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Von der populären Vorstellung der Wikinger als grosses, blondes, nordisches Volk mit gehörnten Helmen stimmt fast nichts. © cromaconceptovisual/pixabay

Auch die Wikinger sind nicht das, was sie mal waren

Daniela Gschweng /  Was wir «Wikinger» nennen, ist keine Ethnie, sondern eine äusserst diverse, kosmopolitische Gemeinschaft, zeigen Genomanalysen.

Wikinger waren grosse, breitschultrige, blonde Männer, die ungefähr zum Ende des ersten Jahrtausends die Küsten Europas unsicher machten, so die Erzählung. Sie sind die Vorfahren heutiger Skandinavier, mit ellenlangen Stammbäumen, Thema vieler Sagen und sozusagen der Urtypus des Nordeuropäers.

Was alles nicht stimmt. Ausser den Sagen vielleicht. Mit einigen verhält es sich allerdings wie mit dem Angler und dem Fisch, der bei jeder Erzählung grösser wird, sagen Historikerinnen und Historiker. Und nicht einmal den berühmten gehörnten Wikingerhelm gab es. 

Ethnische Zuordnung gab es noch nicht

Das fängt mit dem ohnehin sensiblen Begriff «Volk» an. Zu einer bestimmten ethnischen Gruppe zusammenfassen lassen sich die Personen, die wir heute als «Wikinger» bezeichnen, nicht. Ethnien waren in Nordeuropa zu Beginn der Wikingerzeit (etwa 750 – 1050) noch gar nicht erfunden. Man gehörte zur Familie, zum Clan, zum Dorf oder in den Zuständigkeitsbereich eines lokalen Herrschers.

Norwegen, Schweden und Dänemark gab es anfangs noch gar nicht, genetisch abgrenzen lassen sich die Nordeuropäer von damals höchstens von den Samen, der vermutlich asiatischstämmigen Urbevölkerung des Nordens. Aber auch das ist fraglich. Die Herkunft des Begriffes «Wikinger» ist umstritten. Wer möchte, kann die ausführliche Herleitung auf Wikipedia nachlesen.

Einziges Erkennungsmerkmal Schiff

Was sicher ist: Die damalige Bevölkerung Skandinaviens lebte hauptsächlich von der Landwirtschaft, die Küstenbewohner bauten innovative Schiffe. Ähnlich wie die Erfindung des Langbogens, der Armbrust oder des Schiesspulvers sorgte das für einen Entwicklungsschub. Skandinavier plünderten Küstengebiete sowie das Einzugsgebiet schiffbarer Flüsse, trieben Handel und wurden damit oft reich.

Plünderer, die in Booten kamen, wurden oft pauschal als «Wikinger» bezeichnet. Also nennt man sie vielleicht besser «Nordpiraten», «Nordmänner», «Bootsmänner» oder «Entdecker». Wobei auch das mit den Männern keinesfalls klar ist.

Nicht mal das mit den Männern ist klar

2017 sorgte ein Wikingergrab, in dem ein grosser Krieger bestattet sein sollte, für Irritation – der Krieger, zeigte die Genanalyse, war eine Kriegerin. Die Wissenschaftlerin, die das entdeckte, musste sich lange gegen den Vorwurf verteidigen, Knochen verwechselt zu haben.

Mit ihren schnellen, hochseetauglichen Booten reisten Mann wie Frau bis ins heutige Kanada und nach Bagdad. Wohlhabende und wichtige Menschen wurden in Booten bestattet, was für eindrucksvolle Gräber sorgte.

Verstreute Kochen zeigen Verwandtschaft

Es passierte, was in solchen Fällen meist passiert: Man lernte einander kennen – freiwillig oder unfreiwillig. Wie gut, zeigte eine Genomanalyse, die im vergangenen Jahr in der Zeitschrift «Nature» veröffentlicht wurde. Ein Team von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen unter der Leitung des Genetikers Eske Willerslev von der Universität Cambridge und der Universität Kopenhagen sammelte dafür zehn Jahre lang Genproben aus ganz Skandinavien, grösstenteils aus den Jahren 750 bis 1050.

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Karte der «Wikingerwelt» vom 8.-11.Jahrhundert. Kreise: dunkelgrün (bis 500), hellgrün (500-700); gelb (700-1600); Regionen: rot Homeland; grün: Überfälle, Siedlung, Handel; blau: Kolonisation.

Dazu kamen menschliche Überreste aus Gräbern in anderen Teilen Europas, die Grabbeigaben oder Bestattungsmethoden aus der Wikingerzeit aufweisen. Insgesamt sequenzierte das Team das genetische Material von 442 Personen aus mehr als 80 teils weit voneinander entfernten Orten wie Italien, der Ukraine und Grönland.

Aussergewöhnlich divers und sehr mobil

Die Analyse zeigt vor allem die grosse Mobilität der nordischen Bootsfahrer und ihre genetische Durchmischung. Sie hatten Vorfahren aus den eurasischen Steppen, Südeuropa und Skandinavien. Geschwister wurden teilweise weit voneinander entfernt bestattet.

Die Küstenbewohner von Dänemark und Schweden hatten genetisch mehr mit den alten Anatoliern gemein als mit ihren unmittelbaren Vorfahren in Skandinavien, fasst die Journalistin Kiona Smith in «Ars Technica» zusammen.

