SBB_APG_HB

Lukrativer mit genauer Zielgruppenansprache: Digital ausgespielte Werbung im Zürcher Hauptbahnhof. © copyright Pascal Sigg

Kundenüberwachung: SBB wollen Daten auch für «wirksame Werbung»

Pascal Sigg /  Die SBB reagieren mit wortklauberischen Gegenangriffen auf die Empörung – und verschweigen den Werbezweck der Datensammlung.

Einfach mal widersprechen: Diese Kommunikationsstrategie wandten die SBB nach dem grossen öffentlichen Aufschrei zum geplanten Kundenüberwachungsausbau an Bahnhöfen an. Es stimme nicht, dass der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte (EDÖB) erst durch den K-Tipp vom Projekt erfahren habe, sagte SBB-Bewirtschaftungschef Alexis Leuthold in einem Interview auf Watson – und in einem gleichentags erschienen Interview mit den SBB, die den eigenen Angestellten duzen.

Doch vom K-Tipp hiess es auf Infosperber-Anfrage: «Der EDÖB erfuhr vom K-Tipp die Details der SBB-Ausschreibung mit den Leistungsvorgaben für potenzielle Lieferanten der Überwachungssoftware. Im Herbst 2022 wurde der EDÖB von den SBB lediglich summarisch über das Projekt informiert.» Gerade über die datenschutzrechtlich relevanten Punkte informierte die SBB den EDÖB also nicht.

Wortklaubereien und Gegenangriffe

Leuthold warf auf Watson auch anderen Medien indirekt irreführende Berichterstattung vor. Es sei «schlicht und einfach falsch», dass die SBB Kameras zur Gesichtserkennung betreiben möchten. «Wir möchten keine Gesichtserkennung einführen, und wir haben kein Interesse an Personendaten, geschweige denn an biometrischen Daten.»

Infolge der Medienberichterstattung fühlten sich die SBB gezwungen, der Ausschreibung des Auftrags eine Präzisierung anzufügen. Auch hier wird als angeblicher Grund Medienversagen angegeben: «Fehlinterpretationen der Ausschreibungsunterlagen führten zu falschen Aussagen in der Berichterstattung.»

An der entscheidenden Stelle in der Ausschreibung änderten die SBB indes nichts. Da steht weiterhin: «Es soll möglich sein, zumindest folgende demografischen Eigenschaften von Personen zu erkennen: Geschlecht, Altersklasse, Grösse». Diese Anforderung wird zwar als optional gelistet. Doch die mediale Kritik bezieht sich in erster Linie darauf, dass die SBB die Erfassung und Bearbeitung derartiger Daten überhaupt erwägen und in grundrechtlich heikles Terrain vorpreschen.

«Wirksame Werbung» als «vorgesehener Anwendungsfall»

Nach all den Stellungnahmen und Interviews blieb in der Medienberichterstattung unklar, zu welchem Zweck die SBB demografische Personeneigenschaften überhaupt erfassen müssen. Die Ausschreibungsunterlagen zeigen: Die SBB wollen die Analysen auch für Werbung nutzen. Die SBB listen nämlich «wirksame Werbung» als «vorgesehenen Anwendungsfall». Präziser heisst es: «Aufgrund von Analysen lässt sich gezielt Werbung in spezifischen Perimetern und Zeiträumen aufschalten sowie diese frequenzabhängig bepreisen.» Die Werbung ist der einzige von acht Anwendungszwecken, welcher bisher nicht öffentlich erwähnt wurde.

Auch auf Infosperber-Anfrage nach dem Zweck der Erfassung von Alter, Geschlecht und Körpergrösse verschwieg die SBB-Medienstelle diesen Punkt und schob andere Zwecke vor. Und in einem kürzlich aufgeschalteten PRArtikel, der zu erklären verspricht, «worum es wirklich geht», steht auch kein Wort vom Werbezweck.

Auf die Frage, weshalb die SBB bisher nicht kommuniziert habe, dass die Kundenanalysen auch zu Werbezwecken durchgeführt werden, suggeriert die Medienstelle, dieser Zweck unterliege eben einem anderen. Werbung diene auch dazu, das richtige Angebot am richtigen Ort bereitzustellen. «Wichtig ist festzuhalten, dass mit dem System in keinem Fall Personendaten erfasst und insofern auch keine personenbezogenen Daten für Werbezwecke verwendet werden.»

