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Die CVP wird wegen einer virtuellen Schmutzkampagne kritisiert. Sie ist eine logische Entwicklung. © tt

Unglaubwürdiger Aufschrei gegen CVP-Schmutzkampagne

Tobias Tscherrig /  Politiker, die saubere Wahlkämpfe möchten, müssen sich selber daran halten und Transparenz bei der Finanzierung durchsetzen.

Wahlkämpfe treiben merkwürdige Blüten, die vor allem eines zeigen: Wenn sich Politikerinnen und Politiker um Wähleranteile streiten, ist so ziemlich jedes Mittel genehm. Breit gestreute und damit auch teure Provokationen, persönliche Angriffe und Halbwahrheiten dienen zwar nicht der politischen Sache an sich, bringen aber Aufmerksamkeit. Dabei sind viele Politikerinnen und Politiker mit Geschichtsblindheit geschlagen. Sie vergessen, wie sie und ihre Parteien in der Vergangenheit vorgegangen sind, was sie für Aussagen getätigt – und wie sie abgestimmt haben.

Heftige Reaktionen auf Schmutzkampagne der CVP

So ist das auch im aktuellen Wahlkampf. Zurzeit steht die CVP in der Kritik, weil sie in Zusammenarbeit mit dem US-Konzern «Google» landesweit eine teure Schmutzkampagne fährt, die zumindest halbdirekt auf den politischen Gegner und sogar auf politische Partner spielt und die eigene Politik als überlegen darstellt (mehr Informationen zur CVP-Kampagne finden Sie zum Beispiel hier). Die CVP, die sich gerne als lösungsorientierte, gemässigte und kompromissfähige Mitte-Partei positioniert, die die «Schweiz zusammenhält», greift zu fragwürdigen und äusserst heiklen Methoden, wie sie zum Beispiel US-Präsident Donald Trump genutzt hatte.

Die Reaktionen auf die Kampagne sind heftig. Politikerinnen und Politiker jeglicher Couleur kritisieren das Vorgehen der Partei. Die Kampagne sei unter der Gürtellinie, heisst es unisono. Sie sei gleichbedeutend mit einer negativen Entwicklung der Schweizer Politik, es drohe die «Amerikanisierung» der Schweizerischen Politkultur. Also die Entwicklung hin zu Wahlkämpfen, die immer professioneller und emotionaler werden, immer mehr kosten und die immer mehr auf die Frau oder den Mann spielen.

Bei derartigen Wahlkämpfen stellen die Protagonisten nicht die eigenen Stärken, sondern die Schwächen der Gegnerinnen und Gegner in den Mittelpunkt und versuchen, daraus Kapital zu schlagen. Die Konkurrenzpartei soll als Gefahr für das Gemeinwohl des Landes dargestellt, das Image der Kandidierenden soll verletzt oder zerstört werden.

Der nächste logische Schritt

Die «Amerikanisierung» der Schweizerischen Politkultur nun an der CVP festzumachen, greift viel zu kurz. Die aktuelle Schmutzkampagne der CVP ist nur der nächste logische Schritt auf einem Weg, den der Schweizer Politzirkus bereits vor Jahren eingeschlagen hat. Journalistinnen und Journalisten sollten das eigentlich wissen, seit Jahren berichten sie vor Wahlen und Abstimmungen über die jeweils immer höheren Kosten der politischen Werbung, über die allgemeine Professionalisierung, Emotionalisierung und Personalisierung der Wahlkämpfe sowie immer wieder auch über den zunehmend rauen Ton.

Dass die aktuelle Kampagne der CVP trotzdem derart schockiert, hat mehrere Gründe: Sie gilt als eine der grössten Schmutzkampagnen, die die Schweiz je gesehen hat. Sie nutzt das Internet, um ihre Botschaften grossflächig und erfolgreich zu platzieren. Nur regelmässige «Google»-User beachten die umrahmte Kennzeichnung «Anzeige»: Die CVP ist als Absender nicht auf den ersten Blick zu erkennen, weil sich der Internetnutzer auf einer Kandidatenseite einer anderen Partei wähnt – was ziemlich problematisch ist.

Wie umfangreich die Kampagne ist und was sie kostet, sagt die CVP nicht. Allerdings gibt die CVP dafür wohl weniger Geld aus als ungenannte Sponsoren der SVP, die ihr 20-seitiges, vierfarbiges «Extrablatt» gleich mehrmals in sämtliche Haushalte verteilt. Dieses verunglimpft beispielsweise Befürworter eines Rahmenabkommens mit der EU als «EU-Trickser» oder Befürworter griffiger Massnahmen gegen den CO2-Ausstoss als «Ideologen».

