Sperberauge

Alice Schwarzer zum Krieg: «Verhandeln und Frieden jetzt!»

Sperber © Bénédicte Sambo

Red. /  Auf beiden Seiten zwangsrekrutierte und zum Krieg verdonnerte Männer. Wo Helden sind, seien Vergewaltigungen und Töten nicht weit.

220331 Alice Schwarzer SRF
Alice Schwarzer

Auf ihrer Emma-Homepage fragt Frauenrechtlerin Alice Schwarzer: «Warum müssen täglich mehr Menschen sterben und Städte zerstört werden – wenn ein Kompromiss unvermeidlich ist? Warum wird der nicht jetzt gemacht? Und was ist mit den zwangsrekrutierten Männern zwischen 18 und 60? Und den flüchtenden Frauen und den Menschenhändlern, die auf sie lauern?»

«Krieg ist Krieg»

Die Bilder der zerstörten Städte und Massaker seien selbst für uns, die wir in Sicherheit sind, kaum zu ertragen. Die Täter seien neben russischen Soldaten wohl ebenso tschetschenische Söldner. Aber auch ukrainischen Soldaten habe man schon die gezielte Tötung russischer Gefangener nachgewiesen: «Krieg ist Krieg».

Die flüchtenden Frauen kämen alleine: «Die Männer sind vom ukrainischen Präsidenten qua Geschlecht zwangsverpflichtet worden.» Kein Mann zwischen 18 und 60 Jahren dürfe das Land verlassen. Alle seien Helden. Allen voran Präsident Selensky selber, der sich bereit erkläre, für sein Land zu sterben, sogar für die Freiheit des ganzen Westens: «Die im Westen, die nicht sterben wollen, sind für ihn ‹Schwächlinge›», schreibt Schwarzer.

Putin überziehe die Ukraine mit einem brutalen Angriffskrieg und rede ebenfalls von einem «wahrhaft grossen Heldentum» seiner Soldaten. Doch viele von ihnen seien arme Socken, schreibt Schwarzer: «Sie werden in ihrer Armee brutalisiert, kriegen nicht genug zu essen und wussten so manches Mal noch nicht einmal, dass sie in den Krieg gegen die Ukraine geschickt wurden. Doch wehe, wenn sie losgelassen. Dann plündern und vergewaltigen sie. Auf eigene Faust? Auf Befehl?»

«Helden? – Nein danke», sagt Schwarzer: «Wo Helden sind, sind die Vergewaltigten und das Töten nicht weit.»

«Längst ist ein Kompromiss fällig»

Um dem Töten und Vergewaltigen ein Ende zu bereiten, wäre «ein sehr früher Kompromiss richtig gewesen». Denn ein solcher müsse zu guter Letzt wahrscheinlich sowieso geschlossen werden. Er würde wahrscheinlich wie folgt aussehen: «Eine nato-freie Ukraine und ein Sonderstatus für den Donbas.» Doch es heisse, die Ukrainer könnten dank ihrer maximalen Wehrhaftigkeit ihre «Verhandlungsposition» verbessern.

«Um welchen Preis?», fragt Schwarzer: «Es gibt schon jetzt tausende Tote, auf beiden Seiten.»

«Heute scheint Putin nicht mehr erreichbar»

Alice Schwarzer vermutet, wie es zur jetzigen Verhärtung und Unmenschlichkeit Putins habe kommen können: «Weil die Nato immer näher an die russischen Grenzen rückte? Weil Selensky im Herbst 2021 den Beitritt der Ukraine zur Nato forderte, die mit Russland eine gemeinsame Grenze von 2’295 Kilometer hat? Man stelle sich nur mal vor, in Mexiko würden an der Grenze zu den USA russische Raketen stationiert …»

Heute scheine Putin nicht mehr erreichbar: «Das ist nicht nur für die Ukraine der Horror. Es zieht auch Russland in den Abgrund. Und es bedroht den Westen. Es gibt darum nur einen Weg: Verhandeln. Jetzt!»

«Zum Glück bleibt der Kanzler noch gelassen»

Für Schwarzer ist es «allerhöchste Zeit für Verhandlungen mit dem Präsidenten der zweitstärksten Atommacht der Welt, mit Putin». Denn längst sei nicht nur die kleine Ukraine bedroht. Schon jetzt bastle auch Deutschland an einem militärischen «Sicherheitsschirm». Die Innenministerin plane die Verstärkung alter Bunker und U-Bahn-Schächte. «Gleichzeitig hören forsche, so genannt kritische JournalistInnen nicht auf, von den PolitikerInnen zu fordern: Mehr Waffen für die Ukraine! Und sofortiger Stopp der Gaslieferungen! Zu unserem grossen Glück bleibt der Kanzler stoisch gelassen. Bisher. Ahnen seine KritikerInnen denn noch nicht einmal, dass wir in einen 3. Weltkrieg stolpern könnten? Wollen sie nicht verstehen, dass wir es besser dabei belassen sollten, maximale menschliche Hilfe zu leisten, für die Ukraine wie für die Flüchtlinge?»

