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Der chinesische Philosoph Konfuzius (gestorben 479.v.Chr.) prägt die chinesische Politik bis heute © colibri

Vielfältiges China: Demokratie unten, Meritokratie oben

Peter G. Achten /  China ist kein demokratischer Staat im westlichen Sinne. Aber eine Diktatur? Eine historisch-philosophische Analyse.

In den 1980er-Jahren wurden westliche China-Korrespondenten nicht müde, das reformeifrige Land über den grünen Klee zu loben. Die vom grossen Revolutionär und Reformer Deng Xiaoping 1978 eingeleitete Erneuerung stellte die sozialistische Planwirtschaft vom Kopf auf die Füsse einer „sozialistischen Marktwirtschaft mit chinesischen Besonderheiten“.

In Japan, Europa, Amerika und Australien stand beim Thema China „Wandel durch Handel“ zuoberst auf der Prioritätenliste. Dank dieser Konvergenztheorie, so die Annahme, werde im Reich der Mitte früher oder später automatisch Demokratie Einzug halten.

Reformer Deng duldete keinen Widerspruch

Doch bereits bei den ersten Studentenunruhen in Hefei (Provinz Anhui) in den Jahren 1986/87 machte Deng Xiaoping klar, dass die Kommunistische Partei keinerlei Widerspruch dulden werde. Der damalige Parteichef Hu Yaobang musste zurücktreten. Trotz Dengs Warnung glaubten China-Experten und China-Korrespondenten sowie vor allem die westliche Wirtschaft weiter daran, dass Marktwirtschaft und Oeffnung nach aussen zur (westlichen) Demokratie führen werde.

Grausam wurden sie 1989 enttäuscht, als die Volksbefreiungs-Armee auf Befehl Dengs die Arbeiter- und Studentenunruhen auf dem Platz vor dem Tor des Himmlischen Friedens Tiananmen gewaltsam zum Schweigen brachte.

1992 brachte Deng mit seiner Reise in die Südprovinz Guangdong die Reform wieder auf Kurs. Die „sozialistische Marktwirtschaft chinesischer Prägung“ entwickelte sich in einem rasanten Tempo. Einerseits konnten so Armut und Hunger von Hunderten von Millionen von Chinesinnen und Chinesen besiegt werden. Andrerseits allerdings wuchs im Laufe der positiven wirtschaftlichen Entwicklung auch die Kluft zwischen Arm und Reich sowie Stadt und Land.
Die allmächtige KP Chinas – bedacht auf Machterhalt – kann sich so diktatorische Allüren gar nicht erlauben. Der marktwirtschaftliche Staatskapitalismus hat zu einem erheblichen sozialen Wandel geführt.

Die KP ist zwar nach aussen intransparent. Doch es gibt laut glaubwürdigen Quellen innerhalb der Partei bis zu einem gewissen Punkt Diskussionen um Meinungsverschiedenheiten. Nach einem einmal gefällten Entscheid allerdings ist die Diskussion beendet.

Demokratie in den Dörfern – aber mit Grenzen

Seit den 1990er-Jahren gibt es zudem auf unterster staatlicher Ebene – in den Dörfern, von denen es in China über eine Million gibt – ge ein gewisses Mass an Demokratie in Form von Wahlen. Nach dem Gesetz über Dorfausschüsse finden in den Kommunen alle drei Jahre Wahlen statt. Dabei wurde in den letzten zwanzig Jahren auch nach Ansicht westlicher Beobachter der Wettbewerb immer grösser.

Allerdings hat hier der Volksentscheid ungleich dem liberalen Demokratieverständnis seine Grenzen. Das zeigt beispielhaft das Dorf Wukan in der prosperierenden Südprovinz Guangdong. Dort kam es 2011 zu Protesten gegen lokale Kader, die enteignetes Land verkauften, ohne die Anwohner ausreichend zu entschädigen. Das ist ein weitverbreitetes Problem im ganzen Lande.

