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Kreatives Experimentieren statt trockenes Pauken © cc

Digitaler Werkunterricht in den Schulen

Heinz Moser /  Medien und Informatik ist ein neuer Bereich für die Schule. Doch in welcher Form soll dabei gelernt werden?

Mit dem Lehrplan 21 werden die Kompetenzen des Unterrichts in unzählige Ziele und Inhalte aufgesplittert. Medienbildung findet zwar in allen Fächern und Bereichen statt, ist aber oft nirgends so richtig präsent. Auch «connected», das neue Lehrmittel des Zürcher Lehrmittelverlags vermittelt viel Medienwissen und spricht Kinder mit seinen Zeichnungen eines kleinen Roboters an. Die Frage stellt sich nur, wie intensiv und ausführlich solche zusätzlichen Lehrmittel dann im Unterricht eingesetzt werden. Wenn der Deutschunterricht zum Beispiel an sich schon stark überfrachtet ist, so werden Lehrpersonen häufig auf die weiter ergänzenden Medieninhalte verzichten, weil sie vor der Fülle des Stoffes kapitulieren. Doch reicht es, wenn ein neues Fach einfach durch weitere Inhalte repräsentiert wird?

Schule als Wohnzimmer und Werkraum

Thomas Minder, Präsident des Schulleiterverbandes der Schweiz, hat da ganz andere Vorstellungen von einer modernen Schule, wenn er in einem Interview der Zeitschrift «Fritz+Fränzi» schreibt: «In meiner Vorstellung wird das perfekte Schulzimmer eine Mischung aus Wohnzimmer, Werkraum und Küche – ein Ort, wo man an einem grossen Tisch zusammenkommt und gemeinsam produktiv wird.» In der Schule soll nicht sofort jedem Schüler und jeder Schülerin ein passendes Programm geboten werden, sondern es gehe darum zuzulassen, dass Kinder und Jugendliche selbst etwas kreieren. Minders Vorstellung von der Lehrperson: «Manche Kinder werden das sehr gut und eigenverantwortlich leisten können, andere werden dabei stärker begleitet werden müssen. Und dafür braucht es gute Lehrpersonen, die sich als Motivatoren beziehungsweise Coach verstehen.»
In solchen Vorstellungen stecken neue Ideen zur Belebung eines aktiven Werkunterrichts, wo Kinder schöpferisch arbeiten und praktisch Dinge entwickeln, die sie interessieren. Es ähnelt manchmal dem Basteln; in Wirklichkeit geht es aber darum, theoretisch und praktisch Wissensgrundlagen für das spätere Leben zu entwickeln. Neu sind solche Ideen nicht zuletzt bei den Fragen des Informatikunterrichts aufgekommen, der im Lehrplan 21 erstmals als Lerngegenstand integriert ist.

Kritik am «blossen» Programmieren

Mit dem Programmieren im Unterricht – ähnlich wie Rechnen und Mathematik, hatte man schon in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts schlechte Erfahrungen gemacht. Es fehlte nicht nur das kompetente Lehrpersonal, auch die damaligen Programmiersprachen sind zu einem grossen Teil längst wieder verschwunden. Der englische Erziehungswissenschaftler David Buckingham kritisiert an neuen Versuchen, dieses «Coding» wieder aufkommen zu lassen, dass es zu routiniert und abstrakt sein: Er bezweifelt, dass ein Training im Programmieren sich auszahle, um Probleme anderswo zu lösen. Jedenfalls gebe es keine Beweise dafür, dass das Erlernen von Computerprogrammen es Kindern ermögliche, allgemeinere Fähigkeiten zum Lösen von Problemen zu entwickeln, geschweige denn, dass es ihnen «beibringe, wie man denke».
Viel wichtiger wäre es, Kinder mit interessanten Aufgabenstellungen und kreativen Projekten für ein praktisches Experimentieren zu interessieren, das den Alltag im Zusammenhang mit dessen digitalen Anteilen umfasst. Nahe läge es, digitale Werkzeuge in jenen Teil des Unterrichts einzubeziehen, der im Lehrplan 21 unter dem Stichwort von «Textiles und technisches Gestalten» geführt wird. Es wäre eine konsequente Erweiterung des Werkunterrichts, den man lange nur noch naserümpfend als altmodisch und den vergangenen Zeiten einer handwerklichen Gesellschaft zugeordnet sah. Ging es beim Werken doch «lediglich» um das Anfertigen kleiner Gebrauchsgegenstände, oder wie Wikipedia schreibt: «das manuelle Bearbeiten von Materialien wie Holz, Glas, Metall oder Kunststoff und den damit verbundenen richtigen Umgang mit den entsprechenden Werkzeugen wie Hammer oder Säge. Immerhin heisst es aber auch dort: Auch werden Grundlagen der Elektronik vermittelt, indem die Schüler z.B. einen Schalter mit Lampe oder sogar eine Leuchtanzeige für Ziffern bauen.»
Weil der Zeitbedarf für solches «Basteln» hoch ist, glaubte man aber in den letzten Jahren, dass es besser sei, die zeitlichen Ressourcen für die Vermittlung von nachhaltigem Grundwissen einzusetzen.

