Nihal_Atsiz

Das Grab von Nihal Atsiz. Auf dem blauen Band steht: «Die türkische Rasse ist Dir dankbar» © Common

Jetzt ehrt auch die Türkei faschistische Helden

Christian Müller /  In vielen Ländern werden historische Monumente abgerissen. Der neue Trend: Strassen und Plätze werden «historisch» umbenannt.

In Prag wurde am 3. April 2020 die Statue des russischen Generals Ivan Stepanowitsch Konev, der im Frühling 1945 die Stadt von der Hitler-Herrschaft befreit hatte, auf Geheiss des Bürgermeisters von Prag 6 abgerissen. Das Covid-19-bedingte Versammlungsverbot war dazu besonders gut geeignet: Auch jene Prager, die diesem russischen General, der vor der Befreiung Prags auch das Konzentrationslager Auschwitz geöffnet und damit unzähligen Insassen das Leben gerettet hatte, immer noch dankbar sind, konnten gegen die Zerstörung des Monuments keinen Protest abhalten. Infosperber hat darüber berichtet.

Historische Monumente zu entfernen ist das eine. Das politische Gegenstück ist, Strassen, Plätze und Parks umzutaufen: neu auf die Namen von historischen «Persönlichkeiten». In der Ukraine ist das mittlerweile geradezu Mode. In der Hauptstadt Kiev gibt es seit einiger Zeit eine Stepan Bandera Avenue, eine verkehrsmässig wichtige Strasse. Auch andere Städte haben Strassen zu Ehren Stepan Banderas umgetauft. Und es gibt in Kiev jetzt auch eine Olena Teliha Strasse.

Stepan Bandera, der im Zweiten Weltkrieg eng mit den Nazis zusammengearbeitet hat und mit seiner Partisanenorganisation OUN für den Tod von Tausenden von Juden verantwortlich war, wird im Südosten der Ukraine deshalb als Kriegsverbrecher angeschaut, im Nordwesten der Ukraine und mittlerweile auch in der Hauptstadt Kiev aber als Held verehrt. Gerade wieder am 1. Januar, seinem 112. Geburtstag, wurden ihm zu Ehren grosse Fackelumzüge durchgeführt. Olena Teliha war in der gleichen Zeit zwar eine hochgeachtete Literatin, aber sie schrieb flammende Texte gegen die Juden und forderte deren Vertreibung und Vernichtung. Infosperber hat über diese Art der «Heldenverehrung» ausgiebig berichtet.

Jetzt auch in Istanbul 

In der Türkei gibt es schon seit langem unzählige Strassen, Plätze und auch Schulen, die nach Talât Pascha oder Enver Pascha benannt sind, den beiden Hauptverantwortlichen des Genozids an den Armeniern 1915/1917. Jetzt ist auch ein Park in Istanbul umgetauft worden: auf den Namen von Hüseyin Nihal Atsız, wie der US-amerikanische Thinktank «Gatestone Institute» berichtet. Nihal Atsiz, 1905 – 1975, war ein bekennender türkischer Nationalist, Rassist und Antisemit. Politisch kämpfte er gegen den Kommunismus und – bemerkenswert –, er kritisierte auch den Islam. Er vertrat eher den Atatürkschen Säkularismus, also die Trennung von Staat von Religionen. Aber er visierte ein grosstürkisches Reich an, das bis an den Pazifik reichen sollte. Und sein Antisemitismus war nachgerade grenzenlos.

Zwei Zitate von Nihal Atsiz mögen genügen: «Der Jude hier ist wie der Jude, den wir überall sehen. Ein heimtückischer, frecher, bösartiger, feiger, aber opportunistischer Jude; das jüdische Viertel ist hier das Zentrum des Lärms und des Schmutzes, wie [die jüdischen Viertel] überall sonst…. Wir wollen dieses verräterische und bastardhafte Volk der Geschichte nicht mehr als Bürger unter uns sehen.»

