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Ausschnitt aus einem doppelseitigen Bild in "Stil" vom 17. Juni 2012 © NZZ

NZZ am Sonntag: Geld verlochen mit sexy Lifestyle

Christian Müller /  »Stil», die Beilage zur NZZ am Sonntag, ist ein Flop – inhaltlich wie auch wirtschaftlich. Man darf rätseln, warum es sie gibt.

»Lebensnaher und relevanter Lifestyle» wurde vor Jahresfrist angekündigt, und «Das Magazin ist nahe am Alltag unserer Leserinnen und Leser. Es soll in der Fülle der Informationen rund ums Thema Lebensart Orientierung bieten – verlässlich und geistreich», war da zu lesen. Infosperber berichtete.

Hat das seit Ende August 2011 auf das internationale Magazin-Format geschrumpfte und dafür auf «hochwertigem Papier» (Werbetext) erscheinende Magazin, das regelmässig der NZZ am Sonntag beiliegt, das Versprochene auch tatsächlich gehalten?

Das Versprochene sicher nicht, wohl aber das Erwartete: billige PR-Empfehlungen für teure Produkte. Meist mit Preisangabe und Bestell-Adresse. In der letzten Ausgabe vom 17.6.2012 zum Beispiel den portugiesischen Weisswein Conceito Branco 2009, der für Fr. 41.90 bei Globalwine Zürich zu haben ist, www.globalwine.com. Oder das Nobelhotel Fairmont le Montreux Palace in Montreux, das Doppelzimer ab CHF 590.-, www.montreux-palace.ch. Und Ähnliches.

Nur PR und Werbung?

Nicht nur. Da gibt es auch ein Porträt über eine spanische Designerin, die in Milano lebt. Dazu ein Bild in der heute üblichen Handy-Fotoqualität. Titel: «Es gibt Leute mit guten Ideen und solche ohne.» In der Redaktion von «Stil» scheint es von beiden Sorten zu haben.

Oder es gibt in derselben Ausgabe eine Geschichte mit dem vielversprechenden Titel: «Manchmal ist das Leben ein Auf und Ab». Haben wir nicht gewusst. Auf das Lesen haben wir trotzdem verzichtet.

Verlässlich, reflektierend, geistreich

«Stil – das Magazin für Lebensart der NZZ am Sonntag präsentiert einen lebensnahen, relevanten Lifestyle. Es bietet einer kaufkräftigen, Stil-affinen Leserschaft Orientierung in der vielfältigen Welt der Lebensart – verlässlich, reflektierend, geistreich. Die Leserinnen und Leser kommen in den Genuss von Rankings und Tipps sowie von magazinartigen Hintergrund-Berichten, Meinungen und Kolumnen.» So der Werbetext in der Dokumentation für die Anzeigenkunden.

Verlässlich? Reflektierend? Geistreich? Die Titelstory der letzten Ausgabe hat die Headline: «Was eine Sexbombe ausmacht».

Alles über Sexbomben

Man lese: «Was es braucht, um eine richtige Sexbombe zu sein, und welche Mittel dazu eingesetzt werden, das hat vor über 50 Jahren Marilyn Monroe definiert – ihr klassisches Repertoire der Erotik ist bis heute gültig. Die Monroe ist – gerade wegen ihres frühen Hinschieds – bis zum heutigen Tag eine Ikone der Weiblichkeit geblieben. Man kennt die Schauspielerin, gestorben im August 1962, ihres kurzen Lebens wegen ja nur als pralles, lustvoll junges Wesen. Zwar weiss man wohl, dass nicht alles an Norma Jeane Mortenson Bakers Dasein ein eitles Vergnügen war, doch sind der Welt Bilder einer alternden Monroe, wie man sie von anderen Sexsymbolen à la Madonna oder Brigitte Bardot kennt, erspart geblieben.» – Den Infosperber-Leserinnen und -Lesern möge auch der Rest des Artikels hier erspart bleiben.

Geschrieben ist die Story von Jeroen van Rooijen. Wen wunderts. Der NZZ-Guru für «Lebensart» wäre on top im Ranking der Lifestyle-Schreiberlinge, wenn es denn so ein Ranking gäbe. Mit einem persönlichen Frauen-Verständnis, das aus Zeiten noch deutlich vor dem Tod der Monroe stammt, und immer noch von der Prämisse ausgehend, dass NZZ-Leser, sprich: «intelligente» Männer, nach Frauen suchen, die vor allem eins sind: sexy. Oder ist der Artikel vielleicht für Frauen geschrieben, die, warum auch immer, auf der Suche nach dummen Männern sind? Als Gebrauchsanleitung sozusagen? Schwer auszumachen.

»Orientierung»: Wer soll sich da orientieren?