Makerspace – ein kreative und experimenteller Lernansatz

Fast unbemerkt von den Schulen hat sich jedoch ausserhalb in den letzten Jahren ein neues Konzept des Werkens mit dem Namen «Makerspace» entwickelt – einer Art handwerkliche Arbeitsräume, wo interessierte Jugendliche und Erwachsene die Arbeit mit Materialien wie Holz oder Textilien mit digitalen Mitteln verbinden. Die Makerspaces – ursprünglich eine Idee aus den USA – haben sich aus der Do-it-Yourself (DIY) Bewegung entwickelt. Vor allem auch Bibliotheken haben hier ein Feld gefunden, das das Ausleihen von Büchern ergänzt.
So heisst es etwa auf der Website der Bibliothek Rüschlikon:
«Der Makerspace ist ein Gefäss für Austausch von Knowhow, des Lernens und Ausprobierens.
Möchten Sie:

  • ihr spezielles Talent oder Hobby anderen näher bringen?
  • eine Nähmaschine benutzen?
  • Kindergeburtstage veranstalten?
  • Gruppentreffs veranstalten (z.B. Fremdsprachengruppen)?
  • Buch-Besprechungs-Treffs organisieren?
  • Spielevents veranstalten?
  • Handarbeitstreffs (Stricktreffs etc.) organisieren?»

Wie die Makerspace Bewegung hier immer mehr auch das Digitale in ihre Konzepte zu kreativem Experimentieren einbezieht, zeigt der folgende Text zu den Winterthurer Bibliotheken: «Im Makerspace der Winterthurer Bibliotheken steht die Infrastruktur bereit, um neue Technologien kennenzulernen. Mit Hilfe des Personals und von erfahrenen Benutzern gelingt der Einstieg in neue Themen wie 3D-Druck oder Programmieren. Es ist ein Anliegen der Winterthurer Bibliotheken, die digitale Alphabetisierung zu fördern. Alle Menschen sollen die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts mitgestalten können. Deshalb investieren wir in neue Technologien und ermöglichen den Einstieg für alle mit einer Bibliothekskarte.»

Schulen werden auf die Makerspace-Bewegung aufmerksam

Auch die Schulen und Pädagogischen Hochschulen sind in letzter Zeit auf dieses Konzept aufmerksam geworden: So schreibt die Pädagogische Hochschule Thurgau unter dem Titel «Ein Raum für die Kreativität»: «Ein MakerSpace ist ein innovativer Lern- und Arbeitsort, in dem Schülerinnen und Schüler dazu angehalten werden, eigene Erfindungen zu machen. Dabei greifen sie auf analoge und auf digitale Verfahren zurück. Entsprechend viele verschiedene Materialien und Tools sind im MakerSpace zusammengeführt: Robotiksensoren treffen auf Tapetenkleister, Wollfäden auf Mikroprozessoren und Quantenmechanik auf Handarbeit.»

