
Konstruiertes Image: Superman Putin
Ist Putin wirklich so mächtig?
Die Russophobie des Westens mache Putin stärker als er sei und schwäche die Opposition, monieren sogar Putins härteste Kritiker.
Seit Monaten machen Politiker und führende Medien in Europa und in den USA den russischen Präsidenten für alle erdenklichen Krisen verantwortlich: Putin und nicht die amerikanischen Wähler haben Donald Trump an die Macht gebracht. Auch beim Brexit hat der Kreml die Finger im Spiel, denn er will die Europäische Union schwächen. Ja sogar die Separatisten von Katalonien werden von Russland unterstützt. Egal, welche Krise den Westen trifft, Putin mischt sich immer ein. «Putin führt Krieg gegen den Westen» hiess es in der NZZ (13. Mai 2017).
Putins härteste Kritiker gegen Russophobie
Jetzt ist die Russophobie des Westens sogar für Putins härteste Kritiker in Russland zu viel geworden. Liberal denkende russische Stimmen, die sonst demokratische Werte des Westens hochhalten, sind überzeugt, diese Art von westlicher Kritik mache Putin stärker als er ist und schwäche die russische Opposition. Klartext spricht Gleb Pawlowsky. Als Berater Putins spielte Pawlowsky im Kreml bis zu seinem Rücktritt 2011 eine wichtige Rolle. Heute meint er sarkastisch: «Wir machten offenbar einen Super-Job während den ersten Putin Jahren. Wir erweckten den Eindruck, dass Putin in Russland alles kontrolliert. Und heute glauben viele Amerikaner tatsächlich, Putin ist für alles verantwortlich.» (Dekoder.org)
«Können wir das wirklich?»
In einem Gastkommentar der FAZ schrieb der bekannte russische Publizist Fijodor Lukyanow: «Die Behauptungen im Westen, Putin manipuliert die Wahlen auf der gesamten Welt und versucht, die westliche Demokratie zu untergraben, ruft in Russland Kopfschütteln hervor. Können wir das wirklich? Denn, wenn es bei uns tatsächlich so hochqualifizierte Spezialisten gibt, warum sind dann keine Spuren ihres Talents innerhalb Russlands zu erkennen? Wo nichts so funktioniert, wie es soll und die Bürokratie Rekorde beim Papierkrieg und der Ineffizienz aufstellt?»
Plötzlicher Rollenwechsel
Es ist, als hätte plötzlich ein Rollenwechsel stattgefunden. Nach dem Untergang der Sowjetunion war Russland schwach, fühlte sich umzingelt vom mächtigen Westen, der die Nato und die EU nach Osten ausdehnte. In Russland selber sorgten die Amerikaner dafür, dass der russische Präsident Boris Jelzin 1996 dank Wahlfälschungen wieder gewählt wurde. Mit Recht beklagte sich die damalige russische Opposition, der Westen mische sich in Russlands interne Angelegenheiten ein und verhindere einen Machtwechsel. Nun wird Russland Ähnliches vorgeworfen. Moskau destabilisiere den Westen und zwinge ihm seinen Willen auf.
«Trump ist nicht Russlands sondern Amerikas Problem»
Ivan I. Kurilla, ein Amerikaexperte an der Europäischen Universität in St.Petersburg, einer Hochburg liberalen Denkens in Russland, sieht die gegenwärtige Krise im historischen Kontext: «Regelmässig beschuldigen Amerikaner Russland, wenn sich ihre eigene Identität in einer Krise befindet... Heute ärgern sich liberale Amerikaner über Trumps Sieg. Sie verstehen nicht, dass Trump ein Produkt Amerikas ist. Stattdessen versuchen sie, Trump als etwas darzustellen, das von Russland inszeniert worden ist. Trump ist aber nicht Russlands sondern Amerikas Problem.» (Why Putin's Foes deplore U.S. Fixation on Election Meddling. Andrew Higgins, «New York Times». 24. November 2017)
Den Kreml freut es
Leonid Volkov, ein führender Mitarbeiter des russischen Oppositionspolitikers Alexei Navalny, ist überzeugt, die Anschuldigungen, Moskau habe Trump zum Wahlsieg verholfen, würden in Wirklichkeit dem Kreml gefallen. «Putin und seine Leute fühlen sich als Helden, als eine Art James Bond. Dieses Bild vom grossen Strategen Putin, der Russland in der Welt von Triumph zu Triumph führt, wird von den staatliche kontrollierten Medien verbreitet.»
