Sperberauge
Was die «NZZ» unter einer «stramm linken Gesinnung» versteht
«Hinterbänkler der Union retten den Ruf von Karlsruhe»: So lautete der Titel seines Kommentars. Marc Felix Serrao, Chefredakteur der «Neuen Zürcher Zeitung» in Deutschland, gestand der Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf zwar zu, sie «mag fachlich ohne Tadel sein». Aber ihre Überzeugungen liessen auf eine «eher stramm linke Gesinnung schliessen».
Serrao schrieb auch gleich, worin diese «stramm linke Gesinnung» besteht und zitierte dazu einige ihrer früher gemachten Vorschläge:
- ein gendergerecht umformuliertes Grundgesetz;
- eine Frauenquote in Parlamenten;
- muslimische Kopftücher im Staatsdienst erlauben;
- die Menschenwürde des ungeborenen Lebens relativieren [Red. Tatsächlich zitierte sie nur das geltende Recht: Föten seien keine juristischen Personen.*];
- ein Verfahren zum Verbot der AfD;
- drakonische Einschränkungen der Grundrechte während der Corona-Pandemie [Red. Ihre damaligen Forderungen gingen nicht weiter als diejenigen grosser Medien nach einigen noch schärferen Massnahmen, u.a. einer allgmeinen Impfflicht].
Solche Meinungen hätten «an einem höchsten Gericht nichts verloren», beschied Serrao. Sein Fazit: «Karlsruhe wurde von einem massiven Vertrauensverlust bewahrt.»
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*Frauke Brosius-Gersdorf war 2023 und 2024 stellvertretende Koordinatorin der von der Bundesregierung eingesetzten Kommission für eine Teillegalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Dort verantwortete sie das Kapitel «Verfassungsrechtlicher Rahmen» und kam zum Ergebnis, dass eine Entkriminalisierung von Abtreibung innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen möglich sei. Das war jetzt der Anlass für einen digitalen Mob.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Ich finde es bemerkenswert, dass das eigentliche Problem – nämlich die Frage, wie Verfassungsrichter oder Richter nominiert und gewählt werden – kaum diskutiert wird. Warum werden so wichtige Ämter von Parteien, Politikern, Präsidenten oder – wie kürzlich in Mexiko beschlossen – sogar vom Volk bestimmt? In diesem Zusammenhang würde ich eine unabhängige Kommission bevorzugen, ähnlich einer gelosten Geschworenenjury. Diese könnte sich aus bis zu 100 Juristen und Bürgern zusammensetzen. Jeder Interessent mit entsprechender Qualifikation sollte sich bewerben können. Die Kandidaten müssten sich der Kommission vorstellen und sich auch kritischen Fragen stellen. Anschließend berät die Kommission und entscheidet über die geeignetste Person.
Dieses Verfahren gewährleistet 1. Unabhängigkeit und ermöglicht 2. einen persönlichen Kontakt zwischen den Kandidaten und der Kommission. Nur durch physische Anwesenheit und direkte Kommunikation kann man sich ein wirkliches Bild von den Kandidaten machen.
Marc Felix Serrao hat den Nagel auf den Kopf getroffen. Er hat den Mut, zu sagen, was ist.
Man kann Frau Borsius-Gersdorf nur dann als «linke aktivistische Juristin» bezeichnen, wenn man selbst sehr weit rechts außen steht. So wird unser Rechtsstaat vom Rechteextremen untergraben. Sie ist einfach eine großartige und sehr differenziert denkende Frau, und wir können uns glücklich schätzen, solche Menschen in unseren Reihen zu haben. Es haben sich viele Menschen bei ihr persönlich in aller Form zu entschuldigen.
