Kommentar

Sinnloser Frühlingsputz des bürgerlichen Hauses

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des AutorsPhilipp Löpfe war früher stellvertretender Chefredaktor der Wirtschaftszeitung «Cash» und Chefredaktor des «Tages-Anzeiger». Heute ist er ©

Philipp Löpfe /  Die Bürgerlichen wollen den Franken-Schock für einen Frühjahrsputz der Wirtschaft nutzen. Doch das bringt uns nicht weiter.

«Lass niemals eine Krise ungenutzt verstreichen», erklärte Rahm Emanuel 2009 als Stabschef von Präsident Barack Obama. Nach diesem Motto handeln derzeit auch die bürgerlichen Kräfte in der Schweiz. Geht es nach «NZZ», SVP und FDP, dann muss die Gelegenheit beim Schopf gepackt werden. «Der Franken-Schock drängt die Linke in die Defensive», jubelt Simon Gemperli in der «NZZ». «Das eröffnet Chancen.»
Das sieht auch die SVP so. Sie geht neuerdings auf Schmusekurs zu FDP und CVP und hat zu einem bürgerlichen Schulterschluss aufgerufen. Die Zeit dazu scheint reif. Täglich verunsichern neue Meldungen über Jobverlagerungen ins Ausland die Arbeitnehmer. Ideale Voraussetzungen also, um vermeintliche Auswüchse des Sozialstaates und der staatlichen Bürokratie zurückzustutzen, längere Arbeitszeiten einzufordern, die verhasste Energiewende wieder rückgängig zu machen und – wie könnte es auch anders sein – tiefere Steuern für Unternehmen und Superreiche zu verlangen.
Gewerkschaften stehen mit dem Rücken zur Wand
Ein erster «Revitalisierungs-Gipfel» der bürgerlichen Parteien hat stattgefunden, und Gemperli wittert bereits Morgenluft. Längere Öffnungszeiten für Einkaufszentren, Euro-Löhne, Flexibilisierung der Arbeitszeiterfassung und zusätzlich Arbeitsstunden – alles ist in den Bereich des Möglichen gerückt, denn auf Betriebsebene verhandeln Gewerkschaften und Arbeitnehmer derzeit «mit dem Rücken zur Wand». Also gilt es, Heu zu machen, solange die Sonne scheint. «Die Schwäche der Gewerkschaften dauert nicht ewig», warnt Gemperli.
Der Reformeifer der Rechten ist eine «Back to the future»-Strategie, die Krise eine hervorragende Chance für einen längst fälligen Frühlingsputz des bürgerlichen Hauses. Wenn Gewerkschaften und Umweltschützer wieder zur Räson gebracht worden sind, wird alles im gewohnten Trott weitergehen. Was aber, wenn nicht?
Die dritte industrielle Revolution ist da
Die Zeichen verdichten sich, dass wir am Vorabend einer Umwälzung der Wirtschaftsordnung stehen. Globalisierung und technischer Fortschritt sind im Begriff, unsere Wirtschaftsordnung umzukrempeln. «Dritte industrielle Revolution», «Internet der Dinge», «Sharing Economy» – diese Begriffe dominieren zunehmend die wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Diskussion. Nicht Gewerkschaften und Ökofreaks, bedrohen die bestehende Wirtschaftsordnung, sondern Roboter und intelligente Software. Schliesslich weiss inzwischen selbst meine Katze, was unter einer «disruptiven Technologie» zu verstehen ist.
Die dritte industrielle Revolution verbreitet sich rasend schnell. «In bloss acht Jahren haben die Smartphones die Welt verändert – und sie haben noch kaum begonnen», stellt der «Economist» in seiner neuesten Ausgabe fest. Selbst wenn man einen guten Teil der Techno-Euphorie als Hype subtrahiert, bleibt unter dem Strich eine Menge. Allein in Europa würden rund die Hälfte aller Arbeitsplätze der dritten industriellen Revolution zum Opfer fallen, prophezeit beispielsweise der ETH-Professor Dirk Helbling.
Sollte es zutreffen – und die Anzeichen dafür mehren sich täglich –, dass wir auf eine neue, digitale Wirtschaftsordnung zusteuern, dann müssen wir uns auch ernsthaft Gedanken darüber machen, wie wir die Gesellschaftsform daran anpassen. Ein Frühlingsputz der bestehenden Ordnung wird nicht reichen. Was machen wir mit allen den Menschen, deren Arbeit von Robotern und anderen intelligenten Maschinen verrichtet wird? Kehren wir zurück zu Brot und Spiele, respektive zu Pizza und Playstation?
Auf diese Fragen brauchen wir sinnvolle Antworten. Bürgerliche Schulterschlüsse und Revitalisierungs-Gipfel liefern alt bekanntes Geschwätz und werden uns nicht weiterhelfen. Es geht in dieser Krise tatsächlich um sehr viel, und sie ungenutzt verstreichen zu lassen, wäre in der Tat fahrlässig.

