Fussballplatz

Ein niederländischer Rasenspezialist sagt seine Lieferung für die WM in Katar ab. Die Todesfallzahlen auf den WM-Baustellen haben ihn schockiert. © pixabay

Fussballweltmeisterschaft in Katar: Was darf König Fussball?

Tobias Tscherrig /  Ein Rasenproduzent boykottiert die Fussball-WM 2022 in Katar. Ein wichtiges Zeichen für Fussball-Funktionäre und Spieler.

Die Kritik an der Fussball-Weltmeisterschaft in Katar und am Weltfussballverband FIFA wächst weiter. Nicht nur Fans sehen die WM in Katar zunehmend kritisch, auch ein privater Zulieferer will damit nichts zu tun haben. Der niederländische Rasenproduzent «Hendriks Gras» will die WM-Stadien in Katar nun doch nicht mit Rasen ausstatten. Das Unternehmen, das auch die Rasenunterlagen für die WM 2006 in Deutschland und für die letzten drei Europameisterschaften geliefert hatte, hat sich aufgrund der Menschenrechtssituation im Golfstaat dazu entschlossen, den Rasen weder zu liefern noch zu verlegen. «Wir haben gesehen, was da vor sich geht. Wir wussten, dass bei den Arbeiten Menschen ums Leben gekommen sind, aber die Zahl von sechseinhalbtausend hat uns enorm erschreckt», schreibt das Familienunternehmen in einer Stellungnahme.

Ein Schritt, der neben Mut auch die Bereitschaft forderte, finanzielle Einbussen in Kauf zu nehmen. Damit macht «Hendriks Gras», was FIFA, Funktionäre, nationale Fussballverbände, Klubs und Spieler bisher nur in Ausnahmefällen geschafft haben: Klare Statements und entsprechendes Verhalten gegen die Missstände in Katar – auch wenn der eigene Geldbeutel betroffen ist.

Das ist ein wichtiges Zeichen: Die weltweite Pandemie hat einmal mehr gezeigt, was König Fussball alles unternimmt, damit der Betrieb von Ligen und Turnieren aufrecht erhalten werden kann – und welche Privilegien er dabei geniesst. Katar und einige andere Weltmeisterschaften aus der Vergangenheit zeigen, wie borniert die FIFA an ihrer Gelddruckmaschine «WM» festhält – auch wenn es zahlreiche Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen und Korruption gibt. Statt klarer Ansagen und Konsequenzen liefert die FIFA jeweils wohlklingende Statements.

6’500 Gastarbeiter sterben für «rauschendes Fussballfest»

Der «Guardian» zog Ende Februar eine traurige Bilanz zu den Todesopfern unter den Arbeitsmigranten, die unter widrigen Bedingungen die Fussballstadien in Katar bauen müssen. Demnach seien in knapp zehn Jahren mehr als 6’500 Gastarbeiter beim Bau der Fussballtempel und anderer Infrastruktur, die für die Durchführung des Events gebraucht werden, tödlich verunfallt. Die britische Tageszeitung bezieht sich in ihrer Analyse auf Daten von Regierungsquellen fünf asiatischer Länder. Allerdings dürfte die Zahl der tatsächlich Verstorbenen noch höher sein, es fehlen Daten von Ländern wie zum Beispiel Kenia oder den Philippinen. Die Todesfälle der letzten Monate des Jahres 2020 sind ebenfalls nicht mit eingerechnet.

Die Regierung von Katar, die im vergangenen Sommer ein Reformprogramm gestartet hatte, das die Lage der Arbeitsmigranten verbessern sollte – und dabei nur schleppend vorankommt – bezeichnete die Höhe der Todesrate als im erwartbaren Rahmen. Man bedaure jeden einzelnen Todesfall und tue alles, um sie zu verhindern. Das WM-Organisationskomitee in Katar spricht gemäss Medienberichten hingegen «nur» von 34 Gastarbeitern, die in den knapp zehn Jahren beim Stadionbau ums Leben gekommen seien und bezweifelt andere Angaben über Todeszahlen auf WM-Baustellen. Und die FIFA bezeichnete die Anzahl der Unfälle auf den WM-Baustellen in Katar als gering im Vergleich zu anderen Grossbaustellen.

