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Die Ukraine wählt: Nur Oligarchen haben eine Chance

Christian Müller /  Es geht um Geld, um sehr viel Geld sogar – beim Einsatz und erst recht beim Ertrag. Wer Präsident wird, hat Milliarden auf sicher.

Ende März wird in der Ukraine ein neuer Präsident gewählt. Die Wahlen laufen selbstverständlich unter der offiziellen Bezeichnung «demokratisch», aber das ist reine Schönfärberei. Was in der Ukraine jetzt im Wahlkampf abläuft, ist ein exklusiver interner Machtkampf zwischen drei ukrainischen Oligarchen mit dem Einsatz von Millionen: Petro Poroschenko, jetziger Staatspräsident, Milliardär; Julija Tymoschenko, ehemalige ukrainische Ministerpräsidentin, Milliardärin; und Wolodymyr Selenskyi, Komödiant auf einem Fernsehsender des Multimilliardärs Igor Kolomoisky, der ausserhalb der Ukraine lebt, oft in Genf. Selenskyi gilt als Kolomoisky-Strohmann. (1)

Nur diese drei Kandidaten haben überhaupt eine reelle Chance, gewählt zu werden. Daran wird auch die internationale Beobachtung dieser Wahlen nichts ändern; die Antwort des von Infosperber dazu befragten Schweizer Aussendepartementes EDA in Bern – siehe unten – sagt genug.

Nur Reiche können mithalten

Das Theater – in der Schweiz würde man es wohl eher schon «Affentheater» nennen – beginnt bereits mit den Bedingungen für eine Kandidatur. Wer sich bei dieser Wahl als Kandidat für die Position des Präsidenten bewerben will, muss nämlich im Voraus 2,5 Millionen Hryvna hinterlegen: Das sind rund 90’000 Schweizer Franken bzw. 84’000 Euro. Die Kaufkraft dieses Betrages entspricht etwa einer aparten Eigentumswohnung in der ukrainischen Hauptstadt Kiew oder einem schönen Einfamilienhaus ausserhalb von Kiew – oder auch einem ganzen Dorf draussen im Land. Und dieses Geld ist für alle Kandidaten, die nicht gewählt werden, verloren. Nur der gewählte Präsident erhält das Geld zurück.

Wer aber setzt den Gegenwert eines ganzen Einfamilienhauses cash ein, um für das Amt des Präsidenten überhaupt kandidieren zu dürfen? Und trotzdem haben das 40 Männer und 4 Frauen gemacht! (Mittlerweile sind noch 39 im Rennen.)

Das hat sogar BBC London (wo man des Brexit wegen im Moment andere Prioritäten hat) neugierig gemacht. Ein BBC-Reporter hat in der Ukraine deshalb einen der 44 gemeldeten Kandidatinnen und Kandidaten danach befragt: nicht ganz zufällig jenen, der seinerseits «zufällig» gleich heisst wie die Oligarchin Julija Tymoschenko, nämlich Jurij Tymoschenko. Natürlich hatte auch dieser Kandidat das Geld nicht und konnte – oder durfte – nicht erklären, wie er es sich beschafft hat, denn warum sollte eine Bank einem «normalen» Bürger eines Landes, in dem der Durchschnitts-Monatslohn etwa 750 Euro oder also weniger als 9000 Euro im Jahr beträgt, ein Darlehen in Höhe von über 80’000 Euros geben – auf Nimmerwiedersehen? Der vom BBC-Reporter befragte Jurij Tymoschenko sagte denn auch einfach, er habe von privater Seite ein Darlehen erhalten. Der BBC-Reporter blieb aber hartnäckig: «Und was sagt Ihre Frau dazu?» «Sie war dagegen, weil sie um unser Familienleben fürchtet, sollte ich Präsident werden», war die wohl spontan erfundene Antwort. Dem BBC-Reporter zumindest wurde klar, warum es diese Kandidatur überhaupt gibt: Mit diesem Kandidaten sollen möglichst viele Stimmen für Julija Tymoschenko – bei nicht vollständig ausgeschriebenem Vornamen – ungültig werden, weil dann nicht klar ist, wem die Stimme «Tymoschenko» oder auch «J. Tymoschenko» gilt: die raffinierte Massnahme eines im Geld schwimmenden Konkurrenten von Julija Tymoschenko, um dieser Stimmen wegzunehmen und ihre Wahl zur Präsidentin zu verhindern!

BBC London hat jetzt zu diesem Artikel auch noch ein kurzes Video veröffentlicht.