Dieser Beitrag erschien auf Watson.ch.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Philipp Löpfe war früher stellvertretender Chefredaktor der Wirtschaftszeitung «Cash» und Chefredaktor des «Tages-Anzeiger». Heute ist er Wirtschaftsredaktor von Watson.ch.

Zum Infosperber-Dossier:

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Die Euro- und Währungskrise

Noch mehr Geldspritzen und Schulden bringen die Wirtschaft nicht mehr zum Wachsen. Sie führen zum Kollaps.

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9 Meinungen

  • am 4.03.2015 um 12:05 Uhr
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    Was heisst eigentlich «bürgerlich"? Wer «darf» sich so nennen? Für wen sind «die Bürgerlichen» ein Feinbild und weshalb? Umgekehrt das Spiegelbild, weshalb ist «die Linke» ein Feindbild?
    Diese Feindbilder zeigen sich beispielsweise in Voten wie, die Familienzulagen würden die Arbeitgeber bezahlen.
    Mit dieser verkürzenden Dummheit wird suggeriert, es gehe um Verteilung zwischen Unternehmern und Arbeitern. Dabei get es um den Wettbewerb zwischen Arbeitsertrag und Kapitalertrag.
    Gewerkschafter wollen das nicht verstehen und sehen die mehrfache Besteuerung der Löhne als fortschrittliche Sozialwerke. Ist doch toll für die Kapitalisten, Kapitalerträge werden geschont, Steuern werden gesenkt und dafür werden die Produktionskosten zu Lasten von Arbeiterschaft, Unternehmerschaft und Kundschaft verteuert.
    Die Funktionäre der Verbände, ob économie suisse oder Gewerkschaften dienen nur sich selbst… und dem Traum des endlosen Wachstums.
    Es bräuchte eine Schulterschluss der produktiven Menschen, ohne den 3. Sektor und ohne Funktionäre.
    Arbeit garantiert weder Erfüllung noch ein Leben in Würde, Arbeit hat keinen Selbstzweck.

  • am 4.03.2015 um 18:54 Uhr
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    zu diesem Artikel, als auch zu der anschließenden Meinung habe ich etwas Mühe. Beide nehmen zu einer grundlegenden Entwicklung in einer gesamtheitlichen, für die Menschheit auf diesem Planeten unausweichlichen Strategie Stellung, und stützen sich dabei auf fragwürdige, politische Fakten. Um jedoch einen echten und soliden Frieden vom Kleinsten bis zum Globalen herbei zu bringen, müsste man nun und endlich auch einmal die Politik(-er) dazu bringen entsprechendes Denkvermögen zu entwickeln und in den Vordergrund zu stellen.

  • am 5.03.2015 um 08:29 Uhr
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    @Keller
    owowowowowow… «endlich einmal die Politik(-er) dazu bringen, Denkvermögen zu entwickeln…»
    Das finde ich arrogant und auch weltfremd! – wie funktioniert denn Politik, und wie könnte sie verbessert werden???
    Andere für unfähig zu halten ist noch kein konstruktiver Beitrag.

  • am 5.03.2015 um 17:23 Uhr
    Permalink

    @Lachenmeier…Nein, es geht nicht um den Wettbewerb: Kapitalertrag <> Arbeitsertrag. Es geht fundamental um die Priorität von Geld <> Mensch!
    Die «Bürgerlichen» stellen sich in den Dienst der Gross-Kapitalisten und die Menschen haben die Hose voll von der Angst, das Bisschen, was ihnen noch bewilligt wird, auch noch zu verlieren. Es ist die Kollaboration der Mächtigen und der Ängstlichen, die den Menschen zum non-valeur macht und damit die Menschen in immer grösseres Elend treibt.

  • am 7.03.2015 um 20:25 Uhr
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    @Ellenberger,
    Nicht ein entweder-oder sondern ein sowohl-als-auch, ich sehe keinen Widerspruch.
    Geld arbeitet bekanntlich nicht, es ist der Mensch.
    Es geht nicht nur um «volle Hosen» sondern um leere Köpfe.
    Weshalb merken Biezer und Gewerkschaften nicht, dass mit Lohnnebenkosten Staatsaufgaben bezahlt werden? Z.B. Lohnersatz für Wehr-, Zivilschutz und Feuerwehrleute. Mutter- und Vaterschaftsurlaub etc. Das sind alles Aufgaben des Staatswesens und nicht der Sozialpartner.
    Die paritätischen Funktionäre bearbeiten ihre Pfründe zum Wohle der Kapitalisten.
    Wenn jetzt etwas zur verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit getan werden könnte, wäre m.E. ein Übergang der Finanzierung der sog. Sozialversicherung von den Löhnen zu den Steuern. Das Gewerbe mit Arbeitern und Kunden würde von einer ungerechten Steuer entlastet.

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 8.03.2015 um 11:26 Uhr
    Permalink

    Alle mit etwas politischen Ambitionen freuen sich Vorwände für irgendwelche skurilen Vorschläge zu erhalten und die Schaffung von Strohmännern oder echtes Feindbild-Denken ist in dieser Hinsicht instrumental offenbar immer noch von Nutzen.