Die andauernde Jagd nach einer unsichtbaren Hand hinter Präsident Trumps Wahlsieg beunruhigt vor allem liberal denkende russische Journalisten. Oleg Kashin, ein Kreml-kritischer Journalist, schreibt in der russischen Internetzeitung Republic.ru: «Das im Westen, vor allem in den amerikanischen Medien konstruierte Image von Putins Russland schockiert den kritischen Leser in Russland.» Die amerikanischen Medien verstünden nicht, wie Russland funktioniere. «Marginale Opportunisten und Geschäftsleute mit eigenen Interessen werden in den Vordergrund gedrängt, als ob sie von Putin kontrolliert werden.»
Ähnlich sieht es Michael Idov, ein russisch-amerikanischer Drehbuchautor: «Die Amerikaner sehen Russland als eine von oben nach unten kontrollierte, fein geölte Machtmaschine. Die Wirklichkeit sieht jedoch anders aus: Russland gleicht einem baufälligen Haus, in dem heftige Machtkämpfe um Ressourcen und um die Gunst des Präsidenten stattfinden.»
«Eine improvisierte Aktion mit kleinem Budget»
Anders argumentiert der bekannte russische Journalist Andrei Soldatow, der über gute Kontakte zu Russlands Geheimdiensten verfügt. Soldatow ist überzeugt, dass russische Hacker im amerikanischen Wahlkampf im Einsatz waren, er macht aber auf die bescheidenen Mittel der Aktion und die ungewöhnliche Zusammensetzung der Hacker aufmerksam. Die Hacker stammten aus zwei verschiedenen Organisationen (Militärgeheimdienst und Auslandsgeheimdienst), die nichts voneinander gewusst hätten. Soldatow glaubt, das in Washington herrschende Chaos habe den russischen Hackern geholfen: «Sie warfen Spagetti an eine Wand und beobachteten, was davon kleben bleibt.» (Soldatow). Der Versuch, die amerikanischen Wahlen zu manipulieren, sei ein Produkt von Improvisation mit einem kleinen Budget gewesen. (agentura.ru)
Putin hat keinen Masterplan
Die Russophobie im Westen macht Wladimir Putin zu einem Superman. Die realen Kräfteverhältnisse sprechen aber eine andere Sprache: Russland hat weder die wirtschaftlichen noch die technologischen Möglichkeiten, den Westen herauszufordern. Das Land befindet sich in einer politischen und wirtschaftlichen Krise. Putin hat keinen «Masterplan zur Übernahme der Weltherrschaft», wie im Westen oft behauptet wird. Dazu fehlt es Russland an Ressourcen und auch am politischen Willen.
Themenbezogene Interessen (-bindung) der Autorin/des Autors
Keine. Roman Berger war 1991–2001 Moskau-Korrespondent des Zürcher «Tages-Anzeigers».
Weiterführende Informationen
DOSSIER: Der Umgang mit Putins Russland
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2 Meinungen
Russland befindet sich in einer «politischen und wirtschaftlichen Krise"? Komischerweise wird das in Russland überhaupt nicht so wahrgenommen. Wie kommen Sie zu diesem Schluss, den sie nicht weiter begründen, weshalb der Satz einfach mal als Behauptung in Ihrem Artikel steht?
Und einmal mehr wird der in Russland völlig bedeutungslose «Mister ein Prozent» Alexej Nawalny als ernsthafter Oppositionskandidat dargestellt. Dass er bedeutungslos ist, ist gut so und spricht für die Russen – wer möchte schon einen Ministerpräsidenten, der einen Teil der eigenen Bevölkerung als «Kakerlaken» beschimpft? Nawalny ist ein Nationalist und Fremdenhasser. Wer ihn sich an der Stelle Putins erhofft, hätte sich eigentlich auch eine Marine Le Pen als französische Präsidentin wünschen müssen.
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