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Im September letzten Jahres protestierten 4000 Menschen gegen das offizielle Projekt © zvg

Biel gegen Bern – eine Stadt spaltet sich wegen der Autobahn

Catherine Duttweiler /  Zwei Autobahnanschlüsse mitten in der Stadt: Das zerstört ganze Quartiere. Die Gegner machen mobil.

Die Bielerinnen und Bieler waren schon immer ein wehrhaftes Volk und pflegen ein gespaltenes Verhältnis zur patrizialen Obrigkeit in Bern. «Bienne reste debout!» «Biel bleibt laut!», «Ne détruis pas ma belle ville!», «So nicht mit uns!» – derlei Slogans sind in der zweisprachigen Arbeiterstadt zur Zeit omnipräsent, auf Flugblättern, Plakaten und auf Videos in den sozialen Medien. Der geplante «Westast» der Autobahn A5 soll künftig mehrere Quartiere zwischen Bahnhof und See zerschneiden und ist derzeit DAS Thema in der Seelandmetropole.

650 Einsprachen sind gegen die überdimensionierten Bauwerke hängig – von Heimatschutz und VCS über die Städte Biel und Nidau bis hin zu Unternehmern und Hauseigentümern. Mit dem alternativen Tunnelprojekt «Westast so besser!» hat eine Gruppe von Architektinnen, Ingenieuren, Kommunikationsspezialistinnen und Verkehrsplanern in Fronarbeit ein stadtverträgliches Gegenprojekt ohne Anschlüsse in der Innenstadt vorgelegt. Letzten Monat distanzierte sich der frühere Verkehrsminister Moritz Leuenberger, selber gebürtiger Bieler, von den offiziellen Autobahnplänen: «Mit der Zerschneidung der Stadt durch zwei Autobahnanschlüsse konnte ich mich schon damals im Amt nicht anfreunden», sagte er im «Bieler Tagblatt».

Gegner wollen sich an Bäume ketten

Diese bunten Aktivitäten wurden bisher ausserhalb des Seelands kaum zur Kenntnis genommen. Dabei haben inzwischen radikale Gegner angekündigt, dass sie sich an Bäume ketten werden, um den Bau der Autobahn, den Abriss von 74 Häusern und den Tod von mehreren hundert Bäumen zu verhindern. Der Geschäftsführer der Wirtschaftskammer Biel-Seeland dagegen, Gilbert Hürsch, verlangte kürzlich in einer Aussprache mit dem Berner Baudirektor, «dass jetzt endlich die Bagger auffahren».

Biel ist gespaltene Stadt.

Wie konnte es soweit kommen? Die Geschichte der A5-Linienführung ist geprägt von einer unermüdlichen Variantensuche zwischen Jurasüdfuss, SBB-Linie, Weinbergen, Bielersee und Grossem Moos. Sie ist auch ein Lehrstück über pseudodemokratische Mitwirkung und mangelhafte Information der direkt betroffenen Bevölkerung.

Aus heutiger Sicht wurden die Weichen schon früh falsch gestellt, als der Bund 1960 mit dem Netzbeschluss die Grundzüge des Schweizer Autobahnnetzes definierte. Man hatte sich in den USA inspiriert, wie der wohl bekannteste Schweizer Architekturkritiker Benedikt Loderer in seinem noch unveröffentlichten Manuskript über die Geschichte des Schweizer Autobahnbaus schreibt: Die Städte wollten mit Bundesgeldern ihre innerstädtischen Verkehrsprobleme lösen, dank Expressstrassen, die ins historische Zentrum führen – weil diese sonst verarmten und mit der wirtschaftlichen Entwicklung nicht mithalten könnten.

