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Ilya Repins "Wolga-Treidler"von 1870 wird bald wieder "Zeit-gemäss" © nc

Mitarbeitende werden zu reinen Kostenpositionen

Christian Müller /  Die persönliche Identifikation der Mitarbeitenden mit dem Unternehmen – früher ein realer Wert – ist nicht mehr erwünscht.

Manager, die über 40 Jahre alt sind, wissen es noch: Man schätzte in den Firmen Mitarbeitende, die sich mit der Firma hundertprozentig identifizierten. Die im Bedarfsfall deutlich mehr leisteten, als im Arbeitsvertrag festgeschrieben war. Und die in ihrer Umgebung über «ihre» Firma vor allem Gutes erzählten.

Die Firmen-Patrons, aber auch die angestellten Manager wussten: Wer solche Mitarbeitende im Haus hat, ist auch in vorübergehend harten Zeiten sicher. Durch eine niedrige Fluktuation kann das Know-how hochgehalten werden; es geht nicht an andere Firmen verloren. Die bestehenden Kundenbeziehungen sind auch wegen persönlich-menschlich guter Beziehungen der Beteiligten relativ stabil. Unerwartete Grossaufträge können durch freiwilligen Mehreinsatz der Mitarbeitenden rechtzeitig erfüllt, unerwartete Tiefschläge leichter überwunden werden. Man hält in der Firma zusammen und ist – gemeinsam – erfolgreich.

Die Realität sieht anders aus

Das war einmal so. Wo es immer noch so ist, ist es zum Auslaufmodell geworden. Die modernen Manager denken anders: Die menschliche Arbeits- und Innovationskraft ist für sie genau so wie Eisen oder Erdöl ein Rohstoff, der zu möglichst günstigem Preis in möglichst flexibler Quantität verfügbar sein muss. Die US-amerikanische Denke hat auch hierzulande Einzug gehalten.

Angefangen hat es schon vor Jahren. Und wie so oft mit einem Wort. Denn einzelne Wörter vermögen oft ganz neue Denkweisen zu initiieren. Konkret: Wenn noch vor Jahren die für das Personal zuständige Stelle Personal-Abteilung oder Personalleitung hiess, gilt heute ein anderer Terminus: Human Resources Management meist abgekürzt HRM. Oder zu deutsch: «Verwaltung des menschlichen Rohstoffs».

Firmen bedürfen, je nach Branche, verschiedener «Rohstoffe»: Alle brauchen Energie, meist in Form von Elektrizität, viele brauchen Erdöl, u.a. auch als Basis für die Produktion von Kunststoffen, viele brauchen Eisen oder andere Metalle, viele brauchen landwirtschaftliche Produkte, Mais, Weizen, aber auch Zucker oder Kaffee. Das sind die Rohstoffe der Unternehmen. Und jetzt wird auch die menschliche Arbeitskraft als Rohstoff behandelt und verwaltet: Human Resources Management. Für jene, die hinter die Wörter hören: ein schreckliches Wort.

Arbeitskräfte müssen auswechselbar sein

Der für den Einkauf der Rohstoffe verantwortliche Manager, ob es sich um Eisen, um Erdöl oder um Kaffee handelt, hat auf möglichst günstige Einkaufspreise zu achten. Ein zweites Kriterium allerdings ist auch die Sicherheit. Ein jetzt tiefer Preis für Kaffee, nächstes Jahr aber kein Kaffee oder dann nur zu massiv übersetzten Preisen, das würde keinen Sinn machen. Dieses Game zu Preis und Verfügbarkeit ist der Job des zuständigen Einkaufs-Managers.

