Schweiz verurteilt – Youssef Nada rechtswidrig sanktioniert

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt im Jahr 2012 die Schweiz, weil sie Youssef Nada rechtswidrig auf eine Sanktionsliste von Terror-Unterstützern gesetzt hatte. Zehn Jahre lang musste Nada für seine Unschuld kämpfen. © RTS

Wie Geheimdienste mit Gerüchten Business und Leben zerstören

David D. Kirkpatrick /  Private ehemalige Geheimdienstler waren die Ausführenden. Der Schweizer Journalist Kurt Pelda liess sich bezahlen.

Infosperber publiziert exklusiv im deutschsprachigen Raum eine Recherche von David D. Kirkpatrick, welche «The New Yorker» im April 2023 unter dem Titel «The Dirty Secrets of a Smear Campaign» veröffentlichte.

Die Geldgeber und Drahtzieher stammen aus arabischen Ölstaaten. Tatorte gibt es auch in der Schweiz, etwa in Genf und im Tessin. Auch der auf Islamisten und Terroristen spezialisierte Schweizer Journalist Kurt Pelda nutzte eine Genfer Geheimdienstfirma als Quelle, liess sich von ihr – nach seinen Angaben ohne sein Wissen – instrumentalisieren, aber auch bezahlen. Er arbeitete damals für Tamedia, wechselte dann zur Weltwoche und 2022 zu CH-Media.

Im Sommer 2017 erhält der damals 34-jährige Amerikaner Hazim Nada, der im italienischen Como an der Schweizer Grenze lebt, eine automatische Textnachricht von seinem Mobilfunkanbieter: «Wie fanden Sie unseren Kundenservice?» Da er den Kundenservice gar nicht beanspruchte, ruft er verblüfft einen Freund bei dem Mobilfunkanbieter an. Es musste jemand eine Kopie seiner Anrufliste erhalten haben. 

Einige Wochen später macht ihn sein Kundenbetreuer bei der Credit Suisse darauf aufmerksam, dass ein Betrüger, der sich als Hazim Nada ausgab, jedoch ganz und gar nicht wie er klang, angerufen und nach seinen Bankdaten gefragt hat. Nada wird skeptisch: «Ich hatte das Gefühl, dass jemand versucht, mich zu betrügen.»

Hazim Nada ist der Gründer eines neun Jahre alten Rohstoffhandelsunternehmens, der Lord Energy. Das «Lord» steht für Liquid or Dry, denn das Unternehmen verschifft sowohl Rohöl als auch Trockengüter wie Zement und Mais. Nada hat sich eine lukrative Nische geschaffen, indem er unkonventionelle Routen bedient: Von Libyen nach Korea, von Gabun nach Italien beispielsweise. Im Sommer 2017 besitzt Lord Energy mit Sitz in Lugano ein Satellitenbüro in Singapur und ein weiteres in Houston. Der Jahresumsatz beträgt fast zwei Milliarden Dollar.

George Clooney als Nachbar 

Nadas Eltern waren aus Ägypten und Syrien eingewandert. Ihr Sohn ist heute ein gutaussehender Mann, gross und schlank, mit lockigem dunklem Haar. Seine Frau stammt aus Saudi-Arabien. Er hat sie während eines Urlaubs mit ihrer Familie in der Schweiz kennengelernt. Sie haben eine Tochter und renovieren gerade ein historisches Herrenhaus im Jugendstil, das auf einem bewaldeten Hügel über dem Comer See liegt. 

Die weitläufige Aussicht und der Swimmingpool des Anwesens sind so spektakulär, dass George Clooney – ihr Nachbar – zusammen mit Jack Black dort einen Nespresso-Werbespot dreht samt verschiedensten glamourösen Frauen. 

Als Hobby hat Nada eine Pilotenlizenz erworben und mit dem Fallschirmspringen begonnen. Im März dieses Jahres eröffnet er ausserhalb von Mailand ein zweites Handelsgeschäft: einen vertikalen Windkanal, der vom italienischen Militär und der US-Luftwaffe zur Ausbildung von Fallschirmjägern genutzt wird.

Nada ist fest im Westen verwurzelt. Geboren in Silver Spring, Maryland, ist er von Politik gelangweilt, hält nichts von Religion, ist stolz auf seine amerikanische Identität und ein grosser Fan des Hip-Hops der 1990er Jahre. Seine Leidenschaft jedoch ist die theoretische Physik. 

Nach seinem Abschluss an der Rutgers University in New Jersey erwirbt er einen Master in Physik an der Cambridge University und einen Doktortitel in angewandter Mathematik am Imperial College in London. 

Den Ölhandel beginnt Nada als Nebenjob, gewissermassen aus der Not heraus: Das Geschäftsimperium seines Vaters, dem Gründer einer Bank, bricht zusammen, während er an der Rutgers University studiert. Er handelt mit Rohstoffen, um sein Studium zu finanzieren. Das aber überaus erfolgreich: Das Öl hat Nada reicher gemacht, als es die Physik je hätte tun können. 

