Kommentar

kontertext: Zum Streit um die Filmgesetzänderung der Räte

Mathias Knauer* ©

Mathias Knauer /  «Zwangsinvestition», «Netflixsteuer», «Konsumentenabzocke»: ein reaktionäres Begriffsgesindel aus No-Billag-Tagen feiert Urständ.

Es ist eine alte und bewährte Regel im Förderwesen des modernen Staats: Wer in einem bestimmten Kulturbereich Geschäfte macht, soll sich auch an den gemeinsamen Bemühungen ums Wohlergehen seiner Sparte beteiligen.

So wie eine Pensionswirtin oder der Vermieter einer Ferienwohnung, erst recht der Hotelier oder Resortkapitalist mit dem Abführen der lästigen Orts- oder Kurtaxe solidarisch mithilft, die touristische Infrastruktur oder den örtlichen Verschönerungsverein zu finanzieren, so gilt im Bereich der Filmkultur in zivilisierten Ländern, dass alle, die mit der Produktion oder Auswertung von Filmen Gewinne machen, zur Förderung von Nachwuchs und Weiterbildung, zum kreativen und qualitativen Fortschritt ihres Metiers oder anderswie zum Bestand ihres Gewerbes beitragen sollen. So leisten in Deutschland zum Beispiel sogar die Videotheken mit Abgaben solidarisch und «gruppennützig» einen Beitrag zur Prosperität der Filmkultur.

Was derart in einem lokal überblickbaren Feld des Wirtschaftens allen selbstverständlich, ja zwingend scheint, verliert beim immateriellen Streaminggeschäft der fernab global operierenden, einzig nach Kapitalgewinn strebenden Konzerne die spontane Plausibilität. Eine neue Generation – wir sehen sie täglich in Tram oder S-Bahn gefesselt auf ihr Bildschirmchen starren, wo sie sich mit den für den globalen Einsatz zugerichteten Bildwaren bedienen lassen, manche solipsistisch mit bestöpselten Ohren – verliert, so scheint es, den Blick aufs Lokale, und entgleitet damit zunehmend dem kulturellen Solidarzusammenhang.

Die Sucht, stets vernetzt zu sein, braucht täglich ihren Stoff. Ich höre schon sagen: Fürs Binge-Watchen bin ich mit meiner Flat-Rate bei Stützlynet schon bedient, wozu brauche ich da noch Schweizer Produktionen? Wer zahlt schon für Dreivierteltaktmusik oder solchen Gugus,? Stört doch im Fitness und beim Joggen.

Das Referendum gegen eine kleine Änderung des Filmgesetzes durch das Parlament und die gegenwärtige Debatte dazu zeigt die Fragilität der kulturellen Bestrebungen, schädlichen Effekten der Globalisierung entgegenzutreten. Die Anpassung an internationale Gepflogenheiten wurde lautstark und unsachlich bekämpft, ein Hätscheltier bieder aktivistischer Provinzkämpfer.

«Filmsteuer», «Konsumentenabzocke», «Zwangsinvestition»

Ungeniert wettern die Jungfreisinnigen und ihr Rechtsmilieu im Fahrwasser der No-Billag-Kampagne mit populistischem Vokabular gegen ein Förderkonzept, mit dem unsere Kulturpolitik – wie im europäischen Umfeld und in vielen anderen Ländern – versucht, die knappen Ressourcen des mehrsprachigen Landes für die eigene Kreation, für den Erhalt unseres Könnens und eigener Produktionsstrukturen zu wahren, und deswegen hierzulande gemachte Millionengewinne nicht ins Ausland abfliessen lassen will – im Fall von Netflix, Disney oder Apple zudem in ein Land, das der Weltbewegung zum Schutz der kulturellen Vielfalt militant fernsteht: die USA gehörten unter Bush d. J. zu den zwei einsamen Ländern, die 2005 die Unesco-Vielfaltskonvention bekämpft haben und dieser Übereinkunft auch nicht beigetreten sind.

Die Propagatoren des Referendums wiederholten unverblümt ihr Motiv: den bornierten Eigennutz. Taktisch wurde zwar gern mal der Schweizer Film gelobt und seine Förderung bejaht, um dann umgekehrt gleich fortzufahren: «warum soll Netflix mit meinem Abo Schweizer Filme fördern, wenn nur verschwindend Wenige danach verlangen.» Dass es gar nicht um Förderung geht, sondern um eine Pflicht zum kreativen Engagement und Investitionen mit Rückflüssen in die Schweiz, wird von diesen Jungstreitern damit taschenspielerisch cachiert.

Missverstandener Konsumentenschutz

Dass das «Konsumentenforum» sich solcher Demagogie anschliesst, ist betrüblich, erstaunt aber nur einen, der nicht seit langem mitverfolgt hat, wie diese Branche zu einem guten Teil von Skandalisierung leben muss und daher lautstark oft nur leichtverständliche Themen und Ärgernisse beklagt, wesentliche Aspekte dagegen – Qualitäten, Nachhaltigkeit – hintanstellt. Ihre immer wieder aufflammende Polemik gegen das Urheberrecht ist dafür ein Muster: es liegt ja gerade nicht im wohlverstandenen Interesse der Hörerin, des Hörers, wenn Musik geklaut wird und die Künstlerinnen oder Interpreten leer ausgehen, ja womöglich bald durch Künstliche-Intelligenz-Bestien substituiert werden. So ist auch der Datenschutz ein vernachlässigtes bis ganz verdrängtes Thema dieser Organisationen, obwohl dieses Kampffeld ein verstecktes Fundament der neuen Ökonomie darstellt, das alle im höchsten Masse in Mitleidenschaft zieht.

