Ignazio Cassis: Gewählt weil Tessiner, abgewählt weil Tessiner?
Gewählt wurde er, weil er als Tessiner ein geeignetes Argument lieferte. Jetzt behauptet er, als Tessiner benachteiligt zu sein.
Mittlerweile hat man es auch in Bern begriffen. Damals, 2017, als die FDP einen Kandidaten oder eine Kandidatin für den Bundesrat brauchte, um einen Rechtsrutsch in der Schweizer Regierung sicherzustellen, durfte es, allem Zeitgeist zum Trotz, keine Frau sein, um bei der nächsten Gelegenheit dann mit «Frau» ein schlüssiges Argument für ihre Hoffnungsträgerin Karin Keller-Sutter zu haben. Also erfand man in der Parteizentrale das Argument «Tessiner». Dass es dort mit Laura Sadis, ebenfalls FDP, tatsächlich eine qualifizierte, legislativ- und exekutiv-erfahrene Kandidatin gegeben hätte, konnte dank mangelnder Ticino-Kenntnis der Bundeshaus-Journalisten verdrängt werden. Das abgekartete Spiel ging erwartungsgemäss auf: Der «Simpatico» aus der Sonnenstube wurde im September 2017 gewählt. Und, 15 Monate später, dann eben auch Karin Keller-Sutter – mit dem Argument «Frau» alle möglichen politischen Vorbehalte überspielend.
Zwischenzeitlich weiss man, dass Ignazio Cassis politisch nicht das Gelbe vom Ei ist. Ignazio Cassis war – als ehemaliger, für die Prävention im Gesundheitsbereich verantwortlicher Tessiner Kantonsarzt – zum Beispiel bereit, den Tabak-Multi Philip Morris als Hauptsponsor für den Schweizer Pavillon an der nächstjährigen Weltausstellung in Dubai unter Vertrag zu nehmen. Ignazio Cassis machte eine PR-Reise zu einer Glencore-Kupfermine in Sambia in Afrika und liess die dortigen Umwelt-Aktivisten 400 km weit links liegen. Ignazio Cassis macht Pro-Israel-Politik – «wichtig für die Schweizer Banken» – und entzieht der UNRWA – in seinen Augen ein «Teil des Problems» – mit Ad-Personam-Argumenten den finanziellen Support. Dass die Schweizer Bürger auf Kuba ihre AHV-Rente und die Angestellten der kubanischen Botschaft in Bern ihr Gehalt nicht erhalten, weil die Schweizer Banken – inkl. die PostFinance – in perfekter Vasallentreue die US-Sanktionen befolgen, ist dagegen nicht Cassis' Problem. Und für die ihm unterstellte Entwicklungshilfe-Organisation DEZA holt er ausgerechnet einen Mann von Nestlé, der unter seinem früheren Arbeitgeber für die Privatisierung der Wasserversorgung zuständig war. Ein Cassis-Entscheid übrigens, der von den Schweizer Medien trotz Protesten aus dem Ausland nur sehr zurückhaltend thematisiert wurde. «Switzerland first» auch im Entwicklungshilfebereich scheint zu gefallen.
Und was hat Ignazio Cassis bei den anstehenden Problemen mit der EU erreicht?
Die Tessiner wenigstens haben es erkannt
Im Tessin immerhin hat man erkannt, dass die FDP da keine besonders glaubwürdige Persönlichkeit in den Bundesrat manövriert hat. Die Konsequenz: Die FDP wurde abgestraft, sie hat ihren Tessiner Ständeratssitz im zweiten Wahlgang verloren. Die eher rechte Seite sagte «wenn schon, dann schon» und wählte den Kandidaten der SVP. Die weltoffenere und eher linke Seite sagte, «wenn nicht einmal Laura Sadis Platz hat, dann wählen wir eben eine Frau der SP».
Und wie reagiert Ignazio Cassis?
Für Ignazio Cassis ist klar: Er ist jetzt, nach dem Anspruch der Grünen auf einen Bundesratssitz, nicht seiner Politik wegen in Gefahr, abgewählt zu werden, sondern weil er ein Tessiner ist. Als Tessiner sei er ein Vertreter einer Minderheit, Vertreter einer anderen Sprache, Vertreter einer anderen Kultur, da sei man eben «benachteiligt». Als Tessiner sei er eben «benachteiligt», wiederholt er. Und noch einmal, als Tessiner sei man eben benachteiligt. Benachteiligt. Benachteiligt.
Aha, so ist das. Nicht seine problematische Politik ist schuld, dass auch ehemalige Anhänger ihm nun den Rücken kehren. Es ist, weil er ein Tessiner ist. Ausgerechnet! Er, der nur gewählt wurde, weil in der Argumentation der FDP endlich wieder einmal ein Tessiner in den Bundesrat gehörte, soll nun abgewählt werden – weil er ein Tessiner ist? Logik sieht anders aus.
Oder ist es vielleicht doch logisch? Wenn es schon funktioniert hat, ihn mit dem Argument «Tessiner» in den Bundesrat zu hissen, dann funktioniert ja vielleicht auch das Argument, dass er den Tessinern zuliebe nicht abgewählt werden darf, Anspruch der Grünen auf einen Sitz im Bundesrat hin oder her. Ignazio Cassis, als Quoten-Tessiner akzeptiert.
