Kommentar

Das US-Finanzsystem: Suchtkrank und auf dem Weg ins Verderben

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des AutorsKeine. Ernst Wolff ist freier Journalist. Von ihm erschienen sind die Bücher «Finanz Tsunami – Wie ©

Ernst Wolff /  Die News aus den USA richten sich auf Iran und Impeachment. Dabei ist eine bedenkliche Entwicklung auf dem Finanzmarkt im Gange.

Während die US-Öffentlichkeit wie gebannt auf die dramatischen Ereignisse im Iran und das Impeachment-Verfahren in Washington starrt, geschehen im Hintergrund Dinge, welche die Zukunft des Landes und das Schicksal der amerikanischen Bevölkerung wahrscheinlich erheblich stärker beeinflussen werden als die Besetzung des Präsidentensessels oder eine weitere kriegerische Eskalation im Nahen Osten.

Im September vergangenen Jahres ist es am Repo-Markt, an dem sich US-Banken über Nacht mit frischem Geld versorgen, zu schweren Verwerfungen gekommen. Zur Beruhigung des Marktes, der zuvor zehn Jahre lang ohne grössere Turbulenzen funktioniert hatte, griff die Federal Reserve (FED) ein und beschwichtigte die Öffentlichkeit mit der Behauptung, es handle sich um kurzfristige Probleme, die sie schnell aus der Welt schaffen werde.

Diese Argumentation ist mittlerweile durch die Realität widerlegt worden. Die FED hat ihre Bilanz im Rahmen ihrer Interventionen am Repo-Markt innerhalb von dreieinhalb Monaten um über 400 Milliarden Dollar ausgeweitet, ohne dass ein Ende der Eingriffe abzusehen wäre.

Allein am 2. Januar 2020, dem ersten Arbeitstag dieses Jahres, griff sie mit 57 Milliarden Dollar ein, am Donnerstag, dem 9. Januar 2020, waren es 83,1 Milliarden. Am selben Tag trat der stellvertretende Vorsitzende der FED, Richard Clarida, vor die Medien und kündigte an, die Eingriffe würden bis mindestens Ende April fortgesetzt.

Ein fundamentales Problem

Auch das dürfte nur Wunschdenken sein, denn es handelt sich bei den Turbulenzen am Repo-Markt nicht um eine vorübergehende Schwäche, sondern um ein fundamentales Problem der US-Finanzindustrie, deren Schicksal mit dem eines Suchtkranken zu vergleichen ist, dem mit herkömmlichen Methoden nicht mehr geholfen werden kann.

Der grössere Zusammenhang: Der US-Aktienmarkt erlebt seit zehn Jahren einen historisch nie dagewesenen Boom, der sich offenbar durch nichts mehr erschüttern lässt. Selbst die schlimmsten Nachrichten lassen den Dow Jones nur kurz nachgeben, um anschliessend wieder neue Rekordstände zu erklimmen und Präsident Trump zu veranlassen, einmal mehr auf die «grossartige Wirtschaft» unter seiner Führung zu verweisen.

Das aber ist nichts als eitles Geschwätz. Der Aufschwung hat lange vor seiner Amtszeit begonnen und die US-Wirtschaft ist nach der letzten Rezession nur sehr schwach gewachsen. Der Boom an den Aktienmärkten ist ausschliesslich der Tatsache zu verdanken, dass die FED nach der Krise von 2007/08 Unmengen an Geld ins System gepumpt und zu immer niedrigeren Zinsen an Grossinvestoren vergeben hat.

Zwar hat sie zwischen 2015 und 2018 versucht, diese Geldschwemme einzudämmen, doch der Versuch ist zum Jahresende 2018 kläglich gescheitert. Seitdem hat sie die Zinsen weitere drei Mal gesenkt und mit ihrer Intervention am Repo-Markt eine neue Runde der billigen Geldvergabe an Grossinvestoren eingeläutet.

Diese Liquiditätsschwemme sorgt dafür, dass Geld entweder direkt in den Aktienmarkt fliesst, oder dass Grosskonzerne immer mehr eigene Aktien zurückkaufen und damit deren Kurse nach oben treiben.