Wukans Bürger durften danach einen eigenen Bürgermeister wählen. Der neugewählte Lin Zuluan wurde allerdings später wegen angeblicher Korruption verhaftet und zu 37 Monaten Gefängnis verurteilt. Wukans Stimmbürger waren empört, sprachen von politisch motivierten Korruptions-Vorwürfen gegen Bürgermeister Lin und gingen erneut auf die Strasse.
Die Sicherheitskräfte machten darauf kurzen Prozess. Sie verhafteten 13 Demonstranten und beendeten den Protest. Die zentrale administrative Kontrolle in Peking und Guangzhou sahen offenbar landesweite Interessen bedroht.

China funktioniert anders als der Westen

In der 3500 Jahre alten Geschichte Chinas ist bis auf den heutigen Tag politisch wie sozial wenig Vergleichbares mit dem Westen zu erkennen. Bis vor kurzem definierten sich Chinesinnen und Chinesen eher über die Gruppe (Familie, Clan oder Arbeitsplatz) als über das Individuum. Das zeigte sich etwa 1989 bei den Demonstrationen auf dem Tiananmenplatz in Peking. Demonstranten traten in Gruppen auf, etwa hinter dem Banner einer Universität, einer Fabrik, einer Zeitung, eines Ministeriums. Gedacht und gehandelt wird noch heute eher in der Kategorie „Sowohl als auch“ ungleich dem westlichen „Entweder-Oder“.

Bei der Vereinigung Chinas vor etwas mehr als 2200 Jahren war der legistische Philosoph Han Fei massgebend für die erste Dynastie der Qin. „Es gibt nur zwei Handhabungen der Macht“, so Han Fei, „mit deren Hilfe der kluge Herrscher die Beamten unter Kontrolle hält, und zwar Strafe und Güte. Was bedeutet Strafe und Güte? Unter Bestrafung versteht man Töten und Hinrichten, unter Güte das Belohnen und Auszeichnen“.
Heute im Zeitalter des „Sozialismus mit chinesischen Besonderheiten für eine neue Aera“ (Zitiert aus: „Gedanken Xi Jinpings“) ist allerdings wie schon zur Zeit der Han-Dynastie ( gemäss unserer Zeitrechnung 2. Jahrhundert vor bis 2. Jahrhundert nach Christus Geburt) Konfuzius wieder massgebend, also Meritokratie, was sich etwa mit «Vorherrschaft durch Leistung» oder «Verdienstadel» übersetzen lässt: „Konfuzius sprach: Um die Ausübung eines Amtes kümmere sich nur, wer dafür kompetent ist.»

Nicht durch, sondern für das Volk

Das Idealbild von Konfuzius alias Meister Kong: Politik nicht durch das Volk, sondern für das Volk. Nicht die Freiheit des Individuums, Wahlen oder Gewaltenteilung werden also von Konfuzius unterstützt. Vielmehr wird die Schutzfunktion der Herrschenden als tugendhafte Politiker in den Vordergrund gestellt. Aehnlich also wie es in den letzten vierzig Reformjahren bis hin zu Staats-, Partei- und Militärchef Xi Jinping der Fall ist.
Menzius, der geistige Nachfolger von Konfuzius, machte jedoch eine wichtige Einschränkung geltend: Wenn ein inkompetenter Herrscher das Zepter in die Hand bekommt, könne dieser von den Untertanen beseitig werden.

Ganz unten Demokratie, oben Verdienstadel

Davor fürchtet sich auch die allmächtige Kommunistische Partei. Deshalb erlaubt sie Wahlen auf unterster Ebene, streng gehandhabte innerparteilich Demokratie, auch Bürgerversammlungen zu sensiblen Themen – Preiserhöhung für Wasser oder Elektrizität etwa – und regelmässige repräsentative Untersuchungen zur Meinung der Bürger und Bürgerinnen. Der amerikanische Politwissenschafter Daniel A. Bell brachte dieses Verständnis auf die Formel „Demokratie ganz unten – Meritokratie ganz oben“.

