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Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Sprachlupe: Alphamännchen und der Sexismus-Verdacht

Daniel Goldstein /  Was man über eine Frau sagt oder sie fragt, kann zum Vorwurf führen, ein Mann wäre davon verschont geblieben. Umgekehrt ists rarer.

«Hätte man eine Frau als Alphaweibchen bezeichnet?» So fragte «meret s.» im Online-«Bund», nachdem dieser zur Nachfolge in der Leitung des Tierparks Dählhölzli getitelt hatte: «Eine Frau folgt auf das Alphamännchen». Eine indirekte Antwort gab’s zwei Monate später mit dem Titel «Kampf der Alphaweibchen». Diesmal ohne kritischen Kommentar; freilich ging’s da nicht um reale Personen, sondern um die Hauptfiguren des Films «Cruella».

Der Kommentar von «meret s.» war eine Ausnahme: Für einmal ging es nicht um etwas, das man angeblich nur über eine Frau gesagt hätte. Vielmehr wurde der abtretende Direktor gegen die als «daneben» empfundene Bezeichnung in Schutz genommen. Man kann «Alphamännchen» auch humoristisch verstehen, da es sich um die Zooleitung handelte. Gedruckt wurde die Anspielung indessen nicht – wohl aber jene auf die Dalmatinerwelpen in «Cruella». Die grammatisch geschlechtsneutralen «Alphatiere» sind in der Presse ohnehin nicht selten, und meistens sind Männer gemeint; bei ihnen soll ja dieses Auftreten häufiger vorkommen. Als allerdings – nicht im Leibblatt – von fünf Alphatieren in der Wirtschaftskommission des Nationalrats die Rede war, waren zwei der Gemeinten weiblich.

Verbissen und ungeliebt

Regelmässig stösst auf den Sexismus-Vorwurf, wer bei Frauen ein stark zielstrebiges Verhalten negativ darstellt. «Die direkte Frau Pappa» blieb wohl nur deshalb unkommentiert, weil online ein anderer Titel stand. In einem weiteren Fall schrieb eine Leserin: «Mit den Worten ‹mit ähnlicher Verbissenheit› bezeichnet er das Engagement von Bundesrätin Karin Keller-Sutter für eine Vorlage, die sie zu vertreten hat. Wie hätte Herr Strahm wohl das Engagement eines (männlichen) Bundesrates bezeichnet?» Nun trifft es sich, dass der Kolumnist recht oft «verbissene» Kämpfe anprangert, solche von Verbänden oder namentlich genannten Personen. Ausser Keller-Sutter habe ich nur Männer gefunden; kein Bundesrat war dabei (oder nur indirekt beim Bankgeheimnis).

In diesem Fall war also der Vorwurf, Frauen würden mit anderen Massstäben gemessen, unhaltbar. Auch nicht zwingend, aber verständlich war er beim Titel «Verschmähte Liebe» zur Bilanz einer Gemeinderätin. Da schrieb ein Leser: «Warum titelt der ‹Bund› im Jahr 2020 mit solchen Geschlechter-Stereotypen? Warum wird die Bilanz einer Politikerin als tragische Liebesgeschichte mit einer nicht erwiderten Liebe dargestellt? Warum muss ich als Berner mit einer Gemeinderätin ‹warm werden›? Bei einem Mann würden Sie das sicher nicht so schreiben.»

Nummeriert und examiniert

Gar den Vorwurf «dümmlicher Voreingenommenheit» erntete der Titel «Jetzt soll eine Frau das Problem mit der EU lösen». «Merken Sie wirklich nicht, dass Sie mit der Hervorhebung der Eigenschaft, dass Frau Leu Agosti eine Frau ist, dies zum verblüffenden und kaum zu glaubenden Kriterium dieser Ernennung machen?», fragte eine Leserin zu Recht. Mir scheint nur schon die übliche Feststellung überflüssig, diese oder jene neu Ernannte sei die erste Frau in ihrer Stellung. Neulich lautete ein Titel «Die vierte Frau in diesem Amt» – also eine Selbstverständlichkeit, aber doch wieder nicht, wenn man sie hervorhebt.

Häufig werden Frauen in leitender Stellung gefragt, wie sie denn Kinder und Karriere vereinbaren könnten, während Männer das kaum je erklären müssen. Im Fall der TV-Frau Susanne Wille fand es eine Leserin «beschämend und mehr als ärgerlich». Sie fragte sich auch, ob von einem Mann ebenfalls solche Auskünfte verlangt würden: «Was haben Sie zuletzt gelesen?» oder «Mögen Sie Klassik oder Pop?». Da es um die Leitung der SRF-Kultur­abteilung ging, lagen immerhin die Themen nahe.

Selbst bei einem archäologischen Befund operiert eine SDA-Meldung mit Stereotypen: «Die Mahlzeiten der Frauen, Männer und Kinder waren erstaunlich ähnlich. Männer assen also nicht mehr Fleisch oder Milchprodukte.» Was doch Machos so tun.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor war Redaktor beim «Sprachspiegel» und zuvor beim Berner «Bund». Dort schreibt er die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

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Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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