Kommentar

Beat Jans inszeniert sich

Felix Schneider © zvg

Felix Schneider /  Der neue Justizminister macht Lärm. Der sachliche Kern seiner Ankündigungen ist mager. Von linker Politik keine Spur.

Als erste öffentliche Amtshandlung reist der frischgebackene Justizminister Jans demonstrativ nach Chiasso, wo sich, nicht ohne Zutun der SVP, Wut gegen Flüchtlinge verbreitet. Dort mimt er den Asyl-Hardliner. Die NZZ definiert als Botschaft seiner ersten 50 Tage: «Hier weht jetzt ein anderer Wind».

Die wichtigsten Massnahmen, die Jans angekündigt hat, sind der Medienmitteilung des Bundesrates zu entnehmen:

  • Ein 24-Stunden-Turbo-Asylverfahren, das derzeit im Bundesasylzentrum Zürich erprobt wird, soll in allen Bundesasylzentren mit Verfahrensfunktion durchgeführt werden können, um «Gesuche ohne Aussicht auf Asyl» abzubügeln.
  • Schutzsuchende aus «Herkunftsstaaten mit sehr geringer Aussicht auf Asylanerkennung» sollen zudem ihre Asylgesuche vorab schriftlich begründen müssen.
  • Asylgesuche sollen nur noch unter der Woche eingereicht werden können.

Eine trügerische Hoffnung

Was will Jans mit diesen Massnahmen erreichen? Er sagte: «Die Wirkung dieser 24-Stunden-Verfahren ist in erster Linie präventiv. Das ist unsere Hoffnung, dass weniger Menschen in die Schweiz kommen, sich erhoffen, hier ein paar Monate sein zu können.»

Obwohl Sozialdemokrat, tut also auch Jans so, als kämen viele Menschen in die Schweiz, um «hier ein paar Monate sein zu können», einfach so, aus Jux und Dollerei. Das ist natürlich unrealistisch. Seine Hoffnung auf «Prävention» – gemeint ist: Abschreckung – wird enttäuscht werden. Bestenfalls ziehen die Fliehenden in andere Länder, aber sie bleiben nicht einfach in den Herkunftsländern.

Warme Betten, kalte Betten

Ein zweites Ziel der Jansschen Massnahmen umreisst das SEM (Staatssekretariat für Migration) auf Anfrage von Infosperber am 23.2.24 so:

«Das SEM beobachtet im BAZ (Bundesasylzentrum, FS) Zürich seit Monaten, dass zahlreiche Asylsuchende aus Herkunftsstaaten mit sehr tiefer Schutzquote, insbesondere aus nordafrikanischen Staaten, sich vor allem zwischen Freitagmittag und Sonntagabend einfinden, um ein Asylgesuch zu stellen. Ein Teil von ihnen reist am Montagmorgen wieder ab, (…) bevor das Asylgesuch in der Schweiz amtlich registriert wird. Obwohl also offensichtlich kein Schutzbedürfnis und kein Interesse an einem Asylverfahren besteht, beanspruchen diese Personen Personalressourcen und Betten, die dann im Asylsystem insgesamt fehlen.

Von Oktober bis Dezember 2023 stellten im Bundeasylzentrum in Zürich in der Regel drei bis vier Personen aus Maghreb-Staaten von Montag bis Freitagmittag ein Asylgesuch. Von Freitagmittag bis Sonntagabend waren es zwischen 20 und 35 Personen.»

Obwohl wir nicht wissen, wer diese Leute sind, die da am Montag verschwinden, und warum sie keinen Asylantrag stellen, könnte man hier trotzdem durchaus von einem Asylmissbrauch reden. Oder eher von einem Missbräuchlein. Der sachliche Kern der robusten Inszenierung von Jans besteht darin, dass er für ein, zwei Nächte zwei Dutzend Betten frei schaufelt. Man könnte auch sagen: In Zürich genügend Betten für Obdachlose zur Verfügung zu stellen, hat mit Asylpolitik wenig zu tun.  

Drastik und Bluff

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe bezeichnet die Massnahmen, die Jans angekündigt hat, als drastische Verschärfungen der Asylpolitik. Sie weist darauf hin, dass eine Triage nach dem Prinzip Pi-mal-Daumen vor den Asylverfahren sowohl der Genfer Flüchtlingskonvention als auch den Grundsätzen des Schweizer Asylrechts widerspricht. Die beiden Massnahmen – Schnellverfahren und vorgängige Begründungspflicht – bewirken, dass in vielen Fällen nicht einmal mehr die heutigen, oft sehr problematischen Asylverfahren möglich sind.

