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Papst Franziskus im Gespräch – auf Augenhöhe © aufbruch.ch

Anti-Kapitalist Franziskus soll demontiert werden

Christian Müller /  Papst Franziskus kritisiert das kapitalistische Wirtschaftssystem. Von Wirtschaftsjournalisten wird er bereits ins Visier genommen.

Geliebt wurde er nicht unbedingt, Papst Benedikt XVI., war er doch volksfern und erzkonservativ. Immer wieder versuchte er, in Richtung Öffnung der Römisch-Katholischen Kirche gehende Beschlüsse und Empfehlungen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65) unter Papst Johannes XXIII. und Paul VI. zu relativieren, und wo immer er konnte, setzte er erzkonservative Bischöfe ein. Doch sein freiwilliger vorzeitiger Rücktritt – ein Novum – verschaffte ihm doch wieder höchsten Respekt. Wer verzichtet schon freiwillig auf ein Amt, das doch einiges an Machtfülle mit sich bringt? Wobei «Respekt» nicht das gleiche ist wie Sympathie, Zuneigung oder gar Liebe.

So war es kaum verwunderlich, dass der neue Papst Jorge Mario Bergoglio, der sich als erster Papst den – in Anlehnung an Franziskus von Assisi offensichtlich programmatischen – Namen Franziskus gab, in breiten Bevölkerungskreisen mit Begeisterung aufgenommen wurde. Schnell wurde klar, dass er mit «seinen» Gläubigen nicht von oben herab – ex kathedra – reden wollte, sondern auf Augenhöhe. Und schnell wurde verstanden, dass er sich nicht zuletzt um die Armen kümmern wollte – eben wie Franziskus von Assisi es auch getan hatte. Wer sollte da etwas einzuwenden haben, wenn das Oberhaupt der wohl ältesten, grössten und reichsten Organisation der Welt sich ein besseres Los der Armen als Ziel auf die Fahnen schrieb?

Handfeste Signale

Doch weit geirrt. Franziskus will nicht nur für die Armen kämpfen, indem er selber Bescheidenheit demonstriert und auch mit armen Menschen persönlich das Gespräch sucht. Er gibt auch unmissverständliche Signale, darunter etwa eine Blitzreise nach Lampedusa, wo Migranten aus Afrika an Land des gelobten Europa gehen – oder aber beim Versuch, dies zu tun, elendiglich ertrinken, zu Dutzenden, zu Hunderten, zu Tausenden.

Und am 24. November 2013 hat Franziskus sich in seinem apostolischen Schreiben «Evangelii Gaudium» sogar schriftlich und also deutlicher und auch verbindlicher als bisher zu seinem Programm geäussert. Und er hat sich erlaubt, auch Kritik zu üben: nicht nur an verweigerter Hilfe gegenüber Bedürftigen, nicht nur an Mängeln in der Sozialhilfe, nicht nur an problematischen Machenschaften der Finanzindustrie, sondern am System, sprich: am Kapitalismus.

