Kommentar

Warum Wissenschaftler lieber für eine Bank arbeiten

Werner Vontobel © zvg

Werner Vontobel /  Der globalisierte Kapitalismus treibt seltsame Blüten, die jedoch nur noch als neue Normalität wahrgenommen werden. Ein Beispiel.

Meret Gaugler, so erfährt die Leserin der Schweizer Internet-Zeitung Watson in der Legende, «schloss 2004 ihr naturwissenschaftliches Studium an der ETH Zürich ab und doktorierte 2010 an der ETH Lausanne in Neurowissenschaften.» Beim Interview geht es aber nicht um Gehirnforschung, sondern um den «Golden Age Strategie»-Fonds der Schweizer Privatbank Lombard Odier, den Meret Gaugler zusammen mit einem gelernten Bänker und Ökonomen leitet.

Vor wenigen Jahrzehnten hätte ein solcher Frontwechsel noch Fragen ausgelöst. «Hatte sie nie wissenschaftliche Ambitionen?» Heute weiss jeder, dass man in der Finanzindustrie viel mehr Geld verdienen kann als in der Wissenschaft. Gauglers Fonds verwaltet 786 Millionen Euro und kassiert dafür 1,85 Prozent TER-Gebühren. Macht brutto 14,5 Millionen Dollar. Da darf man als Fondsmanager bei den Lohnverhandlungen nicht bescheiden sein. Selbst als Professorin an der ETH würde Gaugler nicht annähernd so viel verdienen. Sie hat zwar ihr Studium in den Sand gesetzt, nicht aber ihre Karriere.

Umgekehrt wählen die Firmen, die solche Jobs vergeben, natürlich nur die allerbesten Kandidaten aus. Eine doktorierte Neurowissenschaftlerin von der ETH macht sich gut an der Spitze eines Fonds. «Die hat sicher einen Riecher für neue Trends.» Elite-Universitäten bilden heute zwar auch noch Spezialisten in Spezialfächern aus, doch sie werden zunehmend zum Laufsteg für Anwärter auf lukrative Jobs aller Art, vor allem in der Finanzindustrie. Ökonomieprofessor Matthias Binswanger spricht in diesem Zusammenhang von «unnötigen Wettbewerben».

Die Idee hinter der «Golden Age Strategie» ist laut Gaugler die, dass «ein Unternehmen, das sich an relativ wohlhabende Babyboomer wendet, besser dasteht als eines, das sich an nicht so wohlhabende Millenials wendet». Die Finanzanalysten – nicht nur die von Lombard Odier – haben entdeckt, dass die ältere Generation gegenüber den Jungen eine deutlich grössere Kaufkraft hat. In den Worten von Gaugler: «Der grosse Elefant im Raum ist die Tatsache, dass die grösste Ungleichheit in den Industrienationen heute zwischen Jung und Alt besteht. Darüber spricht man nicht so gerne, aber das ist so.»

Stimmt. Darüber spricht man auch bei Watson offenbar nicht. Dass dazu keine Nachfrage kommt, hängt wohl auch damit zusammen, dass es der Elefant noch nicht bis in die Schweiz geschafft hat. Hier verdienen die Jungen nur in wenigen Branchen (etwa bei den Journalisten) real weniger als ihre Vorgänger.

In den anderen Ländern hingegen hat der Elefant schon sehr viel Porzellan zerschlagen. In Italien etwa verdienen die 30- bis 40-Jährigen heute fast 25 Prozent weniger als die gleiche Altersklasse vor nur zehn Jahren. Und die Abwärtstendenz hält an: Die 20- bis 30-Jährigen haben sogar eine Einbusse von 33 Prozent erlitten. In Frankreich sind die Einkommen der 18- bis 29-Jährigen seit 2002 – im Gegensatz zu Italien – immerhin gleich geblieben, doch die der Rentner-Generation sind im gleichen Zeitraum um 15 Prozent real gestiegen.

Woher kommt dieser Elefant? Wer hat ihn gefüttert? Die Frage wird zwar im Gaugler-Interview nicht direkt angesprochen, aber es gibt interessante Hinweise: Während die Jungen von ihren Einkommen eh kaum noch Ersparnisse bilden – und wenn, diese nur noch zu Minuszinsen anlegen können –, haben die reichen Alten mit ihrem «Golden-Age-Fonds» seit 2002 im Schnitt 10,5 Prozent verdient.

Zweistellige Renditen in einem Umfeld, das kaum noch wächst und negative Zinsen generiert? Wie geht das? Blöde Frage. Auch diese seltsame Blüte des globalen Kapitalismus ist längst zur neuen Normalität geworden, die man nicht mehr hinterfragen muss. Fonds wie die von Lombard Odier sind ein Teil der Antwort. Ihre Portfoliomanager kaufen nicht nur passiv Aktien ein, sie greifen für ihr fürstliches Gehalt auch aktiv ins Geschehen ein. Sie setzen sich – gleichsam als Gewerkschafter des Kapitals – mit den Firmenchefs an den Verhandlungstisch und geben ihnen Empfehlungen, mit welchen Steuer- und Personalsparmassnahmen sie die Gewinne (und ihre Boni) noch weiter steigern können.

Doch im Interview mit Frau Gaugler steht ein anderer Aspekt im Vordergrund: nachhaltige Fonds als Hüter und Retter der Umwelt. «Ja, es sind nicht nur Finanzzahlen, die angeschaut werden, sondern auch, wie sich ein Unternehmen ökologisch und sozial verhält.»

Das nährt die Hoffnung, dass es dem Kapitalismus auch dieses Mal gelingt, rechtzeitig aus den eigenen Fehlern – wie etwa die Umverteilung zu den Alten – zu lernen. Die Manager des «Golden-Age-Fonds» haben schon mal gelernt, wie man daraus den maximalen finanziellen Nutzen zieht. Das könnte der Beginn einer steilen Lernkurve sein. Darauf wetten sollte man aber nicht.


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Eine Meinung zu

  • am 1.10.2019 um 14:18 Uhr
    Permalink

    "Der Beinahe-Kollaps des Finanzsystems hat die globale Finanz nicht von ihrer strategischen Rolle verdrängt, die sie in der Weltwirtschaft besetzt. Sie war deshalb in der Lage, erfolgreich staatliche Unterstützung in einem Ausmass zu verlangen, das kein anderer Wirtschaftssektor je fordern könnte. Die Tatsache, dass das Angebot dieser staatlichen Unterstützung alle Regeln der neoliberalen Wirtschaft und Politik bricht, beweist nur die subsidiäre Rolle von Ideen und Ideologien bei der Aufrechterhaltung von Regimes. (Aus Colin Crouch: „Die Finanzkrise: Eine neue Chance für die Arbeiterbewegung? Noch nicht…, Rote Revue 4/2009, Seite 21-22)

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