Doch die Forschung fehlt ihm und er träumt davon, in das Geschäft mit Elektrofahrzeugen einzusteigen – auch aus dem schlechten Gewissen heraus, dass er mit Lord Energy so viel zur Erderwärmung beiträgt.


Fake-Anrufe und ein angeblich blockiertes Handelsschiff

Im Herbst 2017 gibt es einen weiteren betrügerischen Anruf. Ein Mann, der sich als Vertreter der Citibank ausgibt, meldet sich bei Lord Energy und fordert Bankdaten, weil er angeblich eine Zahlung abwickeln will. Im Dezember erscheint das Unternehmen dann unerwartet in einem Artikel auf dem halbseriösen Online-Portal Africa Intelligence. Es geht um eine angebliche Verzögerung bei der Abfahrt eines Tankers aus Algerien. 

Nada hatte den Tanker für kleinere Reparaturen vor Anker liegen lassen. Africa Intelligence behauptet jetzt, die algerischen Behörden hätten die Ausfahrt blockiert. Im Artikel wird unterstellt, die Verzögerung hinge mit dem Zusammenbruch der Bank seines Vaters Youssef nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 zusammen. 

Personen der Hetzkampagne gegen Nada Hazim

Hazim Nada = Ein 34-jähriger Amerikaner, der im italienischen Como an der Schweizer Grenze lebt. Nada ist Gründer und Inhaber des Rohstoffunternehmens Lord Energy, das er durch die Hetzkampagne verliert.
Youssef Nada = Vater von Hazim Nada. Er verliert durch die Hetzkampagne ebenfalls seine Existenzgrundlage.
Mario Brero = Besitzer der Schweizer privaten Geheimdienstfirma Alp Services


Wenn Lügen Wirklicht werden…

Ein nächstes Lügenmärchen. Denn sein Vater Youssef Nada, welcher als Teenager der noch jungen Muslimbruderschaft beitrat, und andere Führer der Muslimbruderschaft hatten die Anwendung von Gewalt stets verurteilt – die Kämpfer von Al-Qaida bezichtigten sie daher sogar als zu zaghaft. Dabei unterstützt die Bruderschaft rhetorisch die palästinensische Gruppe Hamas im Kampf gegen Israel als legitimen Widerstand. Diese Aussage führt der ägyptische Machthaber Hosni Mubarak als Beweis dafür an, dass die Bruderschaft selbst eine terroristische Gruppe sei. Youssef Nada, so die ägyptische Regierung, sei im Grunde Osama bin Laden im Anzug eines Bankiers. 

Nach dem 11. September 2001 übernimmt auch die US-Regierung diese Sichtweise auf Hazims Vater Youssef Nada. Präsident George W. Bush beschuldigt ihn öffentlich, Al-Qaida dabei zu helfen, «Geld in der Welt zu verschieben». Die Schweiz und die Europäische Union verhängen Sanktionen. Die Polizei durchsucht sein Haus. Finanzinstitute frieren sein Vermögen ein. Youssef Nada geht pleite.

…dann stirbt die Wahrheit

Mehr als ein Jahrzehnt lang kämpft Vater Youssef darum, seinen Namen reinzuwaschen. Er gewinnt eine Verleumdungsklage gegen den Journalisten einer italienischen Zeitung, der ihn beschuldigt, die Hamas finanziell zu unterstützen. Der ehemalige Schweizer Ständerat und Staatsanwalt Dick Marty führt eine Untersuchung der Sanktionen gegen Youssef durch und kommt 2007 zu dem Schluss, dass die schwarze Liste mit den Boykottierten «völlig willkürlich» und «kafkaesk» sei. 

Erst fünf Jahre später entscheidet der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass die Schweiz Youssef Nada zu Unrecht auf die Sanktionsliste der UNO gesetzt hatte. Die Schweiz muss ihn mit 30’000 Franken entschädigen. Drei Jahre später, am 26. Februar 2015, streicht ihn das US-Finanzministerium von seiner Liste der «Global Terrorists» und teilt ihm in einem knappen Schreiben mit, dass die «Umstände, die zu Ihrer Einstufung geführt haben, nicht mehr zutreffen».

Die grundlose Verdächtigung seines Vaters hat aber auch schwerwiegende Folgen für seinen Sohn Hazim. Als dieser im Jahr 2008 Lord Energy gründet, muss er jedem Banker beweisen, dass sein Unternehmen keine Verbindung zu seinem Vater hat. 

Africa Intelligence stellte Lord Energy damals als einen Neuanfang des Familienunternehmens dar. Während des «juristischen Marathons» wegen der Terrorismusvorwürfe setze «die Familie Nada ihre kommerziellen Aktivitäten fort» – einschliesslich des Handels mit algerischem Öl.



Organisierter Rufmord…

Hazim nimmt zunächst  an, dass einer seiner Konkurrenten den Artikel dem Online-Portal untergeschoben hat. Doch schon bald tauchen weitere wilde Behauptungen auf – zu viele, als dass man sie als Branchengeplapper abtun könnte. 