Es gibt viele Gründe für den Boykott

Die Fussball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar stand von Anfang an unter keinem guten Stern. Im Mai 2020 wurde publik, dass drei FIFA-Funktionäre gekauft worden waren, um für Katar als Austragungsort zu stimmen. Gemäss eines Ausschuss-Mitglieds der Sektion Südamerika sollen Stimmen bereits weit im Vorfeld der Katar-Bewerbung gekauft worden sein. «The Sunday Times» filmte zwei Mitglieder des Exekutiv-Komitees mit versteckter Kamera, wie sie ihre Stimmen zum Kauf anboten. Ausserdem schrieb die Zeitung von «mehreren Millionen US-Dollar», die gezahlt worden seien, um die Vergabe an Katar herbeizuführen. Aber auch gegen den Mitbewerber aus Australien wurden Bestechungsvorwürfe erhoben, dieses Mal von der australischen Zeitung «The Sydney Morning Herald». Das ist nur ein Auszug der Korruptions-Vorwürfe, es gibt weitere.

So weit, so wenig überraschend. In der Vergangenheit sah sich die FIFA bei WM-Vergaben immer wieder Korruptionsvorwürfen ausgesetzt. Wirklich geschadet haben diese dem Turnier aber nicht, die Gelddruckmaschine der FIFA – von der neben dem Fussballverband in der Vergangenheit oft Private profitierten – läuft munter weiter. So wird es wohl auch in Katar sein, die meisten Fussball-Funktionäre sprechen sich gegen einen Boykott der WM aus.

Dabei gäbe es weit mehr Gründe, als «nur» die Todesopfer auf den Baustellen und die diversen Korruptionsvorwürfe. Zum Beispiel der Unsinn der Vergabe an ein Land, das keine Fussballtradition vorzuweisen hat und entsprechend auch Unsummen in den Bau der für das Turnier benötigten Infrastruktur investieren muss. Die Hitze im Emirat, die schliesslich die Verlegung in den Winter nötig machte oder der weltweit höchste CO2-Ausstoss pro Kopf der Bevölkerung, was in Zeiten des Klimawandels kein zu vernachlässigendes Argument darstellt. Weiter ist Katar, das sich nach aussen gerne als weltoffen präsentiert, ein autokratisches Regime, das islamistische Umtriebe sponsern soll, Journalisten an Berichterstattungen hindert, Menschenrechte mit Füssen tritt und homosexuelle Handlungen unter Strafe stellt.

FIFA entfernt sich weiter von Fans

Trotz all dieser Kritikpunkte sahen sich bis jetzt die wenigsten Fussballfunktionäre in der Lage, die Menschenrechtsverletzungen in Katar als solche klar zu verurteilen – oder sich gar für einen Boykott des Events starkzumachen. Viele Fussballfans sehen das anders, so etwa das Bündnis «PROFANS», das den DFB in einem Statement zum Boykott der WM in Katar aufrief: «Es gibt nichts, was es rechtfertigen könnte, die Menschenrechtsverletzungen in Katar hinzunehmen, ja, gar durch die Teilnahme am Turnier wissentlich, billigend zu unterstützen. Ein rauschendes Fussballfest auf den Gräbern von Tausenden Arbeitsmigranten – daran teilzuhaben, wäre das Ende von Ethik und Würde.»

Daneben sind auch die gutbezahlten Fussballprofis bisher weitgehend stumm geblieben. Mit Ausnahme von sieben Erstligisten in Norwegen, die den Fussballverband des Landes aufgefordert hatten, angesichts der Menschenrechtsverletzungen die WM in Katar zu boykottieren. Wiederum waren es Fans, die das Thema auf die Agenda gebracht hatten. Vierzehn vereinsübergreifende Fanorganisationen kritisierten, dass Katar mit der Fussball-WM «Sportwashing» betreiben würde. Das reicht den Sport-Funktionären aber nicht: Bei der Jahreshauptversammlung von Norwegens Fussballverband (NFF) stimmten kürzlich nur 61 Vertreter dafür, die Debatte über einen Verzicht auf die Tagesordnung zu setzen, 146 waren dagegen.

Damit ist der Boykott so gut wie vom Tisch, denn nun wird er erst am 20. Juni an einer ausserordentlichen Sitzung besprochen. Die Nationalmannschaft von Norwegen wird aber bereits am 24. März in die WM-Qualifikation starten.

