Kommentar

kontertext: Diskursiver Frontenkrieg

Silvia Henke ©

Silvia Henke /  Der neu gewählte Direktor der Kunsthalle Basel, Mohamed Almusibli, gerät schon vor Amtsantritt zwischen die Fronten. Aber welche?

Es war sehr wohltuend, wie sachlich der neue Kurator der Kunsthalle Basel in der bz Basel vom 13. November vorgestellt wurde. In ihrem Porträt von Mohamed Almusibli unterliess die Zeitung jeden Hinweis auf Herkunft, Hautfarbe oder «Migrationshintergrund» des neu gekürten Kunsthallendirektors. Betont wurde vielmehr sein Profil als Künstler-Kurator, seine Erfahrung mit Kunstprojekten im internationalen Kontext, seine Mitwirkung im Social Club der ART Basel und dann vor allem seine Leidenschaft, sein Ehrgeiz und seine Neugier. Die Nähe zu einer jungen Kunstszene ergibt sich von selbst: Er ist jung, mit 35 Jahren jünger als alle Direktor:innen zuvor.

Kleine Stolpersteine wurden nur angedeutet: sein Name liesse sich nicht ganz einfach aussprechen. Und Deutsch würde er noch lernen. Insofern war das ein beinahe perfektes Porträt, das sich bemühte, keine Rassismen zu bedienen.  Diese angenehme Neutralität wurde aber bald gestört.

Die falschen Aufrufe unterzeichnet

Joël Thüring, Basler Grossrat der SVP und Kolumnist der Basler Zeitung, hat seine Mission des Polemikers in Sachen Kultur und Bildung im «linken» Basel wieder einmal erfüllt und empört sich darüber, dass der designierte Direktor zwei offene Briefe unterzeichnet hat, die beide im Oktober von Kunstkreisen lanciert wurden. Die Briefe gelten international als problematisch, weil sie einseitig Israel für den Krieg im Gazastreifen verantwortlich machen. Der zweite Aufruf auf der Website des Artforums wurde deshalb auch ergänzt mit einer Verurteilung der Gräueltaten der Hamas.

Die Basler Zeitung nahm die Causa sofort auf und wertete die beiden Briefe als Marksteine für den diskursiven Frontenverlauf um den Nahostkonflikt und als Indikator dafür, wer auf der falschen Seite stehe. Entsprechend unzimperlich richtete sie einen Tag später ihr «Schlaglicht» auf Mohamed Almusibli: Sie benennt als Erstes seine Herkunft: Ein Genfer sei er, aber mit «Wurzeln» im Jemen. Dazu publiziert sie einen Fragebogen für den zuständigen Kunstverein, der insinuiert, man habe bei der Wahl nicht genau genug hingeschaut in Bezug auf die politische Gesinnung des neuen Direktors.

Mit ihrem Fragebogen unterstellt die Basler Zeitung, dass Almusibli wohl nicht bereit oder nicht fähig sein werde, Werke jüdischer oder israelischer Künstler:innen auszustellen, was per se unverschämt ist. Und er stellt mit seinen Fragen die Befürchtung in den Raum, dass jüdische Stiftungen der Kunsthalle die Förderung entziehen könnten. Insofern ist der Fragebogen zynisch und symptomatisch für einen diskursiven Frontenkrieg, der so tut, als gäbe es eine richtige Seite (auf der sie, die Zeitung, natürlich steht).

Verräterischer Habitus

Verräterisch ist deshalb nicht nur die letzte Frage: Ob Mohamed Almusibli denn Deutsch könne? Verräterisch und reisserisch ist der ganze Habitus, der in die Polemik von Thüring einstimmt. So fordert Thüring in einem Tweet und einer Interpellation, die Wahl Almusiblis zu widerrufen oder der Kunsthalle die öffentlichen Gelder zu entziehen. Das alles ist aber zunächst nicht erstaunlich – die rechte Politik ist immer im Wahlkampf und versucht ihre Fahnen in den richtigen Wind zu hängen.

