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«Erholung nach reinigendem Gewitter» © Tamedia

«Trendwende» an den Börsen manipuliert

Ernst Wolff /  Während die Finanzelite von Börsenkrise und Erholung dank Finanzspritzen profitiert, verlieren andere Arbeitsplatz und Kaufkraft

Nach dem Börsenbeben der vergangenen Tage haben die globalen Aktienmärkte in der Mitte der Woche eine – vorläufige – Trendwende vollzogen. Die Mainstream-Medien feiern das als «Erholung nach einem reinigenden Gewitter» und werten es als Beweis für die Funktionstüchtigkeit des Systems. In Wahrheit aber zeigt die Entwicklung genau das Gegenteil: Das System ist ohne Hilfe von aussen nicht überlebensfähig.

Auslöser für die internationalen Schockwellen waren die Einbrüche am chinesischen Aktienmarkt. China hat den USA inzwischen den Rang des wirtschaftlich bedeutendsten Landes der Erde abgelaufen. Während die USA der wichtigste Handelspartner von 74 Ländern sind, erfüllt China diese Rolle für 124 Länder. Unter den sechs grössten Banken der Welt befanden sich im April 2015 vier Geldinstitute aus China.

Geldschwemme nach den Börsencrashs von 2008 und 2015

Nach dem 1978 durch Deng Xiaopings Reformpolitik in Gang gesetzten beispiellosen Boom wurde Chinas Wirtschaft durch den Crash von 2008 schwer getroffen. Um sie wieder anzukurbeln, wurde den Banken die Kreditvergabe erleichtert, es wurden milliardenschwere Konjunkturprogramme aufgelegt und riesige Infrastrukturprojekte in Auftrag gegeben. Das unregulierte Schattenbankenwesen explodierte, die Hälfte aller Kredite werden heute in China in diesem Sektor vergeben. Sein Volumen wird zurzeit auf 5 Billionen US-Dollar geschätzt.

Auch die USA und die Eurozone reagierten auf den Crash von 2008, indem sie der Finanzindustrie riesige Geldsummen zur Verfügung stellten und die Zinsen senkten. Da der grösste Teil dieses Geldes aber in die Spekulation wanderte, kam die Realwirtschaft nicht wieder in Gang, wodurch China die Rolle des globalen «Motors» zufiel.

Trotz aller Anstrengungen konnte China nicht verhindern, dass die Nachfrage in den USA und Europa aufgrund der stockenden Wirtschaftsentwicklung immer stärker nachliess. Wegen der rückläufigen Investitionsmöglichkeiten hat sich das chinesische Geld daher neue Anlagemöglichkeiten gesucht. Eine davon war neben dem Immobilienmarkt der chinesische Aktienmarkt, der in den vergangenen Jahren einen kräftigen Aufschwung nahm.

Obwohl dieser Markt weltwirtschaftlich unbedeutend ist, gilt er als ein Indikator für die Gesundheit des chinesischen Systems. Deshalb reagierte die Regierung in Beijing, als der Markt im Mai/Juni einbrach, mit drastischen Massnahmen: Sie pumpte Geld in den Markt, verbot Leerverkäufe (Wetten auf fallende Kurse), stoppte neue Aktien-Emissionen, untersagte Grossinvestoren für sechs Monate den Verkauf von Aktien, verhaftete zudem einzelne Aktienhändler und warf ihr nicht genehme Wirtschaftsjournalisten ins Gefängnis.

Abwertung des Yuan – Vergeltung für IWF-Entscheid

Der zweite schwere Einbruch folgte Mitte August. Ihm ging eine politisch bedeutsame Entwicklung voraus, die einer kurzen Erklärung bedarf: Obwohl realwirtschaftlich inzwischen wichtiger als die USA, spielt China auf dem globalen Währungsmarkt bisher keine Rolle. Der Yuan ist nicht frei handelbar und an den US-Dollar gebunden. Um diesen Zustand zu ändern, hat die chinesische Regierung in den vergangenen Monaten einige Anstrengungen unternommen. Unter anderem hat sie die Aufnahme des Yuan in den Währungskorb der Sonderziehungsrechte des IWF beantragt, in dem sich bisher nur der US-Dollar, der Euro, das britische Pfund und der japanische Yen befinden. Dieser Antrag ist am 11. August vom US-dominierten IWF für mindestens 9 Monate auf Eis gelegt worden. Am selben Tag und an den beiden darauffolgenden Tagen hat die chinesische Regierung ihre Währung abgewertet – eine deutliche Vergeltungsmassnahme für die als Affront empfundene Entscheidung des IWF.

Als es kurz darauf zu weiteren Abstürzen an der Börse Shanghai kam, tat die chinesische Regierung zunächst – nichts. Diese Untätigkeit jagte Anlegern rund um den Globus einen gehörigen Schrecken ein, schickte die Börsen weltweit auf Talfahrt und brachte dem Dow Jones den höchsten Tagesverlust seiner Geschichte ein. Die US-Zentralbank Federal Reserve reagierte daraufhin, indem sie einen ranghohen Vertreter öffentlich erklären liess, dass sie mit grosser Wahrscheinlichkeit auf die von Anlegern gefürchtete Zinserhöhung im September verzichten werde.