Klartext im apostolischen Schreiben

Unter dem Titel «Nein zu einer Wirtschaft der Ausschliessung» schrieb Papst Franziskus wörtlich: «Ebenso wie das Gebot ‹du sollst nicht töten› eine deutliche Grenze setzt, um den Wert des menschlichen Lebens zu sichern, müssen wir heute ein ‹Nein zu einer Wirtschaft der Ausschliessung und der Disparität der Einkommen› sagen. Diese Wirtschaft tötet. Es ist unglaublich, dass es kein Aufsehen erregt, wenn ein alter Mann, der gezwungen ist, auf der Strasse zu leben, erfriert, während eine Baisse um zwei Punkte in der Börse Schlagzeilen macht. Das ist Ausschliessung. Es ist nicht mehr zu tolerieren, dass Nahrungsmittel weggeworfen werden, während es Menschen gibt, die Hunger leiden. Das ist soziale Ungleichheit. Heute spielt sich alles nach den Kriterien der Konkurrenzfähigkeit und nach dem Gesetz des Stärkeren ab, wo der Mächtigere den Schwächeren zunichte macht. Als Folge dieser Situation sehen sich grosse Massen der Bevölkerung ausgeschlossen und an den Rand gedrängt: ohne Arbeit, ohne Aussichten, ohne Ausweg. Der Mensch an sich wird wie ein Konsumgut betrachtet, das man gebrauchen und dann wegwerfen kann. Wir haben die ‚Wegwerfkultur’ eingeführt, die sogar gefördert wird. Es geht nicht mehr einfach um das Phänomen der Ausbeutung und der Unterdrückung, sondern um etwas Neues: Mit der Ausschliessung ist die Zugehörigkeit zu der Gesellschaft, in der man lebt, an ihrer Wurzel getroffen, denn durch sie befindet man sich nicht in der Unterschicht, am Rande oder gehört zu den Machtlosen, sondern man steht draussen. Die Ausgeschlossenen sind nicht ‚Ausgebeutete’, sondern Müll, ‚Abfall’.»
Und im nächsten Punkt seines apostolischen Schreibens sagt Franziskus weiter: «In diesem Zusammenhang verteidigen einige noch die ‹Überlauf›-Theorien (trickle-down theories), die davon ausgehen, dass jedes vom freien Markt begünstigte Wirtschaftswachstum von sich aus eine grössere Gleichheit und soziale Einbindung in der Welt hervorzurufen vermag. Diese Ansicht, die nie von den Fakten bestätigt wurde, drückt ein undifferenziertes, naives Vertrauen auf die Güte derer aus, die die wirtschaftliche Macht in Händen halten, wie auch auf die sakralisierten Mechanismen des herrschenden Wirtschaftssystems.»

«Der Schuldige ist vielmehr der Staat»

Diese klaren Worte des Oberhauptes der Römisch-Katholischen Kirche, der weltweit immerhin etwa 1,4 Milliarden Menschen angehören, haben nun allerdings etliche rote Lämpchen aufleuchten lassen, nicht zuletzt in den Redaktionen der sogenannten Leitmedien, die sich dafür verantwortlich fühlen, unserer Gesellschaft den Kapitalismus zu erhalten. Die «Frankfurter Allgemeine» FAZ etwa schrieb: «Es ist nämlich keinesfalls die ‚Wirtschaft’, die tötet, wenn, wie der Papst beklagt, es kein Aufsehen erregt, wenn ein alter Mann, der gezwungen ist, auf der Straße zu leben, erfriert, während eine Baisse um zwei Punkte in der Börse Schlagzeilen macht. Der Schuldige, wenn man denn einen Schuldigen pauschal nennen will, ist vielmehr der Staat. Jener Staat, der zum Beispiel in Argentinien, dem Heimatland des Papstes, durch interventionistische und Eigentumsrechte willkürlich bedrohende Politik Investoren verschreckt und die Wirtschaft so in Stagnation und Niedergang führt. Ein Staat, der Mindestlöhne festlegt und damit Schwache aus dem produktiven Erwerbsleben ausschließt und sie abhängig von einer Wohlfahrt macht, die er ebenfalls reguliert und beherrscht. Der Höchstmieten festlegt und damit den Wohnungsmarkt einschränkt. Ein Staat, der Unternehmen reglementiert und besteuert, bis sie auswandern oder schließen und damit empfindliche Wohlfahrtsverluste für die bisherigen Arbeitnehmer und deren Gemeinden verursacht.» (FAZ vom 30.12.2013, oder auch online).

