TheTale

Hauptdarstellerin Laura Dern in "The Tale": Später Kampf gegen den frühen Missbrauch. © CC

Starke Frauen auf der Grossleinwand

Catherine Duttweiler /  Gut ein Jahr nach Lancierung der #Me too-Bewegung überzeugen zahlreiche Spiel- und Dokumentarfilme mit eigenwilligen Frauenfiguren.

Die einfache Magd Abigail (Emma Stone) arbeitet sich in «The Favourite» mit Fleiss, Intelligenz und Charme hoch am Hof der Königin – bis sie ganz oben ist.

Die junge Sängerin Ally (Lady Gaga) kämpft in «A Star is born» um ihren alkoholabhängigen Mentor und gegen das neue Image, das ihr der Manager verpassen will – und geht dabei erfolgreich ihren eigenen Weg.

Die Autorin «Colette» (Keira Knightly) verklagt ihren schriftstellernden Gatten, der ihre Manuskripte unter eigenem Namen publiziert und sich als Bestsellerautor feiern lässt – und erhält schliesslich den Ruhm, der ihr zusteht.

Die Familienfrau Agnes (Kelly Macdonald) bricht in «Puzzle» am Tag nach ihrer Geburtstagsfeier aus der Vorstadt-Idylle aus – und zieht nach einer Affäre mit ihrem Puzzle-Partner alleine weiter.

Die Praktikantin «Astrid» (Alba August) leidet unter der geheim gehaltenen Beziehung zum mutlosen Chef, der sie schwanger sitzen lässt – und wird nach schwierigen Jahren als alleinerziehende Mutter eine berühmte Kinderbuchautorin.

Die Doppelagentin «Red Joan» (Judy Dench) täuscht nach dem Zweiten Weltkrieg ihre gesamte Familie jahrzehntelang, als sie für die Russen spioniert – und behält ihre Würde, als sie des Hochverrats angeklagt wird.

Und die erfolgreiche Filmregisseurin Jennifer Fox (Laura Dern) will in «The Tale» lange nicht wahr haben, was sie verdrängt hatte: dass sie als Kind von dem von ihr verehrten Trainer missbraucht wurde – bis sie schliesslich Jahrzehnte später trotz Widerständen gegen ihn vor Gericht geht. Eine wahre Geschichte.

Solothurner Filmtage

Die Filmtage dauern noch bis am Donnerstag, 31. Januar.
Tickets kann man im Vorverkauf hier erwerben.

Starke Frauen statt schmückende Bond-Girls
Die Liste neuer internationaler Frauenfilme liesse sich fast beliebig verlängern: Sie sind beliebter denn je im Kino, ob als realitätsnahe Filmbiografie oder als Fiktion mit Frauenfiguren im Zentrum. Filme wie «The Wife», «The Post», «The Book Club» oder «Mary Queen of Scots» passen ins Schema. Zwar gab es auch früher immer wieder tolle Filmerinnen, die tolle Filme über starke Frauen drehten. Aber dies waren Ausnahmeerscheinungen, Filme mit Schweizer Darstellerinnen wie «Die göttliche Ordnung» mit Marie Leuenberger oder «Paula» mit Carla Juri waren Vorboten des aktuellen Trends. Heute sind die Zeiten, in denen attraktive jugendliche Darstellerinnen vor allem schmückende Nebenrollen im Stil der «Bond»-Girls bekamen, definitiv vorbei.

Das zeigt sich nicht nur im Spielfilm. Auch im Dokumentarfilm sind authentische Frauenthemen derzeit besonders gefragt. In «#female pleasure» etwa berichten fünf Frauen aus aller Welt, wie sie mit männlich dominierten Religionen kämpfen. Und in «Les Dames» erzählen ältere Frauen ungeschminkt über ihre Probleme, einen passenden Partner zu finden. Die beiden Schweizer Produktionen thematisieren die sexuellen Bedürfnisse von Frauen in tabuisiertem Umfeld: im Alter, in der Kirche, in patriarchalen Gesellschaften. Und sie haben wie fast alle oben genannten Filme ein überdurchschnittlich grosses Publikum erreicht.