Für die amerikanische Bevölkerung bedeutet der Prozess vor allem eines: Die soziale Ungleichheit nimmt drastisch zu. Denn die Gewinne an den Aktienmärkten kommen der grossen Masse nicht zugute. Stattdessen sorgt die Geldschwemme dafür, dass der US-Dollar langfristig weiter an Wert verliert, die realen Einkommen der Bevölkerung also auf breiter Front sinken.

Ein hervorragendes Beispiel für das Ausmass der gegenwärtigen Umverteilung von unten nach oben liefern die Grossbank JP Morgan und ihr Chef Jamie Dimon: Dimons Aktienpaket hat auf Grund der FED-Interventionen allein im vierten Quartal 2019 einen Wertzuwachs um mehr als 250 Millionen Dollar erlebt – im selben Jahr, in der JP Morgan einige hundert Angestellte «aus Kostengründen» entlassen hat, viele davon in die Arbeitslosigkeit.

Die Schweizer Nationalbank definiert Repo-Geschäfte wie folgt

Mit dem Repo-Geschäft steuert die Schweizerische Nationalbank die Liquidität im Finanzsystem und damit die Versorgung der Wirtschaft mit Liquidität. Repo-Geschäfte sind befristet und weisen in der Regel Laufzeiten zwischen einem Tag (Overnight) und maximal einem Jahr auf. Je nach den geldpolitischen Bedürfnissen und der Liquiditätssituation am Geldmarkt schliesst die Nationalbank liquiditätszuführende oder liquiditätsabschöpfende Repo-Geschäfte ab. Im ersten Fall kauft die Nationalbank von einer Gegenpartei Wertschriften und schreibt der Gegenpartei den entsprechenden Geldbetrag in Franken auf ihrem Girokonto bei der Nationalbank gut. Gleichzeitig wird vereinbart, dass die Nationalbank am Ende der Laufzeit der Bank Wertschriften gleicher Gattung und Menge wieder verkauft. Für den befristeten Frankenkredit, der mit Wertschriften gedeckt ist, bezahlt die Bank der Nationalbank einen Zins, den Repo-Satz. Das liquiditätsabschöpfende Repo-Geschäft (Reverse Repo) läuft umgekehrt: Die Nationalbank verkauft der Bank Wertschriften und belastet den entsprechenden Geldbetrag dem Girokonto der Bank. Gleichzeitig wird vereinbart, dass die Nationalbank die Wertschriften am Ende der Laufzeit zurückkauft. Die Nationalbank bezahlt der Bank für die Dauer des Geschäfts einen Zins, den Repo-Satz. Nach diesem Prinzip schliessen Banken auch untereinander Repo-Geschäfte ab (besicherter Interbankenmarkt), um ihr Liquiditätsmanagement zu optimieren und Liquidität zu bewirtschaften.

Vor einem noch grösseren Scherbenhaufen

Selbst wenn es der FED gelingen sollte, den Repo-Markt unter Kontrolle zu bringen, wird sie die Süchtigen – die US-Grossinvestoren – weiter mit billigem Geld versorgen müssen. Und da das gegenwärtige System auf Wachstum aufbaut, werden die verabreichten Dosen immer höher ausfallen müssen.

Ob das US-Finanzsystem durch die Ereignisse am Repo-Markt in die finale Phase seines Bestehens eingetreten ist, wird sich zeigen, da niemand weiss, zu welchen weiteren Manipulationen die Verantwortlichen noch fähig sind. Auf jeden Fall werden die zu erwartenden Massnahmen die Probleme nicht lösen, sondern das System weiter untergraben, es langfristig noch stärker destabilisieren und nicht nur mit Sicherheit zu seinem endgültigen Zusammenbruch führen, sondern diesen auch noch schlimmer als ohnehin unvermeidbar ausfallen lassen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Ernst Wolff ist freier Journalist. Von ihm erschienen sind die Bücher
«Finanz Tsunami – Wie das globale Finanzsystem uns alle bedroht», edition e. wolff, 27.90 CHF,
und «Weltmacht IWF – Chronik eines Raubzugs», Tectum-Verlag, 26.90 CHF.

Zum Infosperber-Dossier:

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Mit unvorstellbaren Summen darf gewettet werden, dass grosse Unternehmen und Staaten pleite gehen.