Es waren hochfliegende Pläne, befeuert durch verfehlte Bevölkerungsprognosen. Verkehrsplaner rechneten Ende der 60er Jahre damit, dass Biel im Jahr 1980 rund 85’000 und 2020 dann 95’000 Einwohner zählen werde. Das war indes lange vor den beiden Uhrenkrisen: Diese Woche bejubelte die Stadt Biel vorerst ihren 56’000sten Einwohner. Dass heute in der Agglomeration gemäss offizieller Planung insgesamt zehn Autobahnanschlüsse vorgesehen sind, ist nichts Aussergewöhnliches in den Augen von Thomas Rohrbach, dem Sprecher des Bundesamtes für Strassen Astra: «Das Schweizer Nationalstrassennetz ist nichts anderes als eine landesweite Ortsumfahrung.» Wobei es sich im Fall von Biel eher um eine Stadtdurchquerung in unmittelbarer Nähe zum See handelt als um eine klassische Ringumfahrung.

Planung basiert auf Fehlern in den 60er Jahren

Doch der Reihe nach. In Biel erwägt man Anfang der 60er Jahre ernsthaft einen Stelzenbau hoch über dem mit Baumalleen umsäumten Kanal der Schüss – weil es die direkteste und billigste Lösung wäre. Mehrere Kommissionen und Arbeitsgruppen prüfen weitere Varianten, darunter einen Tunnel durch den Jurasüdfuss, und sie verwerfen die Seelandtangente auf der rechten Seeseite durchs Grosse Moos als «völlig undenkbar». Stattdessen beginnt man 1969 mit dem Autostrassenbau am Nordufer des Bielersees, und zwar auf Drängen von Winzern, Wirten und Wirtschaftsführern: Eine Nationalstrasse dritter Klasse, auf welcher bis heute auch Velos und Traktoren zirkulieren, soll quer durch idyllische Rebberge und Weindörfer führen. Es war die zweite falsche Weichenstellung in der Geschichte der Bieler A5. Sie würde mit dem jetzt vom Kanton vorgeschlagenen Ausführungsprojekt für den Westast auf lange Sicht in Beton gegossen.

Denn die heutige Autostrasse zwischen Neuenburg und Twann soll in Biel mit den Nationalstrassen in Richtung Bern, Solothurn und Jura verknüpft werden. Bloss wie? 1990 beauftragt der damalige Verkehrsminister Adolf Ogi den Kanton mit der Ausarbeitung eines Generellen Projekts mit Streckenführung quer durch die Stadt. Sein Nachfolger Moritz Leuenberger prüft nochmals die Seelandtangente, scheitert aber am zu geringen Entlastungseffekt sowie am Widerstand aus jenen Kreisen, welche Autobahnanschlüsse im Stadtzentrum als Zeichen des Fortschritts und als Zubringerin kaufkräftiger Kundinnen und Kunden wähnten.

Seit rund 50 Jahren ringt die Region nun also um die optimale Vollendung des Nationalstrassennetzes in Biel. «Was beschlossen ist, muss gebaut werden», lautet das Mantra der Behörden. «Was nicht gebaut ist, lässt sich ändern», so der Schlachtruf der Gegner. Bund und Kanton drängen, immer wieder wird künstlicher Zeitdruck erzeugt. «Wir haben nicht endlos Zeit», mahnte etwa der heutige Astra-Chef Jürg Röthlisberger im Mai 2010: Damit die bewilligten Gelder aus dem Infrastrukturfonds entnommen werden könnten, müssten die Bauten bis 2028, spätestens aber bis 2033 fertiggestellt werden. Das ist aus heutiger Sicht wegen Einsprachen bis vor Bundesgericht unmöglich, eine Inbetriebnahme wäre frühestens ab 2040 möglich. Nichtsdestotrotz liegen die 2,2 Milliarden Franken weiterhin bereit, und erneut drohen Befürworter: «Wenn wir jetzt nicht bauen, nimmt man uns das Geld weg und andere Regionen reiben sich die Hände.»

Das macht den wehrhaften Bielerinnen und Bielern keinen Eindruck, damals und heute nicht – schon gar nicht wenn die Drohung aus Bern kommt. Sie fühlen sich als zweitgrösste Stadt im Kanton seit jeher im Schatten der Bundesstadt. Sie pflegen einen anderen Stil. Sie sind nicht so behäbig unterwegs wie die vornehmen Bernerinnen und Berner. Sie sind gestählt durch mehrere Uhrenkrisen, sie sind zweisprachig, innovativ und durchaus streitbar.

