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Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Sprachlupe: Wie die Weltsprache das Weltbild prägt

Daniel Goldstein /  Zum Reisen ist Englisch praktisch, aber Medienberichte verwenden es gern so, als wäre es überall auf der Welt die Lokalsprache.

Dass Englisch so etwas wie die Weltsprache geworden ist, ist ja ganz praktisch: Wer mit einer verwandten Sprache aufgewachsen ist, hat es rasch einmal schlecht gelernt und kommt damit in vielen Weltgegenden ordentlich durch, kann auch zuhause fremden Reisenden behilflich sein. Doch wie so viele Hilfsmittel hat auch diese Sprachkrücke ihre Risiken und Nebenwirkungen. Wohlbekannt sind die Klage- und seltener Loblieder über sich ausbreitende Anglizismen. Weniger oft sind die Auswirkungen aufs Weltbild ein Thema – im Grossen, weil englischsprachige Agenturen und Mitmachmedien einen wesentlichen Teil des Nachrichtenstroms alimentieren.

Aber auch im Kleinen, und darum soll es hier gehen: um die Tendenz, das gesamte Ausland als englischsprachig zu behandeln. Wissen Sie, wo Waterloo ist? Wenn ja, muss Sie die gängige Radio-Aussprache «Uotaluh» schmerzen. Napoleons letzte, verlorene Schlacht fand im heutigen Belgien statt und der Ortsname wird flämisch ausgesprochen; wenn Sie das Schriftbild deutsch lesen, kommen Sie dem Klang recht nah. Dass man in Mexico City, Guatemala City oder Panama City nicht vorwiegend Englisch spricht, ist Ihnen gewiss bekannt. Warum diese Bezeichnungen in unseren Medien oft auftauchen, anstelle von «Ciudad de» oder «-Stadt», weiss ich auch nicht.

Bequemlichkeit und Werbemasche

Bequemlichkeit wäre eine Erklärung, oft beim Umgang mit englischsprachigen Nachrichtenquellen. Beides darf man auch vermuten, wenn ein Pressefoto aus den Niederlanden mit «Scheveningen Beach» angeschrieben ist oder aus Montenegro über die «Boka Bay» berichtet wird, was in der Kombi-Übersetzung «Bucht-Bucht» bedeutet. Allerdings ist in diesem Fall auch die Tourismus-Vermarktung der Bucht von Kotor schuld, denn die preist tatsächlich «Boka Bay» an.

Als ähnlicher Fall entschuppt sich der «Fisch von den Bluewater Lakes», von dem ein Reisebericht aus Frankreich schwärmt. Denn am Lac du Der in der Champagne hat sich eine Ferienanlage den vermeintlich attraktiven, weil englischen Namen gegeben. Von dort ist es nicht mehr weit zum «Eiffel-Tower», von dem ich in einer Schweizer Zeitschrift gelesen habe – allerdings in einer witzigen Anspielung auf den Prime Tower, der bekanntlich in Downtown Switzerland steht. Aber wenn eine hiesige Zeitungskette Frankreich eine «Air Force» andichtet, müssen wir diplomatische Komplikationen befürchten, zumal nach dem Schweizer Entscheid für US-Kampfflugzeuge. Und wegen Majestätsbeleidigung: Präsident Macron war im «Hoodie» einer Fliegerstaffel abgebildet, dabei heisst das Teil auf gut Französisch «sweat à capuche».

Ukrainische Truppen und Schweizer Stiftungen

Hat die Ukraine mit amerikanischer und britischer Rüstung auch die Sprache importiert? Fast scheint es so, wenn ein deutscher Kommentator (auch hierzulande) schreibt, «Bakhmut holds» sei «zu einem Mantra vieler ukrainischer Soldaten geworden: Bachmut hält stand» (als das noch stimmte). Wahrscheinlich hatte der Schreiber es nicht selber gehört, sondern irgendwo englisch gelesen und gemeint, er gebe mit dem Zitat einen Originalton aus den Schützengräben wieder – oder er hatte sich gar nichts dabei gedacht. Da ist es vergleichsweise harmlos, wenn über den US-Aussenminister zu lesen ist, er führe Gespräche im «Diaoyutai State Guesthouse». Das Haus heisst halt auf der englischen Website der Pekinger Stadtverwaltung so.

