Kommentar

Der Immo-Porno aus dem Hause NZZ

Jürg Müller-Muralt © zvg

Jürg Müller-Muralt /  Wenn man sich beim Durchblättern eines Immobilien-Magazins wie ein Voyeur fühlt. Eine Glosse.

Ich gestehe es wohl besser gleich zu Beginn: Die folgenden Zeilen sind die Frucht eines abgrundtiefen Neides. Er bemächtigt sich meiner immer dann, wenn ich die gediegene Zeitschrift Residence durchblättere, das «Magazin für Wohnen und Immobilien». Sie liegt vier Mal pro Jahr der NZZ am Sonntag bei. Ich komme mir dabei immer vor wie ein Voyeur, der sich an diesem Immo-Porno aufgeilt. Wäre eben schon geil, dieses «Altstadtjuwel an der Zuger Seepromenade»; eine Rarität sei es und erst noch an «renommierter Lage». «Das weitläufige Apartment bietet viel Raumpotenzial. Drei Etagen mit 6-7 Schlafzimmern schaffen ein eindrückliches Raumerlebnis mit viel Flair.»

«Kaufpreis auf Anfrage»

Aber eben: Geschätzte 99 Prozent der Bevölkerung können sich dieses Juwel nicht leisten. Man vernimmt zwar nicht, was dieses «weitläufige Apartment» kostet. Aber der diskrete Hinweis «Kaufpreis auf Anfrage» deutet wohl nicht auf einen Dumpingpreis hin, denn bei Liegenschaften bis etwa fünf Millionen Franken steht das Preisschild jeweils noch. Die 6-7 Schlafzimmer mit allem Drum und Dran sind wohl etwas teurer.

Potenzieller Finanzaristokrat

Auch wenn keine der angebotenen Villen in meinen Budgetrahmen passt, fühle ich mich trotzdem ein wenig geschmeichelt. Immerhin gehöre ich als Leser der NZZ am Sonntag offenbar zum Zielpublikum der Marketingstrategen. Man zählt mich also zur potenziellen Finanzaristokratie. Gleichzeitig frage ich mich, ob ich da wirklich dazugehören möchte. Ob ich wirklich zu jener Sorte Leute gehören möchte, die sich von einer «grossen Atrium-Villa mit Seesicht» mit einer «Tiefgarage mit 8 Garagenplätzen» angesprochen fühlen. Oder die zu ihrem Glück ein Haus in einem «exklusiven Villenquartier mit privatem Boots- und Badesteg» in Pfäffikon (SZ) nötig haben. Wie heisst es so schön über einem weiteren, leckeren Luxusresidenz-Angebot? «Wer gross denkt, ist dem Glück sehr nahe …».

Werbung mit Pauschalbesteuerung

Wer eine Luxusresidenz sein Eigen nennen möchte, muss sich immer auch mit der Frage befassen, ob er oder sie wirklich in der Umgebung von Flüchtlingen – von Steuerflüchtlingen – leben möchte. Denn einige Angebote locken offen mit Steuervorteilen. Zum Beispiel das «exzeptionelle Traumhaus», das «hoch über einer steuergünstigen Gemeinde zwischen Zug und Zürich schwebt». Oder das «herrschaftliche Anwesen in naturnaher Lage mit Privacy» im Umfang von 6000 Quadratmetern im bernischen Niederbipp. Dort findet man ein «Höchstmass an Privatsphäre und Ruhe», aber obendrauf eben auch noch das: «Mit dem Angebot der Pauschalbesteuerung ist der Kanton Bern besonders attraktiv für ausländische Zuzüger.» Aber eben, etwas Kleingeld sollte er schon in der Tasche haben, der «ausländische Zuzüger». Denn auch hier gilt: «Kaufpreis auf Anfrage».

Finanzaristokratie trifft auf Feudalaristokratie

Wenn der Kaufpreis ohnehin keine grosse Rolle spielt, dann scheint es für einen Teil des Finanzadels durchaus erstrebenswert zu sein, mit dem alten europäischen Hochadel in Sachen Unterkunft gemeinsame Sache zu machen. Verlockende Angebote in dieser Kategorie sind hier ohne Zweifel die Schlossresidenzen mit den Bezeichnungen «Kaiserin», «König» und «Erzherzog» in Zizers im schönen Bündner Rheintal. Das Inserat weist ausdrücklich auf die «berühmteste Bewohnerin» hin: Zita Maria delle Grazie Habsburg-Lothringen, geb. von Bourbon-Parma, letzte Kaiserin (Kaisersgattin) von Österreich und Apostolische Königin (Königsgattin) von Ungarn, die 1919 den Kopf vor der heraufziehenden Republik ducken und Österreich verlassen musste. Moderne Finanzaristokratie und alte Feudalaristokratie reichen sich die Hand.

