
«Tages-Anzeiger», 23. Dezember 2015
Economiesuisse und der Besuch der alten Dame
Weihnachtszeit. Zeit zu danken. Für die grosszügige & uneigennützige Unterstützung von Medien, graphischem Gewerbe, Druckereien.
Heinz Karrer hat eine gute Meinung von den SchweizerInnen. Der Präsident von Economiesuisse hat mehr Vertrauen ins Volk, als Friedrich Dürrenmatt es hatte. Der verstorbene Dichter vom Neuenburgersee lässt im «Besuch der alten Dame» – der in diesen Tagen im Zürcher Schauspielhaus reinszeniert wird – ein ganzes Dorf, Güllen, zu MörderInnen werden. Für eine Milliarde. «Fünfhundert Millionen der Stadt und fünfhundert Millionen verteilt auf jede Familie.» Bietet Claire Zachanassian. Für den Tod von Ill. Für die Rache am jungen Krämer Ill, der die damalige Klara Wäscher vor vielen Jahren schwanger sitzen liess.
Die Durchsetzung der Ausschaffung
Aber das ist Literatur. Nicht schweizerische Wirklichkeit. «Das Stimmvolk lässt sich nicht kaufen.» Sagt Karrer im Tages-Anzeiger, einen Tag vor Heiligabend, im Gespräch mit Alan Cassidy. «Das Stimmvolk lässt sich nicht kaufen.» Antwortet er auf die hinterhältige Frage, weshalb Economiesuisse keinen Franken für den Abstimmungskampf gegen die sogenannte Durchsetzungsinitiative locker machen wird. Mit der die SVP der «laschen Rechtsprechung» einen Riegel schieben, es nicht länger dem «Ermessen eines Richters oder einer Behörde» überlassen, sondern per Verfassung & minuziös festlegen will, bei welchen Delikten straffällig gewordene AusländerInnen, zusätzlich zur normalen Strafe, automatisch ausgewiesen werden sollen. Das heisst, die Berücksichtigung der «persönlichen Umstände des Straftäters» (SVP-Argumentarium) beziehungsweise richterliches Ermessen in Einzel- und Härtefällen soll ausgehebelt werden. «Die schwarzen Schafe unter den Ausländern sind auszuweisen.» Schreibt die SVP in ihrem Argumentenkatalog.
Das sei «fast ein wenig arrogant», meint die Aargauer SVP-Politikerin Martina Bircher, als sie für die SRF-DOK-Sendung «Die Macht des Volkes» vom 18. Dezember 2015 bereitwillig den Strafgefangenen Z. im Gefängnis besucht. Der kam als Einjähriger in die Schweiz. Wurde mit 14 kriminell. Sitzt, 27-jährig, wegen Ladendiebstählen, Raubüberfällen und schwerer Körperverletzung seit fünf Jahren im Gefängnis. Wenn er seine Strafe abgesessen hat, wird er, auch ohne Durchsetzungsinitiative, ausgeschafft. Das findet Martina Bircher richtig. Er habe von der Schweiz Gastrecht erhalten, «dann muss man diese Rechte und Gesetze und Sitten respektieren.» Als er sich wehrt, auf die «doppelte Strafe» und darauf hinweist, er könne die Sprache im Kosovo nicht wirklich, die Schweiz sei für ihn kein fremdes, sondern «mein Heimatland», und fragt: «Weshalb kann man sich nicht da auseinandersetzen mit mir …, ich fühle mich wie ein Schweizer», da lächelt die Betriebsökonomin Bircher: «Nichts gegen Sie, aber das finde ich jetzt fast ein wenig arrogant, wenn Sie so etwas sagen, dass die Schweiz da Verantwortung übernehmen müsse.»
Im Klartext: Wer mit einjährig in die Schweiz gekommen, in Schweizer Schulen gegangen, in Schweizer Seen gebadet, auf Schweizer Rasen Fussball gespielt und schliesslich straffällig geworden, aber keinen Schweizer Pass hat, der ist nicht unter uns zu dem geworden, der er ist, der hat das Verbrecherische im ausländischen Blut. Im Grunde glauben wir, Kriminalität sei etwas Unschweizerisches. Die Durchsetzungsinitiative soll dafür sorgen, dass «wer sich nicht an unsere Gesetze hält, auch tatsächlich ausgeschafft wird und damit die Sicherheit für alle in der Schweiz erhöht wird» (SVP-Argumentarium).
Die rausgeworfenen Millionen
Die Economiesuisse habe «klar gegen die Durchsetzungsinitiative Stellung bezogen», hält Heinz Karrer fest. Trotzdem: Kein Geld aus dem «Kampagnenfonds» gegen diese «unmenschliche» Initiative (Bundesrätin Sommaruga), die «Hunderttausende Secondos anders behandelt» als SchweizerInnen (Tages-Anzeiger, 23.12.2015). Denn: «Viel entscheidender ist das klare Bekenntnis vieler glaubwürdiger Absender, die sich gegen eine schädliche Initiative aussprechen.» Betont Heinz Karrer. Auch er selbst werde sich da «selbstverständlich … engagieren». Warum genügt bei anderen Initiativen dieses klare Bekenntnis nicht, weshalb reserviert die Economiesuisse «haushälterisch» Geld für «wirtschaftsrelevante Volksabstimmungen»?
Das Volk lässt sich nicht kaufen. Sagt Economiesuisse. Sagte die SVP, als ihr vorgehalten wurde, keine Partei könne so viel für den Wahlkampf ausgeben wie sie. Das Volk lässt sich nicht kaufen. Sagen PolitikerInnen in Zusammenhang mit Wahl- und Abstimmungskampagnen. KonsumentInnen lassen sich nicht verführen, etwas zu kaufen, was sie nicht schon immer haben wollten. Sagen WerberInnen & Marketingfachleute. Warum werfen sie allealle Millionen zum Fenster raus, auf die Strasse?
Damit sich die Obdachlosen ein anständiges Weihnachtsgeschenk kaufen können? Zur Förderung von Presse, Radio, Fernsehen, IT, Druck- und graphischem Gewerbe? Damit die Mitarbeitenden dieser Branchen das ganze Jahr Weihnachten haben? Das ist wahre, das ist christliche Nächstenliebe.
PS. Ein Teil der Schweizer Wirtschaft glaubt offensichtlich doch eher dem Dichter als dem Boss des Wirtschaftsdachverbandes. «Wirtschaft macht Front gegen SVP», titelt die Sonntagszeitung am 27. Dezember 2015. Der Verband der Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie Swissmem, der Pharmaverband Interpharma und die Wirtschaftsvereinigung Succèsuisse wollen «nicht nur politisch-moralische», sondern «auch wirtschaftliche Argumente» gegen die Durchsetzungsinitiative «ins Feld» (Sonntagszeitung) führen. Und weil sie den Wirtschaftsstandort gefährdet sehen, setzen sie nicht aufs «klare Bekenntnis» (Heinz Karrer), sondern auf harte Ökonomie und sind bereit, Geld in die Hand zu nehmen. Weil sie sich, wie die finanzkräftige SVP & Initiantin, doch nicht ganz & blauäugig auf die Unbestechlichkeit «des Volkes» verlassen wollen.
Themenbezogene Interessen (-bindung) der Autorin/des Autors
Keine
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2 Meinungen
Ist es wirklich arrogant sich eine zweite Chance zu wünschen ? Ich finde, einfach nur menschlich.
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