Kommentar

Bundesrat beschliesst starkes Klimaziel – aber ohne Gewähr

Hanspeter Guggenbühl © bm

Hanspeter Guggenbühl /  Netto-Null Treibhausgase bis 2050: Mit diesem Ziel macht sich die Landesregierung zum Anwärter auf den Maulheld-Preis.

Der Bundesrat verschärfte gestern Mittwoch sein klimapolitisches Ziel: Bis 2050 soll die Schweiz den Ausstoss an Treibhausgasen (CO2, Methan und weitere) unter dem Strich auf null reduzieren und damit «klimaneutral» werden. «Netto» heisst, dass der allenfalls noch verbleibende Einsatz von CO2-emittierendem Öl und Gas oder das Methan, das die Nutztierhaltung verursacht, kompensiert werden muss, sei es durch Aufforstung oder Abfilterung.

Politisch ist dieses Ziel sowohl konsequent als auch sensationell: Konsequent, weil die Schweiz das Klimaabkommen von Paris unterschrieben hat, das die Erwärmung der Erde gegenüber der vorindustriellen Zeit auf 1,5 Grad begrenzt. Denn diese Temperaturziel erfordert bis spätestens 2050 einen Emissionsstopp für alle von Menschen verursachten Treibhausgase. Sensationell ist dieser Beschluss, weil damit der Bundesrat die von den bürgerlichen Parteien als «radikal» oder «utopisch» klassierte «Gletscher-Initiative» faktisch unterstützt; die notwendigen Unterschriften für diese Initiative dürften demnächst beisammen sein.

Ebenfalls Aufsehen erregt der Entscheid der Landesregierung (in der SVP und FDP zusammen die Mehrheit inne haben), wenn man ihn mit früheren politischen Beschlüssen vergleicht. Beispiele: Die bürgerliche Mehrheit im Nationalrat lehnte es vor neun Monaten noch ab, den Ausstoss von Treibhausgasen in der Schweiz bis 2030 nur schon um 30 Prozent unter das Niveau von 1990 zu senken. Oder: Obwohl fossil angetriebene Fahrzeuge den Strassenverkehr dominieren, setzen Bund und Kantone mit weiterem Ausbau der Strassen auf ein Wachstum dieses CO2-fördernden Verkehrs. Oder: Die meisten kantonalen Regierungen widersetzen sich einem mittelfristigen Verbot von Öl- und Gasheizungen, obwohl es längst Alternativen gibt.

Die Relevanz des gestrigen bundesrätlichen Beschlusses muss allerdings relativiert werden; dies aus zwei Gründen:

  1. Emissionsreduktion im Ausland
    Der Bundesrat lässt sich eine Hintertüre offen, indem er in seiner Medienmitteilung mehrdeutig schreibt: «Zudem wird auch die Reduktion der Emissionen im Ausland Teil der Strategie sein.» Das heisst zweierlei, bestätigt auf Anfrage Andrea Burkhardt, Chefin der Abteilung Klima im federführenden Bundesamt für Umwelt: Die Schweiz verursacht heute einen riesigen Importüberschuss an grauer Energie und grauen Treibhausgasen im Ausland, weil sie viele energieintensive Stoffe und Güter importiert – vom Erdöl über Autos bis zum Kohlestrom. Darum macht es Sinn, einen Beitrag zur Verminderung dieser Treibhausgase im Ausland zu leisten. Diese Reduktion im Ausland will der Bundesrat der Schweiz anrechnen lassen, also damit fehlende Reduktion im Inland – in noch nicht festgelegtem Ausmass – kompensieren. Das funktioniert solange, als die übrige Welt von China über Indien bis in die USA ihre Emissionen von Treibhausgasen nicht stoppt.
  2. Fernziel ohne Gewähr
    Der Bundesrat kann heute viele Ziele setzen, die ihn gut dünken, und er tut das immer wieder. Doch er haftet nicht dafür, dass diese Ziele auch erreicht werden. So muss zum Beispiel Simonetta Sommaruga nicht befürchten, dass ihr der Staat die Rente kürzt oder das Altersheim sie auf die Strasse stellt, wenn die Schweiz im Jahr 2050 immer noch mehr als netto null Treibhausgase in die Atmosphäre pufft. Mit andern Worten: Hehre Ziele sind wohlfeil, unabhängig davon, ob sie via «Gletscher-Initiative» in die nationale Verfassung geschrieben oder via Bundesratsbeschluss in die Welt hinaus posaunt werden.

