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Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Sprachlupe: Mieterversammlung – laut Duden ohne Frauen

Daniel Goldstein /  Aus «jemand» wird in Wörterbuch-Definitionen «männliche Person». Die Exklusitivät hat logische Folgen: Andere sind ausgeschlossen.

Bisher war ein Mieter «jemand, der etwas gemietet hat». Jetzt ist es eine «männliche Person, die etwas gemietet hat». Die Dudenredaktion hat damit angefangen, in der Online-Ausgabe (duden.de) die Definitionen solcher Personenbezeichnungen mit der Geschlechtszuschreibung zu versehen. Bis Ende Jahr sollen alle 12’000 (je doppelten) Einträge drankommen. So wird die Mieterin jetzt ausdrücklich als «weibliche Person» vorgestellt; bisher galt das Wort als «weibliche Form zu Mieter». Das habe zunehmend zu Reklamationen geführt, sagte die Duden-Chefredaktorin Kathrin Kunkel-Razum dem Deutschlandfunk.

Manche fanden es einfach unpraktisch: Wer die Bedeutung wissen wollte, musste zum Maskulinum weiterklicken. Dass das Femininum keinen vollen Eintrag hatte, habe aber auch die Empfindung verstärkt, die weiblichen Formen seien «Anhängsel zu den männlichen», sagte Kunkel-Razum «jetzt mal salopp». Dass solche Formen in aller Regel just durch das Anhängsel «-in» gebildet werden, schleckt allerdings keine Geiss weg. Nur hindert das die Chefin nicht daran, den weiblichen Ableitungen im Wörterbuch Eigenständigkeit zu verleihen.

Maskulinum nicht mehr generisch

Hier liegt der tiefere Grund für den Einschub «männlich» bei den Grundformen der meisten Personenbezeichnungen: Das «generische Maskulinum» wird laut der Chefredaktorin «zunehmend infrage gestellt», also die Verwendung der grammatisch männlichen Form für Personen beliebigen Geschlechts. In den neuen Definitionen entfällt diese Möglichkeit – sie wird somit nicht nur infrage gestellt, sondern in Abrede. Bei «Arzt» kommt sie jedoch durch die Hintertür wieder herein, mit dem Beispiel «zum Arzt gehen» (aber nicht: «zur Ärztin»). Kunkel-Razum erklärt, da sei eben nicht die Person gemeint, sondern die Praxis. Mit Verlaub: Das wäre ja gerade ein Grund, die Definition im generischen Sinn auszuweiten. Bei der ebenfalls angeführten Wendung «bis der Arzt kommt» ist zweifellos eine Person gemeint, und das Warten hat auch dann ein Ende, wenn eine Ärztin kommt.

Geht es um eine konkrete Person mit bekanntem Geschlecht, so verwendet man fraglos die zu ihr passende Bezeichnung. Was aber ist mit einer Gesamtheit bestimmter Personen jeglichen Geschlechts? Seien in Deutschland «64 Millionen Bürger» wahlberechtigt, so müsse man «im Prinzip» die Zahl der «Einwohner» kennen, um zu merken, ob auch von Frauen die Rede sei, findet Kunkel-Razum. Sage man aber «… und Bürgerinnen», so sei es gleich klar. Das scheint mir recht spitzfindig: Wer würde denn heute in Deutschland noch das Frauenwahlrecht anfechten?

In Teufels Küche

Die Einengung der Definitionen auf «männliche Personen» kann geradezu perverse Folgen haben. So wird im Online-Duden die Mieterversammlung zum Männerreservat: «Versammlung der Mieter [eines Hauses]». Eine Bezeichnung für eine derartige Veranstaltung, zu der auch Mieterinnen zugelassen wären, sucht man vergeblich. Nicht den Ort dafür, aber vielleicht das Wort findet man in Teufels Küche. Dorthin gerät, wer versucht, Wörterbücher nach aussersprachlichen Vorgaben umzuschreiben. So hat man beim Duden zwar bereits daran gedacht, die Wählerschaft «Gesamtheit der Wählerinnen u, Wähler» zu nennen (in der Eile mit Komma statt Punkt); für Wählergunst und Wählerverhalten indes sind (vorderhand) allein die Wähler zuständig.

