KautschukSammelstelle

Eine Sammelstelle für Rohkautschuk in Thailand, dem grössten Gummiproduzenten der Welt. © WDR / Michael Höft

Autoreifen: Erbärmliche Arbeitsbedingungen auf Gummiplantagen

Monique Ryser /  Konzernverantwortung nicht vorhanden: Spurensuche von Filmemacher Michael Höft auf Kautschukplantagen für die Reifenproduktion.

Nur die Stirnlampe weist den Weg und gibt das nötige Licht, wenn die Arbeiterinnen und Arbeiter auf der Kautschukplantage das «weisse Gold» ernten gehen. Denn der Baum, der die Welt mit Naturgummi versorgt, lässt seine weisse Flüssigkeit vor allem nachts fliessen. Zwölf Stunden dauert die Schicht, der Monatslohn beträgt zwischen 4000 und 5000 thailändische Bäht – umgerechnet rund 140 Euro, die Hälfte des Mindestlohns in Thailand. Das erfährt der Filmemacher Michael Höft beim Besuch auf einer Kautschukplantage südöstlich von Bangkok. Ein thailändischer Journalist, der den Plantagenbesitzer kennt, konnte ihm diesen Termin vermitteln. Denn Höft stiess für seine ARD-Reportage «Schmutzige Reifen» vor allem auf verschlossene Türen, Geheimnistuerei und schmallippige Reifenhersteller. Dabei hatte er sich vor dem Kauf eines Satzes neuer Reifen nur die Frage gestellt: Woher stammt eigentlich der Gummi, der in die 50 Millionen Reifen fliesst, die jährlich in Deutschland verkauft werden? Klar ist, dass Autoreifen zu 90 Prozent aus Naturkautschuk bestehen, dass Thailand mit vier Millionen Tonnen der grösste Kautschukproduzent der Welt, und die Hauptstadt Bangkok das Zentrum des internationalen Kautschukhandels ist.

Früher Urwald
Dank eines lokalen Journalisten kann Höft eine Plantage besuchen. Der Besitzer erzählt, dass hier früher Urwald gewesen sei, und dass seine Eltern das Gebiet gerodet, erst Reis und Zuckerrohr, danach aber nur noch Gummibäume gepflanzt hätten. Da der Preis für Kautschuk in den letzten fünf Jahren stark gesunken ist, hat er weitere Bäume gesetzt, um den Einkommensverlust durch Menge zu kompensieren. Die 50 Angestellten stammen alle aus Kambodscha – sie sind billiger als Einheimische. Und sie erhalten nur Geld, wenn sie arbeiten. In der Regenzeit sind sie zum Nichtstun verurteilt. Der Lohn reicht nur für das Nötigste, die Familien wohnen in einfachsten Hütten.

Verbotenes Herbizid Paraquat
Nicht nur das Ernten des flüssigen Kautschuks gehört zu den Aufgaben, auch das Versprühen des in Europa verbotenen Herbizids Paraquat.

Public Eye warnt vor dem hochgiftigen, von Syngenta vertriebenen Herbizid, da es Lungenschäden, Hautkrankheiten und neurodegenerative Erkrankungen wie Parkinson auslösen kann. Die Arbeiterinnen und Arbeiter auf der thailändischen Gummiplantage tragen zwar einen Mundschutz und glauben sich so geschützt – doch der Wirkstoff dringt auch durch die Haut in den Körper ein. Zudem hält sich das Herbizid über Monate im Boden und schädigt Natur und Menschen weiter (siehe auch auf Infosperber: «Syngentas Milliardengeschäft mit hochgefährlichen Pestiziden»). Doch was Konzerne in Europa dank des Verbots nicht mehr verantworten dürfen, das «verantworten» sie in Thailand.