Lukratives Geschäft mit digitalen Werbescreens

Die Werbung in Bahnhöfen ist ein besonders heisses Eisen, weil für Datenerfassung zwecks personalisierter Werbung gemäss Datenschutzgesetz strengere Regeln gelten, als für jene zu statistischen Zwecken. Gleichwohl steigt der Druck auf die SBB, dieses Geschäft weiter auszubauen. Denn es locken Millionengewinne. Dies wissen die SBB aus eigener Erfahrung, auch wenn sie nicht sagen wollen, wie viel sie mit den etwa 500 Werbescreens in ihren Bahnhöfen verdienen. Einzig als Referenz: Die Stadt Zürich sagte Infosperber vor einem Jahr, sie nehme mit 47 Screens jährlich 10 Millionen Franken ein. Einige APG-Bildschirme an Bahnhöfen sind jedoch deutlich grösser.

Die Aussenwerbung via digitale Bildschirme wird immer beliebter, weil man ihr schlecht ausweichen kann. Das Unternehmen APG bewirtschaftet die Werbeflächen in den SBB-Bahnhöfen. Es verspricht der Kundschaft: «Aussenwerbung ist dort, wo man gerne hinsieht. Wegzappen ist nicht möglich und nötig, denn Aussenwerbung ist sympathisch. Es braucht keine Adblocker oder Stopp-Werbung-Kleber». APG sieht sich als führenden Treiber dieses Geschäfts und spricht von einer «klaren strategischen Grundsatzentscheidung».

Kundenströme werden bereits heute für Werbung analysiert

Dabei bietet besonders programmatische Ausspielung dieser digitalen Werbung im Aussenraum viele Vorteile für die Kunden. Sie können zum Beispiel Werbeorte flexibler buchen und schneller anpassen als bei Plakatwerbung. Zudem verspricht sie deutlich präzisere Messbarkeit als ein Plakat. Das Forschungsinstitut «Swiss Poster Research» (SPR) misst gemäss eigenen Angaben im Auftrag von APG laufend die Kontakte von Werbeflächen in über 600 Schweizer Bahnhöfen mittels Modellierungen aufgrund statistischer Daten wie SBB-Passagierdaten oder Kundenströmen aus dem ausgeschriebenen Kundenfrequenzmesssystem. Dabei wird gewichtet berechnet wie viele Menschen wie lange und oft eine digitale Werbeanzeige gesehen haben.

So bewirbt die APG die Messbarkeit digitaler Aussenwerbung. (APG, Dezember 2019)

Aussenwerbung verspricht auch zu bieten, was Online-Werbung immer schlechter leisten kann, weil es mittlerweile illegal ist: möglichst genaues Zielgruppentargeting über demografische Daten wie Alter und Geschlecht. Heute heisst es auf der APG-Website: «Wir verbinden die Leistungsdaten unserer Werbeträger mit den fortlaufend erhobenen soziodemographischen Daten für zielgruppengerechte Ansprachen.»

Vor zwei Jahren sagte der zuständige APG-Verantwortliche Michael Pevec in einem Interview dazu, man erhebe diese Daten insbesondere an SBB-Bahnhöfen «über unsere mobilen Zielgruppen, die mit ihren Smartphones im öffentlichen Raum ihre digitalen Spuren hinterlassen.» Der Datenschutz sei gewährleistet. Im Rahmen eines Mobilitäts-Tracking-Panels liess APG Personen aus der Zielgruppe aktiv rekrutieren, die ins Tracking einwilligten. Pevec sagte auch: «Wir wollen und werden nie eine Ausstrahlung für eine Einzelperson vornehmen – sehr wohl aber für definierte Zielgruppen, die sich zu einem bestimmten Zeitpunkt nachweislich überproportional vor einem Screen bewegen.»

Die Technologie ist trotz starker Kritik bereits im Einsatz

Bereits heute werden in Supermärkten und Einkaufszentren Systeme zu Werbezwecken angewandt, welche menschliche Körper analysieren – und nicht bloss Smartphones. Deren Betreiber beteuern, dies im Rahmen der Datenschutzgesetzgebung zu tun. Doch sie sagen den Kunden, die Daten würden zu Marktforschungszwecken erhoben – und nicht für Werbung. Die Anbieter meiden dabei jegliche Referenz auf biometrische Daten. So spricht der Schweizer Anbieter Advertima, der Alter und Geschlecht mittels 3D-Sensoren erfasst, viel lieber allgemein von «Technologie» oder «Gesichtsentdeckung». Gleichzeitig verspricht Advertima 95% Genauigkeit bei der Geschlechtsermittlung und durchschnittliche Altersgenauigkeit im Rahmen von plus-minus vier Jahren. Gemäss Advertima funktioniert dies mittels 3D-Analyse des Skeletts der Personen vor dem Sensor – was nicht als biometrisches Datum klassiert wird. Diese Technologie könne die gesammelten Daten keiner bestimmten Person zuordnen, behauptet das Unternehmen.

