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Der Vorschlag zum TabPG wurde von der Tabaklobby verwässert und ist unbrauchbar. © pixabay

Tabakproduktegesetz als zahnlose Alibiübung

Rainer M. Kaelin /  Der Vorschlag zum Tabakproduktegesetz wird als Fortschritt angepriesen. In Wirklichkeit ignoriert er wichtige Vorgaben der WHO.

Red. Der Arzt Rainer M. Kaelin war Vizepräsident der Lungenliga Schweiz und ist Vizepräsident von Oxyromandie, einem Verein, der sich für den Schutz der Nichtraucher und für Werbeverbote für Tabakprodukte einsetzt, wie sie die WHO-Rahmenkonvention vorsieht.

Im September verabschiedete der Ständerat den Vorschlag zum Tabakproduktegesetz (TabPG). Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) und der Ständerat sind zufrieden und preisen den Vorschlag als Fortschritt, da er die minimalen Bedingungen der WHO-Tabakrahmenkonvention (FCTC) erfülle. In Wirklichkeit lässt der Vorschlag der Tabakindustrie die Türen offen: Kommt er in dieser Art durch, kann sie auch weiterhin junge Menschen für die Nikotinsucht rekrutieren. Der Gesetzesvorschlag ignoriert die Verpflichtungen der FCTC. Damit wird die Schweiz als fast einziges Land der Welt diese Konvention der WHO nicht ratifizieren können. Diese Tatsache wird weitherum verschwiegen.

Befindlichkeiten der Industrie als Grundlage
Im Jahr 2004 unterzeichnete der damalige freisinnige Gesundheitsminister Pascal Couchepin die Tabakrahmenkonvention der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Damit trat die Schweiz dem Vertragswerk bei und bekundete die Bereitschaft, den Vertrag durch das Parlament ratifizieren zu wollen. Da in der Schweiz die Rahmenbedingungen für Tabakprodukte im Lebensmittelgesetz geregelt waren, brauchte es die Ausarbeitung eines eigenen Tabakproduktegesetzes. Bundesrat Alain Berset stellte den Vorentwurf im Jahr 2015 vor.

Schon bei der ersten Präsentation des Vorentwurfes wurde klar, dass Berset einen Kompromiss eingehen wollte: Er beabsichtigte die Jugend zu schützen – und das mit Massnahmen, die «für die Industrie tragbar» sind. Die Parlamentarierinnen und Parlamentarier schafften dann das Kunststück, die FCTC – um die es eigentlich ging – mit keinem Wort zu erwähnen. Sie wiesen den Vorentwurf an den Bundesrat zurück und gaben ihm den widersprüchlichen Auftrag zwar den Jugendschutz zu verankern, aber die (lückenhaften) Werbeverbote daraus zu streichen.

Überraschende Kehrtwende
Es war FDP-Ständerat Josef Dittli, der die Rückweisung an den Bundesrat mit der Behauptung auslöste, er kenne «keine Daten, die belegen, dass Werbeverbote Einfluss auf Raucherquoten» hätten. Seine FDP-Kollegin Karin Keller Sutter unterstützte ihn dabei, in dem sie sagte, dass ein Zusammenhang zwischen Werbeverboten und Raucherquoten aus der Luft gegriffen sei: «Es wird einfach eine Korrelation hergestellt.»

Inzwischen hat sich die ständerätliche Wahrnehmung des Tabakproblems in der Schweiz offenbar geändert. Dittli, der inzwischen als Nachfolger von Ignazio Cassis als gut bezahlter Präsident des Krankenkassen-Verbandes Cura-Futura amtet, überraschte im Februar 2019 die Gesundheitskommission. Er erklärte, das BAG solle vorschlagen, wie das TabPG doch noch «WHO-konform» gestaltet werden könne. Damit sprach er sich plötzlich für Werbeverbote aus.

Sein Partei- und Ratskollege Raphael Comte fand im Plenum erstaunlich deutliche Worte: «Die Werbung zielt darauf, dass die Menschen zu Tabakkonsumenten werden. Dieses Ziel steht im klaren Gegensatz zu den Zielen der öffentlichen Gesundheit.» Und weiter: «Die Wirkungen des Tabaks sind absolut katastrophal. Sein Konsum ist eine der schlimmsten Epidemien.» Ein Werbeverbot sei zwar ein Angriff auf die Gewerbefreiheit, das öffentliche Gesundheitsproblem «Tabak» sei aber derart gravierend, dass Werbeverbote durchaus verhältnismässig erscheinen würden.