Einige Beispiele: Am 5. Januar 2018 veröffentlicht Sylvain Besson – ein Journalist, der ein Buch schrieb, in dem er Youssef Nada mit einer angeblichen islamistischen Verschwörung in Verbindung bringt – in der Genfer Zeitung Le Temps einen Artikel. In diesem behauptet Besson, Lord Energy sei eine Tarnung für eine Zelle der Muslimbruderschaft: «Die Kinder der historischen Führer der Organisation haben sich in der Öl- und Gasbranche verdingt.» 

Ein anderer Beitrag auf Africa Intelligence behauptet, dass Mitarbeiter von Lord Energy «im politisch-religiösen Bereich aktiv» sind. Schlagzeilen tauchen auf Online-Plattformen, wie etwa dem US-amerikanischen Medium:«Lord Energy: The Mysterious Company Linking Al-Qaeda and the Muslim Brotherhood» oder «Compliance: Lord Energy, ein Handelsunternehmen der Muslimbruderschaft, steht in Verbindung mit der Crédit Suisse». Schliesslich: Ein Wikipedia-Eintrag zu Lord Energy enthält plötzlich Beschreibungen von Verbindungen dieser Firma zum Terrorismus.

In Sommer 2018, sechs Monate nach dem ersten Beitrag von Africa Intelligence, listet World-Check – eine Datenbank, auf die sich Banken bei der Überprüfung von Kunden verlassen –, sowohl Hazim als auch Lord Energy unter der Risikokategorie «Terrorismus» auf. Daraufhin brechen fünf Finanzinstitute die Verhandlungen mit Hazim Nada ab. Die UBS kündigt sogar sein persönliches Girokonto.

Neun Tage später löscht World-Check zwar den Eintrag mit den lapidaren Worten: «Es ist ein Fehler passiert.» Doch der Schaden war bereits angerichtet. Im Dezember 2018 stellen seine langjährigen Berater bei der Credit Suisse ihre Geschäfte mit Hazim Nadas Firma ein.

Der ehemalige Tessiner  Staatsanwalt Dick Marty begleitet Nada in das Büro seines UBS-Regionalmanagers, um die Angelegenheit zu klären. Der Manager, dessen Schreibtisch mit Ausdrucken der konspirativen Artikel und Web-Posts übersät ist, erklärt ihnen, dass der blosse Anschein einer Verbindung zum Terrorismus für die Bank zu viel sei, unabhängig von der Wahrheit. 

…und sein Leben ist ruiniert

Eine Kampagne mit unbewiesenen Behauptungen hatte zunächst Nadas Vater ruiniert, dachte Marty, und jetzt passiert Hazim das Gleiche. Obwohl Marty weiss, warum der ägyptische Staatspräsident Mubarak Youssef Nada verabscheut, kann er nicht verstehen, warum er seinen Sohn Hazim ins Visier nimmt. «Er ist nicht der fanatische Typ», sagt Marty.

Hazim bekommt Panikattacken bishin zur Einlieferung ins Spital. Monatelang ist er ausser Gefecht gesetzt: «Ich hatte Gläubiger, die mir aus der ganzen Welt hinterherliefen – aus den USA, Südkorea, Gabun, was auch immer», erzählt er: «Es war furchtbar.» Im April 2023 stellt Lord Energy den Betrieb dann endgültig ein.

Hazim Nada beschwert sich in der Folge bei der Schweizer Polizei, dass jemand eine Kampagne zur Diffamierung seiner Person inszeniere. Nach einer flüchtigen Untersuchung trifft sich ein Beamter mit ihm, um ihm zu erklären, warum die Abteilung die Angelegenheit abgeschlossen hat. 

Als der Beamte den Raum für einige Minuten verlässt, findet sich Nada allein mit den Unterlagen. Verzweifelt sucht er darin nach Antworten. Der Beamte schreibt dort in seinen Notizen, dass er, Hazim, paranoid sei, erzählt Nada.

Die örtliche Polizei und der Staatsanwalt lehnen eine Stellungnahme ab. 

Die Polizei hatte auch Kopien von Anträgen auf Unterlagen über Lord Energy und eine örtliche Moschee erhalten – beide stammten von einer in Genf ansässigen privaten Geheimdienstfirma mit Namen Alp Services.

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Übersetzung und Bearbeitung von Georg Rettenbacher


FORTSETZUNG

Lesen Sie morgen oder übermorgen im zweiten Teil über die Machenschaften der privaten Schweizer Geheimdienstfirma Alp Services. Und wie diese auch den Schweizer Journalisten Kurt Pelda einspannte.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Eine Meinung zu

  • am 12.07.2023 um 11:21 Uhr
    Permalink

    Weltweit eine bekannt Methode unliebsame Personen los zu werden, muss ja nicht immer gleich ein aufsehen verursachender Mord sein.
    Und mit der Einführung der bargeldlosen, elektronischen Zahlung funktioniert das denn sogar bei jedermann….

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