Kommentar

Das «sehr hohe Schutzniveau» Schweizer AKWs

Thomas Angeli © zvg

Thomas Angeli /  Nach der Lektüre des Ensi-Berichts über den EU-Stresstest stellt sich die bange Frage: Gegen was denn sind die AKWs geschützt?

Manchmal – selten – kommt man als Journalist nicht darum herum, sich selber zu zitieren. Dies ist einer jener seltenen Momente: Die Website der KKW-Aufsichtsbehörde Ensi sei in den vergangenen Monaten zu einer «virtuellen Gute-Nachrichten-Schleuder» ausgebaut worden, stand hier vor nicht allzu langer Zeit zu lesen. Und tatsächlich ist den Kommunikatoren vom Nuklearsicherheitsinspektorat schon wieder eine positive Schlagzeile eingefallen, mit der die weit weniger positiven Fakten ins beste Licht gerückt werden sollen: «EU-Stresstest bestätigt die Sicherheit der Schweizer Kernkraftwerke», vermeldet die Aufsichtsbehörde beruhigend.
Die Sicherheitsüberprüfung, die europaweit aufgrund der Ereignisse in Fukushima durchgeführt wurde, habe bestätigt, dass die Schweizer AKWs «über ein sehr hohes Schutzniveau gegen die Auswirkungen von Erdbeben, Überflutung und andere Naturgefahren verfügen», heisst es im Communiqué.
«Offene Punkte» als Nebensächlichkeiten dargestellt
Auf die schöne Schlagzeile folgen dann im Communiqué sehr schnell die hässlichen Fakten. Praktisch aus dem Nichts sind plötzlich acht «offene Punkte» rund um die Sicherheit der Schweizer Atommeiler aufgetaucht: Die Frage etwa, ob Schweizer AKWs bei einem Erdbeben (gegen das sie angeblich über ein «sehr hohes Schutzniveau» verfügen) automatisch durch die Erdbebenmessgeräte abgeschaltet werden können etwa. Oder ob und wie gut das Containment und der Primärkreislauf einem Erdbeben widerstehen könnten. Weitere «offene Punkte» sind unter anderem: Die Verstopfung von Flüssen (zum Beispiel nach einem Erdbeben), die zur Kühlung der AKWs dienen, Sicherheitsnachweise zu extremen Wetterereignissen (man erinnere sich auch hier an das «sehr hohe Schutzniveau»)
und – oh Wunder – der noch ausstehende Nachweis, dass der Wohlensee-Staudamm oberhalb des AKWs Mühleberg einem Erdbeben standhalten würde (das «sehr hohe Schutzniveau» gilt selbstverständlich auch hier).
Diesen Nachweis hätte die Mühleberg-Besitzerin BKW schon am 30. November 2011 einreichen müssen, hat dies aber nicht getan. Nun hat sie noch einmal bis zum 31. Januar 2012 Zeit dafür, ebenso für «zusätzliche Angaben zur Erdbebenfestigkeit der Reaktorschnellabschaltung» (wobei auch diese… aber lassen wir das).
Mal ganz ehrlich, liebe Leserinnen und Leser: Glauben Sie immer noch, dass der EU-Stresstest die Sicherheit und das «sehr hohe Schutzniveau» der Schweizer Kernkraftwerke bestätigt? Oder haben Sie möglicherweise den Eindruck, dass Sie auf sehr hohem Niveau für dumm verkauft werden?


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Journalist und Betreiber des Blogs Angelis Ansichten, wo er diesen Beitrag zuerst publizierte.

Zum Infosperber-Dossier:

Ensi

Atomaufsichtsbehörde Ensi

Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat Ensi entscheidet darüber, ob AKWs noch sicher genug sind.

1920px-AKW_Leibstadt_CH

Die Sicherheit Schweizer AKWs

Nach einer Katastrophe drohen Krankheiten oder Tod. Und Gebäude- und Hausratversicherungen zahlen keinen Rappen.

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Eine Meinung zu

  • am 12.01.2012 um 14:47 Uhr
    Permalink

    Dazu passt folgendes Gedicht aus dem Gedichtband «Öko-Balance» :

    Atomkraft

    Gar mancher denkt beim Lösung suchen:
    „Man soll Atomkraft nicht verfluchen.“

    Doch die Atomkraft muss man sehn,
    Bringt grosses Sicherheitsproblem.
    Zudem muss man sich ehrlich fragen:
    „Wer will denn Langzeitlager haben?“

    Bei der Gewinnung von Uran
    Fällt viel aktiver Abfall an.
    Die Umwelt muss dort wirklich leiden
    Und wer dort wohnt – nicht zu beneiden.

    Erreicht man s’ Ökogleichgewicht,
    So braucht es die Atomkraft nicht. *

    * Z.B. in der Schweiz würde man im Ökogleichgewicht 5,6 mal weniger Energie brauchen.

    Markus Zimmermann-Scheifele, 6047 Kastanienbaum

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