Warum so erstaunt?

Die Schmutzkampagne der CVP ist nicht die erste, die der Schweizer Politbetrieb fährt. Eine gute, wenn auch unvollständige Zusammenfassung liefert die Lizentiatsarbeit «Die Amerikanisierung der politischen Kommunikation in der Schweiz», die von Benjamin Weinmann vor dem Hintergrund der Eidgenössischen Parlamentswahlen 2007 verfasst wurde.

Bereits in den 1930er-Jahren gab es Pamphlete, die politische Gegner denunzierten. Während und nach dem Zweiten Weltkrieg mässigten die Parteien den Ton, nur um ihn dann ab den 1990er-Jahren wieder zu verschärfen. Die SVP Zürich schrieb in Inseraten gegen «linke, nette und heimatmüde Parteien» und bezeichnete Freisinnige als «Weichsinnige».

Im eidgenössischen Wahljahr 1999 beschäftigten sich gemäss einer Erhebung der Universität Zürich 19 Prozent aller Inserate mit Attacken auf politische Gegnerinnen und Gegner. 2003 griff die SP den damaligen CVP-Bundesrat Joseph Deiss persönlich an. Auf Plakaten war zu lesen: «200’000 suchen Arbeit. Und Joseph Deiss geht baden.» 2007 bezeichnete der damalige SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli die SP-Bundesrätin Micheline Calmy-Rey als egoistisch und unterstellte ihr «Landvogt-Allüren». Der ehemalige FDP-Bundesrat Pascal Couchepin brachte Christoph Blocher in Zusammenhang mit Benito Mussolini; im selben Zeitraum bezeichneten sich SVP, CVP und SP gegenseitig als Diebe. Und Christophe Darbellay wurde von der «Weltwoche» unter der Leitung von SVP-Köppel wegen eines unehelichen Kindes an den Pranger gestellt.

Das sind nur einige Beispiele, die zeigen, dass politische Mandatsträger und Parteien nicht erst seit der Schmutzkampagne der CVP auch unter der Gürtellinie politisieren. Zwar sind die Beispiele im Vergleich zu den Verhältnissen in den USA relativ harmlos, zeigen aber dennoch, dass Parteien keine Scheu kennen und auch Negativkampagnen zu ihren Waffenarsenalen zählen.

Wahlkampfstrategie statt Inhalte

Ein Sonderfall ist die SVP, die Provokation längst zum Stilmittel erkoren hat und mit ihren kontroversen Sujets und Aussagen um Aufmerksamkeit kämpft. Diese Strategie kann durch zahlreiche Beispiele belegt werden, das jüngste ist das fragwürdige Wurm-Plakat, auf dem politische Gegnerinnen und Gegner als Parasiten gezeigt werden. Eine krasse Provokation, die selbst vor dem vorbelasteten Vergleich zwischen Mensch und Tier nicht zurückschreckt. Es hagelte Kritik von allen Seiten, selbst SVP-Politikerinnen und -Politiker distanzierten sich. Trotzdem: Punktsieg für die SVP, die grosse Aufmerksamkeit war das Ziel der Provokation.

Da der SVP bereits vor dem Wahlkampf die meisten Themen weggebrochen sind, durfte man einigermassen gespannt sein, wie sie ihre Wählerinnen und Wähler bei der Stange halten will. Im neusten «Extrablatt» bleibt sie ihrem Stil treu, setzt auf Schlagwörter und zeichnet erneut das Bild von einer gebeutelten Schweiz, die an Massen von angeblich kriminellen Migrantinnen und Migranten leidet. Da aber die Realität mit dem SVP-Szenario nicht mithalten kann, stellt sie ihre Publikation unter den Slogan «Lesen, wie es wirklich ist!». Allerdings hat die Partei in ihrer neusten Veröffentlichung Quellen falsch deklariert, ein Foto falsch angeschrieben und ohne Erlaubnis abgedruckt, weswegen nun rechtliche Schritte geprüft werden. Das passt ins Bild, bereits in der Vergangenheit verzerrte die Partei Statistiken und publizierte Falschinformationen.

So erstaunt es dann doch, dass es die CVP war, die mit ihrer grossflächigen, virtuellen Schmutzkampagne die nächste Stufe auf der Leiter der fragwürdigen Kommunikation erklommen hat. Und nicht die SVP, die darin ansonsten während Jahren die Vorreiter-Rolle übernommen hatte. Andererseits: Warum sollte die CVP nicht dürfen, was die SVP seit Jahren ziemlich erfolgreich vormacht?