Fussball wird am Ende «vielleicht ein bisschen zu Verbesserungen beigetragen haben»

Die Reaktion des norwegischen Fussballverbandes spricht Bände. Man teile die Kritik an Katar und an der Art, wie die Gastarbeiter dort behandelt würden. Erst der Einsatz des Fussballs habe aber zu Verbesserungen geführt. Dialog sei besser als Boykott, die Weltmeisterschaft könne ein Druckmittel für Veränderungen sein. Im Übrigen stünde Norwegen mit dem Boykott alleine da. Das sei also eine Botschaft, die das Land alleine senden würde. Es sei besser, von innen heraus zu arbeiten, um die eigene Haltung auszudrücken und hoffentlich zu Verbesserungen beitragen zu können.

Daneben werden finanzielle Ausfälle als Argument gegen einen Boykott genannt, der norwegische Fussballverband rechnet mit einem geschätzten Verlust von knapp zehn Millionen Euro. Und nicht zuletzt fürchten sich norwegische Fussballfunktionäre vor allfälligen Massnahmen der FIFA, die das Land von künftigen Veranstaltungen ausschliessen könnte.

FIFA-Präsident Gianni Infantino schlägt in dieselbe Kerbe. Ein Boykott sei nicht der richtige Ansatz, man müsse die Verbesserungen sehen, die bei den Menschenrechtsfragen in Katar erreicht worden seien. «Unsere Position bei der FIFA war immer und wird immer sein: In den Dialog zu treten und sich zu engagieren, ist der einzige und beste Weg, um Veränderungen herbeizuführen.» Dann versprach er eine «fantastische, die beste WM der Geschichte», bei der der Fussball am Ende «vielleicht ein bisschen zu Verbesserungen beigetragen haben könnte.» The show must go on.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.

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2 Meinungen

  • am 22.03.2021 um 18:45 Uhr
    Permalink

    » 6’500 Gastarbeiter sterben für «rauschendes Fussballfest» »
    Mit einem «berauschenden Fussballspiel» können und wollen sich viel Menschen gerne identifizieren.
    Mit «Gastarbeitern», die eine negative Bedeutung bekommen haben, können und mögen sich die wenigsten Nicht-Gastarbeiter identifizieren.
    Mit wem oder was man sich identifiziert geschieht meist unbewusst, unreflektiert oder wird subtil, indirekt von aussen indoktriniert/konditioniert.
    Menschen identifizieren sich nicht nur mit bestimmten anderen Menschen, sondern auch mit Gruppen, mit einer Organisation, einer Institution, einer Religion, einer Weltanschauung, mit Fussball und besonders gerne mit einer NATION. Das führt oft zu einer extrem einseitigen u. übermächtigen Ideologiebildung. [Fussball- od. Olympia- NATIONAL-Mannschaften.]
    Die Instrumentalisierung und Bewirtschaftung von Identitäten u. Ideologien gehört zum Herrschaftswissen, sich der Köpfe zu bemächtigen, in denen dann oft ein inhumanen Geist wohnt..
    Ein freies Abwägen, was einem selber wichtiger wäre, ist dann kaum mehr möglich.
    (aus lat ‹libra› die Waage, entstand liberal, die libri, Bücher in denen etwas erwogen wird u. die Kinder die noch selbst was erwägen können, weil sie noch nicht ‹festgestellt›, beschult sind.)
    Eine Fernseh-Serie über einige so zu Tode gekommene «Menschen» und das Leid ihrer Eltern u. Familien könnte vielleicht doch noch etwas Empathie wecken, für humanere Geisteshaltungen u. gute Verhältnisse für möglichst viele.

  • am 23.03.2021 um 13:38 Uhr
    Permalink

    Wirtschaftlich spielt es keine Rolle ob Europäer oder gar Schweizer Fussballtouristen
    eine FIFA WM besuchen.

    An sämtlichen Internationalen Sport-Grossveranstaltungen der FIFA oder auch des IOK,
    der letzten 10 Jahre war dieses Zielpublikum aus Europa, massiv untervertreten und spielte wirtschaftlich keine Rolle. Wenn es hoch kommt knapp 10%

    Ausser Olympia 2012 in London. Aber der war Lokal.

    Muss man sich schon mal vor Augen halten.
    Wenn Chinesen eine FIFA Fussball WM in Russland besuchen wegen dem «Spiel».
    Obwohl Ihre Mannschaften nicht mitspielten.

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