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Der Rosengarten soll entlastet werden – doch zu welchem Preis? © CC, Roland zh

Der Wert des Rosengarten-Tunnels ist nur Bauchgefühl

Felix Schindler /  In Zürich soll für 1,1 Mia. Franken eine Verkehrsachse umgebaut werden. Ob das volkswirtschaftlich Sinn macht, wurde nie erhoben.

Strassen sind die Lebensadern der Wirtschaft. Diese Überzeugung steht ganz am Anfang jeder Rechtfertigung eines Strassenbauprojektes – so auch im Fall des 2,3 Kilometer langen Rosengarten-Tunnels, über den die Bevölkerung des Kantons Zürich in einer Woche abstimmen wird.

Stadt und Kanton werben gemeinsam auf einer Website für das Projekt. Dort heisst es, die Rosengartenachse sei «für den ganzen Kanton von volkswirtschaftlicher Bedeutung». Hans-Jakob Bösch, Präsident der FDP Zürich, sagt, der Kanton brauche für die Arbeitsplätze ein «leistungsfähiges Verkehrsnetz». Und FDP-Ständerat und Unternehmer Ruedi Noser schreibt in einem Plädoyer auf «Inside Paradeplatz» von einem «herausragenden Wert für Zürich».

Das Rosengarten-Projekt

Zahlreiche Medien berichten umfassend über das Projekt, Infosperber fokussiert auf jene Aspekte, die bisher zu kurz gekommen sind. Der «Tages-Anzeiger» und die «NZZ» führen Dossiers mit zahlreichen Artikeln, Faktenchecks und Kommentaren (die «NZZ» befürwortet den Bau, der «Tages-Anzeiger» kommentiert kontradiktorisch). Die Schweizer Redaktion der deutschen Wochenzeitung «Zeit» veröffentlichte eine umfangreiche und kritische Analyse. Auf Denkfabrik Mobilität äusserte sich Horst Schaffer, ehemaliger stellvertretender Direktor der VBZ, kritisch zum Projekt.

Hier einige weitere Ressourcen:
Offizielle Website von Stadt und Kanton
Pro-Komitee
Nein-Kampagne

Jedem Wert stehen Kosten gegenüber, in diesem Fall sind es die ebenfalls herausragenden Baukosten. Das Projekt wird gemäss heutigem Planungsstand 1,1 Milliarden Franken an Steuergeldern verschlingen – ein Vielfaches von anderen Zürcher Infrastrukturprojekten (siehe Kasten «Die Baukosten im Vergleich»).

«Keine Kosten-Nutzen-Abwägung gemacht»

Das Problem: Die Höhe der Kosten ist bekannt, aber niemand weiss, wie gross der volkswirtschaftliche Nutzen des Tunnels ist. Auf Anfrage des Infosperbers erklärt Markus Gerber, Sprecher des zuständigen Amtes für Verkehr des Kantons Zürich: «In der aktuellen Planungssituation haben wir keine klassische Kosten-Nutzen-Abschätzung gemacht.»

«Eine solche volkswirtschaftliche Gesamtsicht bietet eine wichtige Grundlage für eine Beurteilung», sagt Daniel Sutter. Sutter ist Geschäftsleiter des Forschungsinstituts Infras, das regelmässig Kosten-Nutzen-Analysen von Verkehrsprojekten berechnet. «Wenn der Nutzen grösser ist als die Kosten, ist ein Projekt volkswirtschaftlich empfehlenswert», sagt Sutter.

Die Effekte eines Strassenbauprojekts

Laut dem Verkehrsexperten lassen sich die Auswirkungen, die die volkswirtschaftliche Bilanz eines Strassenbauprojekts beeinflussen, stark vereinfacht in drei Gruppen gliedern.

  1. Die Infrastrukturkosten
  2. Die Reduktion von volkswirtschaftlichen Schäden
  3. Die Verbesserung der Verkehrsqualität

Die Kosten sind bekannt. Die volkswirtschaftlichen Schäden lassen sich mindestens annähern. Dazu gehören die Kosten für Lärm, Klimaschäden, Luftverschmutzung und Unfälle sowie negative Wirkungen auf die Wohn- und Aufenthaltsqualität – allesamt Auswirkungen des Autoverkehrs.

«Im Quartier würde die Lebensqualität deutlich steigen»

Zweifelsohne würde es entlang der Rosengartenstrasse erheblich ruhiger werden, wenn der Verkehr unterirdisch geführt wird. Zwei richtungsgetrennte Röhren dürften sich positiv auf die Unfallzahlen auswirken. Die Belastung durch Luftverschmutzung ginge an der Rosengartenstrasse selbst ebenfalls zurück. «Im Quartier würde die Lebensqualität deutlich steigen. So gesehen ist unbestritten ein erheblicher Nutzen vorhanden, wenn der Verkehr verschwindet», sagt der Verkehrsexperte Sutter. So ist es naheliegend, dass die Tunnelbefürworter einen Schwerpunkt ihrer Argumentation darauf legen.