Ist die #Me too-Bewegung, die im Skandal um die systematische Vergewaltigung von Schauspielerinnen durch Filmproduzent Harvey Weinstein in Hollywood ihren Ursprung hatte, jetzt auch in den grossen Filmproduktionen angekommen? Hat #Me too gut ein Jahr danach selber einen neuen Trend geschaffen, oder hat die Filmbranche lediglich einen bestehenden Trend umgesetzt – aus ökonomischem Kalkül?

Ein Resultat gezielter Frauenförderung im Film
Die Realität ist wie so oft nicht schwarz-weiss, gerade im Film. Es gibt eine Vielzahl von Gründen für den aktuellen Trend zu starken Frauenfiguren mit gebrochenen Biografien und grossem Überlebensdrang, denn nur schon wegen der langen Finanzierungsphase bei grossen Filmen hätte Hollywood auf den Skandal kaum so schnell reagieren können. «Der Film spiegelt genauso wie die Literatur die gesellschaftliche Realität, und er kann in seiner künstlerischen Radikalität weiter gehen», sagt Kinounternehmerin Edna Epelbaum, die im Dreieck zwischen Bern, Neuchâtel und Delémont 28 Kinosäle betreibt. Sie beobachtet, dass die öffentlichen Diskussionen um Gleichberechtigung in der Filmbranche sowie die gezielte Förderung von Frauen in ganz Europa langsam Wirkung zeigen. Als Beispiel nennt sie das «Women’s Leadership Mentoring Program», mit welchem die Kinoindustrie auf europäischem Niveau junge Frauen unterstützt.

Auch die aktuell wohl erfolgreichste hiesige Produzentin Anne Walser («Zwingli», «Schellenursli») lobt den Nachwuchs: «Gerade in der Schweiz haben wir heute eine tolle Auswahl an erfolgreichen Filmfrauen – mit neuen Autorinnen wie Simone Schmid oder Top-Regisseurinnen wie Petra Volpe, Ursula Meier, Barbara Miller oder auch Sabine Boss», sagt sie. Walser lobt auch Schweizer Nachwuchsschauspielerinnen wie Luna Wedler und Rabea Egg: «Die neue Generation bringt eine neue Sensibilität mit.» Sie selber sei schon immer hellhörig gewesen für frauenspezifische Stoffe: «Ich bin eine Frau, und Geschichten meines eigenen Geschlechts interessieren mich ganz natürlich.»

Frauen mögen Filme und entscheiden
Kommt hinzu, dass natürlich auch im Film der Markt die Nachfrage bestimmt. Auf der ganzen Welt, speziell aber in Europa seien Frauen generell kulturaffiner als Männer und machten einen Grossteil des Publikums aus, sagt Epelbaum. Es ist also nicht nur eine Frage der Gleichstellung, sondern auch eine wirtschaftliche Notwendigkeit, das weibliche Publikum mit guten Filmen zu bedienen. In Deutschland etwa beträgt der Frauenanteil seit vielen Jahren rund 54 Prozent und mehr – quer durch alle Altersschichten. «Frauen sagt man zudem nach, dass sie die Filme aussuchen, welche sich ein Paar im Kino anschaut», ergänzt Walser. Gut möglich, dass sich Zuschauerinnen gelegentlich für eines der eingangs erwähnten, durchaus anspruchsvollen Werke entscheiden, um das Thema anschliessend mit dem Partner zu diskutieren. Epelbaum findet es besonders spannend, dass die neuen Frauenfilme nicht nur die Emanzipation zum Thema haben, sondern darüber hinaus oft Tabuthemen wie Alkoholmissbrauch, Krankheit oder Sexualität im Alter aufrollen. Ein Beispiel dafür ist das Schweizer Werk «Für immer und ewig» von Fanny Bräuning, welches in diesen Tagen für den «Prix de Soleure» nominiert ist. Frauenfilme als Zukunftshoffnung einer Branche, die wie so viele mit der Digitalisierung kämpfen?