Da kann ich nun endgültig nicht mehr mithalten. Ich habe mir dann noch kurz, passend zu meinem wenig adligen Namen, das historische Anwesen «Die Müllerei» bei Würenlos angeschaut; immerhin altes Handwerk statt alter Adel. Aber auch dort wird nicht mehr gearbeitet, sondern luxusgewohnt. Und eben: «Kaufpreis auf Anfrage». Ich lege den Immo-Porno unbefriedigt beiseite.


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Keine
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3 Meinungen

  • am 29.09.2021 um 13:51 Uhr
    Permalink

    Eigentlich sollte man doch mit der NZZ Erbarmen haben und Nachsicht walten lassen. Hoffentlich versteht es die NZZ für unverschämte Angebote auch unverschämte Inseratenpreise zu verlangen. Es ist eben so auf dieser Welt, Neid und Eifersucht sind seit Jahrhunderten treue Weggenossen!
    Danke Herr Jürg Müller für diese Glosse.

  • am 29.09.2021 um 16:27 Uhr
    Permalink

    Ein köstlicher Schrieb !
    «Immo-Porno aus dem Hause NZZ» – Treffender lässt sich das Opus (das .pdf ist stolze 626 MB schwer !) nicht beschreiben !
    Und die blumige Sprache, welche in «NZZ Residence» zelebriert wird !
    «Altstadtjuwel an der Zuger Seepromenade», «Exzeptionelles Traumhaus im Stil der grossen Baumeister Le Corbusier und Mies van der Rohe, hoch über einer steuergünstigen Gemeinde zwischen Zug und Zürich schwebend», «Im Zürcher Unterland, ganz in der Nähe vom smaragdgrün schimmernden Rhein und sonnigen Weinbergen, liegt das Schlösschen, ein hervorragend erhaltenes Schmuckstück aus der Belle Époque», «TurmfalkeSuites in Andermatt – Ein Mix aus edler Innenausstattung und atemberaubendem Komfort. Das Gefühl, angekommen und zu Hause zu sein, wird durch ein Innenschwimmbad, Spa, Fitnessstudio sowie durch einen Indoor-Golf-Simulator ergänzt», «Herrschaftliches Anwesen in naturnaher Lage mit Privacy», …
    Immobilienfritzen-Poesie vom Feinsten ! Ein Lesevergnügen der besonderen Art !

  • am 30.09.2021 um 02:17 Uhr
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    Lieber Jürg Müller-von Muralt, (auch als Glosse gemeint), ich trage einen Namen, der adelig tönt. Ist er aber nicht. Bei mehreren Besuchen und Recherchen auf der Wartburg bei Eisenach (Göthe, Luther, Sängerkrieg usw.) und in Interviews mit Historikern, wurde mir erklärt, auf welch kuriose Weise der Name «von Wartburg» entstanden sei. Der dort lebende Adel sei verlumpt und in alle Himmelsrichtungen geflohen, wurde mir erzählt. Zurückgeblieben seien die Bediensteten. Sie blieben, bis alle Vorräte aufgebraucht waren, auch die im Weinkeller! Danach stiegen sie hinunter nach Eisenach, um nach Arbeit zu suchen. Zu jener Zeit wurden die Bediensteten nur mit dem Vornamen angesprochen. Viele von ihnen hatten oder kannten keinen eigenen Familiennamen. Deshalb wurde aus dem Beruf oder der Herkunft ein Nachnahme kreiert. So wurde aus dem «Hans» der Hans von (der) Wartburg und aus der «Martha» die Martha von (der) Wartburg. Im Laufe der Zeit wurde dann das «der» weggelassen und der adelig klingende Name war geboren. Zu Ihrem Zitat: «Wer gross denkt, ist dem Glück sehr nahe …». oder anders interpretiert: «Wer auf grossem Fuss lebt, ist dem Glück sehr nahe.» Das reale Leben zeigt das Gegenteil. Die Suizidrate ist unter Reichen und Schönen, und auch deren Kindern um ein Vielfaches höher als in der Mittelschicht oder den Armen. Wenn sich Spitzenverdiener und Promis in ihren Villen erschiessen, erhängen oder im Swimming-Pool ertränken, sei die Frage erlaubt, ob Geld wirklich glücklich macht?

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