf hereingefallen. Bleibt zu hoffen, dass die Senioren Wandern im Engadin weiterhin betreiben und Zuckmayer lesen anstatt Zuckerberg verzuckern.

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