Warum all die anderen chancenlosen Bewerber?

Warum aber bewerben sich 44 Ukrainer und Ukrainerinnen um den höchsten Posten des Landes, wissend, dass 40 von ihnen eh keine Chance haben? Die Erklärung lieferte ein Exil-Ukrainer, der seine Landsleute über die sozialen Medien regelmässig auf die Schliche und Tricks der Oligarchen aufmerksam macht: Shari. In der Ukraine hat nämlich jeder formelle Kandidat das Recht, seine eigenen Vertrauten in die Kommissionen und Gremien zu delegieren, die die Wahl organisatorisch durchführen müssen: die Stimmenzähler, jene, die die Resultate aus den Dörfern und Städten in die Zentren liefern, dort zusammenzählen und sie von dort in die Zentrale nach Kiew liefern. Hat also ein Oligarch – als Beispiel — 25 Strohmänner formal als Präsidentschafts-Kandidaten eingesetzt, hat er in allen Wahl-Gremien mit «seinen» Leuten die Mehrheit. Der Betrug ist so programmiert.

Zur Stimmabgabe genügt der Pass – ohne dessen Eigentümer

Der jetzige Präsident Petro Poroshenko hat alles versucht und versucht noch immer, seine Wiederwahl zu sichern. So etwa sind jene Ukrainer, die in Russland arbeiten, aufgrund eines neuen Gesetzes nicht stimmberechtigt. Wer allerdings in Polen, in Deutschland oder in Kanada arbeitet, um sein Leben anständig fristen zu können, muss nicht in die Ukraine reisen, um seine Stimme abgeben zu können. Seine Freunde gehen zur Urne mit dem Pass des Abwesenden, das genügt, um an der Urne eine Stimme abgeben zu dürfen.

Was unterscheidet die drei Kandidaten mit reeller Chance?

Die Oligarchen Petro Poroschenko, Julija Tymoschenko und Igor Kolomoisky mit seinem Strohmann Wolodymyr Selenskyi sind für die Bevölkerung der Ukraine keine wirklichen Alternativen. Alle drei sind steinreiche Business-Leute mit eigener Medien-Macht, alle drei sind westlich-neoliberal orientiert, alle drei sind USA- und NATO-freundlich, alle drei behaupten, die Korruption bekämpfen zu wollen und den Frieden anzustreben – selbstverständlich unter der Bedingung, dass ausschliesslich Russland Konzessionen macht, unter Missachtung von Minsk II. Poroschenko ist derjenige, der am intensivsten auf die Karte Krieg setzt und nicht davor zurückschreckt, auch gute Kontakte ins Neonazi-Milieu und zum Regiment Asow zu unterhalten. Selenskyi seinerseits wäre immerhin «bereit», mit «dem Teufel» – also Putin – persönlich zu reden, um ihn zu einer anderen Politik zu bewegen. Keiner der drei plädiert für mehr Rechte von Minderheiten, zum Beispiel für die Anerkennung auch des Russischen als gleichberechtigte Landessprache, wie es vor dem Maidan 2014 eine absolute Selbstverständlichkeit war. Und alle drei versprechen der Bevölkerung natürlich ein besseres Leben. (Das allerdings kennen wir auch im westlichen Europa, es ist kein Privileg der ukrainischen Präsidentschaftskandidaten.)

In einem Punkt unterscheidet sich Igor Kolomoisky allerdings von den anderen beiden: Er war zwar ein paar Jahre lang Gouverneur der ukrainischen Provinz Dnipropetrowsk, aus der er selber stammt, aber sonst macht er Politik lieber über seine Strohmänner. Wes Geistes Kind er ist, ist allerdings klar. In Genf, wo er lange Jahre lebte, einmal danach befragt, wie er es mit seiner Doppelbürgerschaft halte, die in der Ukraine doch verboten sei, antwortete Kolomoisky: Er verstosse nicht gegen dieses Verbot, da er nicht zwei, sondern drei Staatsbürgerschaften habe, die ukrainische, die israelische und die zypriotische …

Der NATO ihrerseits wäre wohl Petro Poroschenko, der bisherige, auch als neuer Präsident am liebsten, da er nicht nur die NATO anbetet, sondern sogar die Rüstungsindustrie in der Ukraine stärken will, um das Land wirtschaftlich wieder nach oben zu bringen, nachdem es in der Folge des Maidan-Putsches wirtschaftlich total abgestürzt und um zwanzig Jahre zurückgefallen ist.

