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Hiroshima 1945 nach der Zerstörung durch die USA © Keystone

Hiroshima ist wieder eine Option

Helmut Scheben /  Donald Trump lässt neue Atombomben bauen. Mit der grotesken Begründung, man wolle einen Atomkrieg verhindern.

Die Nachricht in der SRF-«Tagesschau» ging fast unter im News-Cocktail, der den formalen Charakter des Mediums ausmacht. Der Bericht über die «Mini-Nukes» des Donald Trump erschien wie beiläufig nach der blauen Kugel, mit der der Schweizer Aussenminister die hundertste Folge des EU-Dossiers illustrierte, nach der neuen Finanzordnung und der Meldung, dass die verschwundenen P-26-Akten weiter gesucht werden. Da erfuhr das TV-Publikum am vergangenen Samstagabend, dass die atomare Supermacht USA gewillt sei, eine neue Art von «kleineren Atombomben» zu bauen, um Russland abzuschrecken. Es geht um eine Sprengkraft von bis zu 20 Kilotonnen TNT, was etwa vergleichbar ist mit der Zerstörungskraft der Plutoniumbombe, welche die USA am 9. August 1945 auf die japanische Stadt Nagasaki abwarfen. Drei Tage vorher hatten sie mit einer Uranbombe von 13 Kilotonnen Sprengkraft das Zentrum der Stadt Hiroshima vom Erdboden getilgt.

Donald Trumps Atombomben waren keine Breaking News in der «Tagesschau». Die Sendung wurde nicht umgestellt, es kam nicht zum atemlosen Stillstand angesichts der Ungeheuerlichkeit, die da verkündete wurde. Keine Sondersendung wurde anberaumt, keine Experten wurden aufgeboten, die abendliche «Tagesschau» lief mit der gleichen Routine und souveränen Eleganz der Moderatorin wie alle Tage. Die Nachricht, dass die USA wieder Atomkrieg in ihre Planung einbeziehen, kam beiläufig daher, wie wenn Thomas Bucheli im «Meteo» sagt, es käme ein Tiefdruckgebiet mit etwas Niederschlag. Dass es hier um radioaktiven Niederschlag geht, ging gleichsam unter in einer Routine von Stau am Gubrist-Tunnel, Nachtessen und Feierabend-Bier.
Doktrin des Kalten Krieges
Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass der Bericht in der SRF-«Tagesschau» bildstark und inhaltlich einwandfrei war. Er war ein Beispiel dafür, dass News-Profis es schaffen, in zwei Minuten ein komplexes Thema zu umreissen. Der stellvertretenden US-Verteidigungsminster versicherte, man werde nicht gegen Abrüstungsverträge verstossen, es gehe nur darum, Amerikas Macht der Abschreckung zu stärken. Ein Überlebender von Hiroshima sagt, die Strategie von Trump könnte die Schwelle für den Einsatz von Atomwaffen senken und so einen Atomkrieg wahrscheinlicher machen. Zitiert wurde auch die Anti-Atomwaffen-Bewegung, die letztes Jahr mit dem Friedensnobelpreis geehrt wurde: Sie wirft den USA vor, die Nuklearwaffen aus den Bunkern zu holen und wieder auf dem Schlachtfeld einzusetzen.
Was Hiroshima und die Gegenwart verbindet, ist der Faktor Abschreckung, das heisst der Wille eines Staates, mit der Gewalt seiner Waffen zu drohen. Der Versuch, das steuerzahlende Volk zu überzeugen und der Sache ein politisch korrektes Make-up zu verpassen, führt zu der Behauptung, Atomwaffen verhinderten Krieg. Die Doktrin des Kalten Krieges lautete, man müsse Atomwaffen bauen, um in einem Gleichgewicht des Schreckens den Atomkrieg zu vermeiden. Eine Hypothese, die etwa so logisch ist wie die Behauptung, man müsse Killerviren, Giftgas und Landminen produzieren, um ihren Gebrauch zu verhindern. Die historische Erfahrung lehrt: Die Waffen, die da sind, werden auch eingesetzt. Und sei es nur «irrtümlich». Kürzlich wurde die Bevölkerung in Hawai in die Atombunker geschickt, weil ein Raketenangriff im Gange sei. Es war ein Fehler im System. Ein kleiner Irrtum.
Demonstration militärischer Stärke
Auch die Bomben auf Hiroshima und Nagasaki waren – im Gegensatz zu dem, was in den Schulbüchern der USA steht – wohl hauptsächlich Abschreckung. Offiziell heisst es in Washington zwar bis heute, durch den Abwurf der Bomben habe man den Pazifikkrieg schnell beenden und damit das Leben vieler Soldaten retten können. In den letzten Jahrzehnten hat aber die historische Forschung mehr und mehr aufgedeckt, dass Japan im Sommer 1945 über verschiedene diplomatische Kanäle intensiv nach der Möglichkeit eines Waffenstillstandes suchte, der es dem Kaiser erlaubt hätte, das Gesicht zu wahren.
Es ging Präsident Truman und seinen Generälen damals wohl vor allem um die schiere Demonstration militärischer Macht. Mit den Bomben auf Hiroshima und Nagasaki wollte man der Sowjetunion und dem Rest der Welt zeigen, dass man eine neue Superwaffe besass und dass man gewillt war, sie einzusetzen. Stalin forcierte anschliessend den Bau der sowjetischen Atombombe.
Donald Trump und seinen Generälen geht es um nicht anderes als um die Demonstration militärischer Stärke und um Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie. Mit der atomaren Aufrüstung spielt Trump überdies erneut den Zampanó auf dem Marktplatz und nimmt den Demokraten den Wind aus den Segeln, indem er Aggressivität gegen Russland zeigt. Das ist aber nichts Neues. Denn dass die atomare Supermacht USA eine Billion Dollar (das sind tausend Milliarden) für die nukleare Auftrüstung der nächsten 30 Jahren budgetiert hat, weiss man seit langem. Das Budget wurde noch unter Präsident Obama durch den Kongress gewinkt, und Hillary Clinton sagte in ihrer Wahlkampagne, das Updating der US-Atomwaffensysteme sei eine ihrer Prioritäten.
«Wake up, America!»
Admiral Robert R.Monroe, ein ehemalige Leiter der Defense Nuclear Agency des US-Verteidigungsministeriums, schreibt Ende Januar in der Zeitung «The Hill» in Washington, Amerika müsse aufwachen und atomar aufrüsten, wenn es überleben wolle:

«Wake up, America! Russia, China, North Corea and Iran are changing the nuclear weappons world. To survive, we must reverse our misguided nuclear weapons policies.»1

Monroe beklagt es lauthals als eine Katastrophe, dass die USA nach dem Ende des Kalten Krieges die Entwicklung von Atomwaffen bremsten. Dies sei «a unwise decision» gewesen. Seit 25 Jahren seien keine US-Atomwaffen mehr getestet worden, amerikanische Wissenschafter und Forscher hätten jegliche Kenntnis über Atomwaffen verloren, Russland sei den USA auf dem Gefechtsfeld überlegen. Die Führer Amerikas hätten die Tests gestoppt mit «der falschen Idee, Nuklearwaffen seien etwas Böses.»
Wer solche Sätze liest, weiss, wohin die Reise geht. Das Skandalöse daran ist, dass die ganze Welt diesen Wahnsinn schulterzuckend zur Kenntnis nimmt. In dieser Hinsicht hatten die News-Journalisten der «Tagesschau» wohl recht, wenn sie die Information nicht mit der grossen Kelle anrührten. Man weiss nicht so recht, ob das gelangweilte Publikum diese blonde Frisur im Weissen Haus ernst nimmt. Man beobachtet beinah amüsiert die Atombomben-Spiele zwischen Washington und Nordkorea. So wie man die täglichen News zur Kenntnis nimmt, die besagen, dass uns Gefahr droht aus dem Reich des Bösen: aus Russland.
Die Lethargie der Lemminge
28 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer ist also der Kalte Krieg nicht beendet, und der grosse weisse Vater im Weissen Haus hat mit seinen Generälen befunden, Atombomben seien eigentlich keine schlechte Sache. China, Russland und einige Stimmen von Gewicht in Europa haben protestiert. Doch 24 Stunden später regt sich schon niemand mehr auf.
Es ist die Lethargie der Lemminge. Niemand hat uns das schon vor Jahrzehnten besser vorgeführt als der bayrische Satiriker Gerhard Polt. Er mimte den Prototyp des technisch exzellent informierten Eigenheimbesitzers, der vor den Konservendosen seines Bunkers steht und über die Schutzmassnahmen im Atomkrieg doziert. Da ist einer, der weiss, wieviel Sekunden seiner Familie bleiben vom Lichtblitz bis zur Druckwelle, einer der weiss, welche Sorte Schmierseife es braucht, um den radioaktiven Dreck abzuwaschen. Einer, der darüber mit einer Ungerührtheit schwadroniert, als rede er über die Steuerung seiner Modelleisenbahn. Und nicht über den nuklearen Holocaust und die Möglichkeit, dass Menschen demnächst wieder plutoniumverseuchten Staub atmen werden.
Hiroshima ist überall
Der Schriftsteller Günther Anders nahm 1958 an der Weltkonferenz gegen Atombomben in Tokio teil und berichtete, dass die Delegierten allesamt den Blick zum Boden senkten, als sie mit den überlebenden Opfern von Hiroshima zusammentrafen. Der Grund war, schreibt er, «dass wir uns voreinander schämten: und zwar schämten Menschen zu sein». Die erste Reaktion sei so etwas gewesen wie eine Weigerung, zu dieser Gattung zu gehören: «uns denjenigen zuzurechnen, die unsereinem so etwas hatten antun können.»
In seinen Tagebuchaufzeichnungen gebe es «kein Aroma des fernen Ostens», schrieb Anders, nichts von Tee-Zeremonien, Tempeln, Geishas, Zen-Budhisten oder Reisbauern. Statt dessen einen sehr nahen Osten. Denn Hiroshima sei nicht mehr weit weg, sondern überall. Die Hauptleistung des Atomzeitalters bestehe ja eben darin, die Ferne selbst annulliert zu haben: Nicht mehr nur Zeitgenossen seien wir, sondern Zeitgenossen und Raumgenossen in der mörderischsten Nachbarschaft.
Und gegen Ende des Tagebuchs schreibt Anders: «Diese Seiten sind durchaus nicht nur für diejenigen bestimmt, die ohnehin ahnen, worum es geht, und die ohnehin den Mut zur heute gebotenen Angst aufbringen. Sondern vor allem für diejenigen, die, aus Angst vor diesem Mut, diese ihre Angst als Mut ausgeben.» 2
———-
FUSSNOTEN:
1 Only Trump can restore America’s ability to win a nuclear war («The Hill»)
2 Günther Anders: Der Mann auf der Brücke. Tagebuch aus Hiroshima und Nagasaki. 1958