Gesetzesvorschlag steht im Widerspruch zur WHO-Rahmenkonvention
FDP-Ständerat und Präsident der Gesundheitskommission, Joachim Eder, sieht im Gesetzesvorschlag einen «griffigen Kinder- und Jugendschutz sowie die Mindestanforderungen der WHO-Rahmenkonvention zur Eindämmung des Tabakgebrauchs» gesichert. Da aber der Gewerbeverein und sein «unabhängiger» Experte Urs Saxer Vorwände der Verfassungswidrigkeit einbrachten, räumte Eder ein, dass der vorliegende Entwurf kein «vollständiges Werbeverbot für Tabakprodukte» enthalte. Immerhin seien Werbung an Verkaufsstellen, auf Plakaten, im Kino, durch Direktverkauf in Bars oder anderen Lokalen, beim Sponsoring nationaler Anlässe und durch Massenmailings an Erwachsene weiterhin erlaubt.

Es erscheint logisch, dass Eder das in der Gesundheitskommission erarbeitete Resultat dem Plenum schmackhaft machen wollte. Allerdings unterschlug er, dass die Ausnahmen im Bereich der Werbeverbote Artikel dreizehn der FCTC widersprechen: «Jede Vertragspartei erlässt (…) ein umfassendes Verbot aller Formen von Tabakwerbung, Förderung des Tabakverkaufs und Tabaksponsoring.»

Sowohl Eder als auch Saxer ignorieren, dass die schweizerische Verfassung eine Einschränkung der Gewerbefreiheit im höheren Interesse der Gesundheit gebietet – so wie es auch die FCTC fordert. Das bestätigen auch Bundesgerichtsentscheide und das Heilmittelgesetz mit einem auf Tabak- und Nikotinprodukte anwendbaren Absatz: «Publikumswerbung ist unzulässig für Medikamente, die häufig missbraucht werden und zu Gewohnheit und Abhängigkeit führen können.»

Zahnloser Gesetzesvorschlag
Folgende Tabelle zeigt die Methoden, die der Tabakindustrie bei Annahme des Gesetzesvorschlags auch weiterhin zur Verfügung stehen, um Jugendliche nikotinabhängig zu machen. Weiter zeigt die Tabelle einen Vergleich zwischen den geltenden Regelungen und dem ersten Entwurf des Bundesrats. Die «Fortschritte», die durch die ständerätliche Gesetzesvorlage in der Tabakprävention erreicht werden, sind illusorisch und bestätigen, dass die Schweiz im internationalen Vergleich mit Deutschland auf den letzten Plätzen der Werbe-und Promotionsverbote figuriert.

PR-Parolen im Ständerat
Die vorgeschlagenen lückenhaften Werbeverbote im TabPG kommen nicht von ungefähr. Während der Debatte über die Gesetzesvorlage scheuten sich verschiedene Ständeräte nicht, die PR-Argumente von Tabak- und Werbeindustrie nachzukauen. Einige Beispiele:

  • «Tabakprodukte sind Waren, die legal verkauft und konsumiert werden dürfen», zitierte CVP-Ständerat Daniel Fässler den Werbefachverband. Und: «Es gehört zur Selbstverantwortung einer jeden mündigen Person selber zu entscheiden, (…) ansonsten müssten wir auch Werbung für Alkoholika, Autos und vieles mehr infrage stellen.» Zynisch auch sein Verständnis von Jugendschutz: «Wer an den Folgen von Tabakkonsum stirbt, ist letztlich selber schuld.»
  • FDP-Ständerat Hans Wicki forderte, die Nikotin-Konzentration von E-Zigaretten so zu definieren, «dass wir ein Ausstiegsprodukt ermöglichen.» Damit übernimmt er die Mär der Tabakindustrie, E-Zigaretten seien weniger schädlich und deshalb als Ausstiegsprodukt geeignet. Eine Message, die die Industrie der Öffentlichkeit mit gewaltigem PR-Aufwand verkaufen will. Er unterschlägt damit auch, dass die Industrie nicht am Rauchstopp der Bevölkerung interessiert ist und dass sie nur weiterbestehen kann, wenn sie neue Süchtige – mit Werbung – rekrutiert.
  • Filippo Lombardi, CVP-Ständerat und Präsident von Kommunikation Schweiz setzte sich wortgewaltig für seine wichtigste Kundin ein: er verlangte gar erneut eine Rückweisung, diesmal an die Kommission. Lombardi forderte die Einführung einer Selbstregulierung für Werbung der Tabakbranche unter Kontrolle des Bundes. Diese Gesetzesänderung sei als «indirekter Gegenvorschlag zur Volksinitiative ‹Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung› zu formulieren.» Zwar zog er seinen Ordnungsantrag letztendlich zurück, er zeigte mit seinem Vorhaben aber deutlich, wie die Befürworter der Selbstregulierung die Interessen der Tabakindustrie vertreten – und welche Interessenkonvergenz zwischen Tabak- und Werbeindustrie besteht.