Eine ausführliche Bewertung der drei Kandidaten findet sich auf der Website des US-amerikanischen Thinktanks «Wilson-Center» in Washington, hier, in Englisch.

Die Wahl wird international «beobachtet»

Wie das auf dieser Welt mittlerweile üblich ist, werden Wahlen in Ländern, die zeigen wollen, wie perfekt demokratisch sie sind, von herbeigereisten Beobachtern vieler Länder vor Ort beobachtet. Diese Beobachter müssen dann berichten, ob alles ordentlich und gesetzeskonform abgelaufen ist. Infosperber hat deshalb in Bern beim EDA angefragt, ob auch die Schweiz Beobachter an die Präsidentschaftswahlen vom 31. März in die Ukraine entsenden werde. Hier die genauen Fragen und die konkreten Antworten vom 25. Februar 2019 aus Bern:

Frage: «Nimmt die Schweiz an der Überwachung der Wahlen in der Ukraine durch die OSZE teil?»
Antwort: «Ja, die Schweiz nimmt an der Beobachtungsmission der OSZE in der Ukraine, Beobachtung der Präsidentschaftswahlen vom 31. März 2019, teil.»

Frage:« Wie viele Beobachter aus der Schweiz werden beteiligt sein?»
Antwort: «Die Schweiz sieht vor sich mit 15 Beobachtern / Beobachterinnen zu beteiligen.»

Frage: «Welche? Sind die Namen bekannt?»
Antwort: «Zur Zeit laufen die Entsendevorbereitungen. Das EDA sieht davon ab, die Namen der definitiven Teilnehmer öffentlich zu kommunizieren.»

Frage: «Wie viele der Beobachter aus der Schweiz sind der russischen oder der ukrainischen Sprache mündlich und schriftlich mächtig, um eine Chance zu haben, Betrügereien auch wirklich zu entdecken?»
Antwort: «Von der OSZE wird vorausgesetzt, das Beobachter/innen die englische Sprache mündlich und schriftlich beherrschen; die Beherrschung einer lokalen Sprache ist wünschenswert, aber nicht essentiell. Die Beobachter/innen der OSZE werden von lokalen Übersetzern begleitet, die durch das ODIHR selektioniert werden.» (ODIHR: «Office for Democratic Institutions and Human Rights», ein Organ der OSZE).

Aus einem offiziellen Papier der OSZE/ODIHR geht hervor, dass vorgesehen ist, 100 langfristige Beobachter und 750 kurzfristige Beobachter an die Präsidentschaftswahlen in die Ukraine zu schicken. Nachdem Präsident Poroschenko dem Parlament vor kurzem ein Gesetz vorgeschlagen hat, gemäss dem es dem OSZE-Mitglied Russland nicht erlaubt sein soll, im Rahmen der OSZE Wahlbeobachter zu entsenden, hat Russland freiwillig darauf verzichtet, Beobachter zu entsenden – nicht zuletzt aus Sicherheitsgründen dieser Leute.

Womit einigermassen klar ist, dass von den 850 Wahlbeobachtern – darunter 15 aus der Schweiz – wohl keine hundert der ukrainischen oder der russischen Sprache mächtig sind. Wie ODIHR, in der Ukraine etwa 800 unabhängige Dolmetscher «selektionieren» will, kann man an den Fingern abzählen: Sie werden vom Staatsapparat zur Verfügung gestellt werden.

Die internationalen Finanzanalysten gehen davon aus, dass der jetzige Präsident, Petro Poroschenko, in der Zeit seiner bisherigen Präsidentschaft sein Vermögen hat verdoppeln können. 2005 wurde sein Vermögen noch auf 350 Millionen US$ geschätzt, 2014 bereits auf 1,3 Milliarden. Und jetzt, 2019? Auch in der Ukraine fliesst das Geld aufwärts.

Und das alles in einem Land, das behauptet, sich den «europäischen Wertvorstellungen» nahe zu fühlen …

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Siehe zur Ukraine auch

(1) Zur Schreibweise der ukrainischen Namen:

Da die ukrainischen Namen im Original in kyrillischen Lettern geschrieben sind, ist die Schreibweise dieser Namen in den Ländern mit lateinischen Buchstaben sehr unterschiedlich, vor allem auch zwischen deutschsprachigen und englischsprachigen Texten. Wir bitten unsere Leserinnen und Leser deshalb um Verständnis, wenn auch auf Infosperber in einigen Artikeln von Poroschenko und in anderen von Poroshenko die Rede ist, u.a.m.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Zum Autor.

Zum Infosperber-Dossier:

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