Die «Orientierung», die in «Stil» geboten wird, richtet sich – immer gemäss Werbetext – an eine «kaufkräftige, Stil-affine Leserschaft». Da müssen wir leider passen: Der Schreibende ist nicht besonders «kaufkräftig» und hätte lieber Anna Magnani persönlich kennengelernt als Marilyn Monroe, nicht zuletzt weil sie auch mit 60 Jahren noch eine faszinierende Schönheit ausstrahlte. – Doch lassen wir das.

Geht die Rechnung der NZZ mit «Stil» wenigstens wirtschaftlich auf?

Insidern der Medien-Branche ist klar: Solcher Lifestyle-Average wird nicht wirklich für die Leserinnen und Leser produziert, sondern für die Inserenten. Die NZZ, die in gewissen Ressorts ja unzweifelhaft Überdurchschnittliches zu bieten hat, muss zu ihrer Finanzierung auch Anzeigen akquirieren. Das war ohne Zweifel auch der Hintergrund der Entscheidung, den ursprünglich auf Zeitungspapier produzierten Stil-Bund, inhaltlich schon damals im besten Fall Mittelmass, auf «hochwertiges» Papier umzustellen: Es gibt hochpreisige Produkte, die aus Corporate Design-Gründen nicht auf «billigem» Zeitungspapier zum Verkauf angepriesen werden.

Hat nun der neue «Stil» im Magazin-Format und auf höherwertigem 80g-Amber Graphic-Papier zusätzliche Anzeigen-Umsätze gebracht? Eine Analyse der letzten drei Ausgaben von «Stil» zeigt folgendes:

Umfang pro Ausgabe: 32 Seiten
– 1 Seite Eigeninserat NZZ am Sonntag
– 1 Seite Inhaltsverzeichnis
– 3.5 Seiten Anzeigen, mehr als die Hälfte davon für teure Armband-Uhren
Redaktionelle Seiten, ink. Frontseite: 26.5

Anzeigenerlöse:
Je Ausgabe knapp 3.5 Seiten
4. Umschlagseite à CHF 19’800.-
2. Umschlagseite à CHF 15’600.- (gemäss Tarif 18’600.-, im Markt nicht realisierbar)
Seite 4: CHF 15’600.- (Standardpreis)
ca. 1/2 Seite: CHF 7000.- (Mischrechnung)
Anzeigenerlös brutto total CHF 58’000.-
Umsatz- und Wiederholungs-Rabatte 20%: CHF 11’600.-
Agentur-Provision und Verkaufsaufwand 10%: CHF 5800.-
Anzeigenerlös netto total: rund CHF 41’000.-

Aufwand:
Druck und Papier (gemäss Offerte aus dem nahen EU-Raum für eine Druckauflage von 160’000*, ohne Transport): CHF 26’000.-
Layout CHF 8000.-
Redaktion:
Festangestellte (gemäss Impressum 10 Pers. à geschätzt 80% Teilzeit): 15’000.-
Freie Mitarbeiter, Foto-Honorare: CHF 2000.-
Transporte, Handling und Diverses: CHF 3000.-
Aufwand total (grobe Schätzung): CHF 54’000.-

Verlust pro Ausgabe CHF 13’000.-, Verlust pro Jahr mindestens CHF 650’000.- (grobe Schätzung)

Mit Sicherheit rot
Die hier dargestellte Aufwand- und Erlös-Rechnung basiert auf Erfahrungszahlen aus dem Verlagsbusiness und auf groben Schätzungen. Auch wenn eine deutliche Fehleinschätzung dabei sein sollte: Mit «Stil» verdient der NZZ-Verlag sicher nichts. Im Gegenteil: Wenn die Zahlen selbst in einem traditionell anzeigenstarken Monat wie dem Juni so aussehen, wie sehen sie dann erst im Juli und im August aus, wo Sonderkonditionen die Regel sind (siehe unten: weiterführende Informationen), oder im Januar und im Februar, wenn die Inserenten wegen des berühmten Januar-Lochs ihre Werbung auf Sparflamme schalten? Man darf davon ausgehen: «Stil» ist ein Fass ohne Boden.

Warum produziert der NZZ-Verlag das der NZZ am Sonntag beigelegte Magazin «Stil» denn überhaupt?

Es gibt drei Möglichkeiten:

1. Man hat sich in der Prognose schlicht verschätzt und will sich das nicht eingestehen, weshalb das Projekt (noch) nicht wieder eingestellt ist.

2. Man braucht eine Plattform, um den Inserenten der NZZ und der NZZ am Sonntag hie und da «einen Stein in den Garten werfen» zu können, sprich: sie bei guter Laune zu halten. Inserenten brauchen ja eine konsumfreudige Gesellschaft.