Die Flüchtlingshilfe formuliert den grundsätzlichen menschen- und asylrechtlichen Standpunkt. Politisch müsste man wohl dazusetzen, dass Jans nicht (oder nur nebenbei) ein Sachproblem lösen, sondern in erster Linie sich selbst inszenieren will. Er sagt mit Blick auf seine Asyl-Pläne: «Es ist keine linke Politik, bei Problemen wegzuschauen»

Jans will vom Image des linken flüchtlingsfreundlichen «Gutmenschen» wegkommen und der SVP das Wasser abgraben. Das wird ihm nicht gelingen. Was auch immer er gegen Flüchtlinge an Strenge, Schikane, Abschottung und Abschreckung unternehmen wird, die SVP wird noch mehr fordern.

Sozialdemokratische Asylpolitik

Womit wir beim Problem des Sozialdemokraten auf dem verlorenen Posten der Asylpolitik sind. Was kann er schon tun? Mein Vorschlag wäre, es mal mit der Wahrheit zu versuchen. Dabei käme ungefähr folgende Erklärung heraus:

Liebe Leute, ich beuge mich dem Volkswillen. Das ist in einer Demokratie keine Schande. Ich nehme zur Kenntnis, dass eine Mehrheit des Volkes Verschärfungen im Asylwesen wünscht. Aber ich sage euch: Es nutzt nichts, gar nichts, gegen die Flüchtlinge. Ihre Zahl nimmt zu. Ihre Zahl wird zunehmen. Wenn man sie nicht umbringt, dann kommen welche bis zu uns. Wer die Flüchtlingsströme beeinflussen will, muss nicht Asylpolitik betreiben, sondern Wirtschaftspolitik.

Ja, so ungefähr könnte er sprechen, unser idealer Sozi. Und er könnte sogar so kühn sein, dass er Massnahmen der Grenzsicherung und der Einreisekontrolle nur zustimmt, wenn gleichzeitig grosse Anstrengungen für eine neue Asyl-, Immigrations- und Wirtschaftspolitik gegenüber den Herkunftsstaaten gemacht werden.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Afghanischer_Flchtling_Reuters

Migrantinnen, Migranten, Asylsuchende

Der Ausländeranteil ist in der Schweiz gross: Die Politik streitet über Asyl, Immigration und Ausschaffung.

Nationalratssaal_Bundeshaus

Parteien und Politiker

Parteien und Politiker drängen in die Öffentlichkeit. Aber sie tun nicht immer, was sie sagen und versprechen.

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13 Meinungen

  • am 25.02.2024 um 12:34 Uhr
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    Jans und die SP wissen wohl, dass die Forderung gerechter Wirtschaftsbeziehungen in der heutigen Zeit unrealistisch ist: die USA und ihre kapitalistischen Freunde, inklusive die Schweiz, profitieren ja von den schlechten Bedingungen und der damit möglichen Ausbeutung der Länder und Menschen. Die US-Nomenklatura hat schon immer skrupellos mit allen Mitteln jede Änderung ihrer «regelbasierten Ordnung» verhindert und profitiert zudem von den zunehmenden Problemen in Europa. Und der Schweizer Stimmbürger will keine Änderung in der Politik, hat keine Fragen, weder zu Covid, Nordstream, Assange, Ukraine, Israel, dem Klima, den Politikerlügen: es geht uns doch gut… Es wäre wohl selbstmörderisch, die finanzbestimmten und meinungsmachenden Massenmedien zu reizen…

  • am 25.02.2024 um 12:42 Uhr
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    Man kann ja geteilter Meinung sein zu diesem Thema Herr Schneider. Nur wäre uns Leser besser gedient, von Ihnen eine Lösung präsentiert zu bekommen, wo alle zufrieden stellen könnte. Aber da kommt rein Nichts. Ach ja, sie sind ja nicht zuständig und haben somit auch keine Verantwortung. So einfach geht’s.