Konkret handelt es sich beim vom Bundesrat gestern beschlossenen Klimaziel um den «Grundstein für die Klimastrategie der Schweiz», schreibt der Bundesrat. Eine solche Strategie müssen alle Staaten, die den Klimavertrag von Paris ratifiziert haben, bis 2030 vorweisen. Die jetzt angestossene nationale Klimastrategie will die Schweiz unter Federführung des Bundesamtes für Umwelt (Bafu) schon bis Ende 2020 ausarbeiten. Welche Massnahmen oder Unterlassungen diese Strategie beinhaltet, ist offen. Ebenfalls offen ist, wie weit die Umsetzung dieser Strategie Änderungen von Verfassung und Gesetzen erfordert (über die nach dem Bundesrat das Parlament und allenfalls das Volk in letzter Instanz entscheidet). «Die Lackmusprobe», sagt Bafu-Frau Andrea Burkhardt, «kommt mit den Massnahmen.»

Mit dem Klimaentscheid vom 28. August hat die Schweizer Landesregierung ihre Ambitionen für den Maulheld-Preis angemeldet. Nun müssen, und das ist deutlich schwieriger, die Mitglieder von Regierung und Parlamentskammern sowie ihre Nachfolger die klimapolitischen Heldentaten noch vollbringen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

Zum Infosperber-Dossier:

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Die Klimapolitik kritisch hinterfragt

Die Menschen beschleunigen die Erwärmung der Erde. Doch kurzfristige Interessen verhindern griffige Massnahmen.

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2 Meinungen

  • am 29.08.2019 um 09:04 Uhr
    Permalink

    CO2 Neutralit�t bis 2050 ist gut. 2030 w�re besser. Und wie? 1. Sofort CO2 Abgabe auf allen Energietr�gern inkl. CO2-Strom von 210 Franken/t CO2 mit R�ckverteilung. 2. Alle Geb�ude und Unternehmen werden CO2 neutral bis 2030: Optimierter Planungshorizont. Gezielte Effizienzmassnahmen, erneuerbare Heizsystem und Einsatz von SynFuel. Wer CO2 Neutralit�t verfehlt, zahlt Malus, wer es �bererf�llt, erh�lt Bonus. 3. Umstieg auf eMoblit�t. Ab 2025 nur CO2 neutrale Fahrzeuge, ev. auch mit Synfuel betrieben. Rechnet sich. 4. Massiver Ausbau von erneuerbaren Energien, prim�r Fotovoltaik um mindestens 20 TWh. Unterst�tzung durch zinsfreie Darlehen der SNG und j�hrliche Ausschreibung von 1 GW mit Unterst�tzung von maximal 150 CHF pro kWp bei mindestens 40% Wstrom. Rechnet sich. 5. Einsatz der Kompensations Mittel f�r Solar-, Windenergie sowie SynFuel aus S�deuropa und Nordafrika f�r 2-3 Rp./kWh bzw. ca. 10 Rp./kWh f�r SynFuel. Gleichstromhochspannungsleitungen sind in f�nf Jahren gebaut und haben praktisch keine Verluste. Der Strom wird belastet, die Einnahmen im bew�hrten System ebenfalls r�ckverteilt. Fazit: 145 TWh fossile Energietr�ger werden bis 2030 weggeputzt und durch Effizienz (ca. 20 TWh) ersetzt, Erneuerbare Energien (ca. 30 TWh) und SynFuel (ca. 10 TWh) substituiert. Die AKW landen dort wo sie hingeh�ren: Im Museum. http://www.ruedimeier.ch http://www.energie-wende-ja.ch

  • am 2.09.2019 um 14:14 Uhr
    Permalink

    Die Relevanz des gestrigen bundesrätlichen Beschlusses muss allerdings relativiert werden; dies aber aus (mindestens) DREI Gründen:
    1. Reduktionsziel im Ausland. 2. Fernziel nach 30 Jahren ohne Gewähr.
    3. Regierungen und Parlamente sind nicht dazu da, die Entfremdung zwischen und Erde zu beseitigen, sonst hätten sie schon lämgst etwas gegen die Klimakatstrophe unternommen. Sie sind im kapitalistischen System einzig dazu da, die staatlichen Grundlagen für die Profitmaximierung der Kapitalbesitzer zu schaffen. Darum ist die BR-Initiative nicht das Papier wert, auf dem sie geschrieben ist.

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