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Die Handelsrouten (rot) der Wikinger in Osteuropa bis zum Schwarzen Meer, rote Punkte stellen Siedlungen dar, schwarze Punkte Orte mit starkem skandinavischem Einfluss.

Insgesamt waren die Wikinger eine ausserordentlich diverse Gemeinschaft. Es gibt Genome aus Wikingergräbern auf den Orkney-Inseln im Norden Schottlands, die überhaupt keine skandinavische DNA enthalten. In Norwegen fanden die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen dafür Gräber von Menschen mit schottischer oder irischer DNA.

Während in Küstenstädten und Handelsstützpunkten Migration die Normalität darstellte, blieb der genetische Pool im Inneren des Landes jahrhundertelang stabil. «Wir können eine Person aus Norwegen [genetisch] nicht von einer schwedischen oder dänischen Person unterscheiden», sagt Søren Sindbæk, Archäologe an der Universität Aarhus, Dänemark, zum Magazin «Science».

Kaum Ähnlichkeit mit heutiger Bevölkerung

Die Wanderungsbewegung hat nach dieser Zeit wahrscheinlich angehalten, legen die Daten nahe. Die heutige nordische Bevölkerung entspricht weit mehr der Vorstellung, die wir von Wikingern haben, als die damalige. Nur 15 bis 30 Prozent der heutigen Schweden können ihre Abstammung auf die «Wikinger»-Genome zurückführen. Die analysierten Individuen hatten häufiger dunkles Haar und dunkle Augen als heutige Dänen und waren kleiner.

Nichts also mit der ethnisch reinen, grossen, blonden Wikingerschaft. Versuchen Sie’s lieber mit dem Weihnachtsmann. Die Identität der Wikinger sei weder genetisch noch ethnisch, sondern sozial bedingt, sagt die Bioarchäologin Cat Jarman. Die Analyse sei der genetische Beweis. «Wikinger» sei eher eine Art Tätigkeitsbeschreibung, schlug der Journalist Andrew Curry in «Science» vor.

Relativ gleichberechtigte Gesellschaft

Ähnlich beurteilen Wissenschaftler auch Funde von Kämpferinnen. Diese waren zwar nicht häufig, aber es gab sie. Vielleicht aufgrund von familiären Hierarchien, wenn etwa ein Erbe fehlte. Irgendwer musste den Job ja machen. Frauen gingen auch auf Reisen und gelangten so bis auf entfernte Handelsposten, führt die Archäologin Gesche Wilts in ihrem Blog «Miss Jones» aus, in dem sie die gesellschaftliche Position der Frauen in der Wikingerzeit umreisst.

Insgesamt war die nordische Gesellschaft für ihre Zeit relativ gleichberechtigt. Frauen hatten das Recht auf Scheidung und das Schlüsselrecht. Das heisst, sie entschieden, wer das Haus betrat – inklusive des eigenen Ehemanns. Auch andere Tätigkeiten wie der Bergbau wurden von beiden Geschlechtern ausgeübt, zeigen archäologische Funde. Unterschiede ergaben sich in der komplexen Gesellschaft vor allem aus dem Unterschied zwischen arm und reich.

Berichte über die Grausamkeit und den herausragenden Kampfesmut der Nordmänner können nach Meinung der meisten Experten dem Bereich mittelalterlicher PR zugeordnet werden. Dass Wikingerhorden bevorzugt Mädchen töteten, weil sie nur Jungen Wert zumassen, ist beispielsweise widerlegt.

Wer wohin reiste, hing vom Wohnort ab

Die genetischen Daten zeigen noch andere Muster. Wer wohin reiste, hing mehr oder weniger vom Wohnort ab. Menschen aus dem heutigen Schweden bevorzugten das Baltikum, Polen und die heutigen Länder Russland und Ukraine. Die Bevölkerung des heutigen Dänemark erkundete lieber den Westen wie Irland, Island und Grönland.

Leider nicht herausfinden konnten die Forschenden, woher die ersten europäischen Siedler in Nordamerika kamen. In den dort gefundenen Artefakten gibt es bisher kein sequenzierbares Material. Unklar ist auch, inwieweit nordische Einwanderer eine Rolle bei der Entstehung des ersten russischen Staates spielten. Die Forschenden hoffen auf weitere Daten.


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3 Meinungen

  • am 26.12.2021 um 20:42 Uhr
    Permalink

    (Achtung! Nicht ganz ernst gemeint! 😉 )
    Na, dass die Wikingerfrauen immer vorne mit dabei waren, wissen wir doch spätestens seit der fantastischen norwegischen Serie «Beforeigners». Aber Kenner der norddeutschen Klamauk-Rockband «Torfrock» wussten das schon seit deren Hit aus den 1970ern: «Volle Granate! Renate!!»
    😉

  • am 26.12.2021 um 20:46 Uhr
    Permalink

    PS: Selbst in «Wicki und die starken Männer» waren die Frauen zwar nicht mit dabei auf den Raubzügen, hatten aber eindeutig «die Hosen an» 😉

  • am 28.12.2021 um 01:04 Uhr
    Permalink

    Dass die Frauen die Hosen anhaben, ist ok und sowieso besser für die ganze Gesellschaft.

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