Keine Autobahn gegen den Willen von Biel

Die damalige Verkehrsdirektorin Barbara Egger (SP) jedenfalls überlegt sich angesichts des vielfältigen Widerstands, das Projekt fallen zu lassen: «Heute würde man in einem so dicht besiedelten Gebiet nach unterirdischen Lösungen suchen», sagt sie 2010 im «Bieler Tagblatt». Sie bezweifelt öffentlich, dass man «heute durch Biel überhaupt noch eine Autobahn bauen würde». Aber die Weichen sind längst gestellt, der Netzbeschluss muss umgesetzt werden. Die Behördendelegation hatte deshalb den lokal bestens vernetzten Polit-Altmeister Hans Stöckli (SP) mandatiert, der eine nach ihm benannte Arbeitsgruppe anführte, die unter grösster Geheimhaltung arbeitete. Stöckli findet tatsächlich Lösungen mit weniger Landverschleiss, die Anschlüsse Brüggmoos und Bienne-Centre werden redimensioniert oder verschoben. Er selber will als gewiefter Finanzpolitiker vor allem eines: ein dichtes Netz von Autobahnanschlüssen, welche seine Stadt vom hausgemachten Binnenverkehr entlasten – auf Kosten von Bund und Kanton.

Zum Bild: Vollanschluss Bienne-Centre: 13 Spuren auf drei Ebenen, direkt am Bahnhof? So sieht das kantonale Tiefbauamt den geplanten Autobahnanschluss. Auch in einer neueren Variante bleibt die Schneise offen: 270 Meter lang, 45 Meter breit und bis zu 18 Meter tief.

Lange geht man in Biel davon aus, dass – mit Ausnahme der Ein- und Ausfahrten – nach einer lärmigen Bauphase die Autobahn unter dem Boden verschwinden würde, wie dies die Arbeitsgruppe Stöckli verlangt. Der Kanton verspricht, dass der Anschluss im Stadtzentrum wenn immer möglich auch bei höheren Kosten überdacht werde. Dann kommt bei der Präsentation des definitiven Projekts im Mai 2012 die Überraschung: Der Anschluss Bienne-Centre werde mit einem «kurzen, offenen, schlanken Abschnitt» geführt, weil die Testplanung ergeben habe, dass eine Überdeckung «nur Kosmetik» und «von beschränktem städtebaulichen Wert» sei: Die nun gewählte Variante würde «mehr Lebensqualität» bringen.

Was das ganz konkret bedeutet, realisieren manche viel zu spät. Für Laien war es unmöglich, sich in der kurzen vierwöchigen Mitwirkungsphase ein Bild zu machen, zumal das Auflageprojekt über 15 Gigabyte schwer und online nicht einsehbar ist. Erst müssen die offiziellen Visualisierungen als unrealistisch entlarvt werden: Sie sind nicht massstabgetreu und verniedlichen die Autobahn, indem sie diese mit riesigen Büro- und Wohntürmen umgeben – «bewohnbare Schallmauern» nennt sie der heutige Stadtpräsident Erich Fehr (SP). Ob sie jemals gebaut werden, steht in den Sternen. Werden sich ab 2040 Investoren und Mieter finden, die direkt neben dem Autobahnschlund bauen, arbeiten und wohnen möchten? Schon jetzt ist der Leerbestand von Liegenschaften in Biel überdurchschnittlich hoch – und die Bevölkerungsprognosen liegen seit Jahrzehnten falsch.