Nur: Am Ende des Tunnels kommen alle 56’000 Autos wieder zum Vorschein und verursachen Lärm, Klimaschäden und Unfälle in den angrenzenden Quartieren. Bei den Portalen wird die Luftverschmutzung sogar noch grösser sein als heute, wie der Kanton im Jahr 2015 in einem Bericht festhielt. Die Reduktion von volkswirtschaftlichen Schäden geschieht also auf sehr eng begrenztem Raum. Trotzdem werden alle Steuerzahler im ganzen Kanton zur Kasse gebeten.

Hier kommt der dritte Punkt ins Spiel, die «Verbesserung der Verkehrsqualität». Nach Ansicht der Befürworter liegt die volkswirtschaftliche Bedeutung für den ganzen Kanton darin, dass täglich Zehntausende zur Arbeit oder zum Einkaufen fahren können.

56’000 Autos als Minimum

Heute fahren 56’000 Autos durch die Rosengartenstrasse – die Erhaltung dieser Kapazität gehört zu den erklärten Zielen des Kantons. «Für den Stimmbürger wäre es relevant zu wissen, welche Folgen eine Reduktion der Kapazität verursachen würde», sagt Sutter. 2013 hatte der Kanton in einer Studie eine Variante ohne Tunnel geprüft. Sie hätte weniger als einen Drittel des heutigen Projekts gekostet und 36’000 Autos pro Tag verkraftet – doppelt so viele wie der Gotthard-Tunnel. Doch für eine derartige Reduktion des Autoverkehrs seien die «Voraussetzungen nicht gegeben», heisst es im Bericht.

Nicht bekannt ist, mit welchen Folgen der Kanton rechnet, wenn die Autofahrer mit dem öffentlichen Verkehr in die Stadt oder aus ihr hinaus fahren würden. Unbekannt ist auch das Potential einer Verlagerung auf den Fuss- und Veloverkehr. 30 Prozent der Fahrten durch den Rosengarten sind Binnenverkehr – selbst wenn nur ein kleiner Teil der Autofahrer auf das Velo umsteigt, reduziert das die volkswirtschaftlichen Schäden, verkürzt die Reisezeit und wirkt sich positiv auf die Gesundheit der Bevölkerung aus. Das alles sind Effekte, deren Bedeutung der Stimmbürger kennen würde, wenn der Kanton eine Kosten-Nutzen-Analyse gemacht hätte.

Obwohl entscheidende Variablen in dieser Gleichung fehlen, hält der Kanton an einer Mindestkapazität von 56’000 pro Tag fest. Diese Zahl soll allerdings auch nicht überschritten werden, das verspricht die Regierungsrätin Carmen Walker Späh. Seit dieser Woche gibt es daran gewisse Zweifel: Der Tages-Anzeiger veröffentlichte einen Auszug aus einem geheimen Protokoll einer Kommissionssitzung aus dem Jahr 2018. Demnach sagte der Chef des Amts für Verkehr und Vorsitzende der Projektsteuerung «Rosengarten»: «Angestrebt mit diesem Projekt wird, im Strassenverkehr und im öffentlichen Verkehr mehr Kapazität anzubieten.»

Bund kritisierte unklares Kosten-Nutzen-Verhältnis

Dass der Kanton nicht belegen kann, ob die Kosten von über 1,1 Milliarden gerechtfertigt sind, ist vor etwas mehr als einem Jahr schon zum Problem geworden. Die Befürworter hoffen, dass sich der Bund mit 30 bis 40 Prozent an den Kosten beteiligt. Dieser prüfte das Projekt und beurteilte es als «ungenügend». Der Bund attestiert ihm positive Auswirkungen auf das Quartier, eine volkswirtschaftliche Bedeutung erwähnt er nicht. Unter dem Strich sieht er einen sehr hohen Nutzen, allerdings bei sehr hohen Kosten. Doch: Das Kosten-Nutzen-Verhältnis müsse im Detail nachgewiesen werden.

Dieser Nachweis fehlt bis heute. Und trotzdem müssen die Stimmbürger nun entscheiden, ob der Nutzen des Rosengarten-Tunnels in einem vernünftigen Verhältnis zu den Kosten von 1,1 Milliarden. Franken steht – und müssen sich dabei auf Vermutungen des Kantons und das Bauchgefühl der Befürworter verlassen.

Die Baukosten im Vergleich

In den letzten 20 Jahren hat der Kanton Zürich über mindestens neun Verkehrsprojekte abgestimmt – bei keinem war der geforderte Beitrag des Steuerzahlers auch nur annähernd so hoch wie der für das Rosengarten-Projekt. Zum Zeitpunkt der Abstimmung war die Limmattalbahn mit 647 Millionen Franken am teuersten budgetiert, dahinter folgen der Bahnhof Löwenstrasse (580 Mio.) und die Glatttalbahn (555 Mio.).

Das ganze Projekt am Rosengarten – Tunnel und Tram – kostet 1148 Millionen Franken, wobei 165 Millionen auf die Tramlinie und 44 Millionen auf die Strassenmassnahmen entfallen. Der Bau des Tunnels alleine kostet 579 Millionen. Zusammen mit den Kosten für die Enteignung mehrerer Hausbesitzer, die durch den Tunnelbau nötig werden, und einem Anteil der Posten Projektierung, Bauleitung und Reserve verursacht der Tunnel Kosten von rund 840 Millionen – knapp 75 Prozent der Gesamtkosten.