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Helmut Scheben war von 1993 bis 2012 Redaktor und Reporter im «Schweizer Fernsehen» (SRF), davon 16 Jahre in der «Tagesschau».

Zum Infosperber-Dossier:

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7 Meinungen

  • am 6.02.2018 um 12:11 Uhr
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    Das erstaunliche ist wohl auch, dass die alte Strategie des «panem et circensem» weiter zur Vernebelung angewendet werden kann. Im unendlichen Müll nichtiger Nachrichten über beispielsweise die Frisur des Herrn Trump gehen solche erschreckende Nachrichten im Müllgetöse unter. Trump wird als Clown dargestellt, der nicht wirklich ernst zu nehemn sei, auf das die eigentlich herrschenden Hintermänner ihre finsteren Pläne verwirklichen können. Nach dem erfolgreichen Geschenk der sog. Steuerreform, steigt die Gier nach Profit weiter: Krige sind immer Gewinne für sie; zerbombte Staaten als failed states erhöhen den Profit weiter. Unverständlich, dass Europa aus leidvoller Erfahrung sich nicht zur Wehr setzt, sondern willfährig noch applaudiert. Die USA werden von atomaren Fallout – so hoffen sie wohl – nicht betroffen sein, Europa aber sehr wohl.

  • am 6.02.2018 um 13:06 Uhr
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    H.Scheben ergiesst sich über die Pläne der kleinkalibrigen atomaren Sprengköpfen als wäre das eine neue Erfindung der US Regierung. Taktische Atomwaffen im Format von Artilleriegeschossen gibt es seit Jahren hüben wie drüben und als die USA ihre Titan II ICBM Raketen bestückt mit einem 9 Megatonnen Sprengkopf verschrotteten führte Russland noch ein mehrfaches dieser Sprengladungen im Raketensortiment. Höhere Zielgenauigkeit = kleinere Ladungen. Die fehlenden Rüstungsanstrengungen Europas und das gleichzeitige massive Erstarken russischer Streitkräfte führen in absehbarer Zeit zu einem gefährlichen Ungleichgewicht mit fatalen Auswirkungen. Mit kleinkalibrigen Atomwaffen liesse sich das auf dem Gefechtsfeld ausgleichen ohne gleich einen Flächenbrand auszulösen. Aber Sinn und Zweck liegen in der dissuasiven Wirkungen solcher Waffen und in der Unkalkulierbarkeit eines entsprechenden Einsatzes quasi als letzte Notwehr. Über die Führbarkeit eines Konfliktes mit solchen Waffen streiten sich die Gelehrten. Wir alle wissen nicht, vor welchem Hintergrund derartige Absichten geäussert wurden. Ich kann nur vermuten, dass dies ein Teil von aktuellen sicherheitspolitischen Ausmarchungen zwischen Ost und West ist.