Gegner werden nicht ernst genommen

So dauert es eine Weile, bis die Bielerinnen und Bieler erkennen, was wirklich auf sie zukommt: Eine zwanzigjährige Bauzeit, während der das Seeufer nur eingeschränkt begehbar ist; zwei Autobahnschneisen von 270 Metern Länge, bis zu 50 Meter breit und 18 Meter tief, wobei im Vollanschluss Bienne-Centre beim Bahnhof die gesamte Altstadt von Nidau in Breite, Länge und Höhe versenkt werden könnte; eine Streckenführung durchs fliessende Grundwasser, welches blockiert und mit sogenannten Dükern und Syphons druckgesteuert umgeleitet werden müsste; und eine Bauweise im Gefrierverfahren unter Einsatz von Ammoniak unterhalb der viel befahrenen Bahnstrecke in die Romandie. Jetzt rächt es sich, dass die Obrigkeit zu Bern ihre Bürgerinnen und Bürger stets nur minimal informierte – und dass die Arbeitsgruppe Stöckli einseitig zusammengesetzt war: Die Gemeindepräsidenten der Aussengemeinden waren übervertreten, kritische Stimmen hatten kaum Platz oder wurden nicht gehört. «Wir haben in der Begleitgruppe immer wieder versucht, die vorgefertigte Meinung des Kantons zu hinterfragen und Alternativen vorzustellen, aber der Kanton fand seine eigenen Brötli immer besser», schilderte SP-Mitglied Alfred Steinmann im Mai dieses Jahres seine Erfahrungen vor dem Bieler Parlament.

Zum Bild: Halbanschluss Seevorstadt: Hundert Meter neben dem See, unmittelbar neben dem Hauptsitz der Swatch Group und einem Naturschutzgebiet, soll ein Loch von 270 Metern Länge und bis zu 50 Metern Breite entstehen.

«Die Planung ist eine städtebauliche Schandtat ohnegleichen», schreibt der Nidauer Ulrich Sieber, langjähriger Kommunikationschef der Verkehrsminister Ogi und Leuenberger, im Juni in einem Leserbrief ans «Bieler Tagblatt». Er habe sich auf einer geführten Stadtwanderung des Komitees «Westast so nicht!» mit den Plänen vertraut gemacht und sei schockiert. Auch der ehemalige Kreisplaner fürs Seeland, Kurt Rohner, sagt diesen Juli in einem Interview, er habe erst 2015 bei einer Begehung vor Ort begriffen, «um was es städtebaulich geht», denn die Demokratie sei mit solchen Projekten überfordert: «Man hätte viel früher nicht mit Plänen und Modellen, sondern direkt im Gelände die Konsequenzen und mögliche Alternativen aufzeigen sollen.» Nur so würden zukunftsweisende Mehrheiten gebildet und kreative Lösungen gefunden. Rohner ist ein Verfechter der kleinen Seelandtangente, bei welcher die Strecke unterirdisch durchs Landwirtschaftsgebiet zwischen Jens und Ins geführt würde.

Der Widerstand wächst – siehe das Video – und das hat der Kanton allein sich selber zuzuschreiben. Bald entstehen neue Gruppierungen mit kreativen Namen wie «Biel, notre amour», «IG Häb Sorg zur Stadt» oder «Biel wird laut» – und setzen eben so kreative Ideen um: Sie markieren alle Bäume, die weichen sollen, mit Trauerflor. Sie übergeben eine Petition mit dem dramatischen Titel «Tragen Sie Biel nicht zu Grabe!» an Doris Leuthard, mit über 10’000 Unterschriften. Sie empfangen die Mitglieder des Bieler Stadtrats mit einem Konzert von Veloklingeln, bevor sie über die Autobahn debattieren. Und die mitgliederstärkste Speerspitze der Bewegung, das Komitee «Westast so nicht!“, erarbeitet den Gegenvorschlag, „Westast so besser!»