Der «Amerikanisierung» vorbeugen

Trotzdem ist es in der Schweiz auch vor Wahlen nie zur viel zitierten grossflächigen «Amerikanisierung» im politischen Diskurs gekommen. Einerseits hängt das mit dem politischen System zusammen, das eine Fokussierung auf einzelne politische Protagonisten erschwert. Auch der relativ komplizierte Wahlmodus führt dazu, dass gezielte Negativ-Kampagnen schnell kostspielig werden. Dies, weil die Botschaften regional angepasst werden müssen. Aber das Internet vereinfacht das Vorgehen enorm.

Nicht zuletzt verlangsamt auch das Schweizer Mediensystem eine «Amerikanisierung» des Wahlbetriebs. Weil die SRG gebührenfinanziert arbeitet und unter anderem verpflichtet ist, ausgewogen zu berichten. Aber auch dieser Effekt verpufft zunehmend – seit US-Konzerne wie «Google» mit ihren Algorithmen über die Relevanz von Nachrichten und Werbung im Internet entscheiden.

Geld: der Motor des Wahlkampfs

«Google» ist bei Weitem nicht der einzige Internetkonzern, bei dem sich Interessengruppen gegen Geld Reichweite und Relevanz kaufen können. Und beim Geld liegt der Hund begraben: Noch immer sind die Parteienfinanzierung und auch die Finanzierung von Wahlkämpfen in der Schweiz eine intransparente Blackbox. Es existieren keine griffigen Regeln. Wir wissen nicht, welche Partei wie viel Geld zur Verfügung hat. Wir wissen nicht, wer hinter der Finanzierung von Kampagnen und Parteien steckt. Wir wissen nicht, wer seinen Interessen mit der Zahlung von hohen Geldbeträgen zum Durchbruch verhelfen will.

Das – und nicht die fragwürdige Schmutzkampagne der CVP – ist der eigentliche Skandal. Zwar können Schmutzkampagnen mit diesem Wissen nicht verhindert werden, aber immerhin wüsste die Bevölkerung, wer sie möglich gemacht hat und wer der wirkliche Absender ist.

Politikerinnen und Politiker, die nun die CVP kritisieren, weil sie die technischen Möglichkeiten ausgenutzt hat, sollten als Erstes ihre eigenen Haltungen hinterfragen: Wie stehe ich zur Transparenz betreffend Parteienfinanzierung und Wahlkampfspenden? Wie stehe ich zum Auftrag der SRG? Und wie zu verbindlichen Regeln, welche die Macht der Internetkonzerne begrenzen? Auch die Antworten auf diese Fragen liefern Hinweise, wer die «Amerikanisierung» in der Schweizer Politik vorantreibt – und wer nicht.


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2 Meinungen

  • am 21.09.2019 um 13:52 Uhr
    Permalink

    Vielleicht ist die Kritik von Politikern unglaubwürdig, wir Bürger*innen haben jedoch ein Recht, solche Kampagnen zu verurteilen. Tatsächlich hat auch der Presserat 20Minuten gerügt, weil die SVP die Frontseite gekauft hatte. Die Kampagne der CVP macht etwas ganz Ähnliches: Sie kauft Listenplätze, um sie mit ihrer Gegenpropaganda zu versehen. Bei den Printmedien wäre die Analogie, dass neben einem Zeitungsartikel gleich ein Platz für die Gegenmeinung der Kritisierten gekauft wird.

    Nun ist aber die weit grössere Heuchelei, dass wir Bürger*innen schon lange solche Praktiken bei Medien wie etwa 20Minuten kritisieren und das Establishment der Medienkritik und der Politiker sich nicht dagegen wehrt, dass ständig Publireportagen und Politpropaganda zugunsten der vermögendsten Partei erscheinen. Dass an den Onlineforen viel Fake ist, und gesteuerte Empörung und Bots für Klickraten sorgen, um mittelmässige Artikel aufzuwerten, kommt noch dazu.

    Diese Zustände werden deshalb nicht angeprangert, weil Journalisten und Politiker davon profitieren. Es herrscht ein Klüngel, der den Meistbietenden bevorzugt, und das nicht, weil er etwas zu sagen hätte oder zur Information, zur Meinungs- oder kulturellen Bildung beitragen würde. Die Privatmedien sind in den letzten Jahren ziemlich schmutzig geworden.

  • am 22.09.2019 um 10:14 Uhr
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    Sehr Vieles ist in dieser Kritik absolut richtig. Aber die jetzige – in ihrer Methode sicher fragwürdige – CVP-Kampagne inhaltlich einfach den anderen angeführten Beispielen gleichzusetzen, ist unsachlich und unzutreffend. Es mögen Fake News sein, was ich nicht zu beurteilen vermag. Aber eine Schutzkampagne ist das nicht!

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