Doch dem widersprach ausgerechnet Benjamin Wey, der Geschäftsführer eines Joint Ventures von Advertima mit SPAR und der Immobiliengruppe Fortimo. Er meinte 2021 in einem Interview, Sensordaten seien am genauesten und würden daher auch datengetriebenes Targeting erlauben. Er bezeichnete sie als datenschutzrechtlich unbedenklich. Gleichzeitig sagte er auch: «Der Sensor könnte natürlich Dinge erkennen, die die Rückverfolgung einer Person erlauben.» Als Beispiel erzählte er: «Kürzlich wurden wir angefragt, ob ein Filtern nach Haarfarbe möglich ist. Für Anbieter von Haarfarben und Kosmetika wäre das praktisch. Technisch wäre das umsetzbar. Wenn man jetzt aber in einer SPAR-Filiale in einem kleineren Ort nach rothaarigen Frauen im Alter zwischen 30 und 40 Jahren filtert, ist es gut möglich, dass es nur eine Kundin gibt, die diesen Kriterien entspricht. Dadurch wird diese Dame rückverfolgbar und man könnte herausfinden, wann sie nicht zuhause ist.»

Personalisierte Werbung muss abgelehnt werden können

Die SBB dürften diese Technologien kennen. Sie schreiben auf der eigenen PR-Plattform: «Es gibt auf dem Markt Technologien, die mithilfe von Sensoren Bewegungsmuster und Körpergrössen erkennen und über eine Mustererkennung rein mit statistischen Methoden das Geschlecht und das Alter schätzen können.» Und auch APG bestätigte gegenüber Infosperber im letzten Frühling: «Wir sind in Kontakt mit Advertima, weil uns grundsätzlich neue Technologien interessieren, die uns betreffend datenbasierter Angebote weiterbringen können.» APG hatte gemäss einem Beitrag von «10 vor 10» bereits 2017 Tests mit Advertima durchgeführt. Damals hiess es, die Technologie käme bei APG nicht zum Einsatz.

Der SRF-Beitrag suggerierte, die Rechtslage für derartiges Werbetargeting sei in der Schweiz noch ungeklärt. Doch damals wurde auch der EDÖB von SRF angefragt. Er machte ziemlich klar, dass biometrische Daten ohne Einwilligung der Betroffenen nicht zu Werbezwecken verwendet werden dürften. Gegenüber Infosperber sagte sein Büro letztes Jahr: «Wenn Daten bearbeitet werden, um Kundinnen und Kunden personalisierte Werbung zuzuspielen, liegt ein Personenbezug vor, was im Bereich der Werbung in der Regel kein überwiegendes privates Interesse rechtfertigt. Das würde bei einer einfachen Personendatenbearbeitung bedeuten, dass eine Einwilligung der betroffenen Personen in Form eines Opt-outs nötig wäre.» Konkret heisst dies: KundInnen müssten die Möglichkeit haben, die Datenerfassung und -bearbeitung zu Werbezwecken in ihrem persönlichen Fall abzulehnen. Advertima wollte gegenüber Infosperber letztes Jahr keine Stellung nehmen und beantwortete keine Detailfragen zur eigenen Interpretation des Datenschutzes.

EDÖB traut alten Beteuerungen

Trotzdem hat der EDÖB bisher nicht interveniert und sich die eingesetzte Technologie genauer angeschaut. Auf Infosperber-Anfrage heisst es, Advertima habe den EDÖB 2018 über die Einsätze des Produkts »Computer Vision Technology» vorinformiert. «Wir konnten davon ausgehen, dass eine Intervention unsererseits nicht notwendig sei.» Man habe dem Datenschützer versichert, transparent über den Einsatz der Technologie zu informieren und diese nicht zu personenbezogenen Zwecken wie eben personalisierter Werbung zu nutzen. Seit den Infosperber-Recherchen von letztem Jahr bestehen an dieser Darstellung aber begründete Zweifel. Passiert ist auch danach nichts. Im letzten Jahresbericht schrieb der Datenschützer, ihm fehlten allgemein die Ressourcen. «Die aktuellen Personalbestände setzen der Dichte der Kontrollen enge Grenzen» (Infosperber berichtete).