Experimenteller Werkunterricht mit Einbezug der digitalen Medien

Hier sind wir schon nahe bei den Ideen von Thomas Minder, dem obersten Schulleiter der Schweiz und seiner Idee des Schulzimmers als Mischung von Wohnzimmer, Werkraum und Küche. Schulen könnten Werken und Medien/Informatik als eine neue Form des Werkunterrichts einführen, anstatt die Medienbildung und Informatik in alle Fächer zu verzetteln und womöglich Informatik «unplugged» ganz ohne Computer durchzuführen. Ein Halbtag pro Woche in einer solchen experimentellen Form eines Makerspace könnte den Schülerinnen und Schülern auch zeigen, wie sich heute die digitalen Medien immer mehr mit vielen alltäglichen Gebrauchsgegenständen verbinden – und wie man mit geeigneten Hilfsmitteln aktiv und kreativ gestaltend werden kann.
Anstatt routiniertes Pauken von informatischem und medialem Grundwissen könnte auf diese Weise ein übergreifendes Fach entstehen, das besser auf die zukünftige digitale Gesellschaft vorbereitet wie die bisher oft zu stark auf Routinen bezogenen Konzepte. Oder wie es David Buckingham, ein international anerkannter Experte für die Interaktion von Kindern und Jugendlichen mit elektronischen Medien, ausdrückt: Was den heutigen Konzepten im Bereich der Digitalisierung fehlt, ist ein kritischeres Verständnis der Technologie und ihrer Rolle in Gesellschaft, Politik und Kultur. Ohne dies scheint die obligatorische Kodierung nur eine andere Möglichkeit zu sein, Kinder zu disziplinieren oder ihre Zeit zu verschwenden.
Genau dies wäre aber mit experimentellem Werk- und Medienunterricht möglich: Dinge auszuprobieren und auch kritisch zu bewerten, was über digitale Mittel herauskommt. Aber auch neue Entwicklungen wie selbstfahrende Autos, Smart Home-Technologien oder Technologien im Bereich des Online-Banking oder öffentlichen Verkehr könnten in solchen Werklabors überprüft und auf ihren positiven oder negativen Gehalt für den zukünftigen Alltag geprüft werden.

Literatur:

Connected. Medien und Informatik, Lehrmittelverlag Zürich 2018
David Buckingham: «Why children should NOT be taught to code»
Thomas Minder: «Das Schulzimer der Zukunft ist eine Mischung aus Wohnzimmer und Werkraum», in: «Fritz+Fränzi», 9/2019, S. 39-43


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Heinz Moser lehrte Medienpädagogik an der PH Zürich und an der Universität Duisburg-Essen

Zum Infosperber-Dossier:

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2 Meinungen

  • am 15.11.2019 um 06:58 Uhr
    Permalink

    TA hat viele Brillen auf weil die Zeitung unter der Ägide von Supino und der willigen Frau Wittwer die eigene verloren hat! Gleichberechtigt an der Redaktionssitzung nehmen die Schreiber von den «Sponsored» Seiten ünd das Marketing teil. Unabhängig ist nurnoch Supino der Initiativen von JournalistenInnen und MitarbeiterInnen unterdrückt! Wahrscheinlich het er in Nordkorea oder Russland einen staatlich organisierten Workshop zu Medien besucht! So ist es verständlich dass importierte Artikel nicht auf Schweizer Gegebenheiten Rücksicht nehmen!

  • am 20.11.2019 um 21:04 Uhr
    Permalink

    Die Lektüre des Artikels von Heinz Moser bestätigt meinen Eindruck, dass die Macher des Lehrplan 21 höchstens eine sehr ungefähre Ahnung hatten, was man sich unter den geforderten digitalen Kompetenzen konkret vorstellen sollte. Es musste einfach rein, weil ein Lehrplan ohne digital ja nicht mehr zeitgemäss wäre 😉

    Werkunterricht finde ich eine tolle Sache. Wenn er gut gemacht ist, ist er intellektuell genauso fordernd wie die sogenannt kopflastigen Fächer. Dass heutzutage auch elektronische Elemente in den Werkunterricht integriert werden können, ist ja klar. Aber mit dem Digitalgeschwurbel im Lehrplan 21 hat das nur entfernt etwas zu tun.

    @Redaktion: Gehört der Beitrag von Victor Brunner nicht eher zu einem anderen Artikel?

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