Leider wurde die Frontenbildung auch von Regierungsrat Beat Jans fortgesetzt, der den «Fehler» des Kunstvereins, die politische Gesinnung des neuen Direktors nicht zu überprüfen, für bedauerlich hält: Man erwarte Klärungen und Stellungnahmen. Die der Kunstverein zusammen mit Almusibli auch lieferte. Martin Hatebur, Präsident des Kunstvereins, räumte ein, «dass die aufgeladene Stimmung rund um den Krieg im Nahen Osten mehr Sensibilität verlangt hätte». Und Almusibli anerkennt, dass er Anschuldigungen provoziert habe, «die dezidiert nicht seiner Auffassung entsprechen.» Allein diese Formulierung zeigt, wie kompliziert die Verhältnisse sind. Anschuldigungen sind nämlich einfacher als Gesinnungskundgebungen. Zuspitzungen und Vereinfachungen kommen schneller und besser an als komplexe Darlegungen. Sie tun arglos und dienen der Frontenbildung. Heisst im Klartext: Die Zeitung äussert Befürchtungen, während die SVP im Grossen Rat bereits eine Überprüfung der Subventionen für die Kunsthalle verlangt.

Besonnenheit statt Empörung

Das Problem, komplexe Sachverhalte angemessen zu kommunizieren, kennen die Empörten, die jetzt von rechts als Wächter gegen Antisemitismus auftreten, nicht. Der Präsident der SVP von Basel-Stadt, Pascal Messerli, ist ebenfalls ein solch Empörter. Er stellt Fragen, die nur eine Antwort kennen: «Ein Israel-Hasser an der Spitze eines vom Kanton finanzierten Kulturbetriebs?», lautet sein Tweet. Wem ist mit solch primitiven Kampfrufen geholfen?  

In einem sehr substantiellen Gespräch mit der ZEIT erklärt die österreichisch-jüdische Schriftstellerin Eva Menasse Anfang November ausführlich, warum sie die aktuelle Kampfsprache und die diskursiven Zuspitzungen zum Nahostkrieg für «obszön» hält. Sie sieht ein grosses Problem darin, dass emotionale und moralisierende Urteile über die politische Analyse siegen. Sie fordert, dass man den neueren, radikalen und brennenden Antisemitismus vom alten, in den Köpfen sedimentierten, unterscheidet, denn beide haben komplett andere Äusserungsformen und Akteure. Sie schlägt vor, Israelkritik weder mit Antisemitismus noch mit Israelhass gleichzusetzen, und ebenso, dass man auf die Verwendung des Begriffs Genozid in Bezug auf die israelischen Streitkräfte verzichtet und den Vergleich mit dem Holocaust grundsätzlich unterlässt.  

So könnte das ABC eines besonnenen Politikers und auch der Medien aussehen: Begriffe differenzieren, Ebenen trennen. Der «hochgejazzte Moralismus» der Presse, die Schauspieler:innen und Künstler:innen öffentlich vorführt, weil sie den falschen Aufruf unterzeichnet haben, wie in Wien geschehen, ist für Eva Menasse eine solche Obszönität. Basel hat nun sein eigenes «obszönes» Kapitel dazu erhalten. Es ist kein Beitrag zum Frieden.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe von Autorinnen und Autoren. Sie greift Beiträge aus Medien auf, widerspricht aus journalistischen oder sprachlichen Gründen und reflektiert Diskurse der Politik und der Kultur. Zurzeit schreiben regelmässig Silvia Henke, Mathias Knauer, Michel Mettler, Felix Schneider und Beat Sterchi.

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Eine Meinung zu

  • am 26.11.2023 um 12:04 Uhr
    Permalink

    Weshalb solle es international umstritten sein, Israel dafür verantwortlich zu machen, dass seine Politik der ethnischen Säuberungen, des Besatzungsterrors und der Apartheid zur Explosion des nahöstlichen «Pulverfasses» geführt hat? Der Überfall von Hamas und Konsorten, der zweifellos ein terroristischer war und Unschuldige traf, ist ohne die 75 Jahre Militärregime über das palästinensische Volk nicht zu erklären.
    Mit den Kampfrufen der SVP in der Basler Monopol-Tageszeitung und der Ermunterung durch den Basler Bundesratskandidaten ist das Ziel bereits erreicht. Herr Almusibli wird aufgrund der Hetzkampagne Gelder verlieren.
    Entscheidend ist, dass vom aktuellen Massenmorden am palästinensischen Volk abgelenkt wird.

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