«Die Kreatur, die in der Welt Jude genannt wird, wird von niemandem geliebt, ausser von den Juden und den Unwürdigen … Redewendungen in unserer Sprache wie ‹wie ein Jude›, ‹nicht wie ein Jude handeln›, ‹jüdischer Basar›, ‹wie eine Synagoge aussehen› … zeigen den Wert, den unsere Rasse diesem abscheulichen Volk gibt. So wie der Schlamm nicht zu Eisen wird, selbst wenn er in einen Ofen gesteckt wird, kann der Jude nicht türkisch sein, egal wie sehr er sich bemüht. Das Türkentum ist ein Privileg, es wird nicht jedem gewährt, besonders nicht solchen wie den Juden …Wenn wir wütend werden, werden wir die Juden nicht nur ausrotten, wie es die Deutschen getan haben, wir werden noch weitergehen … » (Zu den Zitaten in türkischer Sprache hier)

75 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg sind Leute wie Stepan Bandera, Olena Teliha oder Nihal Atsiz nicht nur gesellschaftlich rehabilitiert, sie werden sogar öffentlich geehrt. Und Westeuropa schaut einfach weg. Die Türkei ist Mitglied der NATO, die Ukraine ist ein Wunsch-Mitglied der NATO. Da wird auch sichtbar zunehmender Faschismus ganz gerne übersehen.


Themenbezogene Interessen (-bindung) der Autorin/des Autors

Keine. Zum Autor deutsch und englisch.

Zum Infosperber-Dossier:

WandernderJude

Offene/verdeckte Judenfeindlichkeit

Antijudaismus und Antisemitismus sind eine speziell gegen Juden gerichtete Form von Fremdenfeindlichkeit.

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6 Meinungen

  • am 15.01.2021 um 13:09 Uhr
    Permalink

    1.Genozid
    ist ein Begriff, der 1944 erstmals genannt wurde
    und ab 1948 nach dem VölkerRecht eine StrafTat ist.

    2. Was die Türken den Armeniern 1914-1917 antaten war grausam –
    aber -leider- auch nachvollziehbar:
    Eine Übermacht von Engländern, Griechen, Franzosen und…und…
    versuchten damals, die Türkei zu erobern, um diese dann als Beute aufzuteilen –
    was ihnen fast gelang – mit sehr hohem Blutvergiessen, Töten UND Morden.

    3. Die «türkischen Armenier» verbündeten sich -heimlich mit den Franzosen … …

    4. Die Reaktion der Türken — in damaliger grösster Not– nachdem
    «armenische Freunde und Nachbarn » zuerst mit dem Morden begannen … …
    so grausam es einerseits auch war
    so nachvollziehbar ist es andererseits

    5. Ist es Brauch erst dann jemand wegen einer Straftat zu beschuldigen, zu beurteilen, zu ver-urteilen, NACH DEM Zeitpunkt, zu dem eine derartige Tat als strafbar bestimmt wird. —
    UND Nicht über 30 Jahre rückwirkend.
    Sowohl nach üblichem, nationalen Recht
    als auch nach VölkerRecht

    6, Vielleicht hat sich der Autor ja an die entsprechende, sub-optimale,
    Resolution des deutschen Bundestags vor ca 10 Jahren «angelehnt» ?

    Freundliche Grüsse – und alles Gute !

    • Christian Müller farbig x
      am 15.01.2021 um 13:30 Uhr
      Permalink

      Man kann über Vieles diskutieren, das in der Vergangenheit stattgefunden hat. Dass aber ein Mann, der ein bekennender Rassist der übelsten Sorte und ein extremer Judenhasser war, heute wieder so geehrt wird, wie das mit Atsiz eben geschehen ist, ist indiskutabel. Da gibt es nichts zu verteidigen. Mit freundlichem Gruss, Christian Müller