Mehr und mehr wird nun aber auch der Einkauf des Rohstoffes «menschliche Arbeit» so gehandhabt. Man muss die Gehälter möglichst tief halten, um preisgünstig an den Rohstoff Arbeitskraft zu kommen. Aber man darf nicht zu sehr drücken, denn dann könnte es sein, dass zu viele Arbeitskräfte verloren gehen und nächstes Jahr zu wenige zur Verfügung stehen. Ideal sind deshalb Arbeitskräfte, die flexibel zur Verfügung stehen. Und eben daraus abgeleitet: Hinderlich sind Arbeitskräfte, die zu stark mit der Firma verbunden sind, sprich: die man bei kleinerer Nachfrage nicht möglichst schnell und unkompliziert loswird.

Ein Mitarbeitender, der sich mit der Firma total identifiziert, im Bedarfsfall zwar klaglos Überzeit leistet und der auch nicht beim ersten Angebot einer anderen Firma die Stelle wechselt, dem gegenüber aber auch die Firma so etwas wie eine Treuepflicht hat, ein solcher Mitarbeitender ist im Game des Managements mit Preisen und Verfügbarkeiten heute zum Hindernis geworden. Moderne Unternehmungen – und je grösser sie sind umso mehr – möchten menschliche Arbeitskraft ebenso frei auf dem «Arbeitsmarkt» einkaufen können wie Eisen, Erdöl und Kaffee auf dem freien Rohstoffmarkt. Die Mitarbeitenden werden managementmässig so auf Kostenpositionen reduziert, die dann am meisten Freude machen, wenn sie gestrichen werden können. Das zumindest ist die Wunschvorstellung, der sich die Realität allerdings mehr und mehr nähert.

UBS und CS haben US-amerikanische HR Manager

Um sich im Personalmanagement dieser angestrebten Lösung aber auch möglichst real zu nähern, verzichten heute insbesondere transnationale Konzerne auf Personalleiter aus der Kultur des europäischen «Heimatlandes». So etwa haben beide Schweizer Grossbanken, sowohl die UBS als auch die CS, US-amerikanische HR (Human Resources) Manager: Pamela Thomas-Graham bei der CS, John Bradley bei der UBS. Und die Bankangestellten der beiden Bank-Giganten wissen denn auch bereits, was das bedeutet. Hunderte von UBS-Angestellten in London konnten vor ein paar Wochen eines Morgens nicht mehr zu ihrem Arbeitsplatz. Ihr «Hausschlüssel» in Form einer Chip-Karte war bereits elektronisch deaktiviert worden, bevor sie persönlich informiert wurden, dass sie mit einiger Wahrscheinlichkeit zu jenen gehören, die in den nächsten Wochen entlassen werden. So geht man in grossen Konzernen, in denen das HR Management in Händen von Amerikanern liegt, mit Menschen um. Mit Menschen? Nein, nur mit «menschlichem Rohstoff», gemäss heutiger Geschäftsphilosophie.

Viele Vorgesetzte sind schlicht feige

Einer Mitarbeiterin oder einem Mitarbeiter zu kündigen, das ist für viele Vorgesetzte noch immer eine der schwierigsten Aufgaben. Muss ihr oder ihm gekündigt werden, weil die Leistung nicht stimmt, gibt es wenigstens Argumente. Aber aus wirtschaftlichen Gründen, weil die Arbeit fehlt?

Das schwierige dabei ist, einem Mitarbeitenden in die Augen zu schauen. «Du musst die Firma verlassen» zu sagen und dann die immer erste Gegenfrage zu beantworten: «Was habe ich denn falsch gemacht? Warum gerade ich?»