Diese jüngste Variante wird vom renommierten Schweizer Tunnelbauer, Martin Gysel, sowie den führenden lokalen Architekten und Verkehrsplanern erstellt. Sie respektiert den Netzbeschluss von 1960 und legt die Streckenführung möglichst nahe ans Generelle Projekt von 2014, verzichtet aber auf die Anschlüsse mitten in der Stadt – dank einem langen Tunnel unterhalb des Grundwassers, der während acht Jahren bergmännisch gebaut werden soll, ohne Emissionen an der Oberfläche, genau wie bei der neuen Durchmesserlinie der Zürcher S-Bahn, für die Gysel verantwortlich war. Der Vorteil: Es müssten weder Häuser noch Bäume weichen, das Projekt käme rund 600 Millionen Franken günstiger und könnte erst noch schneller realisiert werden. Mehrere Organisationen erklären, dass sie ihre Einsprachen zurückziehen würden, falls «Westast so besser!» umgesetzt werde. Es bietet sich die historische Chance, erstmals in der Schweiz eine Autobahn mit Unterstützung von links bis rechts zu bauen.

Fehlstart des neuen SVP-Baudirektors

Die Gegner der offenen Anschlüsse hoffen auf den neuen Baudirektor Christoph Neuhaus (SVP), der das Dossier frisch anpacken kann und noch vor Amtsantritt im Juni 2018 einen Dialog mit allen Beteiligten ankündigt. Doch weit gefehlt. Er ist keine 100 Tage im Amt, als er Ende August erklärt, er wolle das Projekt wie geplant durchziehen und die Gründe dafür in «Bürgergesprächen» der Öffentlichkeit darlegen, eine eigenartige Form des Dialogs: Sein Amt zerzaust die Alternativvariante in einem einseitigen «technischen Bericht» – gestützt auf drei Ingenieurbüros, die alle am Bau der A5 beteiligt sind. Das Komitee protestiert erneut: «Der Kanton macht die Täter zum Richter!»

Wegen des ungeschickten Vorgehens schliessen sich die gegnerischen Reihen hinter der roten Linie «Keine Anschlüsse im Stadtzentrum!». Immer mehr Menschen skandieren: «Lieber gar keine Autobahn als die zerstörerische Variante des Kantons!» In den Bürgergesprächen melden sich fast ausschliesslich Gegner zu Wort, die Empörung steigt. Auch die Stadt Biel interveniert zweimal in Bern: Es herrsche «aktuell eine grosse Skepsis und ein substanzieller Widerstand» gegen das «bedeutende Projekt mit Langzeitwirkung», schreibt der Gemeinderat. Daher müsse der Gegenvorschlag sorgfältig geprüft und verglichen werden – nicht nur bezüglich «verkehrlicher Wirkung», sondern auch im Hinblick auf Städtebau, Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft. Biel verlangt zudem einen Dialog mit den Gegnern, zu mehr kann sich die gespaltene Stadtregierung nicht durchringen, Teile der Linken bewegen sich noch immer im Fahrwasser des einst allgewaltigen Übervaters Hans Stöckli. Gemeinden aus dem Umland wie Nidau, Ipsach und Port verlangen dagegen, dass das offizielle Bauprojekt endlich realisiert werde .

Die Region steht vor einem Scherbenhaufen.

Vielleicht braucht es eine Denkpause – oder gar einen Übungsabbruch, wie dies Anfang Oktober die Stiftung für Landschaftsschutz forderte? Vielleicht muss man einsehen, dass Bodenbeschaffenheit und Topografie am Jurasüdfuss ungeeignet sind. Und dass eine Planung aus den 60er Jahren die Mobilitätsfragen der Zukunft nicht lösen kann.

Wichtige Exponenten hatten immer wieder betont, dass sie der Region die Autobahn nicht aufzwingen wollten. «Es ist ein Projekt für die Region», sagte der heutige Astra-Chef Jürg Röthlisberger vor gut acht Jahren im «Bieler Tagblatt», die Schweiz könne «auch ohne den Westast leben». Sein Mediensprecher Rohrbach doppelt heute nach: «Es ist kaum möglich, ein Strassenneubauprojekt gegen den ausdrücklichen Willen der Region zu realisieren.» Auch die Vorsteher der Berner Baudirektion, Barbara Egger und ihr Nachfolger Christoph Neuhaus, erklärten auf Anfrage immer wieder: «Die Autobahn wird nicht gegen den Willen der Bielerinnen und Bieler gebaut.» Das macht Sinn. Denn die Stadtbewohner hätten während der Bauzeit und darüber hinaus mit den Konsequenzen zu leben – im Gegensatz zu den Bürgern in den umliegenden Gemeinden.