    • am 16.01.2021 um 00:56 Uhr
      Permalink

      Werter Herr Gerlach, Ihre Punkte bedürfen einiger Korrekturen:
      A) Gab es tatsächlich «Die türkischen Armenier“ (Ihr Punkt 3)?
      Die armenische Elite stand zu großen Teilen den Jungtürken nahe und bemühten sich um eine Partnerschaft – vergebens. Radikale Gruppen ließen sich mit den Franzosen ein – ein Grund, landesweit Bauern und Handwerker zu deportieren? Es hätte genügt, die Elite samt Ortsvorsteher in eine protürkische Kampagne einzubeziehen. (Wie es Atatürk vorschwebte.)
      B) Die Ausrottung eines Volkes folgt immer mehreren Zielen. Es ging auch um eine Disziplinierung der Kurden.
      C) Und um deren Zufriedenstellung. Es waren überwiegend kurdische Bauern, die die armenischen Höfe übernahmen, und etliche der Freischärler, die den Deportierten Brot und Wasser (!) stahlen, waren damals Kurden. (Kein Grund für Vorwürfe – nur Fakten.)
      D) Die Ausrottung (Sie sehen: das Wort ‹Genozid› braucht es gar nicht) begann schon vor 1915. Ein deutscher Rittmeister schrieb in seinen Erinnerungen schockiert über ein armenisches Dorf, das 1914 von kurdischen Desperados überfallen und aufs Blutigste entvölkert wurde – VOR jeder Mauschelei mit Westmächten.
      Aber ich gebe Ihnen recht, wenn Sie sagen: So waren die Zeiten damals – weltweit. Es ging grob zu – doch nicht überall. Romain Rolland, Leonhard Frank, Bertha von Suttner u. a. Lichtgestalten erhoben ihre Stimme …

  • am 15.01.2021 um 17:27 Uhr
    Permalink

    Meines Wissens gibt es in Deutschland jährlich über 800 Tätlichkeiten (bis zu Morden) gegen Muslime und muslimische Einrichtungen.

    Wie es – auch offiziell – mit dem Antisemitismus steht, lässt die Aussage des bekannten israelischen und jüdischen Friedensaktivisten Moshe Zuckermann erahnen wenn er sagt: «Wenn ein Antisemitismusbeauftragter in Deutschland, ein Deutscher, bestimmt was Antisemitismus ist, dann bestimmt er nolens, volens auch, wer Jude ist. Und wer in Deutschland schon einmal bestimmt hat, wer Jude ist und wer kein Jude, wissen wir ja. Ich habe mit dieser Definition nichts am Hute. Es beleidigt mich als Jude, dass irgendwelche Deutsche bestimmen, wo ich mich irgendwie antisemitisch angegriffen zu fühlen habe»

    Selbstverständlich rechtfertigen und mildern die Vorkommnisse in Deutschland jene in der Türkei in keinerlei Art und Weise. Ob es in der Schweiz mit der offiziellen und inoffiziellen Islamophobie und dem Antisemitismus wohl besser bestellt ist?

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 15.01.2021 um 20:51 Uhr
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    @Gerlach, Sehe ich leider auch so. Danke für die Darstellung.

    Die Türkei hat zweifellos Probleme mit ihren Minderheiten – v.a. den Kurden. Die Türkei ist aber auch eine der grösseren zivilisatorischen Akteure, welche vom «Westen» systematisch heruntergespielt werden.

    Ich bin aber der Meinung, dass die türkische Küche auf dem Niveau der Chinesen, der Thais, der Franzosen … anzusiedeln ist. Jeder Globetrotter des letzten Jahrhunderts kann dies bestätigen.

    Lord Biron und sein antitürkischer Krieg sollten vergessen werden. Europäischer Sentimentalismus liegt zu nahe beim europäischen Imperialismus vergangener Jahrhunderte.

    Wenn Europa bereit ist, mit Nachbarn auf Augenhöhe zu diskutieren, sollten auch die Beziehungen zum Mittleren Osten, dem «Mare nostrum» [inklusic Maghreb] und vielleicht sogar zur Schweiz auf ein zivilisatorisch akzeptables Niveau gebracht werden können.

    «Why should we let them ?»

    • am 18.01.2021 um 08:17 Uhr
      Permalink

      Aufkommender Verklärung von Personen mit derlei Hintergründen begegnet man besten indem man sachlich ein differenziertes Bild zeichnet. Das ist im geschichtlichen Kontext der im Artikel (gut gewählten) Beispiele sehr schwierig und leider nicht gut gelungen. Vielleicht wäre es ein Ansatz zu hinterfragen was an diese Personen zu neuerlicher Verehrung führt um dies zu hinterfragen und ggf. Verdienste in Relation zu derlei Attitüden zu setzen. Generell ist es eigentlich unwissenschaftlich Personen der Zeitgeschichte mit aktuellen Maßstäben zu bewerten. So gesehen hat das Abbauen und Aufbauen von Statuen, das Umbenennen von Straßen usw. i.d.R. keinen rationalen Hintergrund.

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