Clevere Manager gehen dieser zwischenmenschlich schwierigen Situation schon seit Jahren aus dem Weg. Sie engagieren eine Beratungsfirma – Stichwort McKinsey – und schon sind es frische Universitäts-Abgänger, die aufgrund der Personal- und Lohnlisten die Entscheidungen treffen. Betroffen sind dann meistens die über 50jährigen, die aufgrund ihres Alters einen tendenziell höheren Lohn haben als jüngere, mit der modernen Digital-Technik aber nicht ebenso spielerisch umgehen können wie die jüngeren und «billigeren». Und der Patron, Geschäftsführer oder auch ein anderer Vorgesetzter müssen nicht selber geradestehen für das, was hier abläuft. Sie können sich – richtig feige – um die schwierige Situation des Kündigungsgesprächs drücken. Es war ja die externe Beratungsfirma, die die Auswahl getroffen hat…

Aber auch der Umweg über eine externe Beratungsfirma ist in modernen Firmen mehr und mehr out. Zu teuer, zu kompliziert, zu langsam. Viel einfacher ist es, wenn es zur Tagesordnung gehört, dass Leute ausgewechselt und/oder abgebaut werden. Doch dazu braucht es die richtige Kultur – oder eben: die richtige Un-Kultur. Menschen nicht als Menschen, sondern als «menschlichen Rohstoff» zu behandeln.

Ein Aldi-Manager packt aus

Noch ist es in Europa unüblich, so vorzugehen, wie die UBS in London. Noch werden Kündigungen meist persönlich ausgesprochen. Andreas Straub, ein ehemaliger Aldi-Manager, hat dazu eine «Anleitung» geschrieben. Eine sarkastische, notabene. Von zehn Punkten lauten die ersten zwei:

»1. Köpfe müssen in einem Unternehmen regelmäßig rollen, nur so lassen sich Disziplin und Ordnung dauerhaft gewährleisten. Eine gesunde Angst um den Arbeitsplatz hat der Motivation noch nie geschadet. Wer sich zu sicher fühlt, erschlafft, neue Mitarbeiter hingegen sind anfangs in der Regel billiger und vor allem motivierter als Bestandsmitarbeiter. Und Sie, den Manager, muss man fürchten. Das wird Sie in Ihrer Karriere voranbringen.

2. Fokussieren Sie Ihre Anstrengungen auf teure Mitarbeiter, also solche mit den höchsten Gehältern, die Sie anschließend durch billigere Kräfte ersetzen. So macht die Entlassung am meisten Sinn und wirkt sich positiv auf die Personalkosten aus. Am besten etwas ältere, solche, die langsamer oder ineffizienter arbeiten als die anderen. Oder die häufiger krank sind. Oder die sich immer wieder kritisch äußern. Für Anfänger aber eignet sich am besten eine alleinerziehende Mama oder 400-Euro-Hilfskraft zum Üben. Da erwartet Sie üblicherweise die geringste Gegenwehr. Arbeiten Sie sich dann Schritt für Schritt hoch.»

Es lohnt sich, alle seine zehn Punkte zu lesen: ein Blick ins Gruselkabinett des innerbetrieblichen Umgangs mit Menschen und – leider – ein Blick in die heutige innerbetriebliche Realität.

Die Grossunternehmen im kulturellen Selbstbedienungsladen

Es ist klar: Gut schweizerische Klein- und Mittel-Betriebe können sich vieles nicht leisten, was in transnationalen Konzernen längst üblich ist. Mangels globalen Regeln bedienen sich die global aktiven Konzerne eben auch im firmenkulturellen Bereich im internationalen Selbstbedienungsladen: Wenn es um die Steuern geht, hält man sich gerne an die Schweizer Usanzen. Transparenz zum Beispiel gehört hier nicht zur Kultur. Wenn es um den Umgang mit Büro-Menschen geht, ist die HR-Kultur der USA gerade richtig: hire and fire. Wenn es um den Umgang mit Land- oder Minenarbeitern geht, sind die afrikanischen Vorgaben die passenden. Aber auch wenn es um die Umweltverschmutzung geht, hält man sich lieber an Afrika oder Indien als an Europa. Nationale Regelungen und Gesetze sind gerade noch gut genug für den Papierkorb.