Polis und Solidarität

Immaterielle Leistungen waren immer schon schwer zu vermitteln. Das Geld, der Kurschein in Kurorten, die Spendermarke im Spendenheft, die Karte für den Kinoeintritt, sind überall dabei, sich vom greifbaren Symbol – nicht zuletzt auch potentiellen Sammelobjekt (in meiner Sammlung von Konzert- und Kinokarten aus den 1960er Jahren) – zum für uns Lebewesen gestaltlosen QR-Code zu immaterialisieren.

Ortstaxe: der Kurgast finanziert das Platzkonzert oder das Aussichtsbänkli, auch etwa den Schreiner, der dieses in Stand hält, in seinem ureigensten Interesse: von Abzocke kann keine Rede sein. (Bild: Wikipedia)

Es wird für das Funktionieren demokratischer Gesellschaften zunehmend wichtiger, den Menschen den realen sozialen und ökonomischen Charakter der mit den elektronischen Bereitstellungsformen abstrakter werdenden Produkte und Leistungen zu vermitteln. Damit sie auf politische Vorschläge nicht nur noch nach Pawlovschen Gesetzen eigennützig reagieren.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Mathias Knauer ist Musikwissenschaftler, Filmemacher und Publizist. Er ist seit Jahren in der Kulturpolitik engagiert. Er war Mitbegründer der Filmcooperative und des Filmkollektivs Zürich. Als Mitglied des Verbands Filmregie und Drehbuch Schweiz war er an der Ausarbeitung des «Pacte de l’audiovisuel» und anderer filmpolitischer Instrumente beteiligt. Er ist Vizepräsident von Suisseculture und Mitbegründer der Schweizer Koalition für die kulturelle Vielfalt, in deren Vorständen er u. a. das Dossier Medienpolitik betreut.

Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe von Autorinnen und Autoren. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Die Gruppe ist dabei, sich neu zu konstituieren. Zurzeit schreiben regelmässig Silvia Henke, Mathias Knauer, Michel Mettler und Felix Schneider.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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4 Meinungen

  • am 10.05.2022 um 08:22 Uhr
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    Ein sehr diskussionswürdiges Thema wo es schwer ist, sich auf eine Seite zu schlagen. Einerseits gäbe es wahrscheinlich keinen professionellen schweizer oder österreichischen Film (auch hier wird gefördert) ohne Förderungen, andererseits ist es eine Zwangsabgabe für die Konsumenten, denn Netflix u.a. zahlen die Abgabe ja nicht aus eigener Tasche, sondern schöpfen sie beim Abonnenten ab.

  • am 10.05.2022 um 12:33 Uhr
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    Warum diese Suada? Warum nicht einfach ein paar überzeugende Argumente liefern? Dieser Kommentar hantiert mit unsachlichster Polemik («reaktionäres Begriffsgesindel») und billigsten Klischees (alle jungen Leute, die im Tram einen Stöpsel im Ohr haben, lassen sich von idiotischer Informationsware zudröhnen – warum ist sich da Knauer so sicher, vielleicht hören sie ja gerade den Podcast des letzten «Echos»?). Jedenfalls bestätigen sie meinen Eindruck (ja, auch das mag ein Vorurteil sein), dass Kulturschaffende immer dann unflätig polemisieren, wenn eigene Interessen tangiert sind. Damit kein falscher Eindruck entsteht: Ich habe der Revision des Filmgesetzes zugestimmt – weil mich die Sachargumente der Befürworter mehr überzeigt haben als die der Gegenseite. Ich muss nach der Lektüre dieses Kommentars aber auch einräumen: Wäre die inhaltliche Qualität des Schweizerischen Filmschaffens auf dem selben Niveau wie die argumentative Qualität dieses Kommentars, müsste man die Vorlage ablehnen.

  • am 10.05.2022 um 18:07 Uhr
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    Warum muss eigentlich alles und jedes gefördert werden wenn sich damit kein, oder nur zuwenig Geld mit verdienen lässt?
    Alles was irgendwie produziert wird und nicht bezahlt wird weil es entweder nicht gebraucht wird oder keine Nachfrage hat, geht im richtigen Leben wirtschaftlich konkurs.
    Eigentlich, un-eigentlich wird gefördert, subventioniert. Warum eigentlich und vor allem, wer soll das noch bezahlen können?
    Ich bin Meister im falten von Papierflugzeugen, eine Kunst die es schon seit anbeginn des Traumes vom Fliegen besteht, ein Weltkulturerbe.
    Wo kann ich Fördermittel beantragen, bitte?

    Ist die Welt und das Leben nicht schon teuer genug, muss das jetzt auch noch sein?

  • am 11.05.2022 um 19:43 Uhr
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    Gemäss den Abstimmungsunterlagen geht es mit der zusätzlichen Abgabe um gleichlange Spiese. Alle sollen Abgaben abführen. Diese Argumentation übersieht, dass man gleichlange Spiese auch mit einer Abschaffung der Filmförderung herstellen kann.

    Wenn ein Schweizer Film mit 10000 (nota bene bei einer Bevölkerung von rund 9.5 Mio.) Kinoeintritten als erfolgreich gilt,ist dies bezeichnend und selbstredend für die Qualität und den Erfolg der Filmförderung. Sie gehört deshalb abgeschafft.

    Wenn der Staat Kultur fördern soll und muss, würde ich vorschlagen, dass alle Einwohner einen Kulturförderungsgutschein erhalten. Damit können sie mit den Füssen und nach ihrem Gusto, die Kultur und Kulturformen unterstützen, die sie für unterstützungswürdig halten, anstatt von einer inzestuösen, selbsternannten Kulturlobby bevormundet zu werden. Der Begriff «Kultur» wäre dabei grosszügig zu auszulegen.

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