Erbarmen mit dem «Simpatico»? Nicht doch. Als Nationalrat hatte er neben vielen anderen Opportunitäten die «Opportunität», Präsident des Krankenkassen-Verbandes Curafutura zu sein. Jahreshonorar 180'000 Franken. Ignazio Cassis versteht es, auf Opportunitäten zu warten. Bundesrat zu werden, war so eine. Irgend eine andere dürfte sich ihm auch nach seiner Abwahl wieder bieten.
Themenbezogene Interessen (-bindung) der Autorin/des Autors
Der Autor ist stimmberechtigt im Kanton Tessin.
Meinungen / Ihre Meinung eingeben
Ähnliche Artikel dank Ihrer Spende
Möchten Sie weitere solche Beiträge lesen? Ihre Spende macht es möglich:
Mit Kreditkarte oder Paypal - oder direkt aufs Spendenkonto
für Stiftung SSUI, Jurablickstr. 69, 3095 Spiegel BE
IBAN CH0309000000604575581 (SSUI)
BIC/SWIFT POFICHBEXXX, Clearing: 09000
Einzahlungsschein anfordern: kontakt@infosperber.ch (Postadresse angeben!)
14 Meinungen
FDP-Merlini wurde wegen der CVP-FDP-Listenverbindung nicht als Ständerat gewählt und weniger wegen Cassis. Für viele FDP- und CVP-Anhänger war diese Listenverbindung eine grosse Enttäuschung, weil sie von oben diktiert wurde. Viele Tessiner FDPler sind auch von Gössi wegen der sogenannten «grünen Wende» kurz von der Wahlen enttäuscht.
Stabilität für das Kuriosum Schweiz, ohne Bedeutung für die Welt.
Niklaus Berwert, Gümligen
Ich hoffe jedoch sehr, dass in Bundesbern die Verantwortungen Stufengerecht verteilt sind und sich ein Bundesrat nicht damit beschäftigt, wer den Schweizer Pavillon in Dubai sponsert. Dass ein Tabakkonzern bei der aktuellen Schweizer Tabakpolitik keine gute Wahl ist, dass sollte doch jedem Mitarbeiter des Bundes klar sein. Herrn Cassis damit zu attakieren ist Boulevard Niveau und nicht Infosperber gerecht. Denn wollen wir eine Schweiz, in der jeden Brunz über den Tisch des zuständigen Bundesrat gehen muss, oder sollten nicht alle Staatsangestelten Verantwortung für ihr Handeln tragen müssen?
Atomwaffenverbots-Vertrag (TPNW) von ICAN
und der Weltgemeinschaft für eine atomwaffenfreie Welt mit fadenscheinigen Argumenten auf Eis legen und NATO-konform torpedieren will - und dabei die zustimmende Meinung der gesamten Zivilgesellschaft ignoriert.
Ein völlig undemokratisches, aber durchschaubares Schmieren-Theater.
Wir stehen für das UNO-Gewaltverbot und eine gewaltfreie (und fossil-freie) Zukunft.
Die Schweiz sollte das «Costa Rica Europas» werden. Das funktioniert bestens seit 1949. Ohne Mut und ohne Werte-Wandel kann man die Welt nicht verbessern.
https://www.friedenskraft.ch/
hohe Forderungen an Curaviva,
Pro Tell rein, Pro Tell raus,
Als BR:
GLENCORE Werbung in Sambia,
Sponsoring von Tabakfirma für den Schweizer Pavillon in Moskau!
Rahmenabkommen Desaster.
Neuestes Gesellenstück:
will PILATUS grounden. Da ist er in guter FDP Tradition, schon die SWISSAIR wurde von unfähigen Parteigängern gegroundet!
Ihre Meinung
Loggen Sie sich ein. Wir gestatten keine Meinungseinträge anonymer User. Hier können Sie sich registrieren.
Sollten Sie ihr Passwort vergessen haben, können Sie es neu anfordern. Meinungen schalten wir neu 9 Stunden nach Erhalt online, damit wir Zeit haben, deren Sachlichkeit zu prüfen. Wir folgen damit einer Empfehlung des Presserats. Die Redaktion behält sich vor, Beiträge, welche andere Personen, Institutionen oder Unternehmen beleidigen oder unnötig herabsetzen, oder sich nicht auf den Inhalt des betreffenden Beitrags beziehen, zu kürzen, nicht zu veröffentlichen oder zu entfernen. Über Entscheide der Redaktion können wir keine Korrespondenz führen. Zwei Meinungseinträge unmittelbar hintereinander sind nicht erlaubt.
Spende bei den Steuern abziehen
Sie können Ihre Spende von Ihrem steuerbaren Einkommen abziehen. Für Spenden über 20 CHF erhalten Sie eine Quittung zu Handen der Steuerbehörden. Die Spenden gehen an die gemeinnützige «Schweizerische Stiftung zur Förderung unabhängiger Information» SSUI, welche die Internet-Zeitung «Infosperber» ermöglicht. Infosperber veröffentlicht Recherchen, Informationen und Meinungen, die in der grossen Presse wenig oder gar keine Beachtung finden. Weitere Informationen auf der Seite Über uns.
Wir danken Ihnen herzlich für Ihre Spende!