Geheimnistuerei
Nach der Ernte liefern die lokalen Bauern den Kautschuk an eine Sammelstelle. Diese legt den Preis fest, verhandeln ist nicht möglich. Höft möchte wissen, wohin der Kautschuk geliefert wird, doch die Fabrik will nicht, dass man ihren Namen erfährt. Also folgt er dem Lastwagen und landet bei einer lokalen Kautschukfürstin. Hier, in der Fabrik zur Weiterverarbeitung des Rohstoffs, arbeiten vor allem Thais – als Tagelöhner – zu einem Lohn von rund 140 Euro monatlich. Von hier aus geht der Gummi zu den grossen Reifenherstellern wie Bridgestone, Goodyear oder Continental. Alle haben sie Reifenproduktionen in Thailand, doch niemand will den Filmemacher empfangen oder filmen lassen.
Er versucht es im Nachbarland Kambodscha, wo in einer Zwischenhandelsfabrik die Arbeitsbedingungen und Unterkünfte der Arbeiterinnen und Arbeiter nicht viel besser sind als in Thailand. Der Monatslohn beträgt hier rund 150 Euro. Wenn viel zu tun sei, kämen sie auf 250 Euro, erzählt eine Arbeiterin. Die Reise weiter ins Land führt den Filmemacher zu Indigenen. Ihre Grundstücke, die sie für den täglichen Nahrungsbedarf bestellt hatten, wurden von der Regierung verkauft. Die Dorfgemeinschaft wurde enteignet, um Gummibaumplantagen zu errichten. Jedes Jahr wachsen die Kautschukplantagen in Kambodscha um sechs bis sieben Prozent.

«Nach vorne schauen»
Zurück in Europa möchte Filmemacher Höft die Reifenhersteller mit seinen Recherchen konfrontieren. Doch niemand will hinschauen, niemand will reden. Auch nicht der deutsche Reifenproduzent Continental in Hannover. Die Konzerne schicken Auszüge aus «Code of Conducts» und internen Richtlinien – die alle gut tönen und von Verantwortung gegenüber Mensch und Umwelt sprechen. Schliesslich konfrontiert er Boris Engelhardt vom Wirtschaftsverband der deutschen Kautschukindustrie mit dem Filmmaterial. Dessen Reaktion: Er sei erschüttert. Auch er verweist auf Richtlinien und betont dann, man müsse «jetzt wirklich nach vorne schauen.»

Aufgummieren statt Neue kaufen
Filmemacher Höft sieht nach seiner Recherche nur eine Lösung, kurzfristig zu handeln: Er lässt einen Sprecher von Reifen Hinghaus am Teutoburger Wald zu Wort kommen. Dieser erklärt, dass aufgummierte und rundum erneuerte Reifen ebenso sicher sind wie neue Pneus. Würde man auf aufgummierte Reifen setzen, könnten Tonnen von Gummi wiederverwertet werden: Denn die abgenutzten Profile, die zum Kauf eines neuen Satzes führen, würden nur gerade 20 Prozent des Materials eines Reifen ausmachen. Pro Jahr werden so in Deutschland 200’000 Tonnen Reifen mit noch brauchbarem Gummi verbrannt, ein Recycling gibt es nicht.

Bundesamt für Umwelt rät zu Sammlung und Erneuerung

In der Schweiz wirbt das Bundesamt für Umwelt (Bafu) für die separate Sammlung von Autoreifen, denn es sei «ökologisch sinnvoll.» Und weiter: «Altreifen können erneuert und anstelle von Neureifen verwendet werden.» Aus Umweltsicht die beste Variante sei die Wiederverwendung. «Qualitativ noch einwandfreie Altreifen können mit einer neuen Lauffläche versehen werden. Durch diese so genannte Runderneuerung erhalten die Reifen ein zweites Leben, wodurch der Verbrauch von Neureifen reduziert und dadurch die Umwelt geschont wird», schreibt das Bafu. Sei die Wiederverwendung nicht möglich, so sollten die gebrauchten Pneus stofflich oder energetisch genutzt werden. «Die Rückgabe an Sammelstellen (z. B. Garagisten oder Pneuhäuser) stellt die umweltgerechte Entsorgung sicher.»

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ARD-Reportage: «Schmutzige Reifen» (ARD-Mediathek, verfügbar bis 19.08.2020). Bearbeitung von Monique Ryser.

Weiterführende Informationen


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Keine

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