  • am 25.02.2024 um 14:00 Uhr
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    Es geht wohl nicht um Sozi oder Nicht-Sozi. Eher geht es um einen Baselstädter (Jans) oder eine Jurassierin (Baume-Schneider): Im Kanton Basel-Stadt leben rund 5’300 Menschen pro Quadratkilometer, im Jura 88. Wenn Bundesrätin Baume-Schneider «kein Problem mit einer 12-Millionen Schweiz» hat, ist sie wohl von ihrer Erfahrung in ihrem Heimatkanton geprägt. Ihre Lösung mit der Zuwanderung könnte sein: Siedelt die «fehlenden» 3 Millionen Menschen im Jura an. Das würde Basel-Stadt noch nicht vom Spitzenrang der Bevölkerungsdichte verdrängen, mit rund 3’500 Menschen läge der Jura aber immerhin vor den Kantonen Genf und Zürich.
    Ich verstehe Beat Jans.

  • billo
    am 25.02.2024 um 16:21 Uhr
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    Beat Jans ist leider voll in die Falle getappt und hilft mit seiner Hardliner-Pose genau jenen Kreisen, die sowieso gegen die Aufnahme von Fremden sind – auch wenn er selber glauben mag, dass er der Rechten die Schau stehlen könne, wenn er sie selber darbiete…
    Das ist schlecht oder gar nicht überlegte SP-Politik. Auch und gerade als Minderheit in Regierung und Parlament müssten Sozialdemokraten ihren Dissens und ihre alternativen Lösungsvorschläge öffentlich sichtbar machen, damit die Menschen merken, wie sehr sie von der Rechten in die Irre geführt werden und wie sehr dies Volk und Land schadet.
    Wer als Sozialdemokrat sein Regierungsamt als Aufgabe versteht, sich vor allem für das Wohl der «einfachen Leute» einzusetzen, muss auch zum Eclat einer Demission bereit sein, wenn er von einer rechten Mehrheit blockiert wird. Ich kann mich an keine SP-Bundesräte von solchem Format erinnern.

  • am 25.02.2024 um 21:46 Uhr
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    Anstatt sozialdemokratischer Asylpolitik könnte man „Willkommenskultur“ machen.
    In seinem kürzlichen Auftritt hat er einen Basler-Schnitzelbankvers vorgetragen und sich zum Schluss als Zeichen ein EU-Hütchen aufgesetzt. Da hat man zumindest einen weiteren EU-Fan im Bundesrat. Wenn er genügend Gefolgschaft hat, ist die Schweiz demnächst auch Mitglied in diesem – nicht sehr demokratischen – Club.

  • am 26.02.2024 um 09:15 Uhr
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    Guten Tag Herr Schneider,
    ich möchte Ihnen herzlich für diesen wichtigen Artikel danken.
    Sie bringen auf den Punkt, warum Beat Jans mit seinen Massnahmen erstens: kein Problem löst, zweitens: der SVP kein Wasser abgraben kann, sondern sie weiter nach rechts treibt, drittens: was ein linker Politiker sagen könnte, wenn er nicht wegschauen möchte.
    Ein starker Artikel, auf den ich gewartet hatte.

    • am 27.02.2024 um 01:24 Uhr
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      Frau Gerig, Ich und wahrscheinlich auch andere warten sehnsüchtig auf machbare Vorschläge, wie dieses Problem gelöst werden kann. Habe diesbezüglich nichts gelesen bei Ihnen. Nur auf Personen oder Parteien zu spielen ist sicher nicht das wahre. Ich warte auf Ihre machbaren und mehrheitsfähigen Lösungsvorschläge.

      • am 27.02.2024 um 12:48 Uhr
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        Es gibt keine mehrheitsfähigen Vorschläge bzw. Möglichkeiten. Die einzig mögliche Lösung ist leider (noch) nicht mehrheitsfähig, da sie mit spürbaren Einschränkungen im Lebensstil der europäischen (und nordamerikanischen) Bevölkerung verbunden wäre. Und weil sie deshalb von jedem Politiker, der an seinem Mandat hängt, besser ignoriert wird: ein gerechtes Weltwirtschafts- und Finanzsystem.

      • am 27.02.2024 um 13:58 Uhr
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        Herr Heuberger, Sie warten darauf, dass man Ihnen eine Lösung «präsentiert» (siehe Ihr Beitrag oben). Sehr bequem. Natürlich ist es «einfacher», darüber zu schreiben, als eine fixfertige und umsetzbare Lösung zu präsentieren. Aber in verschiedenen Beiträgen hier werden wichtige Punkte erwähnt – ungerechte Wirtschaftspolitik, andauernder Port-Kolonialismus – und gehört zu einem Meinungsbildung und damit zum Beginn einer andern Lösung dazu. Es ist das gute Recht – oder sogar die Pflicht! – an Jans gerichtet zu sagen: so nicht! Und dann gemeinsam daran zu arbeiten, was denn eine andere Lösung wäre und wie eine solche denn aussehen würde. Aber wenn man einfach kritiklos schluckt, wie Jans jetzt (verbal) wütet, ist das falsch und fahrlässig.