3. Man kassiert Geld nicht nur für die Anzeigen, sondern auch für die redaktionellen Empfehlungen mit Verkaufsstellen-Adressen. Zumindest diese Variante wäre allerdings äusserst problematisch: Die Leserinnen und Leser vertrauen redaktionellen Empfehlungen naturgemäss mehr als bezahlter Werbung, in der Annahme, die Empfehlungen seien unabhängig erfolgt, ohne Rückkoppelung an irgend eine Bezahlung. (Die NZZ erklärt, für Empfehlungen von Verkaufsstellen kein Geld zu nehmen, siehe «Erklärung» unten).

Oder ist «Stil» vielleicht doch für die Leserinnen und Leser?
Kaum. Wer denn wäre bereit, für eine solche Publikation etwas zu bezahlen?

………..

* Die verkaufte Auflage der NZZ am Sonntag liegt bei 130’000. Wegen des Verkaufs am Kiosk bzw. wegen der dort entstehenden Remission an unverkauften Exemplaren muss aber eine deutlich höhere Anzahl Exemplare gedruckt werden. Und der Druck im nahen EU-Ausland ist günstiger als in der Schweiz, weshalb vorsichtigerweise dieser Preis eingesetzt wurde.

…………

Und ein kleiner Nachtrag: Der obenstehende, gestern Samstag online gesetzte Artikel erschien vielleicht einen Tag zu früh. Die heutige Ausgabe des «Stil» Magazins (24.6.2012) hat überhaupt keine Anzeigen, abgesehen von zwei (unbezahlten) Eigenanzeigen der NZZ. Wie die Aufwand- und Erlösrechnung dann aussieht, kann jeder selbst rechnen, er braucht dazu nicht einmal einen Taschenrechner. Und man beachte zum Beispiel auch die neuen Ferien-Tipps: Ibiza, die Südtürkei, die griechischen Inseln, die kanarische Insel Fuerteventura, Taormina auf Sizilien und Djerba in Tunesien. Ob soviel Reisebüro-Phantasie in der «Stil»-Redaktion möchte man wirklich ganz schnell die Koffer packen! cm

…………..

Erklärung:
Die NZZ am Sonntag hat Infosperber am 28. 6. 2012 via Anwalt Christoph Born aufgefordert, die «Behauptung», die NZZ am Sonntag kassiere für die in «Stil» wiedergegebenen redaktionellen Empfehlungen mit Verkaufsstellen-Adressen Geld, ab sofort zu unterlassen, da diese Behauptung das Ansehen der NZZ am Sonntag in schwerer Weise verletze. Infosperber hat keine solche Behauptung aufgestellt, wohl aber darauf aufmerksam gemacht, dass diese «Möglichkeit» «problematisch wäre», wenn sie zutreffend wäre (siehe den genauen Wortlaut oben). Infosperber nimmt deshalb gerne zur Kenntnis, dass die Chefredaktion der NZZ am Sonntag dies ebenso sieht und dass für diese Empfehlungen kein Geld genommen wird.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor war 25 Jahre Journalist und 20 Jahre Verlagsmanager.

Zum Infosperber-Dossier:

Zeitungen_1

Kritik von Zeitungsartikeln

Printmedien üben sich kaum mehr in gegenseitiger Blattkritik. Infosperber holt dies ab und zu nach.

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Eine Meinung zu

  • am 9.07.2012 um 11:16 Uhr
    Permalink

    Warum jemand all seine journalistische Intelligenz auf die Kritik von Stilbeilagen verwendet lässt schon Fragen über die Verhältnismässigkeit aufkommen. Als kritischer Medienbeobachter halte ich es für lächerlich und für Empörungs-ökonmisch falsch für einen Nebenschauplatz so viel Energie zu verwenden. Die Stil-Beilage der NZZ ist erfreulich unmodisch, unaufgeregt und mal ohne Hochglanz gemacht: das ist verglichen mit zahlreichen anderen Stil-Formaten schon recht ok. Ich habe die Ausgabe mit den nützlichen Putztipps für Hausfrauen (Männer mitgemeint) sogar aufbewahrt. Auch wenn auch der Gentlemens-Report aus dem selben Medienhaus ins Visier einer anderen spitzen Feder geraten ist, auch jene Beilage ist doch erfrischend anders: Wenn in einer Konsumbeilage auch der nachhaltige Konsum etwas zur Sprache kommt, dann ist das doch zu begrüssen. Diese Spiessigkeit alles abzuschiessen, was mal anders daherkommt abzuschiessen, und die Kritik nicht ins Verhältnis mit den hochprofitablen Stil-Formaten zu setzen, wie «Friday", das nur so gespickt ist mit Werbung (Zigarettenwerbung für Jugendliche), oder bei Auto-Stil-beilagen und Autoartikeln, die schon seit Jahren eigentlich nur Publi-Reportagen im Journalismus-Format sind (ganz zu schweigen von den Finanzbeilagen), ist die doch typisch isolierte Betrachtungsweise, die wir sonst bei etablierten Medienhäusern so anprangern.

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