Wie das möglich sei, würden gerade Tausende von Bürgerinnen der Nachbarländer der Ukraine zeigen, inklusive Deutschland: «Wobei es kein Zufall ist, dass an der vordersten Front des Lebens Frauen stehen – und an der vordersten Front des Todes Männer.»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Ukraine_Sprachen

Die Ukraine zwischen Ost und West: Jetzt von Russland angegriffen

Die Ukraine wird Opfer geopolitischer Interessen. Die Nato wollte näher an Russland. Seit dem 24.2.2022 führt Russland einen Angriffskrieg.

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6 Meinungen

  • am 21.04.2022 um 11:47 Uhr
    Permalink

    Es kommt nicht oft vor, dass ich Schwarzer zustimme. Aber diesmal ok. Lässt sich diese Position bei näherer Betrachtung auch auf die Mann-Frau-Kriege übertragen?

  • am 21.04.2022 um 17:00 Uhr
    Permalink

    Unfähigkeit hüben und drüben.
    Wer sagt denn, dass vor dem Krieg eine Annahme der Gesprächsangebote Putins nicht Erfolg gehabt haben könnten, im Frieden zusammensitzen und verhandeln. Da hat sich der Westen verweigert und bemerkenswert oft erwähnt, dass man der Ukraine nicht zur Hilfe kommen werde.
    Andererseits: musste Putin und seine Generale so dumm sein und die tatsächliche Lage so total verkennen?
    Nur einer lacht: er hat einen neuen Krieg fernab der eigenen Grenzen und Aufträge in Hülle und Fülle für den militärischindustriellen Komplex.

  • am 21.04.2022 um 18:18 Uhr
    Permalink

    Warum haben wir Krieg. Ja, wir haben Krieg, weil wir den Kapitalismus haben. Und wir haben den Kapitalismus, weil wir den alten Adam nicht loswerden, der ständig nur an Hass, Raub, an Habgier denkt. Solange aber dieser Adam, sprich die Menschheit, ihr kriegerisches Denken durch das rein friedliche ersetzt, solange wird es keinen Frieden auf der Erde geben! Und das auch auf die Gefahr des Untergangs des Tieres Mensch. Erich Fromm hat dies in „Haben oder Sein“ verdeutlicht. Die maßlose Gier der Menschen ist die Ursache aller Kriege: »Wenn die Menschen jemals freiwerden, das heißt dem Zwang entrinnen sollen, die Industrie durch pathologisch übersteigerten Konsum auf Touren zu halten, dann ist eine radikale Änderung des Wirtschaftssystems vonnöten: dann müssen wir der gegenwärtigen Situation ein Ende machen, in der eine gesunde Wirtschaft nur um den Preis kranker Menschen möglich ist. Unsere Aufgabe ist es, eine gesunde Wirtschaft für gesunde Menschen
    Kurt Wolfgang Ringel

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 22.04.2022 um 09:40 Uhr
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    Der Schlusssatz von Frau Schwarzer ist wohl etwas überzeichnet, wenn man sieht wie die Kriegsbegeisterung auch von weiblichen Ministerinnen lauthals verbreitet wird. Kriegsminister durch Frauen zu ersetzen hat es zweifellos (noch) nicht gebracht. F35-Verkäufer reiben sich die Hände.

  • am 22.04.2022 um 11:50 Uhr
    Permalink

    Danke der alte Vordenkerin Alice Schwarzer für die klaren, passenden Worte.
    Leute wie sie müssten sich zusammensetzen und mit Putin und Selenskyj in Verhandlung treten.
    Es könnten sich z.B. neben Alice Schwarzer auch Angela Merkel, Emanuel Macron, Prinz Charles und andere Leute mit Visionen und Mut dazu gesellen, um einen Friedensvertrag auszuarbeiten, in dem Niemand das Gesicht verliert. Es bräuchte eine längere Waffenruhe und eine Klausur (ohne Medienbegleitung) der Kriegsführer und Mediatorinnen. Wie wäre es mit einer Art «Wiener Kongress» z.B. in einem englischen Schloss?
    Gefragt wären nicht die Mächtigen sondern Leute mit Herzensbildung und Feingefühl – und das spreche ich fast allen Frauen und Männern ab, welche derzeit Machtpositionen besetzen. Es müsste darum gehen, einen Frieden zu erreichen, und nicht darum, sich zu profilieren.
    Niemand von den Aufrüstern, Kriegstreiberinnen sowie Öl ins Feurer Giessenden hätte bei solchen Verhandlungen was zu suchen – dafür echte Hofnarren.

    • am 22.04.2022 um 23:32 Uhr
      Permalink

      Um ein Problem zu lösen, sollte man nicht Leute zuziehen, die ein Teil des Problems sind.

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