Auch NZZ und ZEIT stimmten in den Anti-Franziskus-Chor ein

Peter A. Fischer, Chef des Ressorts Wirtschaft der Neuen Zürcher Zeitung NZZ, griff ebenfalls in die Tasten und schrieb in der Silvesterausgabe seines der Finanz-Industrie nahestehenden Blattes schlicht und ergreifend, der Kapitalismus sei «das beste Armutsbekämpfungsprogramm». (NZZ vom 31.12.2013, oder auch online (Das hier wiedergegebene Zitat aus dem Vorspann des Artikels in der Printausgabe der NZZ fehlt im Online-Text). Und auch die grosse deutsche Wochenzeitung «Die Zeit» bemühte sich, hier eher überraschend, dem Papst rechtzeitig auf die Finger zu klopfen. Schon im Vorspann eines längeren Artikels hiess es dort unmissverständlich: «Franziskus kritisiert in seinem Lehrschreiben den Kapitalismus. Auch Christen sind gut beraten, ihm da nicht zu folgen.» (Die Zeit, 19. Dezember 2013, oder auch online).

Zielt die Kritik daneben?

Noch einmal Papst Franziskus in seinem apostolischen Schreiben von Ende November: «Heute spielt sich alles nach den Kriterien der Konkurrenzfähigkeit und nach dem Gesetz des Stärkeren ab, wo der Mächtigere den Schwächeren zunichte macht.»
Wer wagt es, ihm da zu widersprechen?
Offenbar wollen wir es so.

* * * * * * *
Alls Kursiv-Auszeichnungen von cm.
Das ganze apostolische Schreiben «Evangelii Gaudium» in deutscher Sprache findet der User hier.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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4 Meinungen

  • am 19.01.2014 um 12:28 Uhr
    Permalink

    Im Sozialismus war Kritik am Sozialismus unerwünscht und wurde geahndet. Im Kapitalismus ist Kritik am Kapitalismus unerwünscht und wird geahndet. Die Wahl der Mittel unterscheidet sich, nicht jedoch deren Wirkung.

  • am 19.01.2014 um 16:33 Uhr
    Permalink

    Papst Franziskus demontiert sich leider selbst. Er hat die derzeit auf dem Silberteller servierte Chance verpasst, eine harte Kritik an den Auswüchsen des freiheitlichen Wirtschaftssystems und deren schlimmsten, vermeintlichen Anhängern zu üben. Mit seiner Fundamentalkritik fährt er voll an die totalitäre Wand. Das müsste eigentlich auch Christian Müller klar sein.

  • am 20.01.2014 um 00:22 Uhr
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    FAZ, NZZ und Zeit: abscheulich!

  • am 20.01.2014 um 11:51 Uhr
    Permalink

    Es ist höchst ermutigend, wie klar Papst Franziskus die Probleme beim Namen nennt. Dagegen ist es ein dümmliches Gejammer der ewiggestrigen Pröfiteure des kapitalistischen Wirtschaftssystems und der ihr dienenden Schreibzunft! Wem gehören denn diese Zeitungsverlage? Ahah… und weshalb wird über «den Staat» im allgemeinen geschimpft? – natürlich um zu kaschieren, das auch alle Staaten dem Mamon zu folgen haben, jedes Parlament besteht zu einem beachtlichen Teil aus Lobbyisten, welche nicht dem Souverän dienen sondern ihrem Auftraggeber, eigentlich müsste diese Verlogenheit als Korruption bezeichnet werden!
    Das röm.-kath. Lehramt ist heute weniger dogmatisch als die Gelehrten der Wirtschaftstheorie. Wettbewerb erzeugt immer mehr Verlierer als Gewinner, es stehen nur wenige auf dem Podest! Die Masse der Wettbewerbsuntüchtigen wurde mit der Globalisierung noch grösser. Wir auf der wirtschaftlichen Sonnenseite brüsten uns unsrer Tüchtigkeit… dabei geht es nur ums rafinierte Umverteilen von Arm nach Reich.
    Es tut Not die Begriffe zu klären «Umverteilung» geht immer von den Schöpfenden zu den Abschopfenden. «Kapitalismus» heisst nicht etwa freie Wirtschaft, sondern exponentielle Eigendynamik des sich selbstvermehrenden Buchgeldes…

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