Was tun? Die Autobahn ist eigentlich längst beschlossene Sache, und wenn die Einsprachen in ein paar Jahren verhandelt sind, können tatsächlich «die Bagger auffahren», wie dies Teile der Wirtschaftskammer fordern. In Biel verlaufen die Fronten quer durch die Stadt, und der Widerstand nimmt zu.

Ein Blick in die Geschichte stimmt pessimistisch. «Nur ein Netz ohne Lücken taugt», schreibt Benedikt Loderer in seiner Geschichte des Schweizer Autobahnbaus: «Was auf Bundesebene beschlossen wurde, kann weder auf kantonaler, noch auf kommunaler Ebene gestoppt werden.» Kleinere Änderungen und Anpassungen oder gar ein Ausbau seien möglich, bilanziert er weiter: «Verzicht nie! Man plant national und baut kantonal.» Tatsächlich könnten nur National- und Ständerat entscheiden, dass der Westast wieder aus dem Nationalstrassennetz entlassen wird.

Wer weiss? Vielleicht geschehen noch Wunder. Wenn es irgendwer erstmals in der Geschichte des Schweizer Autobahnbaus schafft, sind es gewiss die widerspenstigen Bielerinnen und Bieler.

Und so sieht der Alternativvorschlag aus: Der Tunnel.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Interessenbindung: Catherine Duttweiler war von 2004 bis 2011 Chefredaktorin des «Bieler Tagblatts» und hat das Projekt schon damals begleitet. Sie engagiert sich innerhalb der Bürgerbewegung «Westast so nicht!» ehrenamtlich gegen den geplanten Autobahnbau. Als Privatperson würde sie selber vom Bau profitieren, da dank dem umstrittenen Autobahnanschluss Seevorstadt gemäss offiziellen Prognosen täglich 5000 Autos weniger an ihrer Wohnung vorbei fahren würden.

Zum Infosperber-Dossier:

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Auto oder Bahn: Wer zahlt Defizite?

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2 Meinungen

  • am 22.10.2018 um 14:14 Uhr
    Permalink

    Das ein Baudirektor der «Autopartei» SVP diesen Unsinn durchboxen will, ist verständich, aber nicht dass die frühere «rot-grüne» Mehrheit in der Kantonsregierung das Projekt in dieser Weise durchgehen lies, und dann noch mit einer Baudirektorin der SP! Bei solchen Dingen versagt die Demokratie tatsächlich, da es ausser chancenlosen Aussenseiter niemanden gibt der oder die wählbar ist.

  • am 6.11.2018 um 19:39 Uhr
    Permalink

    Autobahn mitten durch Biel: heute wie vor 60 Jahren ein Flop.
    Eine Autobahnschneise soll mitten durch Biel geschlagen werden. Mehr als zwei Milliarden Franken soll dieser Bieler Westast kosten. Meine Prognose: Dieses Projekt wird niemals realisiert. Schon 1959 gab es sehr konkrete Pläne für eine Autobahn quer durch Biel, aus der Richtung Solothurn Richtung Bielersee. Als Hochbauzeichnerlehrling zeichnete ich damals Pläne für ein Einfamilienhaus in Biel-Mett. Direkt neben diesem Haus mussten wir eine steile Böschung zu dieser Autobahn hinauf berücksichtigen. Eine vierspurige Schnellstrasse von Biel-Mett Richtung Stadt war damals geplant. Wir dachten damals alle: Ein solches Wohnhaus neben der Autobahn sollte man nicht bauen. Das Einfamilienhaus wurde gebaut, aber die Autobahn später nicht.

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