Im Vergleich: Der Milchbuck-Tunnel, der 1985 eröffnet wurde, kostete 347 Millionen Franken, teuerungsbereinigt entspricht das 517 Millionen Franken. Die Einhausung Schwamendingen, die derzeit im Bau ist, budgetierten die Ingenieure zum Zeitpunkt der Abstimmung im Jahr 2006 mit 205 Millionen Franken. Inzwischen ist klar: Das Projekt wird mindestens 445 Millionen Franken kosten. Dort fahren täglich 120’000 Autos durch.

Beide Tunnels sind kürzer als der Rosengarten-Tunnel, doch selbst pro Meter ist der Rosengarten-Tunnel teurer.

  • Milchbuck-Tunnel: 517 Mio. (inkl. Teuerung) / 1900 m = 272’000 Franken
  • Einhausung Schwamendingen: 445 Mio. / 940 m = 234’000 Franken
  • Rosengarten-Tunnel: Ca. 800 Mio. / 2300 m = 348’000 Franken.

Nimmt man nicht die Länge des Tunnels als Massstab, sondern die heutige Strecke, die der Tunnel ersetzen soll, steigen die Kosten auf über eine halbe Million Franken pro Meter.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

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6 Meinungen

  • am 2.02.2020 um 13:09 Uhr
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    Felix Schinder schreibt: «die Stimmbürger … müssen sich dabei auf … das Bauchgefühl der Befürworter verlassen». Die Stimmbürger sollten sich auf das Bauchgefühl der Gegner verlassen. Das Ganze ist eine Schnapsidee, an der so viele Jahre herumgebastelt wurde, bis man aus Prestigegründen nicht mehr zurück konnte.

  • am 2.02.2020 um 13:47 Uhr
    Permalink

    Ich bin vor 50 Jahre jeden Werktag mit dem Velo den Rosengarten hinunter und hinauf mit dem Velo gefahren. So war der Arbeitsweg ein gutes Training. Die Luft war damals noch gut.
    Die grosse Bevölkerungsvermehrung bringt uns leider mehr Nachteile als Vorteile!
    Markus Zimmermann

  • am 2.02.2020 um 20:59 Uhr
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    Leider wird befürchtet, dass die Stadtzürcher zwar Nein stimmen, aber die Bewohner ausserhalb Zürichs Ja sagen werden zum Bau des Rosengartentunnels. In der Stadt Zürich haben heute viele Leute kein Auto mehr und werden das neue Loch nie befahren.

    Der projektierte Tunnel vom Wipkingen bis zum Irchel soll eine Länge von 2,3 Kilometern haben. Die dadurch verkehrsberuhigte Strecke im Wohnquartier Wipkingen wird aber nur 700 Meter lang sein. Die Planer schätzen, dass der Tunnel für die oberirdische Rosengartenstrasse eine Entlastung von 80 – 95 Prozent bringen soll. Das heisst, dass täglich dennoch 2’800 bis 11’220 Fahrzeuge über diese Strasse fahren werden. Auf der oberirdischen steilen Rosengartenstrasse sind auch zwei neue Tramlinien geplant, die wie die tausenden Autos, die immer noch über diese Strasse rollen, auch nicht gerade leise zirkulieren werden. Im Herbst und im Winter bei glitschigen Geleisen werden die Trams vielleicht gar nicht zum Bucheggplatz heraufkommen, wie das Tram Nummer 6 zum Zürcher Zoo das manchmal am Millionärshügel Zürichberg stecken bleibt. Die Belastung der Bevölkerung durch Abgas- und Lärmemissionen im Stadtteil Wipkingen werden durch den Rosengartentunnel nicht stark verringert und die Lebensqualität in den umliegenden Gebieten wird kaum erhöht, da ein Teil des Verkehrs auch über heute relativ ruhige Quartierstrassen fliessen wird. Die Rosengartenstrasse, wird zu keinem Rosengarten in dem man dann das dolce vita, das süsse Leben feiern kann.

  • am 2.02.2020 um 23:40 Uhr
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    Mehr Kapazität im Strassenverkehr ist immer nur vorübergehend eine Lösung, da schnellere Wege dazu führen, dass die Nutzer weiter weg in ruhigere Gegenden ziehen.

    Seit 2000 Jahren wendet der Mensch ca. 45 Minuten für den Arbeitsweg auf.

    Je schneller er ist, desto weiter sind die Strecken.

  • am 2.02.2020 um 23:42 Uhr
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    Mit einer Kostensteigerung ist ebenso zu rechnen.

    Wird es wie beim Schwammendinger-Tunnel reden wir von 2.2 Mia Franken!

    Mehr als 1000 Franken pro Kantonsbürger/in.

  • am 3.02.2020 um 21:26 Uhr
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    Ein Rosengartentunnel wäre ein falsches Signal. Es braucht radikal neue Konzepte für den Verkehr.

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