Ein löchriges Gesetz nach 15 Jahren ist kein Fortschritt
Der vom Ständerat verabschiedete Entwurf zum TabPG ist ein Alibigesetz, das der Tabakprävention schadet und nur der Tabak- und Nikotinindustrie dient. Die Behauptung, das Gesetz genüge den Minimalanforderungen zur Ratifizierung der FCTC ist nachweislich falsch. Nur besonders gutgläubige Menschen können einen Fortschritt darin erkennen, wenn Schweizer Volksvertreter fünf Jahre nach der Aufhebung des Lebensmittelgesetzes und 15 Jahre nach der Unterzeichnung der FCTC, endlich damit beginnen, die Ratifizierung und den Entwurf eines Tabakproduktegesetzes zu debattieren.

Für Realisten bestätigt der bisherige Werdegang des TabPG, was die Analyse der Selbstkontrolle der Tabakwerbung seit den 50er-Jahren belegt:

  • Die Gesetzgebung, die die Rahmenbedingungen für den Vertrieb von Nikotin und Tabak regeln soll, erweist sich als massgeschneidertes Gewand für das weitere Gedeihen der Industrie, deren Geschäftsmodell auf der Verbreitung der Nikotinsucht unter Jugendlichen beruht. Die Schweiz bleibt dank verbündeten Parlamentarierinnen und Parlamentarier die weltweit bedeutendste Tabak-Plattform.
  • Die zu Ende gehende Legislatur erlaubte der Tabakindustrie, eine griffige Gesetzgebung und die Ratifizierung der FCTC nochmals um Jahre hinauszuzögern und deren Inhalt zu unterwandern.
  • Die fragmentarischen Einschränkungen der Werbung, der Promotion und des Sponsorings werden, wie die bisherigen Regelungen durch «Selbstkontrolle», keinen Einfluss auf die Raucherquoten haben. Sie unterminieren den Jugendschutz, da dieser nur greifen kann, wenn Tabak und die Droge Nikotin konsequent aus der Banalität der in der Konsumgesellschaft beworbenen Produkte ausgeschlossen werden.

Die Parlamentarier der angehenden Legislatur wären gut beraten, das Problem der öffentlichen Gesundheit bezüglich des Tabaks pragmatisch anzugehen. Bei den Massnahmen der FCTC geht es darum, einer weltweiten Epidemie Einhalt zu gebieten. Wenn diese Massnahmen konsequent angewendet werden, erweisen sie sich als wirksam – das zeigen die Erfahrungen, die in anderen Ländern gemacht wurden. Nur braucht es dazu zwingend ein umfassendes Werbe-, Promotions- und Sponsoringverbot, wie es die Volksinitiative «Ja, zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung» anstrebt.
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Weiterführende Infosperber-Artikel zur Thematik:
Tabakindustrie: Täuschen gehört zum Geschäft
Tabak-Industrie verwässert Gesetzesentwurf
Einzigartige Schweiz: Die Tabaklobby vernebelt das Parlament
Tabakindustrie: Die Selbstregulierung ist eine Farce
Tabakindustrie: Scheinheilige Jugendschützer und ihre Helfer
Die Manipulation der Tabakindustrie ist legendär


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Arzt Rainer M. Kaelin war Vizepräsident der Lungenliga Schweiz und ist Vizepräsident von Oxyromandie, einem Verein, der sich für den Schutz der Nichtraucher und für Werbeverbote für Tabakprodukte einsetzt, wie sie die WHO-Rahmenkonvention vorsieht.

Zum Infosperber-Dossier:

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2 Meinungen

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 7.11.2019 um 18:47 Uhr
    Permalink

    Eine kostengünstige Massnahme wäre wohl biodegradable Filter zwingend vorzuschreiben. Vielleicht könnte so sogar das Umweltbewusstsein etwas gefördrt werden.

  • Portrait_Rainer_M_Kaelin
    am 27.11.2019 um 22:12 Uhr
    Permalink

    Chères collègues parlementaires, Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen Nationalrätinnen und Nationalräte der parlamentarischen Gruppe NCD,
    bitte finden Sie in diesem Artikel Argumente um Ihre Parlamentarier kollegen zu informieren, warum im Tabakproduktegesetz, das auf die Raucherquoten einen Einfluss haben soll, ein globales Verbot der Werbung, der Promotion und des Sponsorings für alle Tabak- und NIkotinprodukte von Wichtigkeit ist: Jugendschutz kann allein mit einem Verkaufsverbot an Minderjährig nicht garantiert werden, denn ohne dieses verbreitet das Gesetz die Botschaft : «Für Kinder verboten, aber trendiges Life-style produkt mit geringer Toxizität für mündige erwachsene Raucher» = die beste P-R aktion, die sich die Industrie denken kann.
    Mit den besten Wünschen für eine erfolgreiche Ueberzeugungsarbeit im Parlament. R. M. Kaelin.

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