So bleiben wichtige Fragen weiterhin offen. Zum Beispiel: Lässt die laufende Erfassung meines Skeletts mit 18 Gelenkpunkten und meiner Kopfhaltung Rückschlüsse auf mich als Einzelperson zu? Ist die Werbung, welche mir angezeigt wird, weil ich derart als Mann kategorisiert werde, personalisiert? Und welche einzelnen Schritte der Erfassung, Anonymisierung und Bearbeitung von Personendaten sollten unterschieden werden?

Die SBB jagen also auch in tiefe Fettnäpfe, weil sich eigentlich umstrittene überwachungskapitalistische Praktiken bereits bequem im unergründeten «legalen Graubereich» eingerichtet haben. Die SBB beteuern zwar stets, sich an die datenschutzrechtlichen Vorgaben zu halten. Doch die Frage ist vielmehr, ob dies derzeit überhaupt ausreicht, um unsere Daten zu schützen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.
Portrait Pascal.Sigg.X

Pascal Sigg

Pascal Sigg ist Redaktor beim Infosperber und freier Reporter.

6 Meinungen

  • am 3.03.2023 um 13:21 Uhr
    Permalink

    Auf öffentlichen Plätzen müsste jedwede Art von Datensammlung generell verboten werden. Selbst wenn man wiederspräche, das System würde für eine Person bis zur Abfahrt des Zuges nicht abgeschaltet. Und Plätze für den öffentlichen Personenverkehr sind öffentliche Plätze, werden sie noch so sehr von Unternehmen betrieben.
    Um Sicherheit zu gewähren braucht es keine Datenauswertung, nur Personal welches aktiv am Monitor überwacht. Aber dafür ist kaum Geld! ?

  • am 3.03.2023 um 15:37 Uhr
    Permalink

    Die meisten SBB-Kunden sind ja ohnehin auch Kunden von Amazon, Meta, Google & Co. Warum darf die SBB – im Unterschied zu denen – das nicht machen?

    Anscheinend sind die Schlafschafe kurz aus dem Dornröschenschlaf aufgewacht. Wie lange sind Datenkracken wie NSA; Cambridge Analytica, Amazon, Google, Facebook & Co bekannt?

    Man weiss seit Jahren, dass Daten fürs Nudging, Mainstreaming, Public Relations usw. erhoben werden.

    Buchempfehlung:
    – Gustav le Bon: Psychologie der Massen
    – Edward Bernays: Propaganda, die Kunst der Public Relations
    – Walter Lippmann: Die öffentliche Meinung

    • Portrait Pascal.Sigg.X
      am 3.03.2023 um 20:38 Uhr
      Permalink

      Die genannten Konzerne dürften es auch nicht machen. Zynismus hilft nicht in dieser Sache.

  • am 4.03.2023 um 16:05 Uhr
    Permalink

    Die SBB braucht die Werbeeinnahmen dringend.
    Die Fahrpreise und der Staatliche Zuschuss können so niedriger bleiben.
    Derzeit läuft vieles bei der SBB angesichts steigender Leistungen vieles auf Verschleiss hinaus.

  • am 4.03.2023 um 17:59 Uhr
    Permalink

    Ich denke, wir sind bereits umzingelt. Wo immer zahlreiche Personen zusammen kommen, werden Daten erfasst. Wir sind sogar gesetzlich dazu verpflichtet unsere biometrischen Daten inklusive Fingerabdrücke, jederzeit überprüfbar, in den Ausweispapieren mit uns herumzutragen. Gesetze über den Schutz unserer Daten nützen nichts, wenn sie nicht durchgesetzt werden. Zudem können sie in vorgeschützter Notlage jederzeit gelockert werden. Genau gesehen ist Datenschutz beim Stand der heutigen Technik und der Informationsgier von Polizei, Staat und Wirtschaft eine Illusion. Leider.

  • am 7.03.2023 um 16:25 Uhr
    Permalink

    Die Werbebildschirme in den Bahnhöfen sind für mich das Schlimmste. Der Bahnhof Bern ist für mich zu einem Unort verkommen und ich suche möglichst Züge aus, wo ich dort nicht umsteigen muss oder laufe mit gesenktem Blick durch die Bildschirmgalerien. Somit kaufe ich auch weniger im Bahnhof ein als früher. Dazu kommt, dass die Bildschirme unnötig Strom verbrauchen.

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...