Erst nach dieser Absichtserklärung, Investoren weiterhin unbegrenzt billiges Geld zur Verfügung stellen zu wollen, beruhigten sich die Aktienmärkte wieder. Daraufhin griff die chinesische Regierung erneut mit einer Senkung des Leitzinses und weiteren Geldspritzen in den eigenen Markt ein, der sich daraufhin ebenfalls leicht erholte.

Gegenseitige Abhängigkeit von China und USA

Der Konflikt zwischen Beijing und Washington darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass China und die USA sich nicht nur als Konkurrenten gegenüberstehen, sondern auch auf Gedeih und Verderb miteinander verbunden sind: China hält verschiedenen Angaben zufolge 1,2 bis 1,4 Billionen in US-Staatsanleihen und könnte das US-Finanzsystem durch einen plötzlichen Verkauf dieser Anleihen in schwerste Bedrängnis bringen (Ein Warnschuss in diese Richtung dürfte der Verkauf von Anleihen im Wert von 100 Mrd. US-Dollar in den vergangenen zwei Wochen sein). Die USA wiederum sind wegen der nicht vorhandenen Erholung ihrer Wirtschaft auch in Zukunft von China als weltweitem Wachstumsmotor abhängig.

Dass es trotz dieser wechselseitigen Abhängigkeiten zu den teilweise dramatischen Entwicklungen der vergangenen Tage kam, zeigt zum einen, wie angespannt neben der wirtschaftlichen auch die geopolitische Lage derzeit ist. Zum anderen beweisen die Interventionen der Zentralbanken zur Stützung der Börsen einmal mehr, dass diese weltweit keinesfalls den Zustand der Realwirtschaft widerspiegeln, sondern durch und durch manipuliert sind und nur durch ständige Injektion frischen Geldes in Gang gehalten werden können.

Der grosse Verlierer der vergangenen Tage war einmal mehr die soziale Gerechtigkeit. Während z.B. der Londoner Hedgefonds Nexus durch Wetten auf den fallenden Yuan seinen ultrareichen Investoren in wenigen Tagen 200 Millionen Dollar Gewinn einbrachte und die Banken durch ihren Hochfrequenzhandel umgehend auf Kursverluste reagieren konnten, verloren zahlreiche Anleger aus der Mittelschicht rund um den Globus mehrere Milliarden an Vermögen. Noch härter traf es die unteren Einkommensschichten: Die fallenden Rohstoffpreise und die Abwertungen zahlreicher Währungen, die mit dem Börsenbeben einhergingen, führten dazu, dass vor allem in den Schwellenländern Tausende Arbeitsplätze verloren gingen und die ohnehin verschwindend geringe Kaufkraft derer, die täglich ums blanke Überleben kämpfen, weiter geschmälert wurde.


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5 Meinungen

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 29.08.2015 um 12:43 Uhr
    Permalink

    Dieser Beitrag scheint mir informativer als der von Herrn Achten.

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 29.08.2015 um 12:43 Uhr
    Permalink

    Dieser Beitrag scheint mir informativer als der von Herrn Achten.

  • am 29.08.2015 um 15:24 Uhr
    Permalink

    Guter Artikel, der Orientierung vermittelt und zeigt, wo, welche Kräfte wirken, wer die Gewinner und wer die Verlierer der internationalen Finanzaktivitäten sind.

  • am 29.08.2015 um 15:34 Uhr
    Permalink

    In diesem Beitrag wird wird der Begriff «Wachstum» (China als Wachstumsmotor) wie von fast allen Wirtschaftsjournalisten mit einer derartigen Selbstverständlichkeit gebraucht, als gäbe es nichts anderes als Wachstum, was die Welt am Laufen hält. Ich möchte doch einmal die Infosperber-Autoren bitten, das Wort (und das Thema) Wachstum etwas kritischer einzusetzen – im Bewusstsein, dass ewiges Wachstum ja nicht möglich ist. (Worauf übrigens in mehreren Artikeln ja auch schon hingewiesen wurde.)
    Als Zweites gibt mir die Aussage zu denken, dass die Zentralbanken riesige Geldbeträge «zur Stützung der Börsen» einschiessen. Diese hunderte von Milliarden (seit 2008 mehrere Billionen) Euro oder Dollar oder was auch immer dienen also überhaupt nicht der Realwirtschaft, sondern nur dazu, dass die schon Reichen ihre riesigen Vermögen erhalten und möglichst noch vermehren können. Die wirklich Bedürftigen erhalten rein gar nichts – oder dürfen zuguterletzt die Spekulationsverluste der Börsianer auch noch berappen.

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 31.08.2015 um 10:56 Uhr
    Permalink

    Dass in China nach neuesten Meldungen 200 Journalisten wegen «Desinformation» verfolgt werden, ist ein gewaltiges Thema, selbst wenn einem die Thematik «Börsen» zum Halse heraushängt. Zu solchen Fragen wäre wie schon mehrfach gesagt auch ein Herr Achten im Sinne seiner bisher hohen Glaubwürdigkeit gefordert.

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