  • am 26.02.2024 um 17:50 Uhr
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    Der mit Sicherheit zunehmende Migranten-Strom u.a. nach Europa ist eindeutig die Folge der kolonialistischen und jetzt postkolonialistischen Politik des «Wertewestens», abgesehen von Flüchtlingen aus Kriegsgebieten.
    Eine Abhilfe – wenn auch nur allmählich – ist NUR(!) mit einer Beendigung dieser Politik zu erwarten. Mit einem gerechten internationalen Steuersystem, fairem Handel und Aufgabe postkolonialen Verhaltens des «Wertewestens». Das setzt allerdings voraus, dass wir alle von unserem liebgewonnenen «Wohlstand» Abstriche hinnehmen müssten. Und weil das sehr unpopulär wäre und nicht mehrheitsfähig ist, bleibt alles wie es ist, bzw. wird sich mit Sicherheit verschärfen.
    Die jetzt erforderlichen Kosten für Abwehr, Versorgung und Rückführung der Flüchtlinge trägt die Allgemeinheit über Steuern. Aber die Gewinne aus der postkolonialen Politk erfreuen die Aktionäre der Großkonzerne.

    • am 27.02.2024 um 19:46 Uhr
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      Wie recht sie haben Herr Stigge. Das dürfte auch der Grund sein, warum sich zu diesem Thema der notabene bürgerliche National- und Bundesrat keinen Millimeter bewegt, höchstens ein paar Zuckungen in der Vergangenheit, man könnte ja zu den Verlierern gehören, wie sie richtig schreiben. Und das EJPD Bundesratsamt wurde weiter gegeben wie eine heisse Kartoffel. Und wenn mal ein Linker BR das Thema anpackt wird nur gewäffelet. Eine tolle Einstellung, wenn es nicht zum heulen wäre müsste man lachen.

  • am 27.02.2024 um 13:45 Uhr
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    @ V. Stigge: Mit einem gerechten internationalen Steuersystem, fairem Handel und Aufgabe des postkolonialen Verhaltens des «Wertewestens» allein, kann die Völkerwanderung, welche Europa überfordert, nicht gestoppt werden. Das sind zwar unerlässliche Zutaten. Aber die Länder, welche die immensen Bodenschätze besitzen, müssten sie selber verarbeiten und mit den Fertigprodukten Handel treiben. Warum lassen sie Lebensmittelimporte zu, für Lebensmittel, die sie selber in oft lokaler Wirtschaft herstellen können? So liessen sich Alters- und Krankenversicherungen und anständige Bildungssysteme aufbauen, damit würde die Geburtenrate sinken, und die Länder könnten ihre Arbeitskräfte selber beschäftigen.
    Wunschträume vielleicht, aber ich frage mich oft, warum man sich überhaupt ausbeuten lasse.

    • am 28.02.2024 um 08:51 Uhr
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      Erstens werden die «immensen» Bodenschätze in den Ländern mit hoher Migrationsrate in der Regel bereits von großen multinationalen Konzernen ausgebeutet mit Gewinnen, die außerhalb dieser Länder anfallen.

      Zweitens korrumpieren diese Konzerne meist eine kleine Oberschicht (bzw. ein diktatorisches und willfähriges Regime), die/das diesen Konzernen freie Hand gewährt. So kann sich kein «Entwicklungsland» entwickel.

      Drittens kommt hinzu, dass Konzerne und frühere Kolonialstaaten in diesen Ländern «Rebellengruppen» finanzieren, um in den ehemaligen Kolonien ihren Einfluss nicht zu verlieren.

      Und viertens überschwemmen Altkleider, Schrottautos, Rest-Lebensmittel usw. diese Länder, weshalb eine eigenständige Industrie keine Chance auf Entwicklung hat.

      Die europäische und nordamerikanische, mehrheitlich «satte» Bevölkerung wird von ihren Medien in dem Glauben gehalten, dass die Bewohner dieser «Entwicklungsländer» eigentlich nur zu faul, zu dumm und unfähig sind und deshalb flüchten.

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