aa_Sprachlust_Daniel_4c

Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Sprachlupe: Wortspiele kann man auch spielen

Daniel Goldstein /  Um Wortwitz geht es hier nicht, aber er kann helfen: dabei, ein Rätselwort zu finden oder der Wissenschaft zu nützen.

Haben Sie auch schon Wordle gespielt und suchen etwas Neues? Oder ist das international erfolgreiche Ratespiel nach dem Muster von Mastermind an Ihnen vorbeigegangen, obwohl es im Internet in mehreren Versionen auch auf Deutsch kursiert? So oder so können Sie sich an Semantle versuchen, wo es nicht darum geht, das Lösungswort des Tages als Buchstabenkombination auszuknobeln, sondern es vom Sinn her einzukreisen. Die Semantik, also die Bedeutungslehre, steht auf Deutsch mindestens zwei Versionen Gevatter: Semantlich und Semantel.

Der Ablauf entspricht jenem beim englischen Original: Man tippt aufs Geratewohl ein Wort ein und erhält einen Messwert für die «semantische Ähnlichkeit» mit dem Zielwort – und wenn man nahe genug daran ist, auch den Rang unter den 1000 «ähnlichsten» Wörtern. Je nachdem, ob man mit dem nächsten Versuch näher oder entfernter landet, kann man das Raten in die richtige Richtung lenken. Wobei ein Wort ja verschiedene Aspekte hat – bedeutet es etwa ein Objekt, so kann dieses belebt oder unbelebt, gross oder klein, harmlos oder gefährlich sein. Dementsprechend können ganz verschiedene «Ähnlichkeiten» zum Ziel führen.

Tückische «Ähnlichkeiten»

Die Messwerte beruhen auf elektronischen Textsammlungen, in denen für jedes Wort ermittelt wird, in der Nähe welcher anderen Wörter es besonders oft anzutreffen ist. Je besser die Umgebungen übereinstimmen, in denen zwei Wörter anzutreffen sind, als desto ähnlicher gelten sie. In der Praxis führt das oft zu seltsamen Bewertungen, wie man nach dem Lösen oder dem Aufgeben feststellen kann, denn dann sind die «besten 1000» abrufbar.

So war diese Woche bei Semantel einmal «dürfen» gesucht; auf dem Weg dazu war aber «Erlaubnis» viel schlechter eingeordnet als «Pflicht» – und noch viel näher war das Wort «da». Verzweifelt man, gibt’s den Knopf «Hinweis», nur versagte er mir den Dienst. Semantlich hat keinen solchen Knopf, dafür einen realen Vorteil: Es unterscheidet zwischen Gross- und Kleinschreibung, wichtig etwa bei Arm/arm. Im englischen Semantle kann man sich als Hinweis ein Wort anzeigen lassen, das ein bisschen näher liegt als der beste eigene Versuch.

Abfrage «Wortspiel» im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, wo man auch spielen kann.

Wortwolken im Gehirn

Die Wortverwandtschaften, die sich in der Bestenliste offenbaren, erinnern an die Wortwolken, wie sie etwa im Digitalen Wörterbuch (dwds.de) angezeigt werden, eben aus einer Textsammlung erzeugt (siehe Abbildung «Wortspiel»). Etwas Ähnliches entsteht möglicherweise im menschlichen Gehirn beim Erlernen einer Sprache. Ob dem so ist, soll das Forschungsprojekt «Small World of Words» ergründen – auch mit Ihrer spielerischen Hilfe, wenn Sie sich online befragen lassen.

«Fragt man Erwachsene, was ihnen zu ‹Hund› einfällt, sagen die meisten ‹Katze›. Warum das so ist und wie genau Informationen in unserem Gedächtnis angeordnet sind, wollen Psychologen des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Zusammenarbeit mit der Universität Tübingen herausfinden.» So erklärten sie 2014 ihre Teilnahme an dem Forschungsvorhaben, das seit 2003 an der KU Leuven (Löwen, Belgien) läuft. Auf der Projektwebsite wird man aufgefordert, zu 18 Wörtern – jedes Mal wieder anderen – je drei Assoziationen einzugeben. Aus vielen Antworten werden dann Beziehungsnetze wie in der Abbildung «Sonne» generiert; man kann sie abrufen.

Ein Wortnetz, wie es «Small World of Words» aus den Assoziationen der Teilnehmenden ermittelt.

Dem mentalen Lexikon auf der Spur

Um das innere Lexikon repräsentativ abbilden zu können, suchten die Forscher ursprünglich etwa 240’000 Probanden pro Sprache, weshalb die Studie auf lange Dauer angelegt ist. Inzwischen ist sie auf 17 Sprachen ausgeweitet worden. Laut einem Zwischenbericht sind auf Deutsch bisher etwa 20’000 Teilnahmen registriert worden; als Zielgrösse werden nun 35’000 angegeben. Man darf mehrmals mitmachen und braucht kaum Wiederholungen zu befürchten: Die 18 jeweils vorgelegten Wörter kommen aus einem Topf, der von anfänglich 4000 auf 6000 Wörter ausgeweitet worden ist.

Das Max-Planck-Institut schreibt dazu, ein Erwachsener kenne im Schnitt rund 40’000 Wörter. Diese seien durch Erfahrungen bestimmt und im Gedächtnis in einem individuellen mentalen Lexikon hinterlegt sowie miteinander verknüpft. Das Projekt soll nun ermitteln, wie dieses Lexikon aufgebaut ist und ob es Unterschiede zwischen jüngeren und älteren Erwachsenen aufweist. Neben dem Alter müssen die Teilnehmenden auch Geschlecht und Muttersprache angeben sowie (fakultativ) den Standort. Wer zudem eine Mailadresse hinterlässt, wird über den Fortgang der Studie informiert. Ein Tipp für die Verantwortlichen: Es könnte sich lohnen, die Rateverläufe bei Semantle & Co. ebenfalls auszuwerten.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.