Die Ausrede mit dem Netzauftritt in englischer Version bietet sich ebenfalls an, wenn politische Parteien in allen möglichen nicht anglophonen Ländern in unseren Medien englisch «heissen». Aber richtig weh tut’s, wenn die Anglisierung das eigene Land erfasst, und das erst noch rückwirkend. So geschehen in einer Radiosendung, in der eine Firma namens «Bi-Bi-Ssih» vorkam. Gemeint war nicht die British Broadcasting Corporation, sondern der Elektrokonzern BBC in Baden (Brown, Boveri & Cie., 1988 in der ABB aufgegangen), stets als «Be-Be-Zeh» bekannt. Die englische Aussprache mag ein einmaliger Ausrutscher gewesen sein. Die Pro Helvetia dagegen hat zwar im Unterschied zu all den Stiftungen mit «Swiss» einen lateinischen Namen und sie hat verschiedene Reglemente in den Landessprachen – aber den Verhaltenskodex fürs Personal gibt’s (zumindest im Internet) nur auf Englisch. Ist ja auch eine Kultursprache.

Weiterführende Informationen

  • Die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift «Sprachspiegel» (3/2023) beschäftigt sich mit Englisch als Weltsprache und mit früher Schweizer Kritik an der «Engländerei».
    Gratis erhältlich bei probeheft@sprachverein.ch.
  • Indexeintrag «Anglizismen» in den «Sprachlupen»-Sammlungen: tiny.cc/lupen1 bzw. /lupen2, /lupen3.
    In den Bänden 1 und 2 (Nationalbibliothek) funktionieren Stichwortsuche und Links nur im heruntergeladenen PDF (linke Spalte, ganz unten).

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Der Autor gehörte den Stiftungsräten von Swissaid und Swisspeace an.
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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3 Meinungen

  • am 26.08.2023 um 12:36 Uhr
    Permalink

    Die Werbung mit Anglizismen scheint wirkungsvoller zu sein als mittels lokalem Wortschatz. Wer will schon Turn- oder Sportschuhe, wenn es «Sneakers» gibt? Und dem Geburtstagskind singt man «happy birthday to you», da die Kinder das Liedchen «viel Glück und viel Segen» nicht mehr auf den «Scanner» haben.
    Obwohlich ich Anglizismen wie easy, crazy, cool, etc. meide, muss ich gestehen, dass ich einst für eine Gebrauchsanleitung den Hinweis «scroll down» korrekt übersetzen wollte. Die korrekte Hinweis lautet «mit der Bildlaufleiste nach unten bewegen». Da neigt man letzendlichen doch zum gewagten Hinweis «scrollen Sie nach unten».

    • Portrait_Daniel_Goldstein_2016
      am 26.08.2023 um 13:52 Uhr
      Permalink

      Statt «scrollen» zu übersetzen, kann man die Anweisung so ausdrücken wie in geschriebenem Deutsch üblich (und wie ich es am Anfang meines Beitrags gemacht habe): «siehe unten». Das ist erst noch logischer als das englische «to scroll down», denn als Substantiv bedeutet «scroll» Schriftrolle. Und die muss man nach oben aufwickeln, um weiter unten Geschriebenes zu sehen.

  • am 26.08.2023 um 17:44 Uhr
    Permalink

    Ich schrieb es bereits, dass ich mich aus Interesse und von Berufs wegen intensiv mit der deutschen Sprache beschäftige. Deshalb ist mir das gedankenlose Nachgeplappere falscher oder im Englischen gar nicht vorhandener Begriffe sehr zuwider, ebenso wie falsch zugeordnete Bedeutungen.
    In meiner Nebenstraße gibt es einen «Angelshop». Werden dort tatsächlich «Engel» verkauft? Wenn schon, dann müsste es wohl «Fishing Shop» heißen, denn verkauft werden Utensilien für Angler. Das gute deutsche «Angelbedarf» oder «Fischereiladen» (kein «Fischladen») ist offensichtlich zu popelig.

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