Der Duden hat seit der Rechtschreibereform keinerlei amtliche Funktion mehr; er «darf» also alles. Er erhebt aber den Anspruch, den allgemeinen Sprachgebrauch wiederzugeben. Dazu gehört, obwohl sie bekämpft wird, die Zwitterrolle der grammatisch männlichen Personenbezeichnungen: Sie gelten nicht immer nur für Männer. Im gedruckten Wörterbuch «Rechtschreibung» stehen (zum Glück) in der Regel keine Definitionen. Zu «Arzt» erfährt man immerhin Artikel, Genitiv und Plural: «der; -es, Ärzte». Ganz allein auf einer Zeile steht «Ärztin» – ohne diese elementaren Angaben. Warum eigentlich fehlen die? Platz wäre ja da.

Fortsetzung: Duden merkt: Auch Frauen dürfen Mieter sein


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor war Redaktor beim «Sprachspiegel» und zuvor beim Berner «Bund». Dort schreibt er die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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5 Meinungen

  • am 23.01.2021 um 11:36 Uhr
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    Na dann bin ich ja mal gespannt auf die weibliche Form von jemand… jefraud?
    Es gruselt mich, zum Glück nehm ich nie einen Duden in die Finger oder besuche deren Webseite im Internet.

  • am 23.01.2021 um 16:07 Uhr
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    Danke für ihren Beitrag. Mich nerven diese Doppelbezeichnung zunehmend immer mehr. Wenn ich «die Bürger» im Plural meine, wieso sollte ich dabei die weiblichen Bürger ausschliessen? Selbstverständlich sind alle dabei. Das Wort hat überhaupt nichts mit einer reinen Männergruppe zu tun. Genauso wenig wie bei den Ärzten. Die Ausschliessung einer Geschlechtergruppe hat für mich erst mit diesen spitzfindigen Bezeichnung begonnen.
    Texte werden dadurch nicht nur länger, sondern auch schwerer verständlich. Eine blödsinnige Wohlstandstandserscheinung. Es wird wohl nicht mehr lange gehen, bis auch ein «Mitglied» männlich sein soll.

  • am 23.01.2021 um 23:20 Uhr
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    Hoffentlich muss ich nicht eines Tages lesen, der Redaktor der Sprachlupe sei wahnsinnig geworden. Das wären dann Sie Herr Goldstein. Oder eben die Redaktorin beim Duden, oder die Redaktoren, oder alle Redaktoren und Redaktorinnen.

  • am 24.01.2021 um 07:57 Uhr
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    Die übereifrige Begrüssung von Mitgliederinnen und Mitgliedern an Vereinsversammlungen kommt ja bereits vor. Aber ich kann Andreas Marty nur zustimmen: Der konsequente Einsatz von männlichen und weiblichen Formen macht Texte grundsätzlich einfach nur schwerfälliger und auch schwerer lesbar. Aber mit etwas Fantasie lassen sich auch neutrale Formen finden. Jedenfalls gebe ich mir durchaus Mühe, das zu tun. Konsequent geht das allerdings nicht. Deshalb mach ichs einfach nach Gefühl dort, wo es mir wichtig erscheint. Wenn ich sehe, wie viele Verbrechen an der deutschen Sprache täglich in Zeitungen begangen werde, scheint mir das durchaus zu genügen.

  • am 24.01.2021 um 13:25 Uhr
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    Wenn sich bei der Paarung ein X und ein Y Chromosom treffen , entsteht ein neuer Mensch. Aber was bei zwei X Chromosomen, eine Menschin? Hr. Goldstein, könnten sie das prüfen oder bei Duden prüfen lassen?
    Ohne Satire geht auch bei der Sprache nichts mehr. Satire ist weiblich, kein Wunder!

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