    Einer meiner freisinnigen Freunde (er war immerhin mal NR-Kandidat für diese urschweizerische Wirtschafts-Partei, dabei aber auch Vizedirektor einer Sozialversicherung) hat dies mit «Sauglattismus» umschrieben. Je exotischer der Vorschlag, umso mehr Zeit verlieren die «Gegner» eine Gegenstrategie zu entwickeln und so gewinnt man Zeit seine eigenen Figuren i die richtigen Schlüsselstellenzu bringen.

    1968 und so haben wir solche Übungen als politwissenschaftliche Experimente durchgespielt und durch «Links-überholen» exzessive linke Vorschläge abgewürgt.

    Das richtige Problem ist aber zweifellos das langfristige Gleichgewicht auch in der Einkommens- und Vermögensverteilung, notwendige Vorbedingung für eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung. All die Leute, welche versuchen, die Decke auf ihre Seite zu ziehen und implizit Polarisierung fördern, gefährden im wesentlichen die Erhaltung des notwendigen langfristigen sozialen und ökonomischen Gleichgewichtes.

    Der Widerspruch Kapital-Arbeit zeigt sich besonders deutlich bei der Finanzierung der Altersversorgung. Steuern zur Finanzierung bedingen stabile Einkommensverhältnisse, d.h. eine stabile Steuerbasis.

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 8.03.2015 um 11:27 Uhr
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    Die Finanzierung über Kapitalisierung, wie sie in der 2. Säule praktiziert wird, bedingt aber auch eine realistische Verzinsung der (zwangs-)angesparten Gelder.

    In der Debatte um die Hausmieten der letzten Woche konnte man Argumente von Seiten der Asloca hören wie „2.5% Ertrag müssen den Immobilienbesitzern genügen“. Die Mieter würden wegen fallender Renten in die Kostenscher fallen. Aber genügend hohe Renten bedingen auch, dass die gesparten PK-Gelder genügend Ertrag abwerfen, d.h. dass ihre in Immobilien investierten Reserven auch anständig verzinst werden. Natürlich heisst „anständig“ nicht für alle Marktteilnehmer dasselbe.

    Das grösste Problem der Schweiz dürfte aber die kommende Pensionierung der Baby-Boom-Generation sein. Schon jetzt stellen wir empfindliche Steuerausfälle wegen steigender Alterung der Steuerpflichtigen dar und sind doch erst am Anfang des grossen Schockes.
    Dass die „Masseneinwanderungsinitiative“ dieses Phänomen etwas vorweg nimmt macht die Sache auch nicht besser, selbst wenn das entsprechende „Fitnesstrimming“ für das grosse Zukunftsproblem möglicherweise sogar einen gewissen Nutzen haben kann.
    Wenn die Produktivität nicht massiv erhöht werden kann, werden weder die Steuerausfälle noch die fehlenden Pensionsgelder kompensiert werden können, von kürzerer Arbeitszeit und lebendgerechterer Organisation der Arbeitsszeit ganz zu schweigen.

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 8.03.2015 um 11:27 Uhr
    Permalink

    Könnte die Wasserstoff-Revolution realisiert werden, würde wohl ein grosser Teil des Produktivitätsproblems gelöst. Und selbst die Distributionkönnte durch eine dezentralisierte Energieschaffung (anden Grosskonzernen und staatliche Regien vorbei) positiv beeinflusst werden. Und all das ohne die Umwelt unnötig zu belasten….
    Träumen ist schön. Vielleicht sollte auch die öffentliche Hand etwas mehr tun, um solchen Träumen zum Durchbruch zu verhelfen.

  • am 8.03.2015 um 12:44 Uhr
    Permalink

    @Hunkeler/Lachenmeier
    Ich bleibe dabei, es ist die Gier der Mächtigen und der Reichen (und derer die gerne „dazu“ gehören möchten) und die verheerende Union mit den Ängstlichen, die jeden Fortschritt verhindert und in allen demokratischen Staaten konstruktive Aktionen verunmöglicht. Deshalb ist es unmöglich, eine Finanztransaktionssteuer und/oder eine Vermögenssteuer auf Millionen-Vermögen einzuführen. Letztere würde mit einem Satz von 1 % jährlich weltweit 400 Milliarden $ einbringen, erstere – für ein geschätztes Volumen von heute etwa 1’000 Billionen $ pro Jahr – bei einem Satz von 0.1 % etwa 1’000 Milliarden $. Damit wäre alles möglich. Von der Realisierung der Wasserstoff-Technologie bis zur Elimination des Hungers in der Welt.
    Wer hindert uns daran, das zu ändern? Wie Herr Hunkeler richtig bemerkt, sind es nicht nur die Gierigen und die Ängstlichen (mit den „vollen Hosen*), sondern auch die leeren Köpfe und die zunehmende Zahl der aus Frust oder Hoffnungslosigkeit Gleichgültigen. Sie haben in allen Demokratien die Mehrheit und sind verantwortlich für die Inaktivität der Politik und die Blockade jeder Bewegung in Richtung einer humaneren Welt.

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