Kaub/FAZ hat alles Notwendige dazu heute geschrieben:
Man lese sich die Stellungnahme von Brosius-Gersdorf zur Einführung einer Impfpflicht einmal gründlich durch; diese gibt es immer noch auf dem Server der Uni Potsdam. Hier wird nicht nur völlig wissenschaftsfeindlich der verfassungsrechtliche Zwang der Einführung angeregt sondern auch die Einstellung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall an Umgeimpfte als wirksame Sanktion empfohlen. («https://www.uni-potsdam.de/fileadmin/projects/lehrstuhl-brosius-gersdorf/Dokumente/Aktuelles/Stellungnahme_zur_Einf%C3%BChrung_einer_allgemeinen_Impfpflicht.pdf») Brosius-Gersdorf ist wohl keine «stramme Linke», aber eine die wahrscheinlich sehr bereit ist, Herrschaftsdenken gegen Individualität zu unterstützen. Wer vor drei Jahren Corona-Hardliner war, wird noch ganz andere Sachen als gesetzlich «notwendig» und «zumutbar» oder gar «zwingend» betrachten. Von Brosius-Gersdorf ist keine Stärkung der grundlegenden unteilbaren Grundrechte zu erwarten.
Herr Serrao war ja nun auch bei Markus Lanz zu hören, liess sich nicht in seiner Stellungnahme beirren, trotz der betont linken Äusserungen der taz Journalistin.
Bei all diesen juristischen Winkelzügen von Frau Brosius-Gersdorf hat jedermann das Recht, sich auch ganz normal menschlich zu solch wichtigen Fragen zu positionieren, ohne sich von ihren relativierenden Auslegungen beeindrucken zu lassen.
Sie hätte u.a. Gelegenheit gehabt, sich nun deutlicher von ihren extremen Äusserungen zur Impfpflicht und zur «Behandlung» von Ungeimpften zu distanzieren, denn zu keiner Zeit hat die sog. Impfung einen Infektionsschutz geboten. Ihre Haltung damals ging aber über das übliche Mass hinaus, sowohl gegen die Ungeimpften wie mit der Forderung nach einer verfassungsmässigen Pflicht des Staates zur Impfpflicht.
Auch ich würde mir eine grundsätzliche Debatte über die Nominierung und Wahl von Verfassungsrichtern wie oben Herr Pongratz wünschen.
Die NZZ entwickelt sich immer mehr zum Sprachrohr der extremen Rechten. In manchen Artikeln der letzten Zeit musste ich drei Mal schauen, ob ich nicht per Versehen die sogenannte «Weltwoche» in Händen halte. Könnte ja im Restaurant mal vorkommen. Aber nein, es WAR die NZZ. Eine geradezu unglaubliche «Entwicklung», besser wäre wohl der Ausdruck Rückentwicklung. Schade um diese ehemals höchst interessante Zeitung.
«Hinterbänkler der Union retten den Ruf von Karlsruhe»: Nein, Herr Serrao, denn der Ruf der höchsten deutschen Gerichts ist vorher schon beschädigt worden, spätestens seit ruchbar geworden ist, dass die Mitglieder dieses Gerichts regelmäßig mit der damaligen Kanzlerin diniert haben. Der augenblickliche Präsident wurde höchstpersönlich von Frau Merkel an die Spitze des Gerichts gehievt – also von Unabhängigkeit sowieso keine Spur, von Gewaltenteilung ebenso wenig, denn genau dieser Herr saß vorher in der ersten Reihe des Parlaments. Alle Richter sind von den Altparteien ‹vorgeschlagen› worden und beide Senate haben jetzt schon einen gehörigen Linksdrall, der mit diesen zwei Kandidatinnen noch verstärkt werden würde. Beide sind politische Aktivistinnen und haben noch nie ein Richteramt ausgeübt – was aber offenbar keine Voraussetzung ist, denn Harbarth war vor seiner ‹Beförderung› auch nur Rechtsanwalt und eben MdB (CDU).
Interessantes Thema –
wie auch spannende Voten in der Diskussion.
Das hilft bei der eigenen Meinungsbildung.
Dank an alle Beteiligten.