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6 Meinungen

  • am 15.01.2020 um 07:39 Uhr
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    An dem Tag, als der Mensch Atomenergie frei setzte, starb die Mystik.
    An dem Tag, als der Mensch begann Geld zu schöpfen, starb die Arbeit.
    ora et labora, das war einmal. Ich bin kein Romantiker, aber der Zustand der Umwelt sagt mir eindeutig, dass unsere Emanzipation von den Religionen uns nicht näher ans Leben gebracht hat, sondern fast alles Leben in arge Bedrängnis.

    Wir sind zu weit gegangen/ Deine Sehnsucht hat jetzt Sinn/ Nimm sie mit, du weißt wohin (die Ärzte)

  • am 15.01.2020 um 22:55 Uhr
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    Natürlich wird der crash folgen, wie immer. Der aufschwung hat jedoch extrem lange gedauert. Die eingefahrenen gewinne lassen einen crash für die, die in den letzten jahren investiert waren, gut verschmerzen. Panik ist nicht angesagt.

  • am 16.01.2020 um 12:00 Uhr
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    Ganz schön zynisch, Herr von Burg, wenn man bedenkt, dass die eingefahrenen Gewinne der Investoren auf der Arbeit derer beruhen die (noch mehr) verlieren werden.

    Im übrigen: Wenn diese Krise so dramatisch verläuft wie einige das vermuten, könnte es wieder 1918 sein. Niemand kann das ausschliessen. Auch kein Grund zur Panik? (im Übertragenen Sinne. Panik ist nie angebracht) Die Gewehre müssten es halt dann einmal mehr richten. Auch die Schweiz kann Frankreich sein.

  • am 16.01.2020 um 21:35 Uhr
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    Nein herr stöckli, die eingefahrenen gewinne werden nicht durch die arbeitenden bezahlt. Sondern durch die sich schlechter informiert habenden börsenteilnehmer.
    Und zur krise: die gehört zum system. Die welt ging auch 2000 und 2008 nicht unter, als all die wandelpropheten prophezeiten, nach jenen crashs (dotcom und subrime) werde alles nie mehr sein wie früher. Wer auch nur ein wenig überblick hatte lachte schon damals darüber. Das alte wort gilt noch immer: nichts neues unter der sonne. Die grundmechanismen ändern sich nie. Das ist gut so und schafft verlässlichkeit. Damit kann man arbeiten, es ist unser gewinnsubstrat. Sie mögen das zynisch nennen. Ich nenne es weltverständnis.

  • am 17.01.2020 um 11:01 Uhr
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    Zum alten Wort fällt mir ein Buch ein: «Im Westen nichts Neues.» Man gewöhnt sich an den Kriegszustand, hält ihn für normal und verlässlich. Kein Grund, etwas verändern zu wollen also?

    Wissen Sie, wenn man selber nicht existenzgefährdend von einer Wirtschaftskriese betroffen ist/war, kann man gut sagen, dass die halt zum System gehört und damit alles gut sei. Wenn man aber von einem Tag auf den anderen nicht mehr weiss, wie man sein Kind ernährt wie in den 20/30ern, oder die erarbeitete Rente von einem auf den anderen Tag praktisch verschwindet wie in Griechenland nach 2007/2008 dann hat man da wahrscheinlich eine andere Sichtweise. Dass die Welt nicht untergeht, wenn ein grossteil der Menschen einmal mehr systematisch, institutionell und notfalls mit roher Gewalt enteignet werden, macht es übrigens nicht besser.

    »…die eingefahrenen gewinne werden…bezahlt…durch die sich schlechter informiert habenden börsenteilnehmer"
    Da fiel mir jetzt die Kinnlade runter. Eigentlich ist es doch so, bei einem Bullenmarkt jubeln sich fast alle die Kapitalbesitzer (und deshalb Investoren) als intelligent und geschickt, weil praktisch alle gewinnen. Beim Bärenmarkt jammern dann dieselben über unfähige CEO’s (welche selber auch oft Investoren sind), Politiker oder Gott weiss was.

  • am 18.01.2020 um 18:28 Uhr
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    Da bin ich mit ihnen einverstanden herr stöckli. Aus der sicht des betroffenen sieht die welt anders aus als aus der sicht des ordnungspolitikers. Trotzdem denke ich, dass ordnungspolitik die richtige leitschnur ist für gesellschaftgestaltende massnahmen. Die unbill für die betroffenen müssen wir mit flankierenden massnahmen abfedern.

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