Inzwischen jedenfalls kommen die ganz grossen Festivals kaum mehr ohne Frauenserien aus. Die Berlinale präsentierte als traditionell politisches Filmfestival schon 2018 mehrere #Me too-Debatten – und zeigt dieses Jahr ab dem 7. Februar gleich zwei Specials: Die Reihe «Generation 2019: Wild entschlossene Frauen – vor und hinter der Kamera» sowie die Retrospektive «Frauen hinter der Kamera» (nach dem Motto «Selbstbestimmt – Perspektiven von Filmemacherinnen». Kleinere Festivals wie jene in Solothurn und Biel leisten sich keine speziellen Serie, sondern versuchen Filme von und mit Regisseurinnen und Schauspielerinnen proaktiv ins Programm zu integrieren. Und sie zelebrieren am nächsten Mittwoch in Solothurn die internationale «Swan-Charta» für Parität und Diversität, welche dank Statistiken und einer besseren Präsenz in den Festivalleitungen Filme von und für Frauen fördern will.

Spannende Projekte in Arbeit
Anne Walser, immer die Nase im Wind, plant mit ihrer Zürcher Filmproduktionsfilma C-Films derzeit gleich zwei spannende Frauenfilme, die beide noch in der Finanzierungsphase stecken: ein Werk über das bewegte Leben der frühen Unternehmerin Marie Tussaud, die in der Schweiz aufwuchs und später das Wachsfigurenkabinett in London begründete – ein reines Frauenprojekt mit Coline Abert («Les Revenants») als Autorin, als Regisseurin ist Laure de Clermont-Tonnerre («The Mustang») im Gespräch. Zudem plant sie eine Romanverfilmung rund um eine Kindssaussetzung während der Nazizeit auf der Grundlage des Buches «Die Mittagsfrau» von Julia Franck; dieses Projekt möchte sie mit Regisseurin Barbara Albert («Licht») umsetzen.

Walsers Vorgehen ist folgerichtig: Wer könnte komplexe Frauenschicksale dem mehrheitlich weiblichen Kinopublikum besser erklären als Regisseurinnen und Drehbuchschreiberinnen? Denn auch wenn die Frauen derzeit im internationalen Film vermehrt als Protagonistinnen vorkommen, eines hat sich noch nicht geändert: Bei den weltweit erfolgreichsten 250 Filmen der letzten Jahre stellten die Frauen bestenfalls ein Fünftel der Regisseure, Drehbuchautoren oder Produzenten, wie der jährliche «Celluloid Ceiling Report»zeigt. Beim prestigeträchtigsten Job hinter der Kamera kam es im letzten Jahr sogar zu einem Backlash: 2018 wurden nur gerade 8 Prozent der 250 publikumsträchtigsten Filmen von einer Regisseurin massgeblich geprägt – trotz den beachtlichen Erfolgen der #Me too-Bewegung.

Die weiblichen Filmprofis jedenfalls demonstrieren diese Woche in Solothurn, dass sie sich damit noch lange nicht begnügen. Und die Zuschauerinnen und Zuschauer? Sie dürfen sich schon jetzt gespannt auf weitere spannende Kinofilme freuen.


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2 Meinungen

  • am 29.01.2019 um 14:14 Uhr
    Permalink

    Wer sich als Mann in selbstbestimmte Frauen einfühlen will, dem empfehle ich den Dokumentarfilm ‹#female pleasure›. Er läuft derzeit in unseren Kinos.

  • am 1.02.2019 um 11:11 Uhr
    Permalink

    Obschon ich selber schon seit Jahren nicht mehr ins Kino gehe und wenig Filme ausser Dokumentarfilmen schaue, finde ich diesen Trend spannend und wichtig. Dass er auch wirtschaftlich interessant ist, macht es doppelt schön zu sehen, wie viele neue Regisseurinnen und Produzentinnen von sich reden machen. Gute und auch selbstbewusste, starke Schauspielerinnen gab es ja schon immer, aber jetzt bekommen sie auch die Filme, in denen sie nicht nur schmückendes Beiwerk sind. Toll!

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