  • am 6.02.2018 um 15:14 Uhr
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    Ein grosser nuklearer Schlagabtausch, auch nicht mit dem vollen Arsenal der Atommächte, würde die Erde für Menschen unbewohnbar machen. Schon mehrmals ist es seit 1945 fast zu einem Atomkrieg gekommen. Nicht verständlich ist deshalb, dass die Schweizerische Nationalbank, Banken, Versicherungen und unsere Pensionskassen weiter Gelder mit dem Segen des Bundesrates in Firmen investieren die an der Produktion dieser nuklearen Weltuntergangswaffen beteiligt sind. Die Schweizerischen Nationalbank hat sich Ende 2017 mit fast 2 Milliarden Franken an Herstellern von Nuklearwaffen in den USA beteiligt. Im Sommer lagen die Investitionen noch bei 1,2 Milliarden, vor zwei Jahren betrugen sie erst 600 Millionen, wie Andreas Schmid in der NZZ am Sonntag vom 27.1.2018 geschrieben hat.

    https://nzzas.nzz.ch/schweiz/gsoa-zeigt-nationalbank-an-ld.1351793

    Bekannt ist, dass schon der Einsatz von etwa 100 Atombomben zu einem Absinken der Temperatur auf der Erde kommen wird, was weltweite Hungersnöte zur Folge hätte.

    http://www.zeit.de/2012/25/Interview-Robock

    https://de.wikipedia.org/wiki/Nuklearer_Winter

    Zum Glück realisierte US-Präsident Truman nach dem Zweiten Weltkrieg die irren Pläne seiner Militärs nicht die Sowjetunion mit Atombomben anzugreifen.

    https://www.globalresearch.ca/last-uns-die-sowjet-union-von-der-landkarte-tilgen-204-atombomben-gegen-grose-stadte-us-atomangriff-gegen-die-udssr-vor-dem-ende-des-zweiten-weltkriegs-geplant/5617574

  • am 6.02.2018 um 20:19 Uhr
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    So ein guter Artikel. Total bedenklich sind die aalglatten Berichte unserer Medien die, wie hier geschrieben, eine neue atomare Aufrüstung der USA mit derselben Dringlichkeit und Wichtigkeit erwähnen wie ein Stau am Gubrist-Tunnel . Wenn man länger gewisse Psychopharmaka einnimmt, entsteht eine solche Abstumpfung . Aber der heutige, oberflächliche Zeitgeist kann ähnliches bewirken.

  • am 6.02.2018 um 22:37 Uhr
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    Eine kleine Anmerkung zu einem Teilaspekt des Themas: «eine Billion Dollar […] für die nukleare Aufrüstung der nächsten 30 Jahren budgetiert» – Ich bin nicht sicher, da ich am Thema zu wenig dran bin, aber soweit ich es erfasst habe, geht es nicht so sehr um Aufrüstung (worunter ich einen Ausbau des Arsenals verstehe) sondern vielmehr um eine Aktualisierung rsp. Modernisierung der z.T. komplett veralteten und nicht mehr sicheren Anlagen. Insofern begrüssenswert, denn eine Fehlfunktion muss ausgeschlossen werden.

    Natürlich wäre ein ersatzloser Rückbau die einzig richtige Option. (Und selbst dafür wäre sehr viel Geld nötig.)

  • am 6.02.2018 um 22:46 Uhr
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    @Wenn man doch die Landkarte betrachtet mit den von der USA/NATO eingerichteten Stützpunkte, kann doch nicht von einer Bedrohung DURCH Russland, eher von einer Bedrohung GEGEN Russland gesprochen werden. Eine wirklich sinnvolle Strategie Russland zu beruhigen, wäre wohl eine stärkere Verbindung mit Europa. Europa sollte die Sanktionen gegen Russland aufheben und auf normalisierte Handelsbeziehungen hinarbeiten. Ihr Szenario bedeutet im üpbrigen ja auch, dass diese «kleinen» atomaren Sprengköpfe mit einer Wirkung von mind. Hiroshima, auf europäischen Boden eingesetzt würden. Für alle die nicht gerade einen Zweitwohnsitz in Neuseeland haben keine erfreuliche Aussicht.

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