Leider interessiert sich die Öffentlichkeit wenig für die betrieblichen Kulturen der Grossunternehmen. Und wo man versucht hat , einem Schweizer Grossunternehmen, der UBS, die eben mit über 60 Milliarden Franken vor dem Bankrott gerettet werden musste, einen gut schweizerischen – vermeintlich bodenständigen – Unternehmer und Politiker an die Spitze zu setzen, um wieder anständige Verhältnisse schaffen zu können, endete es im Desaster. Am Ende verteidigte der ehemalige Bundesrat die US-amerikanischen Verhältnisse im Betrieb und die perversen Boni für die Casino-Banker – alles mit Verweis auf den «Markt».

Der Umgang mit Menschen im Betrieb – heute oft ein trauriges Kapitel. Und noch zu wenig im Visier der Medien.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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5 Meinungen

  • am 16.12.2012 um 13:26 Uhr
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    Ausgezeichntet geschrieben, mir aus dem Herzen (wie es nicht sein sollte mit den HR). Es wird sich wieder zeigen, wie mit dem Quartiersladen – die Mitarbeitenden sind Menschen und sie sind es, welche die Firma tragen!

  • am 17.12.2012 um 16:24 Uhr
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    Als 1996 die Volksbank von der SKA übernommen wurde und daraus die CREDIT SUISSE entstand, wurden unsere Arbeitsplätze im Marketing sofort nach Zürich verlegt. Beim pendeln Bern-Zürich-Bern haben wir mehrmals darüber gesprochen: bei der Volksbank hatten wir eine tolle Unternehmenskultur wie im obigen Artikel eingangs beschrieben. Bei der SKA: null! Für uns war das ein richtiger Schock. Zum Glück wurde ich nach zwei Jahren pendeln frühpensioniert – länger hätte ich es da nicht ausgehalten!

  • am 18.12.2012 um 10:48 Uhr
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    Ich vermute hinter dieser geänderten Firmenpolitik eine weitere Ursache. Seit grössere Firmen oftmals von so genannten Heuschrecken gekauft und weiter verkauft werden, ist Identifikation mit dem Unternehmen im Management gefährlich geworden. Es zeigt sich, dass genau diese Manager die ersten sind die bei einem Handwechsel gehen müssen.

  • am 22.12.2012 um 10:11 Uhr
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    Dem, was Christian Müller hier sagt, würden ohne Zweifel viele beipflichten. Spätestens aber, wenn sie in Parlamenten und Verwaltungsräten sitzen, ändern sie ihre Meinung. Dann steht Profitstreben und Gewinnoptimierung im Vordergrund. Und dazu muss dann halt auch mal auf die «menschlichen Ressourcen» zurückgegriffen werden. Dass dabei oft das Menschliche auf der Strecke bleibt, – wen wundert’s? – Allerdings machen das nicht nur böse Amerikaner so, sondern auch gute Schweizer.

  • am 8.07.2014 um 21:38 Uhr
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    Der Beitrag trifft voll ins Schwarze. Bis in die 1990er-Jahre war der engagierte Mitarbeiter mehr als HR, eben ein MITarbeiter, der sich voll und ganz für die Firma einsetzte und entsprechend geschätzt wurde. Mit dem Einzug des Neoliberalismus unter der Federführung der FDP ("Mehr Freiheit, weniger Staat") schmolz die soziale Verantwortung vieler Unternehmen dahin wie Schnee an der Sonne, und die PFZ als Verlängerung der neoliberalen EU in der Schweiz tat das Übrige, um den sog. Mitarbeiter zum Kostenfaktor zu degradieren. Darum haben wir heute ein Problem 50+, die ALV und die Sozialämter kennen das mehr als zur Genüge. Es werden hier langfristige sozialpolitische Probleme geschaffen (EL-Leistungen der AHV), das alles um des kurzfristigen Profites willen, nach dem Motto, Profite privatisieren, Verluste sozialisieren. Es ist höchste Zeit, dass diese Entwicklung gestoppt wird, Inländervorrang und Abschaffung der PFZ sind ein soziales Muss.

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