Eurozentrische Sichtweise hilft nicht weiter

Westliche Experten, Korrespondenten, selbst Sinologen tun sich mit ihrer nach wie vor eurozentrischen Sichtweise schwer damit, dass weder Demokratie noch Sozialismus in westlicher Tradition von China akzeptiert wird. Die schrille Berichterstattung und Kommentierung der am letzten Parteitag beschlossenen Amtszeitverlängerung für Xi Jinping – „der neue Mao“ – oder das wenig kenntnisreiche Hyperventilieren und Schwadronieren zum neuen chinesischen Social-Credit-System zeigen das deutlich.

Die konfuzianisch geprägten roten kommunistischen Kaiser haben also – summa summarum – weder die Diktatur noch die Demokratie neu erfunden. Sie halten sich an Meister Kong und, wer weiss, eines Tages vielleicht sogar an Mencius.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

Zum Infosperber-Dossier:

Flagge_China

Chinas Innenpolitik

Hohe Wachstumszahlen; riesige Devisenreserven; sozialer Konfliktstoff; Umweltzerstörung; Herrschaft einer Partei

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3 Meinungen

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 13.11.2018 um 12:10 Uhr
    Permalink

    Zu den Kennzeichen einer Diktatur gehört auch, dass man in einer solchen nicht sagen darf, man lebe in einer Diktatur. Einigermassen zu denken gibt die Kulturpolitik, etwa, was ins Chinesische in Buchform übersetzt wird und wie das dann zu den Leuten kommt. Ohne völlig falsche Vergleiche zu machen, habe ich über meine Dissertation als Kenner des Dissidenten Geisteslebens im Dritten Reich und was dort gerade noch gedruckt werden konnte und noch durchging, meine sachlichen Gründe, dass auf vergleichbarem Gebiet von China als einer «Demokratie» unmöglich gesprochen werden kann. Auch Frankreich vor der Revolution hatte ein klar freieres Geistesleben als China heute. Dabei kenne ich durchaus wenigstens ein Beispiel einer schweizerischen Publikation, ein Werk des Arbeiterschriftstellers Karl Kloter, dessen Vermittlung in China noch vergleichsweise erfreulich verlief. Über weniger erfreuliche Vermittlungsbeispiele kann und will ich mich hier umständehalber nicht äussern. Sicher ist auch, dass der ganz normale durchschnittliche Wortschatz von Kulturschaffenden, wie man sich über Trump äussert, für solche, die in China vermittelt sein wollen, gegenüber dem chinesischen System und chinesischen lebenden oder toten Politikern nicht drin liegen würde.

  • am 13.11.2018 um 16:06 Uhr
    Permalink

    Ausgezeichnete Beschreibung der «chinesischen Zustände"! Nur das Wichtigste scheint mir zu fehlen: Die wahnsinnig schnelle Entwicklung des Landes, der Industrie, der Infrastruktur und auch des erreichten Wohlstandes bei ca. 600 Millionen, bestens zu beobachten an den chinesischen Besucherströmen im Westen! Die vorwiegend in den Dörfern praktizierte Mitbestimmung der Bevölkerung bei sie direkt betreffenden Fragen scheint mir zumindest mit der auf derselben Ebene noch vorhandenen demokratischen Mitbestimmung insbesondere in der Schweiz vergleichbar. Die darüber hinausgehenden nationalen und internationalen Fragen werden im Westen – ähnlich wie in China – durch gewählte sowie insbesondere im Fall unserer Massenpresse nicht Gewählten – allerdings aus Sicht der Bevölkerungen immer öfter eher schlechter – entschieden! Die USA und deren Vasallen sind dafür das eindruckvollste Beispiel!

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